Hans-Christian Roestel
„Ungleichheiten“, ein Tagungsbericht zum 47. Deutschen Historikertag in Dresden (30.09.-03.10.2008)
Mager ist mehr
Umberto Eco habe in seinen „Grundzügen einer
Stadtpsychologie“
(in: Dresdner Hefte, Nr. 88/2006) zwischen „selbstsicheren“ und
„anderen Städten“ unterschieden, also sei die Wahl auf Dresden als
Tagungsort des 47. Deutschen Historikertags sehr schnell gefallen und
angenommen worden. Aus der Vergangenheit der flächendeckenden
Zerstörung durch Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg und der
besonderen Rolle bei der Wiedervereinigung Deutschlands heraus habe die
im Sinne Ecos "selbstsichere" Stadt Dresden sich in eine
"selbstbewusste" Stadt der Gegenwart entwickelt.
Diese Feststellungen konnte Peter Funke, Vorsitzender des Verbandes der
Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHHD) noch unhinterfragt
auf der gemeinsamen Eröffnungspressekonferenz mit dem Verband der
Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) aussprechen. Schwieriger wurde es
beim Tagungstitel – den „Ungleichheiten“. Medienvertreter forderten
wiederholt, diesem Begriff doch „etwas mehr Fleisch“ zu geben. Doch
manchmal ist mager eben mehr: als Verbindung zwischen historischen
Epochen, gesellschaftlichen Zuständen oder
Disziplinen-Diskussionen der über 50 Sektionen war die
„Ungleichheit“ nicht unpassend: Funke stellte die gegenwärtig
stark aufgegriffene „Zeitdiagnostik“ in den Mittelpunkt des 47.
Historikertages, sie fördere interdisziplinäre Ansätze
in der Forschung, erleichtere die Anschlussfähigkeit von Themen.
Diese Auslegung zeigte, dass der Ungleichheits-Begriff nicht schwer
verständlich ist, sondern vielmehr zu polarisieren und die
Relevanzfrage an die Geschichtswissenschaft zu stellen vermag.
Schönheit und Spannung
Dresden bot allein durch seine Architektur einen wunderbaren, schönen Rahmen: zentrale Veranstaltungen fanden in der Semperoper, der Kreuzkirche oder dem Residenzschloss statt. Bundespräsident Horst Köhler erweiterte in seiner Festansprache im Rahmen der Eröffnungsfeier in der Semperoper die „Ungleichheiten“ aus der wissenschaftlichen Perspektive um die „Unterschiede“: die sozialen und menschlichen Dimensionen von Ungleichheit in einer Gesellschaft. Köhler stellte gleich zu Beginn zentrale Fragen: „Wie viel Ungleichheit verträgt die Demokratie? Wie viel und welche Arten von Ungleichheit braucht sie? Welche müssen wir als unabänderlich hinnehmen? Und mit welchen dürfen wir uns niemals abfinden?“. Im Mittelalter als „gottgewolltes Schicksal“ akzeptiert und gelebt, gelang in der Gründerzeit die Überwindung: „das Leistungsprinzip“ führte zu individueller Anerkennung des Menschen, zu Bildung und politischer Teilhabe. Hinzu kamen Integration und Identifikation. Die Rede des Bundespräsidenten geriet so zu einer sozio- und ethno-historischen Ansprache, die dem „Historiker“ die wichtige Rolle des „Übersetzers“ und „Zuhörers“ gleichermaßen zusprach.[1]
Zwischen den
Stühlen – in den
Sektionen
Das Programm des 47. Deutschen Historikertags dominierten zwei
historische Abschnitte, die Gesellschaft und Politik in Deutschland
prägten: Nationalsozialismus und DDR. Besondere Aufmerksamkeit
wurde dem Bericht der Historikerkommission zur Ermittlung der
Opferzahlen des Bombardements auf die Stadt Dresden im Februar 1945
zuteil. Zudem wurde am zweiten Tagungstag an der TU Dresden die
Wanderausstellung „Wissenschaft, Planung, Vertreibung – Der Generalplan
Ost der Nationalsozialisten“ an ihrer letzten Station
eröffnet.[2] Der
Existenz, vor allem aber der Überwindung
des DDR-Staats widmete sich die Podiumsdiskussion am dritten
Tagungstag, dem Tag der Deutschen Einheit. Zudem sorgte Hans-Ulrich
Wehler mit der Veröffentlichung des abschließenden
fünften Bandes seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ für
kontroverse Diskussionen.[3]
Das Studentenprojekt „Aussichtspunkt
Bismarcksäule: ‚Wider
den undeutschen Geist’, nationalsozialistische Bücherverbrennung
vom 10. Mai 1933 in Dresden und ihre Rezeptionsgeschichte“ ist
ein weiteres Beispiel wünschenswerter zeithistorischer
Auseinandersetzung. Das Ergebnis steht in sechs
MP3-Hörstücken auf der Historikertag-Homepage zur
Verfügung: Projektvorstellung (02:54 min), Moreau-Denkmal (01:54
min), Bismarck-Mythos und die Bismarcksäule auf der
Räcknitzhöhe in Dresden (04:00 min), Die Mentalitäten
und politische Haltungen innerhalb der deutschen Studentenschaft (04:19
min), Die nationalsozialistische Bücherverbrennung vom 10. Mai
1933 auf der Räcknitzhöhe in Dresden (12:28 min ), Die
Rezeption der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen in der
DDR-Geschichte (07:59 min).
Nach Polen und dem Baltikum (Kiel 2004) sowie der Schweiz (Konstanz 2006) war die Tschechische Republik in diesem Jahr Partnerregion des Deutschen Historikertages und bot unterschiedliche Möglichkeiten des internationalen Austausches, beispielsweise in den Roundtable-Gesprächen zu „Qualität in Fachzeitschriften“ und den gegenseitigen „Erfahrungen, Wahrnehmungen und Problemen von Auslandskorrespondenten in Ostmitteleuropa“. Im Folgenden werden ausgesuchte Sektionen besprochen, die unter den Gesichtspunkten „deutsche Gesellschaft in Nationalsozialismus und DDR“, „(inter-) disziplinärer Vielfalt“ sowie „fachmedialer Diskussion“ besucht wurden.[4]
Am ersten Tagungstag
(01.10.2008)
Die Sektion „Ungleichheiten in der
nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft’“ (Leitung: Frank Bajohr und Michael Wildt, beide Hamburg) widmete sich gleich
zu Beginn des Kongresses unterschiedlichen Facetten von Unterschieden
innerhalb der deutschen Gesellschaft im Nationalsozialismus, aber auch
ihrer Folgen in der Nachkriegszeit. Mit gesellschaftlicher - und
ideologisch gewollter - Unterscheidung, Abgrenzung oder Ausgrenzung,
der „Inklusion“ bzw. „Exklusion“, beschäftigten sich Birthe Kundrus (Hamburg) und Armin Nolzen (Bochum) in ihren
Vorträgen. Ging Birthe Kundrus dem Komplex des „Volksdeutschtums“ unter
historiographischen und staatsrechtlichen Gesichtspunkten auf
zeitgenössischer Quellenbasis nach, so versuchte Armin Nolzen
anhand der Nationalsozialistischen
Arbeiterpartei (NSDAP) ein Modell gesellschaftlicher
Mobilmachung, aber auch der Ausgrenzung vorzustellen. Durch
Beschäftigung in ihren vielfältigen internen Bereichen und
Gliedgruppen vermochte die Partei, einen „massenhaften“ Teil der
Bevölkerung zu binden und den Rest auf Grundlage ideologischer
Richtlinien auszuschließen. Ehrenamtliche Tätigkeiten
zählten ebenso zu den verdienstvollen Aufgaben wie
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Arbeitslose, denen sich die
Parteimitglieder widmen konnten. Es boten sich schnelle Anerkennung und
(soziale) Aufstiegsmöglichkeiten. Nolzen liefert zwar, wie die
anschließende Debatte zeigte, keine neuen Erkenntnisse zur NSDAP
an sich, wohl aber neue Zugänge, diese als „gesamtes Netzwerk“ und
„soziales Kräftefeld“ zu verstehen und zu erforschen.
Dietmar Süß (Jena)
führte anhand des Luftkriegs
1939-45 die gesellschaftlichen Unterschiede während des
Aufenthaltes der Bevölkerung in den Schutzräumen vor Augen.
Die hier angesprochenen Klassenunterschiede erfuhren auch in der
Nachkriegszeit mitunter keine „Entgrenzung“, sondern lassen sich anhand
des Beispiels der Kriegsverletzungen weiterhin beobachten: während
bei Männern die Versehrtheit mit Ruhm, Anerkennung und
gesellschaftlichem Weiterkommen verbunden sein konnte, waren Frauen
hingegen mit „Entstellungen“ und der „Angst, nicht mehr als Frau
wahrgenommen“ zu werden, allein.
Anhand der unterschiedlichen Bereiche industrieller
Fertigung wie Flugzeugbau, Bergbau oder die Landarbeiterschaft
diskutierte Frank Bajohr von
der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte den sozialen
Status, den Arbeiter und Angestellte in den genannten Branchen erlangen
konnten. Gerade der Rüstungszweig galt als neu, innovativ und
avantgardistisch. Neue Berufsbilder wie das des Mechanikers entstanden,
den Angestellten wurde ein „Elitebewusstsein“ vermittelt. Der Bergbau
gewann trotz niedrigerer Löhne und geringerem Sozialprestige
aufgrund der hohen Bereitstellung von Arbeitsplätzen zunehmend an
Attraktivität und letztlich auch wirtschaftlicher Bedeutung.
In der allgemeinen Debatte wies
Michael Wildt darauf hin, dass
gerade im Bereich der Ostforschung noch einiger Bedarf bestünde,
die „unterschiedlichen Volkskonzepte in den deutschen eroberten
Gebieten“ in der Folgezeit nach dem Kriegsende zu erforschen. Ebenso
seien individual- bzw. menschenrechtliche Fragen im Zusammenhang mit
„Sterilität“ oder der „Eugenik“ zu klären.
Manfred Hettling (Halle/Wittenberg) moderierte unter dem Titel „Gibt es
eine Einheit der Geschichte? Epochale Vielfalt und disziplinäre
Gemeinsamkeit“ eine Diskussionsrunde in folgender Besetzung:
Wilfried Nippel (Berlin): Disziplinäre Einheit aus althistorischer Sicht,
Hedwig Röckelein (Göttingen): Integriertes Proseminar und Modulthemen: Chancen für den epochenübergreifenden Dialog in der Geschichtswissenschaft,
Winfried Schulze (München): Geschichte in der permanenten "Erweiterung" und die Einheit des Fachs Geschichte,
Jürgen Osterhammel (Konstanz): Transformationen neuzeitlicher Geschichte: Zwischen longue durée und Mikrodynamik,
Paul Nolte (Berlin): Die Zeitgeschichte zwischen methodischer Sonderstellung, disziplinärer Normalität und öffentlicher Aufmerksamkeit.
Als Bestandsaufnahme kann diese Debatte ohne weiteres zusammengefasst werden: interdisziplinäre Projekte oder Forschungen seien „eher die Ausnahme“, so Manfred Hettling in der Anmoderation. Jürgen Osterhammel, wies der Diskussionen die immer wiederkehrende aber ebenso notwendige Funktion zu, „immer wieder geführt“ werden zu müssen, weil so „eine Entlastung“ des Diskurses erreicht werden könne. Aus der Perspektive des Neuzeithistorikers plädiere er für mehr „historische Reflexion im eigenen Fach“, die auch die Parallelwissenschaften wie Philologie, Soziologie oder Ethnologie einschließt. Hettling gab diesem Anliegen gerade unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung von Fakultätsumbildungen und Neustrukturierung der Disziplinenlandschaft noch das schärfere Profil: die Geschichtswissenschaft solle sich vermehrt um eine „permanente Selbstreflexion“ bemühen, hierbei ein „schärferes disziplinäres Verständnis“ entwickeln, ohne dabei jedoch in eine „Interdisziplinarität und eine Zugehörigkeit zur Kulturwissenschaft“ zu verfallen. Ein gemeinsamer Bezugspunkt sind neben der „historischen Methode“ vielmehr „angebotsspezifische Fragen“, so Hettling weiter. Wilfried Nippel fokussierte in seinem Diskussionsbeitrag verstärkt auf die Rolle der Fachmedien. Zeitschriften- und Rezensionsmedien komme eine verstärkte Bedeutung zu, gerade auch im Online-Bereich wie das (fachübergreifende) „H-Soz-Kult“-Projekt der HU Berlin. Nippel stellte die zentrale Problematik in den Raum: „Wie beziehe ich die unterschiedlichen Epochen aufeinander?“. Nippels Bemerkung, gegenwärtig eine „epochenübergreifende Unkenntnis“ festzustellen, sorgte im Plenum jedoch nur kurz für bankübergreifende Heiterkeit. Winfried Schulze attestiert dem Fach ebenfalls eine „abnehmerorientierte Zukunft“: ein publizistischer und schulbuchgebundener Abnehmerkreis beispielsweise erfordere eher einen mikro- bzw. makrohistorischen Fokus auf „close-ups und wide shots“. Allein Hedwig Röckelein stellte für ihren Fachbereich der Mediaevistik den interdisziplinären Austausch der Komparatistik als gelungen und produktiv dar: der „cultural turn“ nach der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert bzw. nach 1945 habe das Fach vorangebracht. Nicht zuletzt der ikonologisch-ikonographische Zugang Aby Warburgs haben die mediaevistische Anschlussfähigkeit an Kunstgeschichte oder aktuell auch an die Medien- und Kommunikationswissenschaft herbeigeführt (z.B.: Analyse von Pressefotografie). Röckelein bescheinigt daher der Geschichte als „Anthropologie der Globalisierung“ ein Überleben innerhalb der BA/MA-Modular-Strukturen, innerhalb der „cultural studies“. Didaktisch besehen, redete Röckelein hier klar pro domo der Göttinger Unterrichtslandschaft, die modular ein Thema pro Studienjahr vorsieht, das von allen Epochen/Fachrichtungen gemeinsam gestaltet wird. Paul Nolte reihte sich als Zeithistoriker in die Anfangspositionen Hettlings oder Nippels ein, indem er empfahl, „mit den Akteuren ins Gespräch“ zu kommen und sich der Medialisierung des Faches bewusst zu werden. Also quasi der Guido-Knopp-Konkurrenz, die einerseits historische Themen kontextorientiert und mitunter diachron aufarbeitet, aber genauso im medialen Alltagsgeschäft Stellungnahmen aus der Wissenschaft erfordert.
Am zweiten Tagungstag (02.10.2008)
Unter der Leitung von Heinz-Gerhard Haupt (Florenz/Bielefeld)
und Willibald Steinmetz (Bielefeld)
geriet die Diskussion zur „neuen
Politikgeschichte“ mit der Besetzung
Sebastian Conrad (Florenz): Politikgeschichte aus transnationaler Perspektive,
Eckart Conze (Marburg): Politikgeschichte und Geschichte der internationalen Beziehungen,
Birgit Emich (Freiburg): Politikgeschichte aus kulturalistischer Perspektive,
Willibald Steinmetz (Bielefeld): Politikgeschichte aus kommunikationsgeschichtlicher Perspektive,
Andreas Rödder
(Mainz):
Politikgeschichte aus klassischer Perspektive
wie die Sektion des Vortags bezüglich der
„disziplinären
Einheit“ zu einer Bestandsaufnahme mit einzelnen Impulsen für die
Zukunft.
Daher sollen an dieser Stelle lediglich wesentliche Ergänzungen oder Zuspitzungen auch unter Einbezug der anschließenden Debatte wiedergegeben werden. Andreas Rödder empfahl beispielsweise drei „Kriterien für eine zukünftige Politikgeschichte“: Themen aus ihrer „Rationalität der Wissenschaft heraus“ setzen, ihre „Plausibilität“ aufzeigen und sie auf ihre „Relevanz“ prüfen. Sebastian Conrad und Willibald Steinmetz diskutierten beide entlang des Problems der „Konturierung“ und machten Vorschläge, eher „transepochal“ zu denken. Steinmetz fügte zuspitzend hinzu, man solle „Altes neu erzählen“, aber nur wenn der Anlass plausibel erscheine und man dennoch traditionelle Themen weiterhin im Blick behalte. „Neu“ zu erzählen bedeute gegenwartsbezogen und kontextualisierend in den Blick nehmen.
Podiumsdiskussion: Wie gut sind unsere
Fachzeitschriften?
Ulrike Gleixner (Wolfenbüttel)
moderierte dieses breit besetzte Podium im Zusammenhang des
Arbeitskreises „Werkstatt Geschichte“. An der Diskussion nahmen teil:
Christiane von Oertzen (Berlin), ebenfalls Werkstatt Geschichte,
Sonja Berghoff (Gütersloh),
Stefan Hornborstel (Berlin),
Cornelius Torp (Halle),
Rudolf Schlögl (Konstanz), „Geschichte und Gesellschaft“
Barbara Stollberg-Rillinger (Münster),
Alf Lüdtke (Göttingen/Erfurt), u.a. “Historische Anthropologie”
Helwig Schmidt-Glintzer (Wolfenbüttel), „Zeitschrift für Ideengeschichte“
Helmut Puff (Ann Arbor), University of Michigan, ex-“Gender and History”
Martin Schulze Wessel (München), für osteuropäische Projekte, z.B. „Bohemia“
Christoph Conrad (Genève), u.a. European Science Foundation
Der Kern der Diskussion war um die produktiven und organisatorischen
Schritte des “peerings”, des “ratings” und des „rankings“ angelegt.
Zudem sollte zukünftiges Rezeptions- und Publikationsverhalten in
den Blick genommen werden. Zudem waren die drei Gesichtspunkte
„Qualitätsmessung“, „deutsche Fachzeitschriften“ und
„Fachzeitschriften international“ aus der jeweiligen Perspektive des
Diskutanten zu berücksichtigen. Sowohl
Stefan Hornborstel als auch Cornelius Torp nahmen den
„Qualitätsbegriff“ auf und verwiesen auf die Diskussion um die
„European Science Foundation“, nach deren Qualitätskriterien
Fachzeitschriften zumindest in der europäischen Wissenschaft
beurteilt würden. Hier sei einiges zu überdenken. Hornborstel
forderte, die Herausgeber und Verleger sowie auch die Drittmittelgeber
jeweils auf deren qualitativen Ansprüche an das jeweilige Medium
zu prüfen. Cornelius Torp versuchte, die Problematik
strukturalistisch anzugehen, indem er nach der grundlegenden „Bedeutung
von Fachzeitschriften in der Wissenschaft“ im Vergleich zu
„Aufsatz-Sammelbänden“ fragte. Ein weiteres Feld, nicht zuletzt
bezüglich des „peerings“ sei die Transparenz der
Gutachterverfahren, nach denen redaktionelle Beiträge vor der
Veröffentlichung geprüft werden. Torp befürwortete an
dieser Stelle klar das sogenannte „double-blind“-Verfahren, bei dem
weder Gutachter noch Autoren jeweils voneinander Kenntnis haben, also
nur der reine Textgehalt zählt.
Christiane von Oertzen ging in ihrem Statement am Beispiel der
„Werkstatt Geschichte“ auf die Alternative der kollegialen Beurteilung
ein: die Themenhefte verstünden sich als „Experimentalfeld, um
neue Forschungsfelder aufzumachen“, Jahrestreffen dienten der internen
Kontrolle und böten Möglichkeiten, die Heftkonzeption stets
zu hinterfragen. Autorentexte würden zusätzlich ein
Gutachtergremium durchlaufen, das je nach Themenschwerpunkt auch mit
Externen besetzt werde.
Helwig Schmidt-Glintzer empfahl
unter Rekurs auf das eigene neue Projekt „Zeitschrift für
Ideengeschichte“, zukünftig mitunter früher zu
veröffentlichen, so dass auch Erkenntnisse aus dem
Forschungsprozess heraus der Gemeinschaft zur Verfügung
stünden, hinzu käme in diesem Zusammenhang der Wunsch nach
einer direkten Verlinkung auf benutzte (Online-) Quellen. Ein guter
Schritt in diese Richtung sei das bereits häufig anzutreffende
„open peering“. Zu bezweifeln sollte allerdings folgender Wunsch sein:
peer-groups anstatt Lektoren oder redaktionelle Strukturen arbeiten zu
lassen – zugunsten einer beständigen Redaktionskultur. Im
osteuropäischen Raum seien Zeitschriften vergleichsweise mehr auf
Forschung und Themen in jeweils regionalen Zusammenhängen
spezialisiert, wie Martin Schulze Wessel feststellte.
Am dritten Tagungstag (03.10.2008)
Um „Chancen und Grenzen von
Remigration und Fach-Transfer in deutschen Geistes- und
Sozialwissenschaften nach 1945“ zu diskutieren, fanden sich
unter der Leitung von Rüdiger vom Bruch (Berlin)
Mitchell G. Ash (Wien): Grundsätzliche Überlegungen
Karen Michels (Hamburg): Kunstgeschichte – erfolgreiche Emigration und Grenzen der Remigration
Jan-Otmar Hesse (Frankfurt/M./Göttingen): Wirtschaftswissenschaften – Beharrung und Außendruck als verzögerte Innovtation?
Uta Gerhardt (Heidelberg): Soziologie – Verwissenschaftlichung durch Amerikanisierung
Alfons Söllner
(Chemnitz):
Politikwissenschaft – Disziplingenese durch Anverwandlung?
zusammen.
Mitchell Ash ordnete die Rückwanderung der unter der NS-Herrschaft ins Exil gegangenen Wissenschaftler nach drei Kategorien: im Zuge des „Aufrufs zur Rückkehr an jüdische Emigrierte von 1947“ habe man eher prominente Namen gezielt angesprochen. Als „Schubfaktoren“ wirkte oft ein schlechter oder unvorteilhafter Status im Aufnahmeland, auch waren Sprachprobleme nicht selten. „Ziehfaktor“ war mitunter, von potentiellem Nutzen für die alliierten Mächte zu sein. Als „Hemmungen“ konnten (vorerst) schlechte Arbeitsbedingungen in den Heimatländern sowie die Konkurrenz durch die mittlerweile entnazifizierten Kollegen festgestellt werden. Bei den Kunsthistorikern konnte Karen Michels eine Rückkehrerquote von 4-5 Prozent ermitteln: 13 Wissenschaftler kehrten nachweislich nach Deutschland, sechs nach Österreich zurück. Erwin Panofsky beispielsweise kehrte nicht nach Hamburg zurück, da er sich erfolgreich in den USA positioniert hatte. Im Zuge des „internationalen Kunsthistorikerkongresses 1963/64“ in Bonn setzte die Rückkehrerbewegung vollends ein. Thomas Mann beschreibe diesen Zustand „als keinen Wartezustand mehr“, sondern als eine Form „internationaler Provinzialisierung“, so Karen Michels. Jan-Otmar Hesse beobachtete für die Ökonomen keine „nennenswerte Rückkehrbewegung“, sondern im Gegenteil eine „zunehmende Amerikanisierung“ im Zuge etablierter Stipendiatenprogramme wie dem ‚Rockefeller-Fellowship’. Abwechslungsreich schilderte Ute Gerhardt die soziologische Fachgeschichte: gute zehn Jahre benötigte es, das Fach wieder zu institutionalisieren, da es keine Fachliteratur und keine Ausbildung mehr gegeben hatte. Hier war die Amerikanisierung willkommen: Besatzungsmächte wie die USA oder Großbritannien sorgten selbst für die Ausbildung an Orten wie Frankfurt/M. oder Marburg, in den USA wurde die empirische Sozialforschung bereits seit den 1930er Jahren auf Basis der Stochastik betrieben. Elisabeth Noelle-Neumann lernt in Princeton: Codeplanung und Interviews werden die essentials, ihre ersten Massenerhebungen führt sie in Deutschland nach 1951 durch. Die deutsche Soziologie publizierte zunächst im Ausland, erste universitäre Institute wurden in Mainz und Hamburg gegründet. Durch Horkheimer und Adorno in Frankfurt erfährt das Fach zunächst eine eher philosophische Prägung. Adorno und Noelle-Neumann arbeiteten anfangs zusammen. Alfons Söllner beobachtet für die Politologie – die auch als „Demokratiewissenschaft“ gelte – Beeinflussungen durch angelsächsische und westliche Orientierung. Auffällig war Söllners Distanz zum Begriff der amerikanischen Prägung, er schlug Alternativen wie „Akkulturation“ oder „Anverwandlung“ vor.
Die Podiumsdiskussion zur „friedlichen
Revolution und der deutschen Vereinigung 1989/90: das Volk, die
Volkswirtschaft“ geriet völlig zu Recht zum Höhepunkt
des Historikertages. Man werde noch etwas warten und auf weitere
Besucher hoffen, schließlich führen die Straßenbahnen
nicht so häufig. Denn schließlich sei Feiertag: der 3.
Oktober, der „Tag der deutschen Einheit“: Klaus-Dietmar Henke (Dresden) hatte
mit dem Plenum leichtes Spiel und erreichte somit das Ziel dieser
Sektion, „neben der wissenschaftlichen Bestandsaufnahme einer breiteren
Öffentlichkeit die historische Dramatik, die Bedeutung und einige
Auswirkungen des fast zwanzig Jahre zurückliegenden
Einigungsprozesses vor Augen zu führen.“
Die Teilnehmer der Diskussion waren:
Christoph Buchheim, Rainer Eppelmann, Christian Führer, Charles S. Maier, Edgar Most, Werner Plumpe, Detlef Pollack, Ulrike Poppe, Gerhard A. Ritter, Thilo Sarrazin, Richard Schröder, André Steiner.
Aus wissenschaftlicher Perspektive ergab das Podium
durch die
Beiträge Charles S. Maiers
(Harvard) oder Detlef Pollacks (Viadrina, Frankfurt/O.) wichtige
Impulse für die weitere zeithistorische Forschung, die Klaus-Dietmar Henke letztlich mit
der Forderung zusammenfasste, sich „mehr mit dem alltäglichen
Leben der DDR-Bürger, mit ihrer Normalität zu
beschäftigen“. Über die Widerstandsgruppen habe man
schließlich bereits ein breites Wissen. Detlef Pollack hatte deutlich das
friedliche, auf einen Dialog ausgerichtete Anliegen der
Oppositionsbewegung vorgetragen: die „Botschaft ‚Wir sind das Volk!’“
war keine Forderung nach einem SED-Sturz, sondern vielmehr das „Streben
nach legaler Anerkennung“. Man habe Grenzen ausgetestet, ein
Bewusstsein über das eigene (Macht-) Potential zu gewinnen.
„Auf Kerzen und Gebete waren Polizei und Militär nicht vorbereitet
gewesen“, erinnert sich Christian
Führer an den 9. Oktober 1989. Die 40-Jahr-Feiern
anlässlich der DDR-Staatsgründung waren gerade vorüber.
Führer hatte seit den frühen 80er-Jahren immer montags zu
Friedensgebeten in seine Kirche eingeladen und so die Basis für
friedlichen Protest gelegt.
Trotz der ökonomischen und finanziellen Schwächen sei die
Überwindung der DDR als einem zentralistisch und totalitär
geführten Regime, so das Ergebnis der gut fünfstündigen
Debatte, durch gewaltlosen Aktivitäten herbeigeführt worden.
Mit der so genannten „Friedensdekade“ setzten die evangelischen Kirchen
in Bundesrepublik und DDR ein gemeinsames Zeichen gegen das
Wettrüsten der Blockmächte im Europa des Kalten Krieges.
„Die Kirche war der einzige Freiraum, quadratmetermäßig und
geistig“. Führer, der im vergangenen März nach 40
Dienstjahren als Nikolaipfarrer in den Ruhestand verabschiedet wurde,
findet während der Debatte wiederholt prägnante
Formulierungen für die bewegenden Ereignisse auf dem Weg zum
Mauerfall, zur faktischen Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990.
Der Alltag glich „der mit Hingabe betriebenen Abschaffung der
Wirklichkeit“. Auch wenn er hier ausnahmsweise einen junger
Schriftsteller zitiert, so nicht ohne Grund: „Ein Pfarrer hört in
der Gemeinde vieles.“ In der Nikolaikirche kamen Menschen aus allen
Bevölkerungsteilen zusammen, um über ihre alltäglichen
Frustrationserlebnisse zu sprechen. Diesen Menschen wollte man helfen,
selbständig und frei darüber zu sprechen.
Ulrike Poppe, prominente SED-Kritikerin innerhalb der Oppositionsbewegung, führte
dies anhand der sich in den Jahren vor der „Wende“ staatlich gewollten
verschlechternden Lebens- und Qualitätsbedingungen vor. So bestand
handelsüblicher Kaffee aus gleichen Teilen Röst- und
Ersatzkaffee: „Erichs Krönung“.
Aus staatspolitischer Perspektive analysierten Edgar Most als Verantwortlicher für
die Landesschulden bei der DDR-Staatsbank und der amtierende Berliner
Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) als damaliger Referatsleiter
im Bonner Finanzministerium die ökonomischen Umstände, die
zum Ende der DDR führten. Für Sarrazin sei das SED-System
„ökonomisch nicht zwingend zum Scheitern“ verurteilt gewesen, aber
strukturell. Den Anfang hierfür markiert nicht zuletzt der 9.
Oktober 1989, ein Messemontag in Leipzig. Erstmals gelangten Bilder der
Montagsgebete und Demonstrationen dadurch in den Westen, dass
während der Messen pauschale Drehgenehmigungen erteilt wurden. Nun
war auch die Öffentlichkeit in der BRD erreicht.
Es sei “wie ein Wunder“ gewesen, dass die Sicherheitskräfte nicht
gewaltsam gegen die Demonstranten vorgingen. Daher ist Christian
Führer auch der – bescheidenen - Meinung, dass der 9. Oktober und
nicht der 3. Oktober der wichtigere Tag zum Feiern sei: „Das war die
Einheit ohne Kriege und Siege. Die friedliche Revolution ist unser
Exportschlager, nicht Tornados und Militärtechnik. Das sollten wir
nie vergessen.“
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[1] Die
vollständige Rede des Bundespräsidenten Horst
Köhler steht in einer Pressemitteilung des
Bundespräsidialamtes zur Verfügung unter http://www.historikertag.de/Dresden2008/images/dokumente/Eroeffnungsrede_Koehler.pdf
[2] vgl. den „t.g“-Beitrag
„Die Ausstellung ‚Wissenschaft, Planung,
Vertreibung – Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten’ als
Auseinandersetzung der DFG mit ihrer NS-Vergangenheit“
[3] vgl. Hans-Ulrich
Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, in
fünf Bänden, Bundesrepublik und DDR, 1949-1990, Verlag
C.H.Beck 1987-2008. Zudem ist eine broschierte Studienausgabe im
Schuber erhältlich, zu der in „t.g“ in Kürze eine Rezension
erscheint
[4] Abläufe und
Abstracts der einzelnen Sektionen sowie
weiterführende Materialien finden sich auf den Internetseiten der
TU Dresden:
http://www.historikertag.de/Dresden2008/index.php/wissenschaftliches-programm
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