Yvonne Al-Taie und Katharina Peetz
Tagungsbericht zum 7. Internationalen Symposium der Stiftung Ettersberg „Christentum und Kirchen in den Transformationsprozessen Ostmittel- und Osteuropas“ in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit und der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen
Vom 24. – 25. 10. fand im Reithaus in Weimar das 7. Internationale Symposium der Stiftung Ettersberg zum Thema „Christentum und Kirchen in den Transformationsprozessen Ostmittel- und Osteuropas“ statt. Das Symposium wurde in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit und der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen veranstaltet.
Nach der Eröffnung und Einführung durch den Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Ettersberg Prof. Dr. Hans-Joachim Veen, bildete der Vortrag „Die Kirchen in der DDR im und gegen den Sozialismus“ von Prof. Dr. Dr. h.c. Richard Schröder (Berlin) den Auftakt des Symposiums. Ausgangspunkt seiner Betrachtung der Rolle der Kirchen in der DDR bildeten die beiden konträren Positionen, nach denen die Kirchen in der DDR zunächst als Mutter der Revolution gefeiert, dann aber als Stütze des Regimes gebrandmarkt wurden. Beides, so machte Schröder deutlich, sind übertriebene Positionen. Er hob hervor, dass die Kirchen der einzige Ort in der DDR waren, an dem frei gesprochen werden konnte und an dem Oppositionelle Schutz fanden. Kirchen stellten zwar eine Ersatzöffentlichkeit dar, waren aber marginalisiert. Entgegen der durch die Stasi-Enthüllungen genährten Meinung die Kirche sei eine Stütze des Systems gewesen, machte der Vortrag deutlich, dass die Kirche für die Stasi ein besonderes Problem darstellte, da sie der einzige nicht gleichgeschaltete Ort der Gesellschaft war. Um den Einfluss der Kirche auf die Jugend zu schwächen, erlaubte die SED nur noch Kult und Diakonie. Die Jugendweihe wurde gezielt als Ersatz für die Konfirmation eingeführt. Bis 1952 bestand eine Phase des regulären Kirchenkampfs. Durch Eingreifen der Sowjetunion wurde die SED allerdings dazu gezwungen, ihren harten Kurs aufzugeben. 1970 wurde eine Veranstaltungsordnung erlassen, wonach alle kirchlichen Veranstaltungen außer dem Gottesdienst und der Christenlehre angemeldet werden mussten. Der Umstand, dass die Ausbildungsstätten der Kirchen vom Staat nicht anerkannt wurden, gewährte ihnen paradoxer Weise eine gewisse Freiheit. Wichtig war für die Kirchen dabei die Unterstützung aus dem Westen. Ein statistischer Überblick über die Entwicklung der Kirchenzugehörigkeit macht deutlich, dass diese gerade in den Jahren 1964-1989 drastisch von 72 auf 25 Prozent gesunken ist. Zwar fand nach 1989 eine Rückkehrbewegung in die Kirchen statt, es fehlten jedoch meist die Anknüpfungspunkte. Darüber hinaus beleuchtete der Vortrag die Position der Kirche zum Sozialismus, wonach die Kirche die Totalitarismustheorie weitestgehend anerkannte. An dem Vortrag kritisch anzumerken bleibt vor allem der Umstand, dass die Rolle der katholischen Kirche völlig unberücksichtigt und der Plural im Titel damit uneingelöst blieb.
Der Vortrag von Dr. Ehrhart Neubert (Erfurt) knüpfte mit dem Titel „Die Kirchen in der DDR in der friedlichen Revolution“ unmittelbar an den vorangehenden an und beleuchtete die entscheidende Phase 1988/89 genauer. Anhand des Filmes „Jeder trage die Last des anderen“ (Lothar Warnecke) von 1988 zeigte er auf, dass der Staat hier noch einmal um die Kirchen werben wollte. Die Kirche war bereits zu einer Ersatzöffentlichkeit für Diskurse geworden, die sonst verboten waren. Sie wirkte damit zunehmend anziehend auf Regimekritiker. Von Staatsseite versuchte man, dem Einfluss der Kirche entgegenzuwirken. Die Haltung innerhalb der Kirchen zum Regime war jedoch uneinheitlich. Unterstützung für das Regime gab es noch bis in die Tage der friedlichen Revolution. Auch hatte Egon Krenz als neuer Parteichef Gespräche mit führenden kirchlichen Vertretern geführt. Dieses Verhalten von Seiten der Kirche erklärte Neubert aus einer tief in der protestantischen Mentalität verwurzelten Haltung heraus, die davon ausgeht, dass allein eine intakte staatliche Ordnung die Existenz der protestantischen Kirche garantiere. Ziel der Kirche war nicht eine Revolution, jedoch war ihr Vertrauen in die SED, die aktuellen Probleme lösen zu können, geschwunden. Dennoch konnte die Kirche Ausgangspunkt der friedlichen Revolution werden, so legte Neubert dar, da sie den Ort darstellten, an dem die Voraussetzungen für das Politische überhaupt erst geschaffen wurden. Die Friedensgebete fanden in einem geschützten Raum statt und hatten einen verlässlichen Wiederholungscharakter. Zudem wurden die Kirchen zur Anlaufstelle für Informationen. Auch setzten sie den von der SED bekannten Ritualen der Unterwerfung Rituale der Befreiung entgegen. Nicht zuletzt war die Sprache das entscheidende Instrument der Friedensgebete.
Dr.
Dirk Lenschen (Paderborn) klärte in seinem Vortrag
„Kirche, Sozialismus und Transformation in Polen“ die Frage, welches
Potential die Katholische Kirche Polens besitzt, beim Aufbau einer
Zivilgesellschaft im eigenen Land aktiv mitzuwirken. Die Entwicklung
einer Zivilgesellschaft kann neben der Einführung des
demokratischen Rechtsstaats und der sozialen Markwirtschaft als
wichtigste Herausforderung Polens nach den Umbrüchen von 1989
verstanden werden. Die Zivilgesellschaft ist nach Lenschen geprägt
durch die Existenz öffentlicher Netzwerke, in denen sich
Bürger freiwillig versammeln, durch die Pluralität und
Legalität ihrer Vereinigungen, durch ihre Absicherung in einem
rechtlichen Rahmen sowie durch Autonomie. Der Aufbau eines
zivilgesellschaftlichen Habitus ist in Polen seit 1989 nicht
erfolgreich verlaufen. Lenschen führt dies auf folgende Ursachen
zurück: Ablehnendes Verhalten der politischen Eliten
gegenüber der Zivilgesellschaft, mangelndes Interesse der
Bürger am politischen Diskurs, Existenz einer
„Fürsorgementalität“, mangelnde Dialogbereitschaft, mangelnde
Kompromissbereitschaft, mangelnde Toleranz
(„Schwarz-Weiß-Denken“) sowie sozioökonomische Probleme.
Analysiert man das Verhältnis der Katholischen Kirche zur
Zivilgesellschaft ist zwischen dem Zeitraum vor 1989 und nach 1989 zu
unterscheiden. Vor 1989 hatte die Kirche großen
gesellschaftlichen Einfluss, unterstützte zivilgesellschaftliche
Aktivitäten und stellte einen Schutzraum für Oppositionelle
dar. In dieser Phase haben sich die zivilgesellschaftlichen Akteure in
Polen in Abgrenzung zu Staat und Kommunismus definiert. Nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion galt es die Zivilgesellschaft nicht mehr
in Abgrenzung, sondern in Kooperation mit dem Staat zu konstituieren.
Die Anpassung der Katholischen Kirche an die veränderte Situation
gelang nach Lenschen nicht auf Anhieb: Traditionalistische
Vorstellungen vom Verhältnis Staat-Kirche und mangelnde Toleranz
in Teilen des Klerus behinderten den Aufbau einer postkommunistischen
Zivilgesellschaft. Heute, so Lenschen, hat die Katholische Kirche
diese „Kinderkrankheiten“ überwunden und setzt sich mit ihrer
Soziallehre für die verstärkte Aktivierung von Laien in der
Kirche ein. Ihr zivilgesellschaftliches Potential schöpft die
Kirche nach Lenschen am besten aus, wenn sie sich für die
Verbreitung von ethischen Normen und Werten einsetzt und als kritisches
Korrektiv fungiert. Als problematisch erwies sich, dass der Vortrag mit
dem in Polen vorherrschenden kirchlichen Amtsverständnis
operierte, nach dem die Einmischung des Klerus in politische
Angelegenheiten als unangemessen zu bewerten ist, ohne dieses kritisch
zu hinterfragen.
In seinem Vortrag „Kirche und Regime in der Sowjetunion und in Russland“ analysierte Prof. Dr. Thomas Bremer (Münster) das Verhältnis zwischen Staat und russisch-orthodoxer Kirche im Zeitraum von 1917 bis heute. Während die Kirche im Zarenreich unter staatlicher Kontrolle stand, kam es unmittelbar vor der Oktoberrevolution zu einem kurzfristigen Freiheitszuwachs für die Kirche, der zur Wiedereinführung des Patriarchenamtes führte. Die Revolution selbst führte jedoch zu einem tief greifenden Bruch im Verhältnis von Staat und Kirche, die nun einem staatlichen System gegenüberstand, das sie als Feind betrachtete. 23 000 kirchliche Amtsträger wurden Opfer der massiven staatlichen Verfolgung. Die Zahl der amtierenden Bischöfe sank von 160 am Ende des Ersten Weltkrieges auf vier am Beginn des Zweiten Weltkrieges, viele Kirchen wurden geschlossen. Als Konsequenz daraus stand die russisch-orthodoxe Kirche 1939 kurz vor dem Zusammenbruch. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zeichneten sich allerdings erhebliche Veränderungen im Verhältnis von Staat und Kirche ab. Diese Veränderungen zeigten sich z.B. an der Tatsache, dass der Metropolit zur Verteidigung des russischen Vaterlandes aufrief. Die offene Unterstützung des Krieges ermöglichte der russisch-orthodoxen Kirche Priesterseminare wieder zu beleben und einige theologische Bücher zu veröffentlichen. Eine staatliche Institution für kirchliche Angelegenheiten wurde etabliert, die willkürliche Verfolgung endete und die Beziehung zwischen Staat und Kirche normalisierte sich. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war die russisch-orthodoxe Kirche mit der Situation konfrontiert, dass sich das Land für andere Religionsgemeinschaften und Missionare öffnete. Gegen diesen Trend wirkt ein 1997 erlassenes Religionsgesetz, das als Religionen nur das Christentum, den Islam, das Judentum und den Buddhismus anerkennt, die gesetzliche Privilegien erhalten. Dieses Gesetz kommt vor allem der russisch-orthodoxen Kirche zugute, die eine Monopolstellung auf dem Religionsmarkt anstrebt. Das Staat-Kircheverhältnis kann heute als Symphonia charakterisiert werden, wobei knapp 30 000 Gemeinden der russisch-orthodoxen Kirche in Russland existieren. Es zeichnet sich dabei aber auch ab, dass ein Bekenntnis zur Orthodoxie immer auch als ein Bekenntnis zu Russland zu verstehen ist und so stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Grad der Religiosität in Russland. Da der Vortrag auf die Darstellung der historischen Entwicklung des Staat-Kirchenverhältnisses in Russland fokussiert war, trat eine Beurteilung der Ereignisse in den Hintergrund.
Prof. Dr. Dr. h.c. mult Hans Maier stellte in seinem Vortrag „Symphonia – Zweigewaltenlehre – Trennung: Drei Modelle des Staatskirchenverständnisses“ die historische Entwicklung der unterschiedlichen Modelle des Verhältnisses von Staat und Kirche dar. Das Modell der Smyphonia ordnete er dem frühen Christentum seit Kaiser Konstantin zu, wo es eine Staats-Kirchen-Einheit gab. Dieses Modell hielt sich z. T. bis in die Neuzeit. Im Westen setzte sich jedoch die Autonomie der Kirche durch, so dass sich Kirche und Staat als zwei unabhängige Institutionen gegenüber stehen, die durch Verträge kooperieren. Zur Trennung von Kirche und Staat kam es seit den Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts. Maier umriss sodann knapp die unterschiedlichen Formen des Trennungsmodells in Frankreich, Amerika und der Sowjetunion und konstatierte einen allgemeinen Trend zum Trennungsmodell. Der Vortrag blieb weitestgehend auf der deskriptiven Ebene und bot leider kaum mehr als einen knappen Abriss historischer Fakten, die über Lehrbuchwissen nicht hinauszukommen vermochten. Erhellender waren lediglich die die Beobachtungen zur Situation in Frankreich, wo entgegen der faktischen Trennung von Kirche und Staat religiöse Themen wiederholt politisch relevant werden. Ähnliches gilt für die Bundesrepublik Deutschland, wo der Trennung auf institutioneller Ebene eine Vielzahl von Kooperationen gegenüberstehen.
Der Vortrag von Prof. Dr.
Detlef Pollack (Frankfurt/Oder) „Wiederkehr der Religionen?
Beschreibung und Erklärung des religiösen Wandels in den
postkommunistischen Staaten Ost- und Mitteleuropas“ führte
zunächst kurz in drei verschiedene religionssoziologische Modelle
ein: die Säkularisierungstheorie, das ökonomische Marktmodell
und die Individualisierungstheorie (Thomas Luckmann). Der
Referent warf dabei die Frage auf, welches dieser drei Modelle den
religiösen Wandel in den postkommunistischen Staaten am besten
erklären kann. Während im Sinne der
Säkularisierungstheorie die nachholende Modernisierung in
Ost-Europa tendenziell zu Verlusten im religiösen Bereich
führen sollte, sollte nach dem Marktmodell der
verstärkte religiöse Pluralismus zu einer Revitalisierung des
Religiösen führen. Die Individualisierungsthese geht
schließlich davon aus, dass Religion seit dem Zusammenbruch der
Sowjetunion immer mehr zur Privatsache geworden sein sollte. Im
Folgenden wurde die Eingangsfrage auf Basis von verschiedenen
religionssoziologischen Studien beantwortet (z.B. VW-Projekt „Kirche
und Religion im erweiterten Europa“).
Dabei verwies Pollack zunächst auf die grundsätzliche
Mehrdimensionalität des Religiösen, die in den Studien durch
die Parameter Zugehörigkeit (1), rituelle Praxis (2) und
religiöse Überzeugung (3) ausgewiesen wurde. Zudem stellte
Pollack fest, dass in Ländern mit verstärkten
Modernisierungstendenzen Religion eher rückläufig ist,
wohingegen in Ländern mit verzögerter Modernisierung sich
eine Revitalisierung der Religion abzeichnet. Zudem hat das
Phänomen Modernisierung in den ehemaligen Ostblockstaaten einen
negativen Effekt auf die soziale Relevanz des Religiösen.
Demgegenüber haben Grad der religiösen Pluralität und
Frage des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche keine
signifikanten Auswirkungen auf die soziale Relevanz des
Religiösen. Dadurch, dass Pollack die sich ebenfalls abzeichnende
religiöse Individualisierung als Teilphänomen eines
umfassenden Säkularisierungsvorganges interpretiert, stellt
für ihn die Säkularisierungsthese die beste Erklärung
für die heutige religiöse Situation in den ehemaligen
Ostblockstaaten dar. Es ist zu beachten, dass Pollack entgegen dem
gegenwärtigen religionssoziologischen Trend die
Erklärungskraft des Säkularisierungsthese zumindest für
die religiöse Situation in den ehemaligen Ostblockstaaten
höher bewertet als die des Marktmodells. Jedoch wurde im Vortrag
die theoretische Fundierung der Auswahlkriterien und des
Erhebungsverfahrenes der erfragten Parameter nicht ausreichend
transparent.
Die Vorträge wurden durch zwei Podiumsdiskussionen ergänzt. Bei der ersten Podiumsdiskussion zum Thema „Kirchen als Faktoren des revolutionäreren Umbruchs 1988-1990“ wurde die Situation in Polen (Prof. Dr. Klaus Ziemer, Trier), in der DDR (Prof. Dr. Peter Maser, Bad Kösen), Ungarn (Prof. Dr. Miklos Tomka, Budapest), der CSSR (Prof. Dr. Tomas Halik, Prag) und der Sowjetunion (Dr. Konstantin Kostjuk, Moskau) in Impulsreferaten zunächst knapp umrissen. Die anschließende Diskussion beschäftigte sich vor allem mit dem Revolutionsbegriff, der Rolle der Katholischen Kirche in der DDR und der besondern Situation der Kirche in der CSSR. Das Thema des Abschlusspodiums „Christentum und Kirchen im zusammenwachsenden Europa - Bleibt Europa christlich geprägt?“ wurde in Impulsreferaten von Erzbischof Henryk Jozef Muszynski (Gnesen), Dr. Inna Naletova (Wien), Bischof Axel Noak (Magdeburg), Dr. Edelbert Richter (Weimar) und Prof. Dr. Miklos Tomka (Budapest) aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Leider entstand im Anschluss an die Referate keine nennenswerte Diskussion mehr.
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