theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Ignaz Steinwender: Die Geschichte einer Verführung. Kirche und Nationalsozialismus im Salzburger Bezirk Lungau, 1930-1945, P.Lang: Frankfurt 2003, 497 S, EUR 65.40.  (Wissenschaft und Religion. Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg, hrsg. von H. Paarhammer und Alfred Rinnerthaler, Bd. 2), ISBN 3-631-50784-4.


Das Buch geht auf eine am Institut für Kirchengeschichte der Kath. Theol. Fakultät Salzburg eingereichten Dissertation zurück. Der Autor gliedert seine Arbeit in zwei große Teile: in die Epoche vor 1938 (Teil A) und in die Epoche ab 1938 (Teil B). Teil A beinhaltet neben einem historischen Aufriss der Region Statistiken zur politischen Konstellation der ländlich-katholisch geprägten Region des Lungaus in der Zeit der Ersten Republik. Anschließend wird die Ära des Ständestaates behandelt. Allerdings bleibt dabei die komplexe politische Verortung der Kirche in dieser Zeit auf die Konflikte mit den (illegalen) Nationalsozialisten beschränkt. Verdienstvoll ist die Behandlung der (bereits in dieser Zeit bestehenden) Konfliktlinien zwischen Kath. Kirche und Ärzten bzw. Kath. Kirche und Lehrern. Der Teil schließt mit kritischen Äußerungen des katholischen Klerus gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung (vor 1938).

Teil B beginnt mit den Ereignissen um den „Anschluss“ 1938. In der Folge wird ein breiter Katalog von kirchlichen Handlungsfeldern bzw. religiösen Orten oder Symbolen abgearbeitet. Eine Vielzahl von Quellen belegen die z.T. massiven Einschränkungen der Kirche z.B. in Kirchlichen Schulen, im Religionsunterricht, in der Kinder- und Jugendseelsorge, in Liturgie und Gottesdienst, durch die Abschaffung resp. Verlegung von kirchlichen Feiertagen, durch Kirchenaustrittswerbung, durch die Einführung des Kirchenbeitrags, durch die politische Verfolgung Geistlicher. Die breite Behandlung dieses Abschnitts ist deswegen von Bedeutung, da der „Kirchenkampf“ in der „Ostmark“ deutlich härter geführt wurde als im „Altreich“. Das lag u.a. daran, dass Hitler (im Unterschied zu Deutschland) das österreichische Konkordat nicht anerkannte und so der Kath. Kirche Österreichs jedwede (wenn auch bloß theoretische) Rechtsbasis fehlte. Besondere Beachtung verdienen die Ausführungen um die Auseinandersetzungen um die Schulkreuze. Zu diesem Thema, das bisher nur wenig erforscht ist, kann der Autor interessante Quellen beibringen. Ebenso verdienstvoll ist die quellenmäßige Erfassung der politischen Verfolgung der Geistlichen in den Pfarren des Lungaus. Interessant wäre eine Untersuchung hinsichtlich des Verhaltens der Salzburger Kirchenleitung bei so genannten „erzwungenen Versetzungen“ gewesen. Leider behandelt der Autor verschiedene theoretische Aspekte des kirchlichen Widerstands erst ganz am Ende der Arbeit.

Während sich das Buch vor allem durch die Behandlung eines breiten Themenspektrums auszeichnet, weist es in formaler Hinsicht doch einige Mängel auf. So wird zwar in der Einleitung das Thema eingegrenzt und der Forschungsstand bzw. die Quellenlage untersucht, eine Forschungshypothese sucht man allerdings vergeblich; sie fehlt umso mehr, als die im Thema anklingende Formulierung („Die Geschichte einer Verführung“) angesichts des heutigen Forschungsstandes zumindest Zweifel aufkommen lässt. Der nationalsozialistische Kirchenkampf ist evident. Auch der Widerstand in der Kirche ist unbestritten, aber er muss als Widerstand im Nationalsozialismus anstatt vom Nationalsozialismus gesehen werden. Ernst Hanisch hat zuletzt auf diese Differenzierung hingewiesen. Die von der Kirchenleitung durch diese Zeit manövrierte Kirche befand sich nicht in Opposition zum Regime, sie stellte sich nicht in Gegensatz dazu, sondern sie bewegte sich in dessen möglichen resp. verbliebenen Freiräumen, ohne das politische Regime als solches in Frage zu stellen. Die Geschichtswissenschaft hat daraus keinen Vorwurf zu erheben. Sie hat nur darauf hinzuweisen, dass Dinge heute nicht als etwas benannt werden, was sie (damals) nicht waren. Die Kirche stützte – wenn auch widerwillig - das Regime durch eine grundsätzliche Akzeptanz des „Staates“ („Gebt des Kaisers ….). Widerständisches Verhalten (in welcher von verschiednen Formen auch immer) war (fast) ganz allein Sache einzelner Geistlicher oder einzelner KatholikInnen. Schade auch, dass die Zeit nach 1945 völlig unbehandelt blieb. Es wäre verdienstvoll gewesen, anhand lokaler Quellen Kontinuitäten des Nationalsozialismus nicht für die Zeit vor 1938, sondern auch nach 1945 herauszuarbeiten.

Alles in allem handelt es sich um eine wertvolle kirchenhistorische Regionalstudie, die methodisch leider nicht ganz auf der Höhe der Zeit ist.

Rezensent:
Helmut Wagner


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