Claus-Ekkehard Bärsch
Die Schoah und „Das Reich, das kommt“. Die
politische Religion Joseph Goebbels‘ und der religiöse Gehalt der Rassedoktrin
Adolf Hitlers
Heinrich Heine
I. Einleitung
Fast jeder Mensch ist potentiell sowohl ein „zoon politikon“ als auch ein „homo religiosus“. Leider können viele der Versuchung nicht widerstehen, sich und die Ihren schon in dieser Welt erlösen zu wollen, wie am Beispiel des Dr. phil. Joseph Goebbels und danach der Rassedoktrin Adolf Hitlers demonstriert werden soll.
Zunächst ist zu klären, was mit dem Topos „Politische Religion“
bezeichnet wird. Die für die Vertreter der politikwissenschaftlichen
Zunft unangenehmste und schwierigste Frage ist die des Verständnisses,
des Begriffes oder gar der Definition der Religion. Weil die Anzahl der Definitionen
sehr groß ist[1], ist hier nicht der Begriff, sondern nur
der Topos Religion hinreichend zu bestimmen. Das wesentliche Merkmal des
neuzeitlichen Verständnisses von Religion[2] sei vorerst der Glaube. Wobei das, woran
geglaubt wird, in der Unterscheidung von Jenseits und Diesseits artikuliert
wird; dem Etwas, woran geglaubt wird, kommt die Qualität transzendent
zu sein, zu. Eine Religion muss nicht die systematische Anordnung von Dogmata
einer Kirche enthalten. Ferner möchte ich daran erinnern, dass durch
die Verwendung des Adjektivs „politisch“ der Inhalt und Umfang des Substantivs
Religion begrenzt wird. Die politische Religion der Nationalsozialisten
und die christliche Religion sind also nicht ein und dasselbe. Den Topos
„Politische Religion“, der bekanntlich durch Eric Voegelins Untersuchung
über „Die politischen Religionen“ aus dem Jahre 1938[3] bekannt wurde, bestimme ich wie folgt.
Einer Religion kommt auf jeden Fall – andere Möglichkeiten dürfen
selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden – dann das Prädikat
politisch zu, wenn
1. an überirdische Mächte sowie an die Existenz einer jenseitigen
Welt geglaubt wird
2. der Glaube vorrangig oder gleichrangig auf das Heil und die Erlösung
in der diesseitigen Welt gerichtet ist
3. von den sich entscheidenden und handelnden Menschen geglaubt wird,
in der politischen Ordnung und durch die Qualität der politischen
Ordnung könnten Heil und Erlösung erreicht werden
4. der spezifische Glaube an heilige und überirdische Mächte
für das Bewusstsein von Mensch, Gesellschaft und Geschichte maßgebend
ist und dafür ausschlaggebend, wie die Ordnung der Gesellschaft und ihre
Institutionen wahrgenommen, begriffen, bestimmt und gerechtfertigt werden.
Methodisch folge ich zunächst Max Weber, der vom Verhalten der Menschen
ausgeht. Ein Verhalten soll nach Max Weber Handeln heißen, „wenn und insofern als der oder die Handelnden
mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.“[4] Der Gegenstand des Erkenntnisinteresses
ist nicht der Propagandaminister, sondern die Zeit vor dem Eintritt in die
NSDAP (1925) und nach der Ernennung zum Gauleiter von Berlin (1927). Zitiert
wird aus den Büchern „Die zweite
Revolution“[5], „Wege
ins Dritte Reich“[6] und
dem Roman „Michael. Ein deutsches Schicksal
in Tagebuchblättern“[7]. Dass Goebbels kein machiavellistischer
Opportunist war, kann auf der Grundlage der von Elke Fröhlich verdienstvollerweise
herausgegebenen Tagebücher vom 17.10.1923 bis zum Frühjahr 1924
bewiesen werden.[8] Für Goebbels waren seine Tagebücher
ein „lieber Gewissensarzt“[9] und „sorgsamer Beichtvater“[10], was an vielen Stellen
belegt werden kann. Hierzu nur dies:
„Mutter
ist gut zu mir. Ich verdanke ihr fast alles was ich bin. Else ist meine junge
Mutter und Geliebte.“[11]
Elses Mutter war Jüdin, was Goebbels wusste und quälte. Die sowohl
gefühlsbetonte als auch sexuelle Beziehung zwischen ihm und Else Janke
dauerte vom Frühjahr 1923 bis zum Spätherbst 1926, also bis nach
dem Eintritt in die NSDAP. Im August 1924, also vor dem Eintritt in die NSDAP
äußerte Goebbels sich in zwei Sätzen ungeniert über
den Eros, den Phallus, das Opfer und die Unsterblichkeit der Seele.
„Mein Eros
ist krank. Für den Phallus opfert man Hekatomben von unsterblichen Seelen“[12]
Am meisten notierte Goebbels die Stimmung der Verzweiflung[13] Aus der folgenden Assoziation könnte
der Zusammenhang von Psyche, Religion und Politik Schritt für Schritt
rekonstruiert und dekonstruiert werden:
„Hirn und
Herz sind mir wie ausgetrocknet um mich und mein Vaterland …Verzweiflung.
Hilf mir großer Gott. Ich bin am Ende meiner Kraft.“[14]
Indes soll in den folgenden Ausführungen bewiesen werden, dass seine
Aussagen unter den Topos "Politische Religion zu subsumieren sind. Zum nationalsozialistischen
Glaubensbekenntnis über den Zusammenhang zwischen Rassismus und Religion
führt uns das Parteiprogramm der NSDAP, das für immer "unabänderlich"[15] gelten sollte. Ziffer 24 lautet:
„Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen. Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns.“[16]
Für Goebbels war Jesus Christus kein Jude[17], ebenso wie für Richard Wagner[18], für dessen Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain[19], Wegbereiter des religiösen Rassismus[20], für Alfred Rosenberg[21] und vor allem für Adolf Hitler[22]. Auch auf Hitlers positives Christusbild ist hinzuweisen.[23]
Der Aufsatz ist nunmehr in folgende Teile gegliedert:
II.
Religiosität und Politik vor dem Eintritt in die NSDAP
III. Politik und Religion nach dem Eintritt in die NSDAP Anfang 1925
IV. Die Schoah und der religiöse Gehalt der Rassedoktrin Hitlers
V. Schlussbemerkungen sowie
weiterführende Fragen und Themen in historischer und aktueller Hinsicht
II. Religiosität
und Politik vor dem Eintritt in die NSDAP (1925)
Auffallend beim jungen Goebbels ist das Gefühl der Verzweiflung,
der Leere und des Zusammenbruchs, die Klage über Not und Chaos, die
Sehnsucht nach Erlösung, nach Heil und Kraft, nach einem neuen Menschen,
einer neuen Welt, einem neuen Reich, dem Urchristentum, Gott, Christus und
einem Führer. Hervorzuheben ist auch die Notwendigkeit des Selbstopferns
zur Überwindung des Bösen und der Kampf gegen das Böse in der
Gestalt des Judentums. Zwischen Gott und Satan kreist sein Denken.
Goebbels hat dem am 17.10.1923 begonnenen Tagebuch ein griechisch geschriebenes Motto vorangestellt, welches folgendermaßen frei übersetzt werden kann: „Der Mensch, der nicht gehärtet wird, wird nicht erzogen“. Dieser Spruch steht unter dem Titel von Goethes Dichtung und Wahrheit, worauf Goebbels nicht hinweist. Goebbels war nicht, wie Goethe und den Nationalsozialisten nachgesagt wird, ein Heide. Bezug nehmend auf „Goethes Heidentum“, das Goebbels als „eine konsequente Fortsetzung des Protestantismus“ beurteilt, und auf die Romantik, von der er behauptet, diese sei „katholisch“, notiert er:
„Gott ist unendlich in seiner Stärke und Allmacht. Sind wir ein Stück dieser Unendlichkeit, dann sind wir unendlich wie er; denn ein Stück Unendlichkeit ist die Unendlichkeit ganz.“[24]
Ohne Zweifel ist das, was Goebbels notierte, milde gesagt, eine häretische Deutung der christlichen Religion. Auffällig sind einerseits die Teilhabe des Menschen an Gott, andererseits die von Goebbels zur Charakterisierung Gottes bevorzugten Attribute „Stärke“ und „Allmacht“. Aus psychologischer Perspektive ist auf den inneren Widerspruch der folgenden zwei Sätze hinzuweisen:
„Wenn der Segen des Geistes über
mich kommt, beuge ich mich in Demut und schweige still.
Je größer und stärker ich Gott mache, desto größer
und stärker bin ich selbst.“[25]
Ist es Demut, wenn Goebbels, ausgehend von Gott als Geist, sich ein Bild von Gott schafft, damit er größer und stärker werden kann? Die narzisstische Sehnsucht nach Macht bzw. Allmacht ist eine zentrale Disposition seiner Psyche. Mit seiner Wahrnehmung von sich und Gott kennzeichnet er auch seine Auffassung von der größten Gegenmacht – dem Bösen:
„In schweren Stunden mag man wohl verzweifeln …. Die Kraft steckt in den Adern, und das Leben pulst nicht mehr stark durchs Herz. Arm ist der Glaube und karg die Hoffnung. Wir sehen keine Sterne mehr. Dunkelheit. Das Böse hat seine Macht angetreten, das Helle, Lichte ist verschwunden. Mephisto siegte. Wir sind am Ende unserer Kraft. [26]
Goebbels bleibt nicht allgemein, er ist überzeugt, dass das Böse sich sogar einer christlichen Partei bemächtigt habe:
„In London: Man verhandelt Europa. Die deutschen Schweinehunde mit. Das Zentrum ist eine Einrichtung des Satans. So etwas raffiniertes kann nur die Macht des Bösen aushecken. Man kommt nicht dagegen an. … Die Weltgeschichte von heute ist ein Witz aus Blut, Tränen und Hohn.“[27]
Goebbels nimmt also die Politik der Gegenwart als Krise und diese als Triumph des Bösen wahr. Um die psychische Disposition seines politisch-religiösen Bewusstseins einschätzen zu können, ist folgende Tagebucheintragung von Interesse:
„Alles was ich beginne, geht schief. … Nichts erwartet mich, keine Freude, kein Schmerz, keine Pflicht, keine Aufgabe. Meinem Leben fehlt die Konzentration und die Sammlung. Ich irre und schwärme durch das Universum umher. …Wie so oft frage ich mich heute wieder: Was soll ich tun? Was beginnen? Ewiger Zweifel. Ewige Frage. Wie ausgetrocknet ist mein Geist. Irgendetwas hat mich kaltgestellt. Zu brennen und nicht anzünden zu können! Das Geld, das ich nicht habe, drückt mich nieder. Armseliges Leben, das sich nach dem verdammten Geld richten muss. Fluch und Verderben über mich. Ich habe mich gegen die bestehende Ordnung empört. Nun trage ich die Folgen. Erlösung! Ich stürze von Fall zu Fall und von Schuld zu Schuld in den Abgrund. Unseliges Verhängnis.“[28]
Goebbels schildert seine Verzweiflung intensiv, ausführlich und wortreich („ewiger Zweifel“; „keine Freude, kein Schmerz“; „Was soll ich tun?“; „Wie ausgetrocknet ist mein Geist. Irgendetwas hat mich kaltgestellt“; „Ich stürze von Schuld zu Schuld“) und sehnt sich nach „Erlösung“ was hier nicht analysiert zu werden braucht. Ohne Zweifel ist zu erkennen, dass die Verzweiflung über die politisch-religiöse Lage mit der Wahrnehmung der Verzweiflung über sich selbst korreliert. Goebbels beschreibt sich selbst für die Zukunft nicht aus der Sicht des Herrenmenschen. Aber die Verzweiflung hält er nicht aus:
„Nochmal in aller Verzweiflung: Weltgeschichte wird in Jahrhunderten und nicht in Tagen gemacht. Das Herz krampft sich zusammen bei dem Gedanken, daß wir nun ein geknechtetes Sklavenvolk sind und ausländischen Juden für Ewigkeit Zins zahlen sollen. Aber die Not muss noch größer werden, damit sie heilend und fördernd wirken kann. Wir müssen durch die aspera zu den astra. Flugkraft in goldene Ferne. Wir müssen unsere Ziele umso höher stecken, je tiefer das heutige Deutschland in Schmach versinkt. Und dann den heiligen Glauben an unsere Zukunft neu in uns aufstehen lassen.“[29]
Die Verzweiflung ist also die Not wendende Bedingung dafür, dass der „heilige Glaube“ an die „Zukunft“ entsteht; nicht etwa nur außerhalb, sondern „in uns“, also nicht nur „in“ ihm. Goebbels nennt weiterhin eine Bedingung, die „heilend und fördernd“ wirke, um Deutschlands Zukunft herbeiführen zu können. Die Deutschen (wir) müssen durch raue Wege („aspera“), um aus dem Dunkeln zum Licht der Sterne („astra“) zu gelangen. In Erinnerung an seine Arbeit bei der Dresdener Bank vom Januar bis zum August 1923 hat er die Bedeutung der Negation als Bedingung des Fortschritts griffiger formuliert:
„Zurück nach Cöln. Verzweiflung, Selbstmordgedanken.
Die politische Lage. Chaos in Deutschland. … Meine unhaltbare Stellung bei
der Bank. Die Inflation. Tolle Zeiten. Der Dollar klettert wie ein Jongleur.
Bei mir heimliche Freude. Ja, das Chaos muss kommen, wenn es besser werden
soll.
Der Kommunismus. Judentum. Ich bin deutscher
Kommunist.“[30]
Festzuhalten ist, dass Goebbels bei aller Verzweiflung glaubt, die Bedingungen zu kennen, die erfüllt sein müssen, um das Ziel einer besseren Zukunft erreichen zu können: Not, Chaos, Zusammenbruch, ökonomische Krisen. Der religiöse Gehalt dieses Katastrophenbewusstseins muss mit einem längeren Zitat aus dem Tagebuch vom 27.6.1924 bis zum 9.6.1925 belegt werden. Dem Tagebuch ist ein Motto vorangestellt, welches einen wesentlichen Komplex der Religion, nämlich den Zusammenhang zwischen dem Heiligen und der Gewalt, dem Selbst- und dem Fremdopfer betrifft. Es lautet:
„Wir müssen opfern. Die Arbeit im Geiste ist das größte Opfer.“[31]
Auf dem Weg aus Not und Chaos empor zu einer besseren Zukunft muss also geopfert werden, worauf zurückzukommen ist. Gleich am Anfang steht ein spezifisches Glaubensbekenntnis:
„Möge dieses Buch dazu beitragen, daß ich klarer werde im Geiste, einfacher im Denken, größer in der Liebe, vertrauender in der Hoffnung, glühender im Glauben und bescheidener im Reden! Franz Herwig. ‚St. Sebastian vom Wedding’. Eine Christusnovelle. Ich musste viel an Jakob Wassermanns ‚Christian Wahnschaffe’ denken. Aber dieser St. Sebastian ist doch reiner, überzeugender, mit einem Wort, christlicher. Es geht etwas vom wahren Geist des Katholizismus durch dieses Büchlein. So etwas Franz von Assisi. Wie weit ist die offizielle Kirche doch von diesem Geiste fern! All diese Bücher aus dem Geiste des Urchristentums, das ist ja nichts anderes als Ausfluss einer starken Sehnsucht nach dem Geiste Christi. Hauptmann, ‚Der Narr in Christo’. Vorläufig noch das erste Buch in deutscher Sprache aus diesem Gedanken. Aber wie weit steht der ‚Narr’ noch hinter Dostojewskis ‚Idiot’! Russland wird den neuen Christusglauben mit all der jungen Inbrunst und all dem kindlichen Glauben, all dem religiösen Schmerze und Fanatismus finden. …Wir haben heute einen neuen Menschen, wenigstens den Anfang davon. Die menschliche Gesellschaft ist dieselbe alte geblieben. Es wird nicht eher Ruhe in Europa sein, bis diese Form der menschlichen Gesellschaft gebrochen ist. Das neue Geschlecht wird sich selbst eine neue, ihm gemäße Form geben. Man kann den Gang der Geschichte nicht zurückhalten. Der neue Mensch hat immer und überall nur eine Sehnsucht: nach einer neuen Welt.“[32]
Dass die bisherige „Form der menschlichen Gesellschaft gebrochen“ werden muss, verknüpft Goebbels mit dem „neuen Menschen“ und dessen „Sehnsucht nach einer neuen Welt“ und diese Sehnsucht mit der „starken Sehnsucht nach dem Geiste Christi“. Dabei distanziert er sich von der „offiziellen Kirche“, der er vorwirft, sich vom „wahren Geist des Katholizismus“ entfernt zu haben. Dass Goebbels annimmt, der „neue Christusglaube“ würde im Jahre 1924 ausgerechnet im atheistischen Russland gefunden werden, spricht für die Stärke seines Glaubens. Aber wieso der Bezug zu Dostojewski? Schon 1921 hatte er in seiner Dissertation ein Motto aus Dostojewskis Roman, Die Dämonen, vorangestellt. Goebbels zitiert hier aus dem Monolog des Panslawisten Schatoff, wonach
„Vernunft und Wissenschaft im Leben der Völker stets, sowohl jetzt wie von jeher seit dem Anfang aller Geschichte, nur eine dienende Aufgabe, eine Aufgabe zweiten Ranges erfüllt haben!“ [33]
Bemerkenswert ist der Kontext dieses Monologs. Denn hier ist das „russische Volk das Gottesträgervolk“, welches die Aufgabe habe, die Welt im Namen eines neuen Gottes zu „erneuern“ und zu „erlösen“.[34] Der Germanist und spätere Propagandaminister wurde mithin vom Panslawisten Dostojewski beeinflusst.
Mit der Spekulation, es gäbe ein Urchristentum, wird meist die These
vertreten, Paulus habe das Urchristentum verfälscht. So auch Goebbels
am 1.2.1924:
Der Stellvertreter des Führers in weltanschaulichen Fragen, Alfred
Rosenberg, glaubt, dass die Tradition des „Urchristentums“[36] nicht fortgesetzt wurde,
dafür sei „die paulinische Verfälschung
der großen Gestalt Jesu“[37] und
die „Juden“[38] verantwortlich:
Das vor und nach dem Weltkrieg verbreitete Vorurteil, es gäbe ein
Urchristentum, das außerhalb der und im Gegensatz zu den Texten der
christlichen Bibel existiert und welches dann verfälscht worden sei,
teilt auch Adolf Hitler.
„Christus war ein Arier. Aber Paulus hat seine Lehre benutzt, die Unterwelt zu mobilisieren und einen Vorbolschewismus zu organisieren.“[40]
Das legt nahe, dass die Überzeugung des jungen Goebbels, obwohl noch nicht Mitglied der NSDAP, repräsentativ für die nationalsozialistische Weltanschauung und nicht etwa die private Meinung eines arbeitslosen Literaten aus der niederrheinischen Provinz ist. Die Verbindung zwischen der Sehnsucht nach dem neuen Menschen, einer neuen Welt und dem Urchristentum kann mit einer merkwürdig erscheinenden Eintragung vom 27.6.1924 verständlicher gemacht werden. Nachdem Goebbels geschrieben hatte:
„Else ist sommerlich gut zu mir. Ich möchte mit ihr eine Hochzeitsreise machen, mit viel Geld, viel Liebe, ohne Sorgen, hinunter nach Italien und Griechenland!“
Danach fährt er fort:
„Ich las heute Morgen R. Wagner ‚die Kunst des Dirigierens’. Für einen Musiker eine Fundgrube von Dirigentenfeinheiten. Lektüre. Maximilian Harden (alias Isidor Witkowski) ‚Prozesse’: (Köpfe. 3. Teil). Was ist dieser verdammte Jude für ein heuchlerischer Schweinehund. Lumpen, Schufte, Verräter. Die saugen uns das Blut aus den Adern. Vampire! Ich sitze in der neu installierten Laube und freue mich des schönen Sommertages. Sonnenschein! Laue schöne Luft! Blumengeruch! Wie schön ist die Welt!!“[41]
Verwirrend ist der Sprung von der Hochzeitsreise mit Else (nach jüdischem Recht wegen der Mutter Jüdin, gemäß dem rassischen Vokabular der Nazis „Halbjüdin“) zu dem traditionellen antisemitischen Vorurteil, die Juden seien Vampire. Ist es nicht ein Widerspruch, einerseits mit einer Jüdin eine Hochzeitsreise machen zu wollen, andererseits alle Juden als Vampire zu charakterisieren? Abgesehen von der Möglichkeit der Bewusstseinsspaltung ist noch eine andere Erklärung denkbar: Religiöse Wahrnehmungsmuster sind für Goebbels (nur für Goebbels?) stärker als die Liebe – zumal wenn man an die Macht des Bösen glaubt:
„Das Gold ist die Kraft des Bösen und der Jude sein Trabant. Arier, Semit, positiv, negativ, aufbauend, niederreißend. Der Jude hat seine schicksalhafte Mission, die kranke arische Rasse wieder zu sich selbst zu bringen. Unser Heil oder unser Verderben, das hängt von uns ab.“[42]
Das Böse mag banal sein. Der Glaube an die Macht des Bösen ist es nicht. Vor allem dann nicht, wenn gleichzeitig an Sieg und Heil geglaubt wird:
„Ich suche das neue Reich und den neuen Menschen. Die finde ich nur im Glauben. Der Glaube an die Mission in uns führt uns zum rechten Sieg! Heil!“[43]
Goebbels glaubt, durch die Verknüpfung von Religion und Volk „Untergrund“ und „Boden“ (d.h. Halt) finden zu können:
„Die völkische Frage verknüpft sich in mir mit allen Fragen des Geistes und der Religion. Ich fange an, völkisch zu denken. Das hat nichts mit Politik und Religion zu tun. Das ist Weltanschauung. Ich fange an, Untergrund zu finden, Boden, auf dem man stehen kann.“[44]
Ein wesentliches Merkmal seiner prä-nationalsozialistischen Weltanschauung ist die Sehnsucht nach einem Retter:
„Deutschland sehnt sich nach dem Einen,
dem Mann, wie die Erde im Sommer nach Regen. Uns rettet nur noch letzte
Sammlung der Kraft, Begeisterung und restlose Hingabe. Das sind alles ja
Wunderdinge. Aber, kann uns nicht nur noch ein Wunder retten? Herr, zeige
dem deutschen Volk ein Wunder! Ein Wunder!! Einen Mann!!! Bismarck, sta
up! Hirn und Herz sind mir ausgetrocknet vor Verzweiflung um mich und mein
Vaterland.“[45]
Der religiöse Gehalt der Aussagen über Politik (Vaterland,
deutsches Volk, jüdisches Volk, Parteien, Ökonomie) und Geschichte
ist dahingehend zusammenzufassen:
1. Der Glaube an Gott und Christus.
2. Die Sehnsucht nach Erlösung und der Wille zur Selbsterlösung.
3. Die Sehnsucht nach einem neuen Menschen und einem neuen Reich.
4. Der Wunsch nach Sieg und Heil.
5. Der Glaube an die „Macht des Bösen“.
Die Überzeugung „der Jude“
sei „Trabant“ des Bösen.
6. Die Wahrnehmung der Gegenwart als Zeit des Zusammenbruchs, der Not
und des Elends.
7. Zusammenbruch, Not und Elend sind die Bedingungen der Wende und damit
der zukünftigen Erlösung im „neuen
Reich“.
8. Die unbestimmte Sehnsucht nach einem Retter, dem „Einen“ und damit einem Führer.
9. Die magische Dimension seiner Religiosität (die Sehnsucht nach
dem „Wunder“[46]).
III. Politik und Religion nach dem Eintritt in die NSDAP Anfang 1925
Das zukünftige „Dritte Reich“, der Wille zu „Selbsterlösung“, der Glaube an das Charisma Adolf Hitlers, die für Goebbels typische Affirmation des Religiösen, die Bestimmung der Identität des deutschen und jüdischen Volkes, die Aufforderung zum Selbstopfer und der Wille zum Genozid sollen so kurz wie möglich dargestellt werden.
Zu beginnen ist mit der alle Menschen bewegenden Frage „Wohin gehen wir“, also dem Verhältnis von Gegenwart und Zukunft, dem – „Dritten Reich“.
Auf die Einteilung der Geschichte in drei Epochen in den Schriften des Joachim von Fiore (1135-1202)[47] und die daran anschließende Tradition in der Geschichtstheologie bzw. Geschichtsteleologie ist hier nur hinzuweisen.[48] Vor dem ersten Weltkrieg ist der Topos drittes Reich bzw. Drittes Reich nur an abgelegenen Stellen zu finden. Die erste Verwendung habe ich in einem Drama („Kaiser und Galiläer“) Henrik Ibsens gefunden.[49] Martin Wust und Gerhard Mutius gebraucht den Begriff drittes Reich als Buchtitel im Sinne eines liberalen Pazifismus.[50]. Ernst Bloch meint, dass das „Dritte Reich“ Joachims schon „in der Sowjetunion anfängt zu beginnen und von der Finsternis nicht begriffen oder auch wohl begriffen und verleumdet wird.“[51] Nach Rudolf Bahro ist das „Dritte Reich“ Joachims das „Pfingstreich aus dem Prinzip einer mystischen Demokratie“.[52] 1899 beginnt die Besetzung des Begriffs durch Vorläufer der nationalsozialistischen Weltanschauung mit dem von Johannes Schlaf (1866-1941) verfassten Roman „Das dritte Reich"[53]. Der Held liest sowohl gnostische als auch apokalyptische Schriften und nimmt sich das Leben. Das tat Johannes Schlaf nicht, und er erlebte, geehrt von den Nationalsozialisten, den „Wiederaufstieg des Vaterlandes“.[54] Im Roman „Wiltfeber. Der ewige Deutsche“ von Hermann Burte (1879-1960), Kleist-Preisträger des Jahres 1912, ist eine völkisch-rassische Argumentation mit magisch-religiösen Implikationen festzustellen.[55] 1923 erschien in Berlin die erste Auflage des Buches „Das dritte Reich“ von Arthur Moeller van den Bruck (1876-1925), Vertreter der so genannten „Jungkonservativen“, wodurch der Topos das „dritte Reich“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Aber es war nicht Moeller van den Bruck, sondern der Dichter und erste „Hauptschriftleiter“ des „Völkischen Beobachters“, Dietrich Eckart, Duzfreund Adolf Hitlers, der den Topos „drittes Reich“ schon 1919 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Auf gut Deutsch. Wochenzeitschrift für Ordnung und Recht“ in das Vokabular der Nationalsozialisten einführte. Dietrich Eckart (1866-1923) ist nicht nur von Interesse, weil aus seinem Leben und Werk der Übergang vom Wilhelminismus zum Nationalsozialismus nachgewiesen werden kann, sondern auch wegen der von ihm geschätzten Form der Religiosität – nämlich der Mystik. Dietrich Eckart verehrte den zum Katholizismus übergetretenen Mystiker Johannes Scheffler, genannt Angelus Silesius (1624-1672).
Mit folgenden Versen soll die deutsche Mystik Dietrich Eckarts belegt
werden:
„Bedenke jederzeit, die Welt ist nur ein Nichts.
Ein Traumgebilde bloß des inneren Gesichts.
Wer aber sieht so falsch? Du kannst nur sagen: Ich.
Erwache! Und Du fühlst zum Gott geworden Dich.“[56]
Das Motiv „Erwache“ verwendet
Dietrich Eckart später für den Schluss des Sturmliedes „Sturm,
Sturm, Sturm“ der SA:
„Wehe dem Volk, das heute noch träumt. Deutschland erwache!“[57]
In seiner Mystik („Gott im Menschen“) werden auch der Sohn Gottes und der Heilige Geist beschworen:
„Verstrickt im Wahn
der Welt bist Du Gott Sohn zumeist,
willst Du Dich draus entwirren versuch’s Dein Heiliger
Geist.
Wenn’s Dir gelingt, durchschaut in Dir Gott Vater sich
–
Hält die Dreieinigkeit nicht jedem Zweifel Stich?!“[58]
In den Wirren nach dem Ende des ersten Weltkriegs wird die Trinität
politisch-historisch transformiert. In dem Aufsatz „Luther und der Zins“,
in dem die Weltwirtschaft und die politische Lage in Deutschland behandelt
werden, kommt im letzten Absatz das „dritte
Reich“ vor:
„Zeichen und Wunder geschehen, aus der Sintflut wird sich eine neue Welt gebären, jene Pharisäer aber greinen um elenden Notgroschen! Die Befreiung der Menschheit vom Fluch des Goldes steht vor der Türe! Nur darum unser Zusammenbruch, nur darum unser Golgatha! Heil ist uns Deutschen widerfahren, nicht Jammer und Not, so arg wir es auch jetzt noch empfinden. Nirgends auf Erden ein Volk, das fähiger, gründlicher wäre, das dritte Reich zu erfüllen, denn unseres! Veni Creator spiritus!“[59]
Im Widerspruch zur offiziellen Dogmatik aller christlichen Kirchen überträgt
der Katholik Dietrich Eckart das Selbstopfer Christi („Golgatha“) und das schöpferische
Wirken des Heiligen Geistes („Creator spiritus“)
auf das deutsche Volk – und zwar nur auf das deutsche Volk.
Goebbels wurde nach dem Eintritt in die NSDAP sehr schnell mit der Rede
„Lenin oder Hitler?“, die er über hundert Mal in ganz Deutschland gehalten
hatte, in der NSDAP berühmt. Lenins Taten faszinierten ihn schon 1923.[60] Am 24.1.1924, also vor dem Eintritt in
die NSDAP, notierte er:
„Lenin ist am 21.1. gestorben. Der größte Geist des kommunistischen Gedankens. Den ersetzt ihr nicht. Der führende Kopf Europas. Vielleicht wird er später mal ein Sagenheld.“[61]
Anders als in der Zeit vor dem Eintritt in die NSDAP, sprach Goebbels nicht mehr nur vom neuen Reich, sondern bezeichnete den zukünftigen Status, in dem das deutsche Volk leben wird, als Drittes Reich:
„Wir wollen den deutschen Gedanken in eine neue Form prägen, in die Form des Dritten Reiches. Dieses Dritte Reich wollen wir mit der letzten Inbrunst unseres Herzens das Dritte Reich eines Großdeutschland; das Dritte Reich einer sozialistischen Schicksalsgemeinschaft.“[62]
Goebbels erklärt, unter welchen Bedingungen der zukünftige Status des Dritten Reiches erreicht werden kann:
„Erst wenn 60 Millionen mit der letzten Inbrunst ihres Herzens frei werden wollen, dann wird das Weltenschicksal, dann wird der Gott der Geschichte seinen Segen geben. … Der Sozialismus kann und wird nicht die Welt erlösen. Die Welt wird nie erlöst werden. Er wird ein Volk, vielleicht die Völker erlösen; er ist die Staatslehre der Zukunft der Nation. … Wir sind Willen zur Zukunft. Wir wollen durch Deutschland die Welt erlösen und nicht durch die Welt Deutschland erlösen.“[63]
Der Wille, Weltgeschichte zu gestalten, wird noch mit weiteren Dimensionen verstärkt, die die Jugend, die Erfahrung und die Mission umfassen:
„Diese Jungen sind wir. Getrieben von einem Willen zur Mission. Getrieben von der Notwendigkeit zu handeln. Geformt von der Aufgabe, die die Weltgeschichte uns auferlegt hat. Diese Jungen bauen an Deutschland und der Zukunft. Sie lachen über diese weise Erfahrung und neunmalkluge Besserwisserei der Weisen und Alten. Das, was wir wollen, ist größer als Erfahrung und Wissen. So tritt das nationalsozialistische junge Deutschland auf den Plan.“[64]
Die Sehnsucht nach und der Wille zur Erlösung sind der Angelpunkt, um den sich Goebbels Weltanschauung dreht. Der vom parteioffiziellen Verlag Frz. Eher Nachf. 1927 publizierten Schrift, „Wege ins Dritte Reich. Briefe und Aufsätze für Zeitgenossen“, hat Goebbels Aphorismen vorangestellt. Eine lautet:
„Nur wer sich selbst erlöst, kann andere erlösen.“[65]
Anstelle weiterer Zitate verweise ich auf die Textstellen im ebenso von Frz. Eher Nachf. Verlag publizierten Roman „Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern“[66]. Auf dem Buchdeckel wird der Punkt über dem „i“ des Protagonisten Michael, der sich zum Nationalsozialisten entwickelt, durch ein Kreuz ersetzt. Aufschlussreich im Hinblick auf die Erlösung im „Reich das kommt“ ist eine längere Passage aus der Schrift die „Zweite Revolution“ mit dem Titel „Denker oder Prediger“ gerichtet an einen schwäbischen Parteifreund:
„Stehen Sie auf und predigen Sie! Werfen sie die Blässe des Gedankens über Bord, sie erzieht keine Narren, sie fordert keine Helden. Wir werden erst dann ans Ziel gelangen, wenn wir Mut genug haben, lachend zu zerstören, zu zertrümmern, was uns einst heilig war als Tradition, als Erziehung, als Freundschaft und menschliche Liebe. Zum Prediger gehört, daß er sich selbst nichts ist und die anderen ihm alles. Lernen wir das! Dann stehen wir turmhoch über dem Geifer der um uns spritzt. Dann werden wir Helden, werden wir Erlöser sein. … Dann müssen wir so sein wie wir sind. Dann müssen wir leiden, damit das Lachen nicht auf Ewigkeit aus Deutschland verschwindet. Dann müssen wir kämpfen, damit wir Ruhe finden vor dem Dämon, der uns peitscht und vorwärts treibt. Dann müssen wir überwinden daß wir unüberwindlich werden. Dann erfüllt sich an uns das Geheimnis der Geschichte: daßwir ein Stück Erlösung sind für ein Reich, das kommt.“[67]
Der Kausalzusammenhang zwischen der Selbsterlösung im zukünftigen
Verlauf der Geschichte und der endgültigen Erlösung im künftigen
Reich ist eindeutig. Hier ist an eine von Goebbels genannte Prämisse
anzuschließen. Goebbels meint es sei notwendig, „unüberwindlich“ zu werden. Unüberwindlich
ist nur Gott, der Allmächtige. Daher ist Goebbels Bewusstsein im Hinblick
auf das Verhältnis von Mensch und Gott zu dokumentieren. Am Schluss
eines Beitrages aus „Wege ins Dritte Reich“
mit dem Titel „Die Revolution als Ding
an sich“ steht der Satz:
„Da gibt es kein Ding an sich außer Gott.“[68]
Die kantianisch anmutende Formulierung „Ding an sich“ entspricht nicht
der Philosophie Kants, weil nach Kant die Existenz Gottes ein Postulat der
praktischen Vernunft und nicht Gegenstand des Glaubens ist.[69] Den Protagonisten des Romans Michael.
Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern, der ein Drama über
Christus anfertigt, lässt Goebbels in dessen Tagebuch bekennen:
„Ich bin ein Held, ein Gott, ein Erlöser."[70]
Der in dem Zitat erkennbare Wunsch nach Omnipotenz braucht hier nicht
behandelt zu werden. Aber dem nie aus der katholischen Kirche ausgetretenen
Goebbels scheint nicht bewusst zu sein, dass er der Kardinalsünde der
„superbia“ erliegt. Diese besteht darin, sein zu wollen wie Gott.
An eine Charakterisierung Adolf Hitlers durch Goebbels aus dem eben genannten
Aufsatz über Die Revolution als Ding
an sich und das darin enthaltene Bekenntnis zum Monotheismus („da gibt es kein Ding an sich außer Gott“)
anschließend, soll eine Variante des Bewusstseins von Mensch und Gott
belegt werden, nämlich der Glaube an das Charisma eines Führers
als Vermittler zwischen Mensch, Volk und Gott. Dem Adressaten des Briefes
wird verkündet:
„Dann ist es kein Damaskus, wenn wir geschlossen hinter ihrem Führer stehen; dann beugen wir uns nicht vor ihm aus byzantinischem Zwang, weil er es befahl und wir mussten gehorchen. Dann beugen wir uns vor ihm mit jenem alten Männerstolz vor Königsthronen, mit jenem Gefühl der Sicherheit, dass er mehr ist als Du und ich, mit jener beruhigenden Gewissheit, dass er Männer gebraucht und Männer bestehen lässt, dass auch er nur ein Instrument ist jenes göttlichen Willens, der die Geschichte gestaltet, der Revolutionen schickt, dass sie neue Welten gebären, und Welten baut, dass sie einst im Strudel neuer Schöpferlust zerbrechen. Zudem sind auch wir Werkzeug. Und weil das Geschichte ist, sind wir Instrumente jenes gestaltenden Willens der Zukunft. Da gibt kein Ding an sich außer Gott.“[71]
Am ausführlichsten hat Goebbels in dem Aufsatz Die Führerfrage, gerichtet an Hitler
in der Form eines Briefes, die Fähigkeiten, vor allem die kollektive
Identität stiftende Fähigkeit Adolf Hitlers beschrieben. Hier
kommt es nur darauf an festzuhalten, wie Goebbels die Beziehung Gottes zu
Hitler beschreibt:
„Was Sie da sagten, das ist der Katechismus neuen politischen Glaubens in der Verzweiflung einer zusammenbrechenden, entgötterten Welt. Sie verstummten nicht. Ihnen gab ein Gott zu sagen, was wir leiden. Sie faßten unsere Qual in erlösende Worte, formten Sätze der Zuversicht auf das kommende Wunder. Das danken wir Ihnen.“[72]
Schon aus den vorangegangenen Zitaten wird erkennbar, dass die Hitler zugeordneten
Qualitäten der Definition des Charismas durch Max Weber[73] entsprechen. Noch deutlicher ist ein
Bekenntnis im Tagebuch, Eintrag 14.10.1925:
„Ich lese Hitlers Buch zu Ende, mit
reißender Spannung! Wer ist dieser Mann? Halb Plebejer, halb Gott!
Tatsächlich der Christus oder nur der Johannes?“
Die Umdeutung der Christologie (Christus ist sowohl Gott als auch Mensch) ist eindeutig. Hitler sei „Halb Plebejer, halb Gott!“, auch wenn gezweifelt wird, ob er „tatsächlich der Christus“ ist oder „nur der Johannes?“ (gemeint ist hier offensichtlich Johannes der Täufer).
Goebbels hat sich nicht aus machtpolitischem Kalkül öffentlich zu Hitler bekannt. Er konnte 1925 und 1926 noch nicht wissen, dass die NSDAP 1933 an die Herrschaft gelangen würde. In dem im Jahr 1926 geschriebenen privaten Tagebuch können sogar libidinöse Bindungen an Hitler festgestellt werden, die teils kurios („so ein Brausekopf kann mein Führer sein“, 13.4.1926) teils schmusig („wie ein Kind, lieb, gut, barmherzig“, 24.7.1926) wirken. Das spricht dafür, dass auch die an Hitlers Geburtstag notierte Liebeserklärung ehrlich gemeint ist:
„Adolf
Hitler, ich liebe Dich, weil Du groß und einfach zugleich bist. Das,
was man Genie nennt.“[74]
Im Folgenden ist an eine Behauptung Goebbels über die Deutschen anzuknüpfen,
welche die Beziehung des deutschen Volkes zum jüdischen Volk betrifft
und uns zum Antisemitismus führt:
„Wir
modernen Deutschen sind so etwas wie Christussozialisten.“[75]
Goebbels konstruiert das Verhältnis zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volk im Modus gegenseitiger Wechselseitigkeit. Er erfasst „Volk“ in der Kategorie der substantialisierten Identität, denn sowohl von dem fremden als auch von dem eigenen Volk wird behauptet, sie hätten ein Wesen:
„Der Jude
ist uns im Wesen entgegengesetzt.“[76]
Die Fremdbestimmung des jüdischen Volkes geschieht im Selbstbezug
und ist von der Selbstbestimmung der eigenen Gemeinschaft abhängig.
„Der Jude“ wird in der Negation
der eigenen Ideale und der eigenen Kraft definiert:
„Er hat unser
Volk geschändet, unsere Ideale besudelt, die Kraft der Nation gelähmt,
die Sitten angefault und die Moral verdorben!“[77]
Goebbels verkündet in Bezug auf die christliche Religion, dass das
Denken und Handeln des Juden nicht religiös ist und zieht daraus eine
Konsequenz:
„Was
hat das mit Religion oder gar Christentum zu tun? Entweder er richtet uns
zu Grunde, oder wir machen ihn unschädlich. Ein anderes ist nicht denkbar.“[78]
Im gleichen Kontext heißt es weiter:
„Wer den
Teufel nicht hassen kann, der kann auch Gott nicht lieben. Wer sein Volk
liebt, der muss die Vernichter seines Volkes hassen. Aus tiefster Seele hassen.“[79]
Die wechselseitige Konstruktion der Identität wird also in der Konfiguration von Gott und Teufel, Existenz und Nichtexistenz sowie Liebe und Hass vorgenommen. Christus ist „das Genie der Liebe, als solches der diametrale Gegenpol zum Judentum“[80]. Nicht zu vergessen ist, dass Goebbels, wie auch Rosenberg und Hitler, davon überzeugt ist: „Christus kann gar kein Jude gewesen sein“[81]; daher kann er auch behaupten:
„Christus
ist der erste Judengegner von Format. ‚Du sollst alle Völker fressen!’.
Dem hat er den Kampf angesagt. Deshalb musste das Judentum ihn beseitigen.
Denn er rüttelte an den Fundamenten seiner zukünftigen Weltmacht.
Der Jude ist die menschgewordene Lüge. In Christus hat er zum ersten
Mal vor der Geschichte die ewige Wahrheit ans Kreuz geschlagen. Das hat
sich an die Dutzend Male in den darauf folgenden 20 Jahrhunderten wiederholt
und wiederholt sich aufs Neue. Die Idee des Opfers gewann zum ersten Mal
in Christus sichtbare Gestalt.“[82]
Bevor wegen des diametralen Gegensatzes zwischen „dem Juden“ und der Bedeutung
Christi für den Antisemitismus Goebbels‘ nochmals einzugehen sein wird,
ist die Deutung Christi im Hinblick auf den Satz „Die Idee des Opfers gewann zum ersten Mal in
Christus sichtbare Gestalt“ zu behandeln. Bei den Tätigkeiten,
die nach Goebbels die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Nationalsozialisten
definieren, hat die Tätigkeit des Opferns bzw. des Selbstopfers eine
zentrale Funktion. Sowohl in den Tagebüchern als auch in dem Roman
Michael („Zum höchsten Gesetz schreite ich voran:
Du sollst ein Opfer sein. Sich opfern für die anderen! Für den
Nächsten! So will ich denn meinen Opfergang beginnen“[83]) sowie in den Aufsätzen aus den
Schriften Die zweite Revolution
und Wege ins Dritte Reich wird das
Selbstopfer gefordert. Wie bereits zitiert, wird dem Tagebuch vom 27.6.1924
bis 9.6.1925 das Motto vorausgeschickt
„Wir müssen
opfern. Die Arbeit im Geiste ist das größte Opfer“.
Das Tagebuch in dem Roman Michael. Ein
deutsches Schicksal in Tagebuchblättern endet mit dem Satz „Wir alle müssen Opfer bringen.“[84] Von den 31 Aufsätzen in den Büchern
Die zweite Revolution und Wege ins Dritte Reich haben zwei Aufsätze
das Opfern schon im Titel zum Thema: Idee
und Opfer sowie Opfergang.
In dem an den Parteigenossen Stürtz gerichteten Brief in dem Beitrag
Idee und Opfer wird der „Bourgeois“ als
Typus „ohne Glauben, ohne Ideale“ charakterisiert. Er sei
zu feige, die „Konsequenzen fürs Leben“ zu ziehen.
Das sei die Sünde der Bourgeoisie. Im Gegensatz dazu stünden die
Nationalsozialisten:
„Wir gehen
bis zum Letzten durch. Wir wissen, dass es alles zu opfern gilt für
die Idee. Wir handeln so, weil ein innerer Dämon uns zwingt. Wir können
nicht anders.“[85]
Goebbels versichert seinem proletarischen Parteifreund Stürtz:
„Wir pfeifen auf das, was die anderen trennt. Uns verbindet das stärkste Band: die gemeinsame Idee! In dieser Idee sind wir aneinander gekettet, gesondert nach Willen und Leistung, nicht nach Wissen und Herkunft. So stehe ich unter Ihnen mit derselben fanatischen Energie zur Freiheit, mit derselben inneren Notwendigkeit, zu opfern und zu handeln.“[86]
Dass die Aufforderung zum Selbstopfer mit der Aufforderung zum Fanatismus
zusammenfällt, muss nochmals dokumentiert werden. In dem Beitrag Der unbekannte S.A.-Mann, gerichtet an
„Meine lieben Kameraden von der S.-A. Berlin“ kommt noch mehr hinzu:
„Opfert! Im
Opfer bildet sich der junge Aristokrat! Haltet Disziplin! Sie macht auch
aus wenigen ein Bataillon! Seid Fanatiker! Wenn wir Recht haben – und das
glauben wir mit der Unverbrüchlichkeit des Blutes – dann haben alle
anderen Unrecht.“[87]
Das Versprechen, Aristokraten werden zu können, indem Disziplin gehalten
wird, ist hier mit dem wesentlichen Merkmal des Fanatismus verknüpft:
„Alle anderen“ haben „Unrecht“. In Berlin
hatten die Nationalsozialisten sogar einen „Opferbund“ gegründet.
Der Beitrag Opfergang in der Schrift Wege ins
Dritte Reich hat Goebbels dem „lieben Kameraden vom Opferbund
in Berlin“ gewidmet. Goebbels versichert dem „lieben Kameraden“:
„Im Opfer bildet sich der Charakter. Opfert! Im Opfer liegt die Reinigung von Schuld.“ [88]
Mit der im Selbstopfer
liegenden „Reinigung von Schuld“ werde der Zweck erfüllt,
die Zukunft eines „neuen Reichs“ herbeizuführen, und
damit auch ein Wunder zu vollbringen:
„Geht den
harten Opfergang um der Zukunft Willen! Werdet Helden der Überwindung!
… Das Wunder des neuen Reichs wird von dem getan, der an sich selbst ein
Wunder vollbringt. Und nun geht und handelt!“[89]
Der folgende Beitrag ist
an einen Genossen („Mein lieber Prima“) gerichtet
und endet mit dem Willen zur Rache. Der Genosse sitzt, so der Titel, im „Zuchthaus“. Zunächst betont Goebbels, sein „lieber Prima“ sei ein Vorbild:
„Charakter
und Opfer werden und müssen triumphieren über Ehrlosigkeit, Charakterlosigkeit
und Mangel an Opfersinn. Das wollen wir draußen predigen, was Sie
hinter Gittern lernten in schweren, durchweinten Nächten: dass die
Ehre alles ist, dass in ihr der Charakter sich stählt und dass das
Opfer zur letzten Tat bereit macht.“[90]
Der Aufsatz hat folgenden Schluss:
„Wir beugen in Demut das Knie vor Ihrem Opfer. Unser wird die Rache sein! Auf den Tag! Das sei mein Weihnachtsgruß.“[91] (Hervorhebung C.E.B.)
Der Fanatismus – die unzerstörbare Überzeugung, im Recht zu
sein, der unbeugsame Wille zur Tat, Hass und Rache – ist eine wesentliche
Komponente der „Idee des Opfers“, welche wiederum „zum ersten Mal in Christus sichtbare Gestalt“ angenommen habe.
Insofern Christus der „diametrale Gegenpol zum Judentum“[92] sei, erhalten der Fanatismus
und das Selbstopfer eine fundamentalistische Begründung. Wenn er schreibt
„Der Jude“, also den Kollektivsingular benutzt, sei die
„Menschen gewordene Lüge“ und habe „in Christus“
darüber hinaus „zum ersten Mal vor der Geschichte die
ewige Wahrheit ans Kreuz geschlagen“, knüpft er an den Irrglauben[93] an, alle Juden seien Mitglieder des
so genannten Gottesmördervolkes. Wegen des diametralen
Gegensatzes und gemäß der Bedeutung Christi in der Weltanschauung
von Goebbels kann allein daraus der Schluss gezogen werden, dass für
Goebbels der „Jude“ der „Antichrist“ ist.
Dazu bekennt sich Goebbels wörtlich in seinem realen Tagebuch:
„Dazwischen las ich Iw. Naschiwins ‚Rasputin’ mit tiefer Erschütterung aus. Das grandiose Gemälde des russischen Bolschewismus. … Aber niederdrückend in seiner satanischen Grausamkeit. So mag der Teufel wüten, wenn er die Welt beherrscht. Der Jude ist wohl der Antichrist der Weltgeschichte. Man kennt sich kaum mehr aus in all dem Unrat von Lüge, Schmutz, Blut und viehischer Grausamkeit. Wenn wir Deutschland davor bewahren, dann sind wir wahrhaft patres patrie! Heute nur Arbeit als Ausspannung.“[94] (Hervorhebung C.E.B.).
Der „Antichrist“ ist, daran sei erinnert, der „Widerchrist“, wie es im 1. Brief des Johannes im Neuen Testament steht:
„Daran sollt
Ihr den Geist Gottes erkennen: Ein jeglicher Geist, der da bekennt, dass
Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist von Gott; und ein jeglicher
Geist, der da nicht bekennt, dass Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen,
der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Widerchrists, von welchem
Ihr habt gehört, dass er kommen werde, und er ist jetzt schon in der
Welt.“[95]
In der christlichen Tradition ist nicht nur „der Jude“, auch daran sei
erinnert, der vom Satan geschickte Verhinderer
der christlichen Erlösung.[96]
Die untrennbare Verbindung zwischen Rassismus und Antijudaismus hat die Konsequenz des Genozids. So versichert Goebbels in der Rede Lenin oder Hitler? im Hinblick auf die Zukunft im Dritten Reich:
„Wir wollen
den Kampf gegen diesen Weltfeind aufnehmen. Wir wollen Deutschland zu einem
Staat, das deutsche Volk zu einer Nation machen. Dies Volk soll bereit gemacht
werden, dem Feind den Dolch mitten ins Herz zu stoßen.“[97]
Die Vernichtung des jüdischen Volkes ist für ihn also die Voraussetzung dafür, die kollektive Identität der Deutschen und darüber hinaus die Erlösung im zukünftigen „Dritten Reich“ herstellen zu können. Davon war Goebbels auch später überzeugt, deshalb ist das, was er im Jahre 1942 über die Vernichtung der Juden in sein Tagebuch eintrug, zu zitieren:
„Die Juden
haben die Katastrophe, die sie heute erleben, verdient. Sie werden mit der
Vernichtung unserer Feinde auch ihre eigene Vernichtung erleben. Wir müssen
diesen Prozess nur mit einer kalten Rücksichtslosigkeit beschleunigen
und wir tun damit der leidenden und seit Jahrtausenden vom Judentum gequälten
Menschheit einen unschätzbaren Dienst.“[98]
Am 27.3. schreibt er sogar:
„Aus dem Generalgouvernement.
Werden jetzt bei Lublin beginnend, die Juden nach Osten abgeschoben. Es wird
hier ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu beschreibendes Verfahren
angewandt, und von den Juden selbst bleibt nicht mehr viel übrig. …
an den Juden wird ein Strafgericht vollzogen, das zwar barbarisch ist, das
sie aber verdient haben. … auch hier ist der Führer der unentwegte Vorkämpfer
und Wortführer einer radikalen Lösung.“[99]
Die Weltanschauung und die Selbstbekenntnisse Joseph Goebbels enthalten aus folgenden Gründen wesentliche Elemente einer politischen Religion:
1. Goebbels glaubt an Gott und Christus und auch, dass es die überirdische
Macht des Bösen gibt. Anders als im Glaubensbekenntnis aller Christen
ist sein Glaube auch auf das Heil und die Erlösung in dieser Welt gerichtet.
Er glaubt, dass durch die Qualität einer politischen Ordnung das Ziel
der Erlösung erreicht werden kann.
2. Das Dritte Reich ist ein Reich der Zukunft der Deutschen, welches durch
das Prädikat Erlösung qualifiziert wird.
3. Gegenwart und Zukunft sind durch einen qualitativen Sprung getrennt.
Dem qualitativen Sprung geht eine Krise bis zur Katastrophe voraus. Zur
Überwindung der Katastrophe und zur Herstellung der durch Erlösung
qualifizierten Zukunft muss ein Kampf stattfinden.[100]
4. Wesentliches Merkmal des Kampfes ist der Fanatismus und die Bereitschaft,
sich selbst zu opfern.
5. Goebbels glaubt an das Charisma Adolf Hitlers („Halb Plebejer, halb Gott!“). Er ist „Instrument jenes göttlichen Willens, der
die Geschichte gestaltet“, und jeder, der an ihn glaubt, ist es auch.
Hitler und das deutsche Volk sind Subjekte ihrer eigenen Heilsgeschichte.
6. Die kollektive Identität des deutschen und die des jüdischen
Volkes werden im Modus eines substantiellen Dualismus zwischen Gott und
der Macht des Bösen bestimmt. Die „modernen Deutschen sind Christussozialisten“
und „der Jude“ ist „der Antichrist der Weltgeschichte“. Die
Erlösung der Deutschen vom Bösen in sich und außer sich[101] ist ihre Erlösung vom Judentum.
7. Die zukünftige Erlösung im Dritten Reich kann nur dann erreicht
werden, wenn „der Jude“ als „Antichrist“ – und nur „der Jude“ und kein anderes Kollektiv
der Welt ist für Goebbels "der Antichrist“
– vernichtet wird.
IV. Die Schoah und der religiöse Gehalt der Rassedoktrin Hitlers
Mit der Feststellung der Merkmale der politischen Religion Goebbels’ kann
der Aufsatz nicht abgeschlossen werden. Auch wenn die Merkmale einer politischen
Religion hier hinreichend nachgewiesen wurden, ist das für den Nationalsozialismus
insgesamt nur dann repräsentativ, wenn auch die Weltanschauung Hitlers
einen religiösen Gehalt hat. Dabei ist die weit verbreitete Meinung
zu korrigieren, seine Rassedoktrin habe einen rein biologisch-darwinistischen
Charakter. Es ist zu fragen, ob auch Hitler die kollektive Identität
im Modus eines substantiellen Dualismus zwischen Gott und der Macht des
Bösen bestimmt. Hat er die bereits zitierte Ziffer 24 des Parteiprogramms
der NSDAP, wonach sich die NSDAP zum „positiven
Christentum“ bekennt, und den „jüdisch-materialistischen
Geist in und außer uns“ abgelehnt oder bekämpft? Behauptet
auch Hitler, dass „Christus“ ein
„Judengegner“ war und deshalb „ans Kreuz geschlagen“ wurde? Bekennt sich
Hitler zu einer Religion „nach arischer
Auffassung“[102] und muss „zum Heil einer arisch ringenden Menschheit[103] „der Jude“ vernichtet werden?
Die Frage, wie es Hitler mit der Religion hält, wird unmissverständlich
beantwortet:
„Natürlich liegen auch schon in der allgemeinen Bezeichnung ‚religiös’ einzelne Grundsätze oder Gedanken, zum Beispiel die der Unzerstörbarkeit der Seele, der Ewigkeit ihres Daseins, der Existenz eines höheren Wesens u.s.w.“
Das wird nicht verworfen. Hitler nimmt vielmehr eine Spezifizierung vor.
Er fordert im darauf folgenden Satz, „dass
die gefühlsmäßige Ahnung oder Erkenntnis die gesetzmäßige
Kraft apodiktischen Glaubens annimmt“[104]. Worin besteht die Verknüpfung
zwischen Rasse und Religion? Fragt man danach, wie Hitler die extreme Überlegenheit
„des Ariers“, also der arischen
Rasse, und die damit unzertrennbar verbundene Fremdbestimmung aller Mitglieder
des jüdischen Volkes, begründet, kann der religiöse Gehalt
des nationalsozialistischen Rassismus ohne Umschweife festgestellt werden.
Hitler glaubt an den „Schöpfer des
Universums“[105] und den „Arier“
als „Ebenbild des Herrn“[106]. Der Arier ist „Kulturbegründer“[107] und stellt den „Urtyp dessen“ dar, „was wir unter dem Worte ‚Mensch’ verstehen“[108]. Der „Staat“ hat „die Aufgabe der Erhaltung
und Förderung eines durch die Güte des Allmächtigen dieser
Erde geschenkten höchsten Menschentums“[109].
Die Fremdbestimmung „der Juden“
ist abhängig von dem fundamentalen Gegensatz zum Arier:
„Den gewaltigsten Gegensatz zum Arier bildet der Jude“[110].
So wie „der Arier“ divinisiert wird, wird „der Jude“ satanisiert .Alle Juden seien „wahre Teufel". „Der Jude“ sei „Urbild der Kraft, die stets das Böse will"[111] sowie die „Personifikation des Teufels als Sinnbild alles Bösen“[112] und „Gottesgeißel“.
Auf dem Weg der Fremdbestimmung des „Judentums“
gelangt Hitler zur Bestimmung der „arischen Auffassung“ von Religion:
„Das Judentum war immer ein Volk mit bestimmten rassischen Eigenarten aber
niemals ein Religion“.
Hitler fährt fort:
„Aus dem ursprünglichen eigenen Wesen kann der Jude eine religiöse Einrichtung schon deshalb nicht besitzen, da ihm der Idealismus in jeder Form fehlt und damit auch der Glaube an ein Jenseits vollkommen fremd ist. Man kann sich aber eine Religion nach arischer Auffassung nicht vorstellen, der die Überzeugung des Fortlebens nach dem Tode in irgendeiner Form mangelt“.[113]
In diesem Kontext beruft sich Hitler auf Jesus Christus, der nach seiner
Überzeugung, wie bereits zitiert, kein Jude war. Das ist wegen einer
antijüdischen Tradition des Christentums zu zitieren:
„Die beste Kennzeichnung jedoch gibt das Produkt dieser religiösen Erziehung, der Jude selber. Sein Leben ist nur von dieser Welt, und sein Geist dem wahren Christentum innerlich so fremd, wie sein Wesen es zweitausend Jahre vorher dem großen Gründer der neuen Lehre selber war. Freilich machte dieser aus seiner Gesinnung dem jüdischen Volk gegenüber keinen Hehl, griff, wenn es nötig war, sogar zur Peitsche, um aus dem Tempel des Herrn diesen Widersacher jedes Menschentums zu treiben, der auch damals wie immer in der Religion nur ein Mittel zur geschäftlichen Existenz sah. Dafür wurde dann Christus freilich an das Kreuz geschlagen.“[114]
Das sind Anspielungen darauf, dass das Volk der Juden – der toten, lebenden
und noch nicht geborenen Juden – das Volk der Mörder Jesu Christi,
das Gottesmördervolk ist. Zum Beweis dafür, dass „der Jude“ die Herrschaft über die
Welt beabsichtige, beruft sich Hitler auf die Wahrheit der “Protokolle der Weisen von Zion“. [115]
„Der Jude“ strebe nicht nur nach
Weltherrschaft, sondern er könne, mit für Hitler katastrophalen
Folgen, über die „Völker dieser
Welt“ siegen. Der Kontext dieses Glaubens ist zu dokumentieren, weil
erst dann mit der Antwort auf die Frage „Warum Auschwitz“ begonnen werden kann:
„Siegt der Jude mit Hilfe seines marxistischen Glaubensbekenntnisses über die Völker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totentanz der Menschheit sein, dann wird dieser Planet wieder wie einst vor Jahrmillionen menschenleer durch den Äther ziehen. Die ewige Natur rächt unerbittlich die Übertretung ihrer Gebote. So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“[116]
In diesem Schlüsselzitat sind Komplexe enthalten, die zu folgenden
Fragen und noch nicht genügend erforschten Themen führen:
1. Warum hält Hitler den Sieg „des
Juden“ über „die Völker
dieser Welt“ für möglich?
2. Wie ist die Folge dieses Sieges, nämlich dass die Erde „menschenleer durch den Äther ziehen“
wird, theologisch, religionswissenschaftlich und religionsphilosophisch
zu interpretieren?
3. Wie sind die Theologie und der Rassismus Hitlers im Hinblick
auf das Verhältnis zwischen der „ewigen
Natur“ und ihren „Geboten“
und dem „allmächtigen Schöpfer“
zu bestimmen?
4.Welche Konsequenz hat nunmehr der Glaube Hitlers, „im Sinne des allmächtigen Schöpfers
zu handeln“ und „für das Werk
des Herrn“ zu kämpfen, indem er sich „des Juden erwehre“?
Die Frage, warum das kleine
Volk der Juden „über die Völker dieser Welt“ siegen
könnte, ist einfach zu beantworten. Hitler versteht die Welt mit der
völkischen Heuristik des „Dahinter“. Hinter dem Marxismus
steht „der Jude“ und hinter „dem Juden“
wirkt das „Böse“. Für Hitler ist das Böse
der allein für sich bestehende letzte sowie erste Grund der Identität
„des Juden“. Die Existenz aller Juden sei von der nicht abgeleiteten
Macht des Bösen begründet worden. Hitler nimmt das Verhältnis
des Bösen zur aktuellen Macht „des Juden“ mit der Kategorie
der Substanz wahr. Das Böse ist die Substanz der Macht und erste Grund
der gleichbleibenden kollektiven Identität aller Juden.
Sehr schwierig ist aber, die von Hitler prophezeite Reichweite der Macht
des Bösen theologisch, religionsphilosophisch und religionswissenschaftlich
einzuordnen. In keiner Religion, in der an die Macht des Bösen geglaubt
wird, ist die Macht des Bösen so groß, dass der Untergang der
Menschheit, wenn vielleicht auch nicht für immer, bewirkt werden kann.
Hitler verkündigt zwar nicht, dass der Sieg des Bösen endgültig
ist. Aber die Zeit des endgültigen Siegs über das Böse und
der Erlösung vom Bösen ist ungewiss. Wie dieses Bewusstsein theologisch
zu deuten ist, ist die Aufgabe der wissenschaftlichen Theologie. Soweit ich
als Religionspolitologe zu überblicken vermag, haben dieses Thema nur
die katholischen Theologen Linus Hauser[117] und Rainer Bucher[118] behandelt. Welche Lösung Hitler findet,
um dem Schöpfer zu helfen, ist dem letzten Teil des Zitats zu entnehmen.
Aber vorher soll, Hitlers Kette der Gedanken folgend, auf die Berufung auf
die Natur und den „allmächtigen Schöpfer“
– mithin Gott – zugleich eingegangen werden. Auch deshalb, weil immer noch
behauptet wird, die Ideologie Hitlers sei deshalb keine politische Religion,
weil seine Rassedoktrin auf dem Primat der Natur beruhe. Hitler zieht aber
unmittelbar nach dem Bekenntnis, die „ewige
Natur“ räche „unerbittlich
die Übertretung ihrer Gebote“, die Schlussfolgerung:
“So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln.“
Für Hitler besteht also kein Widerspruch zwischen den Geboten der
„ewigen Natur“ und dem „allmächtigen Schöpfer“.
So kann es Hitler auch nicht lassen, sich bei den Folgen der „Rassenkreuzung“ und der damit einhergehenden „Niedersenkung
des Niveaus der höheren Rasse“ auf den „Willen des
ewigen Schöpfers" zu berufen:
„Eine solche Entwicklung herbeizuführen, heißt aber denn doch nichts anderes als Sünde treiben wider den Willen des ewigen Schöpfers.“[119]
Hitler glaubt mithin an die Übereinstimmung zwischen einem außerweltlichen
Schöpfer und Lenker der Welt und den Geboten der Natur. Man kann das
als Physikotheologie, wie dies mit guten Gründen der katholische Theologe
Rainer Bucher[120] tut,
oder als Physiotheologie bezeichnen. Auf jeden Fall ist Hitler Theist, kein
heidnischer Polytheist und kein darwinistischer Atheist. Die Bedeutung der
Natur ist also kein Argument dafür, seine Rassedoktrin habe keinen religiösen
Charakter, sei keine politische Religion. Hitler propagiert keinen biologischen,
sondern einen religiösen Antisemitismus. Der hier zitierte Gedankengang
wird von Hitler – sich in einer außerordentlichen Beziehung zu Gott
wähnend – mit dem apodiktischen Glaubensbekenntnis beendet:
„Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn“.
Der Kampf gegen „den Juden“ muss zu einer extremen Verschärfung geradezu zwingen, weil die Existenz der Menschheit durch die ungeheuer große Macht der Juden – als Personifikation des Bösen – bedroht wird. Wenn Hitler glaubt, „im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln“, glaubt er, sein “Kampf“ diene der Rettung der Menschheit. Hitlers Glaube geht also so weit zu glauben, er selbst müsse dem Schöpfer helfen. Aber in der auf sich selbst bezogenen Bestimmung der Kausalursachen glaubt er auch, dass Gott nur denen hilft, die sein Werk – wie er selbst – verteidigen.[121]
Wie dem auch sei, festgehalten
werden kann, dass nach der Logik Hitlers die radikale Bedrohung der Menschheit
nur mit radikalen Mitteln abgewehrt werden kann. Bildet „der
Jude“ den „gewaltigsten Gegensatz“ zum „Arier“,
so Hitler, kann er sich eben „des Juden“ nur mit „gewaltigsten“ Mitteln „erwehren“; mit totaler
Gewalt, also durch die Vernichtung aller Mitglieder des jüdischen Volkes.
Gegen die hier dargelegte Wahnlogik Hitlers kann eingewendet werden, dass
Hitler die Vernichtung der Juden nicht wörtlich gefordert habe. Aber
er tat es:
„Wer die breite Masse gewinnen will, muss den Schlüssel kennen, der das Tor zu ihren Herzen öffnet … Die Gewinnung der Seele des Volkes kann nur gelingen, wenn man neben der Führung des positiven Kampfes für die eigenen Ziele den Gegner dieser Ziele vernichtet.“[122]
Eine Seite später, auf der Hitler direkt auf „die Judenfrage“ und die „Erkenntnis des Rassenproblems“ eingeht,
wird die Notwendigkeit des Genozids wiederholt:
„Die Nationalisierung unserer Masse wird nur gelingen, wenn bei allem positiven Kampf um die Seele unseres Volkes ihre internationalen Vergifter ausgerottet werden.“[123]
Hier wurde versucht nachzuweisen, dass die Sucht nach der Erlösung
vom Bösen und die Personifikation des Bösen bei Goebbels und vor
allem auch Hitler zentrale Motive des Willens zum Genozid waren. Im zweiten
Weltkrieg ergab sich die günstige Gelegenheit zur Tat. Goebbels begrüßt,
wie bereits zitiert[124],
die „Vernichtung“, um „damit der leidenden und seit Jahrtausenden vom
Judentum gequälten Menschheit einen unschätzbaren Dienst“
zu tun. Er beschreibt das „Verfahren“
als „barbarisch“ und kennt das Ergebnis:
„Von den Juden selbst bleibt nicht
mehr viel übrig“.
Hervorzuheben ist, dass die maßgebende Bedeutung Hitlers von Goebbels
bestätigt wird:
„Auch hier ist der Führer der unentwegte Vorkämpfer und Wortführer einer radikalen Lösung“[125].
V. Schlussbemerkungen und Probleme in
historischer und aktueller Hinsicht
Der bei Weitem wichtigste Grund für das allseitige Interesse am Nationalsozialismus
ist und bleibt die Schoah und, damit untrennbar verbunden, der nationalsozialistische
Antisemitismus. Hier wurde versucht, den religiösen Gehalt von Goebbels‘
Antisemitismus sowie der Rassedoktrin Hitlers nachzuweisen. Nunmehr sind
wir an die Stelle des Beitrages gelangt, an welcher auf Fragen und noch zu
erforschende Themen in historischer und aktueller Hinsicht kurz einzugehen
ist. Ich fürchte jedoch, von vornherein erklären zu müssen,
dass ich nicht der Überzeugung bin, die Religion des Nationalsozialismus
sei mit der christlichen Religion und der Antisemitismus mit dem Antijudaismus
christlicher Konfessionen gleichzusetzen. Weiterhin bin ich sicher, dass
kein monokausal zu deutender Zusammenhang zwischen dem Neuen Testament und
der Schoah bewiesen werden kann.
Zunächst soll die Frage beantwortet werden, ob die politische Religion
des Nationalsozialismus Merkmale einer Pathologie des Religiösen enthält.
Daher werden einige Merkmale der Pathologie des Religiösen in der politischen
Religion der Repräsentanten der nationalsozialistischen Weltanschauung
– also von Hitler und Goebbels, zu nennen wäre noch Alfred Rosenberg
– angeführt:
1. Der unerschütterliche Glaube
an die Übereinstimmung des jeweils eigenen, konkreten Willens mit dem
Willen Gottes
Die Grundlagen dieses fundamentalen Größenwahns sind das vermeintliche
Wissen, zu dem allmächtigen Gott eine außerordentliche, unmittelbare
Beziehung zu besitzen, Gott im eigenen Selbst zu haben sowie an die Gottgleichheit
der eigenen Seele oder des eigenen Kollektivs zu glauben.
2. Der Glaube an die vom Satan oder
dem Teufel bewirkte Personifikation des metaphysisch Bösen im einzelnen
Menschen oder in menschlichen Kollektiven
3. Der Glaube, zukünftiges Heil
schon in dieser Welt durch die Vernichtung der Bösen durch menschliche
Taten herbeiführen zu können oder zu müssen
Das hat eine fatale Konsequenz: der total heilige Zweck der zukünftigen
Erlösung vom Bösen heiligt alle Mittel; darüber hinaus ist
die Vernichtung des Bösen nicht nur eine Option, sondern wird zum Zwang.
Es ist hier nicht der Ort, die Pathologie des Religiösen weiter zu
behandeln oder die Existenz dessen, was man das Böse – Gewalt, Unrecht,
unverschuldetes Unglück, Leid oder alles Elend, die Zerstörung aller
Güter des Lebens und des Lebens – nennen darf, zu bestreiten. Ob der
Grund dafür in der metaphysischen Struktur als begrenztem oder selbstständigem
Prinzip von Schöpfung bzw. Evolution besteht, ist hier nicht zu entscheiden.
Festgestellt aber werden kann, dass der Glaube der Menschen an die Personifikation
des Bösen eine sehr, sehr häufige Ursache für die Existenz
des Bösen in der Welt der Menschen ist. Trotz aller Unterschiede zwischen
der politischen Religion des Nationalsozialismus und der christlichen Religion
ist zu fragen, ob die Personifikation des Bösen bei Hitler und Goebbels
sowie die bekannte, mal weniger, mal mehr extreme Negation der Mitglieder
des jüdischen Volkes in der Geschichte christlicher Staaten einen Halt
im Neuen Testament hat? Hier ist
zunächst daran zu erinnern, dass an sehr, sehr vielen Stellen die Worte
Teufel, Satan, das Böse oder „böse“
stehen. In qualitativer Hinsicht sei daran erinnert, dass von Jesus nach
seiner Taufe erstens verkündet wird, er sei der Sohn Gottes (Mk 1,10),
zweitens Jesus danach der Versuchung Satans widersteht (Mk 1,13), drittens
er dann das Evangelium Gottes predigt und spricht „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes
ist herbeigekommen“ (Mk 1,15).
Nunmehr kann ein fundamental antijüdischer Text aus dem Evangelium
nach Johannes behandelt werden. Auf die Darlegung der Besonderheit dieses
Evangeliums sowie einer ordentlichen Exegese der zu zitierenden Stelle muss
im Rahmen dieses Beitrages verzichtet werden. Das bleibt der theologischen
Forschung vorbehalten. Vornehmlich kommt es hier auf den Wortlaut und die
daran orientierte Tradition bis zur Schoah und nicht auf die neue Interpretation
danach an. Die zu zitierenden Stellen werden im vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss
genehmigten Text aus dem Jahr 1964 mit der Überschrift zu den Versen
8,21ff. so eingeleitet: „Rede wider den
Unglauben der Juden“. Der Gegenstand der nunmehr zu zitierenden Stelle
ist der Streit darüber, wer der Vater sei bzw. die Präsenz Gottes
in Jesus. Der Jude Jesus sagt, sein Vater sei Gott. Die anderen Juden berufen
sich auf Abraham. Jesus antwortet den Juden: „Wenn ihr Abrahams Kinder wäret, so tätet
Ihr Abrahams Werke. Nun aber sucht ihr mich zu töten, einen Menschen,
der ich euch die Wahrheit gesagt habe, die ich von Gott gehört habe.
Das hat Abraham nicht getan. Wäre Gott euer Vater, so liebtet ihr mich,
denn ich bin ausgegangen und komme von Gott; denn ich bin nicht von mir
selbst gekommen, sondern er hat mich gesandt. Warum kennet ihr meine Sprache
nicht? Denn ihr könnt ja meine Worte nicht hören“ (8,39-43).
Die Begründung Jesu lautet:
„Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt ihr tun. Der ist ein Mörder von Anfang an und ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Eigenen; denn er ist ein Lügner und Vater derselben. Wer von Gott ist, der hört Gottes Worte; darum hört ihr nicht, denn ihr seid nicht von Gott“ (8,44-47).
Die Worte Jesu (8,39 -47), das ist meine Deutung als Laienchrist und in
die politische Theorie geflüchteter Volljurist, enthalten Aussagen über
Liebe, Tod, Teufel, Abraham und Gott. Jesus macht Aussagen über sich
selbst (ein wesentliches Merkmal des vierten Evangeliums) und diejenigen
Teilnehmer des Gesprächs, die nicht glauben, dass er der Sohn Gottes
ist. Jesus bestreitet, dass diejenigen Teilnehmer des Gesprächs, die
sich darauf berufen, Kinder Abrahams zu sein, es sind. Denn diese versuchen,
ihn zu töten. Das habe Abraham nicht getan. Daraus kann geschlossen
werden, dass die am Gespräch teilnehmenden Juden für Jesus
keine Juden sind. Jesus macht im darauf folgenden Satz Aussagen über
die Bedingung der Liebe zu ihm. Denn er entgegnet: „Wäre Gott euer Vater, so liebtet ihr mich,
denn ich bin ausgegangen und komme von Gott.“ Die Präsenz Gottes
in ihm hat also die Liebe zu ihm zur Folge. Schließlich können
diejenigen, die nicht an die Wahrheit glauben, dass Gott sein Vater ist,
seine Sprache nicht verstehen und seine Worte nicht hören. Nach dem
reinen Gebrauch des Wortes wird zwischen denen, die lediglich mit Jesus streiten,
und den Juden ab 8,22 („Da sprachen die
Juden“) oder 8,31 („Da sprach nun
Jesus zu den Juden“) nicht
unterschieden. So wird die Deutung hervorgerufen, die bei dem Streit anwesenden
Juden seien repräsentativ für das Kollektiv der Juden, insbesondere
für die Fremdbestimmung Jesu: „Ihr
seid von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt ihr tun.
Der ist ein Mörder von Anfang an und ist nicht bestanden in der Wahrheit;
denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet
von seinem Eigenen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben“
(8,44).[126]
Das Gewicht dieser drei Sätze und des Kontextes ab 8,21 kann nur
sehr schwer gemildert werden. Mit welcher Methode der Exegese auch immer
der Text interpretiert wird, folgende Frage bleibt offen: Warum entgegnet
Jesus denjenigen, die nicht glauben, ob Juden, Judenchristen, Heidenchristen
oder Heiden, sie seien Söhne des Teufels, welcher wiederum, das kommt
erschwerend hinzu, ein Mörder und Lügner „von Anfang“, also aus
Prinzip, ist. Das Schwergewicht des Textes kann durch religionshistorische
Zuordnungen (z.B. Gnosis) oder gruppendynamische Argumente (z.B. Johannes
als Mitglied einer bedrängten Minderheit) nicht negiert oder verringert
werden. Die strikten Lutheraner können das nicht (sola scriptura),
die katholische Kirche kann das leichter (fortschrittliche Wirkung des heiligen
Geistes unter bestimmten Bedingungen). Ich für meinen Teil tröste
mich damit, dass die Worte des vierten Evangelisten nicht die Worte unseres
Herrn sind. Aber ist das eine Lösung? Gleichwohl möchte ich hier
auf die sehr interessante und gut erkennbare Stiftung der kollektiven Identität
der Gemeinschaft der Christen nach dem Evangelium des Johannes eingehen.
Jesus sagt zu den Jüngern:
„Es ist noch ein kleines, so wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. An dem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und er in mir und ihr in mir und ich in euch. Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist es, der mich liebt. Wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben.“ (14,19-22).
Das wechselseitige Verhältnis zwischen Gott, seinem Sohn und den
Christen hat sogar die Qualität des ‚Eins-Seins’ der Christen. So bittet
Jesus Gott:
„Ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit , die Du mir gegeben hast , auf dass sie eins seien, gleichwie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen seien in eins und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und liebest sie, gleichwie du mich liebst“ (17,22-23).
Johannes 8,43-45 ist nicht die einzige Stelle im Neuen Testament, die bei der Interpretation
des Verhältnisses zwischen der jüdischen und christlichen Religion,
was leider meistens mit der Verwendung des Kollektivsubjektes „Jude“ oder „Christ“ bezeichnet wurde und wird, zu
berücksichtigen ist. So sagt Jesus im vierten Kapitel (22) nach dem
Evangelium des Johannes der Samariterin: „das Heil kommt von den Juden“.
Dazu bekennt sich auch Paulus, auch Apostelfürst genannt. Sehr differenziert
sowie kompliziert wird in den Kapiteln 9-11 des Briefes an die Römer
das Verhältnis von Christen, Juden und Heiden erläutert. Die dialektische
Argumentation des Apostels hat zum Ergebnis, dass die Juden ihr Heil nicht
endgültig verloren haben: „Gott hat sein Volk nicht verstoßen“
(11,2). Dass sein Volk die Juden wieder annimmt, ist für Paulus gewiss
(11,25ff.) Aber Paulus wirft den Juden vor, sie seien schuld am Tode Jesu
(1. Brief an die Thessalonicher 2,15; vgl. Mt 21,33-46; Mk 12,112; Lk 20,9-19).
Das wird in der sehr langen Tradition des christlichen Antijudaismus als
Mord bezeichnet. Zum Stereotyp des Antijudaismus gehört sogar der Glaube,
die Juden hätten sich wegen des Todes Christi selbst verflucht, denn
die versammelte Menge habe beim Prozess gegen Jesus nach der Aussage des
Pilatus, er sei unschuldig am Blut Jesu und wasche seine Hände in Unschuld,
geantwortet: „Sein Blut komme über
uns und unsere Kinder“ (Mt 27,25).
Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass in den letzten Jahrzehnten auf der Grundlage historisch-kritischer Methoden von Theologen der Versuch unternommen wurde, den ursprünglichen Sinn der in der Geschichte antijüdisch interpretierten Texte herauszufinden. Das Ergebnis besteht darin, dass Jesus sein Volk nicht verurteilt habe. Leider wird in den Medien über diese Forschung nicht debattiert. Es ist deshalb zu bezweifeln, dass die Forschung weniger Christen die herrschende Meinung aller deutschen Christen beeinflusst hat. Hinzuweisen ist auch auf die kirchenamtliche Seite. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1965) wird auf der Grundlage des Dekrets im 4. Kapitel des Dokuments NOSTRA AETATE die ewige Verbundenheit von Kirche und Israel insofern erklärt, dass das Neue Testament die jüdische Bibel nicht ersetzt hat und dass Jesus den älteren Bund nicht verworfen habe.[127] Die Evangelische Kirche im Rheinland hat mit einem Synodenbeschluss im Jahre 1980 den Grundartikel der Kirchenordnung im Hinblick auf das Volk und den Staat Israel ergänzt.[128] Im Synodenbeschluss wird hervorgehoben, dass die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk sind.[129] Aber was haben die Christen, sagen wir weit über tausend Jahre vor dem Ende des „Dritten Reiches“ geglaubt oder zumindest glauben dürfen? Das führt zum Gegenstand dieses Aufsatzes zurück.
Bis zur Trennung zwischen der jüdischen und christlichen Religion
durften diejenigen Juden, die nicht daran glaubten, Jesus sei der Sohn Gottes,
damit verurteilt werden, ihr Vater sei der Teufel, „ein Mörder und
Lügner von Anfang an“. Nach der Trennung von Juden und Christen, insbesondere
nach der Kanonisierung der christlichen Texte, durften die Christen glauben,
jeder Jude sei eine Personifikation des Teufels, wovon wiederum der aus
der katholischen Kirche nie ausgetretene und nicht exkommunizierte Hitler
überzeugt war. Es ist daran zu erinnern, dass sich Hitler bei der Begründung
seines Antisemitismus, wie bereits zitiert, auf Christus (Mein Kampf, S.
336) als Gegner „des Juden“ beruft.
Das tat Goebbels auch, wie bereits dargelegt wurde. Goebbels verwendet sogar
den Begriff „Antichrist“. Das ist
nach der christlichen Tradition der vom Satan geschickte Verhinderer der
Erlösung derjenigen, die an Christus glauben, wie es im Neuen Testament steht (1. Brief des Johannes
2,18,22; 3,10; 4,3). Es soll natürlich nicht vergessen werden, dass
in der christlichen Tradition viele das nicht zu überbietende Prädikat
der Bestimmung des Feindes, der „Antichrist“
zu sein, erhielten. Das zwingt dazu, bevor auf die Schoah zurückzukommen
ist, Fragen aufzuwerfen, deren Beantwortung zum Thema des Aufsatzes zählt.
Diese Fragen betreffen das Böse, in der Hauptsache die Bedeutung des
Bösen in dem von Christen so genannten Neuen Testament. Das ist schon deshalb
nötig, weil schon im Titel des Aufsatzes der Zusammenhang zwischen
der „Schoah“ und der „Erlösung vom Bösen“ in der politischen Religion
Goebbels‘ und Hitlers angesprochen wird. Wichtiger ist, ob der Inhalt des
hier zitierten Textes nach Johannes im Hinblick auf die Bedeutung des Bösen
im Neuen Testament nur akzidentiell zu bewerten ist als etwas, das man darüber
zwar aussagen kann, im Hinblick auf das Neue Testament insgesamt nicht notwendig
gesagt werden muss. Jede Personifikation des Teufels, sei es „der Jude“
oder der Papst als Antichrist (Luther) oder eine Frau (Hexe), setzt den
Glauben voraus, „das Böse“ existiere. Außerdem werden gerade
die modernen Menschen von der Darstellung des „Bösen“ sehr fasziniert.
Sonst wären die Produzenten von Kriminalromanen, Filmen und vielen
Fernsehsendungen nicht so ungeheuer erfolgreich. Das kann doch gerade ein
christlicher Theologe sich nicht gefallen lassen. Ich stelle Fragen, weil
ich nicht weiß, was das Böse ist, ich weiß nur, dass die
Personifikation des Bösen zur Realexistenz der größten Übel
in dieser Welt führen kann. Im Rahmen des Inhaltes dieses Aufsatzes
müssen die Fragen an die Theologen gerichtet werden. Ich schlage folgende
Fragen vor:
1. Wie groß ist die Bedeutung des Bösen (des Satans, des Teufels) für Essenz und Existenz der christlichen Religion bzw. Theologie, insbesondere der Predigt Jesu vom kommenden Reich Gottes sowie der Erlösung des Menschen, der Interpretation seines Selbstopfers und seiner Kreuzigung?
2. Ist die Bedeutung des Bösen der Grund für die verdinglichende Dogmatisierung der religiösen Erfahrung, für die Entstehung und die Ausbreitung sowie des unerbittlichen Kampfes gegen diejenigen Christen, die von den jeweils in den verschiedenen Kirchen herrschenden Dogmen abweichen (Häretiker), gegen diejenigen Frauen, die deshalb Hexen sind, weil sie mit dem Teufel verbündet seien und sogar sexuell mit ihm verkehren, der Schismen und der Intoleranz? Ist schließlich die Bedeutung des Bösen der Grund für die große Schwierigkeit, Glaube und Vernunft zu versöhnen?
3. Worin bestehen die politisch-gesellschaftlich-kulturellen Implikationen des Glaubens an die begrenzte, aber immerhin gewaltige Macht des Bösen? Ist der Glaube an die Macht des Bösen die Rechtfertigung der Herrschaft, sei es die einzelner, einiger oder vieler? Wird durch den Glauben an die Macht des Bösen die Neigung der Menschen zur Gewalt als notwendigem Kampf gegen das Böse verschärft? Werden bestimmte Stellen des Neuen Testamentes, die eine Anwendung auf das politische Leben zulassen, durch den Glauben an die Macht des Bösen beeinflusst? Wird dadurch zum Beispiel die Ent-Sakralisierung der weltlichen Herrschaft gemäß der Worte Christi nach Johannes 18,36 („Mein Reich ist nicht von dieser Welt“) realpolitisch bedeutungslos oder nur geschwächt?
Warum blieb die Unterscheidung zwischen Politik und Religion gemäß der Deutung der Worte Christi: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist“ (Mt 22,21), also der Anerkennung der spezifischen Eigenart von Politik und Religion – in der Sprache des 20. Jahrhunderts der Trennung von Staat und Kirche – für die meisten Christen so lange ohne realpolitische Geltungskraft? Welche Bedeutung hat weiterhin der Glaube an die Macht des Bösen für den mittelalterlichen Streit um das weltliche (Kaiser) und geistliche (Papst) Schwert auf der Grundlage bzw. Deutung von Mt 26,25 (Lk 22,38) und den damit verbundenen Kampf um den Primat (Kaiser oder Papst), der göttlichen Einsetzung weltlicher Herrschaft gemäß des Briefes des Paulus an die Römer („Alle Obrigkeit kommt von Gott“, 13,1) und schließlich die Vernichtung des Bösen in der Offenbarung nach Johannes?
4. Kann man und unter welchen Voraussetzungen die politisch-kulturellen Implikationen der Personifikation des Teufels von der Bedeutung des Bösen in der Religion trennen? Was sind die theologischen Folgen der Personifikation des Bösen?
5. Worin besteht das Verständnis des Bösen im Evangelium nach Johannes, das im Gegensatz zu der Untersuchung von Günther Baumbach aus dem Jahre 1963 in den synoptischen Evangelien noch nicht in einer rein theologisch orientierten Monographie dargestellt wurde?
Aber immerhin hat der protestantische Theologe Klaus Wengst mit seiner historischen Analyse in Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Christus. Ein Versuch über das Johannesevangelium den Wortlaut von Johannes 8,42-45 nicht umgedeutet, sondern historisch zu verstehen versucht. Weil aber ohne theologische Argumentation die letzten Fragen über das Böse nur unbefriedigend behandelt werden, ist an dieser Stelle von Interesse, warum in den letzten Jahrzehnten so wenig deutsche Theologen, geschweige denn ihre machtvollen Ordinarien und Repräsentanten, Monographien über das Böse publiziert haben?[130]
6. Worin besteht die allgemein politische Implikation der Personifikation des Bösen? Ist die Personifikation des Bösen die Ursache für die Substantialisierung der gesellschaftlich-privaten oder öffentlich-politischen Feindschaft? Welche Bedeutung hat die Personifikation des Bösen für die Bereitschaft der Menschen, im Fall des Krieges zwischen den Völkern und des Bürgerkrieges, sich selbst und andere zu opfern oder die Inversion von Selbst- und Fremdopfer? Sind die „Bösen“ an allem schuld? An Katastrophen im Sinne von privatem und gesellschaftlichem Unglück, an ökonomischen, politischen und kulturellen Krisen, an Krieg und Bürgerkrieg ? Ist die Personifikation des Bösen auch die Ursache dafür, dass die „Bösen“ Objekte weit verbreiteter sowie wirksamer Verschwörungsphantasien sind, was hauptsächlich Juden trifft?
Es gibt sogar zeitgenössische Antisemiten, die fest davon überzeugt sind, die Juden hätten Hitler zur Macht verholfen, damit durch die Schoah die Gründung des Staates Israel legitimiert werden könne, sie steckten hinter den Ereignissen am 11.9.2001 in New York, um den Krieg gegen die Muslime rechtfertigen zu können; allein die Israelis, und nicht auch muslimische Politiker, hätten die Hauptschuld an den gegenwärtigen Kriegshandlungen im palästinensisch-israelischen Konflikt.
In diesem Aufsatz wurde
auf der Grundlage schriftlicher Quellen versucht nachzuweisen, dass das
wesentliche Merkmal der politischen Religion maßgebender Repräsentanten
der nationalsozialistischen Weltanschauung die Divinisierung „des Ariers„ und damit des deutschen Volkes sowie die Satanisierung
„des Juden“ – also aller toten, lebenden und noch nicht geborenen
Juden – ist. Der Rassismus, die unerschütterliche Überzeugung
der extremen Überlegenheit der durch gemeinsame Abstammung definierten
Gemeinschaft, mit der man sich identifiziert, besteht darin, dass der Grund
der Überlegenheit „des Ariers“ auf der Güte des
allmächtigen Schöpfers (‚der Arier’ als ‚Ebenbild des Herrn’) beruht. Es ist falsch, den Antisemitismus
Hitlers, Goebbels’ (sowie Alfred Rosenbergs, des Stellvertreters Hitlers
in weltanschaulichen Fragen) mit dem Adjektiv ‚biologisch’
oder ‚darwinistisch’ zu charakterisieren. Erfolg und Macht
„des Juden“ beruhen, so Hitler, in Deutschland, Europa und
der ganzen Welt auf der Macht des Teufels.
Wir dürfen uns nicht
einbilden, dass die Antwort auf die Frage nach den religiösen Ursachen
der Schoah nicht mehr aktuell ist. Dagegen spricht die lange Dauer verfestigter
und nicht bewusst gewordener Mentalitäten und die Wiederkehr der Pathologie
des Religiösen. Aus dem bei Hitler und Goebbels schon früh artikulierten
Willen zur Vernichtung der Juden kann auch die Lehre gezogen werden, dass
die Repräsentanten eines fanatisch-religiösen Fanatismus ihrer
Propaganda entsprechend handeln.
Aktuell ist die Gefahr
der Vernichtung von Juden durch die Verbreitung des Glaubens an die Notwendigkeit
der Vernichtung des Staates Israel. Diese wird von den Führen des politisch-religiösen
Fundamentalismus propagiert: zum Beispiel der Moslem-Bruderschaft,
der Hamas, der Al-Kaida, der Hisbollah und insbesondere der zur Zeit herrschenden Theologen
der Republik Iran. In der Republik Iran, aber nicht nur dort, wird die von
Hitler gelobte Fälschung der so genannten Protokolle der
Weisen von Zion (Mein Kampf, S. 337) regelmäßig
neu aufgelegt und verbreitet. Der frühere Präsident Chatami verteidigte
den bekannten Leugner der Schoah, den Franzosen Garaudy. Für den zur
Zeit obersten geistlichen Führer der Republik Iran Ali Chamenei ist
die Vernichtung des jüdischen Staates Israel die Lösung des Nahostproblems.
Der derzeitige Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad erklärt öffentlich
die Absicht, Israel sei zu vernichten. Die Rede, in der die Vernichtung Israels
gefordert wird, hat er selbst in englischer Übersetzung auf seine Homepage
gestellt. Ein aussagekräftiges Indiz für den Willen zur Tat sind
die atomare Aufrüstung und der Bau von Langstreckenraketen sowie nicht
zuletzt der Terror gegen Teile der eigenen Bevölkerung.
Für Christen, ob Theologen oder Laien, sollte gelten:
In dubio pro Israel
Die Erforschung des Zusammenhangs
von Politik und Religion ist die Aufgabe dieses Jahrhunderts.
Nicht nur weil in der Sphäre des Politischen dem Willen zur Erlösung
vom Bösen in dieser Welt, wie im Falle des Nationalsozialismus, die
Verbrechen auf dem Weg zur Endlösung folgen, sondern weil die Pathologie
des Religiösen damit zusammenhängt, dass der Mensch potentiell
auch ein „homo religiosus“ ist. Das Volk der Demokraten wird
sich verlassen fühlen, wenn von den Vertretern der Sozial- und Geisteswissenschaften
nicht versucht wird, das Verhältnis von Glaube und Vernunft zu klären,
ob sie religiös sind oder nicht. Ich gestehe, dass ich Mitglied der
evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns bin.
[1] Vgl. Fritz Stolz,
Grundzüge der Religionswissenschaften,
2. überarb. Aufl., Göttingen 1997, 11.
[2] Vgl. Ernst Feil, Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffes
vom Frühchristentum bis zur Reformation, Göttingen 1986;
ders., Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen
Grundbegriffes zwischen Reformation und Rationalismus, Göttingen
1997; ders., Religio. Die Geschichte eines
neuzeitlichen Grundbegriffes vom frühen Rationalismus bis zur Aufklärung,
Göttingen 2000.
[3] Eric Voegelin, Die politischen Religionen, Wien 1938
( Nach der Emigration Stockholm 1939, die letzte Auflage hg. von Peter Opitz,
Paderborn 2005).
[4] Max
Weber, Wirtschaft und Gesellschaft,
Tübingen 1972, 4. Auflage, 1.
[5] Joseph Goebbels, Die zweite Revolution, Zwickau 1926.
[6] Joseph Goebbels, Wege ins Dritte Reich, München 1927.
[7] Joseph Goebbels, Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern,
München 1927, zitiert nach der 1934 erschienen Auflage. Die beiden letztgenannten
Bücher wurden, genauso wie Hitlers „Mein Kampf“, vom parteioffiziellen Verlag
Frz. Eher Nachf., GmbH, verlegt.
[8] Wegen der verschiedenen Editionen wird
für die Zeit das Datum angegeben, hier zitiert nach: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche
Fragmente, hg. von Elke Fröhlich im Auftrage des Instituts für
Zeitgeschichte in Verbindung mit dem Bundesarchiv, Teil I, Aufzeichnung
1924-41, Bd. 1, 27.6.1924 bis 23.12.1930, München/New York/Paris 1987.
Dieser Edition folgen die von Georg Reuth herausgegebenen Tagebücher.
Wird nicht aus der Ausgabe von 1987, sondern für die Zeit vor dem 17.6.1924
aus der nunmehr fast vollkommen eingerichteten neuen Edition aus dem Jahre
2004, welche nur als Gesamtausgabe teuer zu erwerben ist, zitiert, dann
wird dem Datum der Zusatz „Neue Edition“ beigefügt. Damit die Zitate
aus der Taschenbuchausgabe von Georg Reuth überprüft werden können
wird lediglich das Datum angegeben und nicht die Seiten.
[9] 23.9.1924.
[10] 23.3.1925.
[11] 8.8.1924.
[12] 28.7.1924.
[13] Z.B. in der zweiten Hälfte des Jahres
1925: 12.8.1925, 14.8.1925, 29.8.1925, 4.9.1925, 30.9.1925, 9.10.1925, 12.10.1925,
16.10.1925, 18.12.1925, 19.12.1925, 4.1.1926.
[14] 4.7.1924.
[15] Gottfried Feder, Das Parteiprogramm der NSDAP und seine weltanschaulichen
Grundlagen, München 1930, 22.
[16] Ebd., 22.
[17] Michael.
Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern, München 1929,
58.
[18] Richard Wagner, Ausgewählte Schriften über Staat, Kunst
und Religion, Leipzig 1914, 187, 188.
[19] Grundlagen
des XIX. Jahrhunderts, München 1899, hier zitiert nach der 2.
Auflage, 210ff.
[20] Vgl.
das Kapitel „Die Erscheinung Christi“,
ebd., 189-254.
[21] Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung
der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München
1931, 74, 163, 215, 604ff.
[22] Vgl. Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier.
Vollständige und überarbeitete Neuausgabe mit bisher unbekannten
Selbstzeugnissen Adolf Hitlers, Stuttgart 1976; Heinrich Heim, Adolf Hitler – Monologe im Führerhauptquartier.
1941-1944, hg. von Werner Jochmann, Göttingen 1981, 15, 96.
[23] Mein
Kampf, Zwei Bde. in einem Band, 167.-175. Auflage, ungekürzte
Ausgabe, München 1941, 230.
[24] Neue Edition, 6.2.1924, München
2004.
[25] Ebd.
[26] 30.8.1924.
[27] 6.8.1924.
[28] 17.7.1924.
[29] 30.8.1924.
[30] Erinnerungsblätter, in: Die Tagebücher. Fragmente, Edition
aus dem Jahre 1987, 26-27.
[31] 27.6.1924; Vgl. Joseph Goebbels, Michael. Ein Schicksal in Tagebuchblättern,
München 1934, 155; Adolf Hitler, Mein
Kampf, 227; für Hitler ist die „Aufopferungsfähigkeit des
Einzelnen für die Gesamtheit, für seine Mitmenschen“ ein wesentliches
Merkmal des Ariers.
[32] 27.6.1924.
[33] Fjodor
Mischailowitsch Dostojewski, Die Dämonen,
übertragen von E.K. Rasin, München 1922, neu überarbeitete
Ausgabe 1956, 343.
[34] Ebd., 343ff. (zweiter Teil, Kapitel I,
Abschnitt VII).
[35] Tagebücher,
neue Edition aus dem Jahre 2004.
[36] Alfred
Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhundert.
Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltungskämpfe unserer Zeit,
München 1935, 607.
[37] Ebd., 606.
[38] Ebd., 600.
[39] Ebd., 605.
[40]
Henry Picker, Hitlers Tischgespräche
im Führerhauptquartier, Berlin 1997, 2. Auflage, S. 109; vgl.
Dietrich Eckart, Der Bolschewismus von Moses
bis Lenin. Zwiegespräche zwischen Adolf Hitler und mir, München
1925.
[41] Tagebücher,
27.6.1924.
[42] 6.8.1924.
[43] 27.9.1924.
[44] 20.8.1924.
[45] 4.7.1924; zu „sta up“: niederrheinisch
„steh auf“.
[46] „Das Wunder ist des Glaubens liebstes
Kind“, Goethe, Faust, erster Teil,
Studierzimmer, Nacht.
[47] Vgl. Alois Dämpf, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie
im Mittelalter und der politischen Renaissance, 4. Aufl., München/Wien
1973; Gert Wendelborn, Gott und Geschichte.
Joachim von Fiore und die Hoffnung der Christenheit, Leipzig 1974;
Matthias Riedel, Joachim von Fiore. Denker
vollendeter Menschheit, Würzburg 2004.
[48]
Vgl. Karl Löwith, Weltgeschichte und
Heilgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie,
Stuttgart 1961; Eric Voegelin, Die neue
Wissenschaft der Politik, München 1959, 162ff; Norman Cohen,
Das Ringen um das Tausendjährige Reich.
Revolutionärer Messianismus im Mittelalter und sein Fortleben in den
modernen totalitären Bewegungen, Bern 1961; Walter Schmitthals,
Die Apokalyptik. Einführung und Deutung,
Göttingen 1973.
[49] Sämtliche
Werke, Bd. 5, hg. von Georg Brandes, Berlin 1899, 74.
[50] Martin Wust, Das dritte Reich. Ein Versuch über die Grundlagen
individueller Kultur, Wien 1905; Gerhard Mutius, Die drei Reiche. Ein Versuch philosophischer
Bestimmung, Berlin 1916.
[51] Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a.M. 1980,
698.
[52] Rudolf Bahro, Logik der Rettung, Stuttgart 1897, 451,
698.
[53] Breslau 1923, 3. Aufl., 103, 253ff.
[54] Ders., Aus meinem Leben, Erinnerungen von Johannes Schlaf,
Halle 1941, 64.
[55]
Hermann Burte, Wiltfeber. Der ewige Deutsche.
Die Geschichte eines Heimatsuchenden, Leipzig 1912, 64ff, 89, 150.
[56] In: Alfred Rosenberg, (Hg.), Dietrich Eckart. Ein Vermächtnis,
2. Aufl., München 1935, 111.
[57] Ebd., 66.
[58] Ebd.,
111.
[59] In: Auf gut Deutsch. Wochenzeitschrift für Ordnung
und Recht, hg. von Dietrich Eckart, Nr. 19/20, 1919, 296.
[60] Vgl. Tagebücher, Neue Edition, hrsg. von
Elke Fröhlich, Teil 1, Aufzeichnungen 1923-1941, München 2000,
19, 117, 120, 162, 354.
[61] Ebd., 24.1.1924.
[62] Joseph Goebbels, Lenin oder Hitler?, Zwickau 1926, 26.
[63] Ebd., 26, 36.
[64] Joseph Goebbels, Lenin oder Hitler?, Zwickau 1926, 29.
[65] Joseph Goebbels, Wege ins Dritte Reich. Briefe und Aufsätze
für Zeitgenossen, München 1927, 5.
[66] 1. Aufl., München 1929, hier zitiert
nach der Auflage aus dem Jahre 1934, 12, 27, 52, 83, 88, 106, 121ff., 127,
129 und 147ff.
[67] Joseph Goebbels, Denker oder Prediger,
in: Die zweite Revolution, Zwickau
1926, 59.
[68] Ders., Die Revolution als Ding an sich,
in: Wege ins Dritte Reich, München
1927, 48.
[69] Vgl. Immanuel Kant, Die Kritik der praktischen Vernunft,
Zweites Buch, zweites Hauptstück Kapitel V; Die Kritik der reinen Vernunft (Antwort
auf die Frage „Was darf ich hoffen?“); Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen
Vernunft (erstes und zweites Vorwort).
[70] Ders., Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern,
München 1929, 116.
[71] Joseph Goebbels, Wege ins Dritte Reich, München 1927,
48.
[72] Ders.,
Die Führerfrage, in: Die zweite Revolution.
Briefe an Zeitgenossen, Zwickau 1926, 7.
[73] Wirtschaft
und Gesellschaft, 5. Aufl., Tübingen 1985, 140.
[74] 19.4.1926.
[75] Goebbels,
Michael, 82.
[76] Ebd., 57.
[77] Ebd., 58.
[78] Ebd., 57.
[79] Ebd., 58.
[80] Ebd., 82.
[81] Ebd., 58.
[82] Ebd., 82.
[83] Ebd., 104.
[84] Ebd., 155.
[85] Ders., Idee und Opfer, in: Die zweite Revolution, 19.
[86] Ebd., 21.
[87] Ders., Wege ins Dritte Reich, 63.
[88] Ebd., 55.
[89] Ebd., 56.
[90] Goebbels, „Zuchthaus“, in: Wege ins Dritte Reich, 58, 59.
[91]
Ebd., 60.
[92] Vgl. Michael, S. 82.
[93] Es existiert seitens der christlichen
Kirchen keine theologische Rechtfertigung oder außerhalb der Dogmata
auf der Exegese des Neuen Testamentes begründete Argumentation.
[94] Tagebücher,
26.6.1926.
[95]
1. Brief des Johannes, 4; 2, 3.
[96] Luther zum Beispiel, charakterisierte
den Bischof von Rom, also den Papst als Antichrist.
[97] Goebbels,
Lenin oder Hitler?, 24.
[98]
Goebbels, Tagebücher aus den Jahren
1942-1943, hg. von Louis P. Lochner, Zürich 1948, 14.2.1942.
[99]
Ebd., 27.3.1942.
[100] Vgl. Offenbarung des Johannes, Kapitel
16ff; Kapitel 20 („Tausend jähriges Reich“).
[101] Vgl.
Parteiprogramm der NSDAP, Ziffer
24; „Die Partei als solche vertritt den
Standpunkt eines positiven Christentums. … Sie bekämpft den jüdisch-materialistischen
Geist in uns und außer uns“.
[102] Hitler, Mein Kampf, 421.
[103] Ebd., 725.
[104] Ebd., 417.
[105] Ebd., 234.
[106] Ebd., 421.
[107] Ebd., 318.
[108] Ebd., 317.
[109] Ebd., 439.
[110] Ebd., 329.
[111] Ebd., 322.
[112] Ebd., 355.
[113] Ebd., 335-336.
[114] Ebd., 336.
[115] Ebd., 372.
[116] Ebd., 69-70.
[117] Linus Hauser, Kritik der mythischen Vernunft, Bd.1: Menschen
als Götter der Erde, Paderborn 2004.
[118] Rainer Bucher, Hitlers Theologie, Würzburg 2008.
[119] Ebd., 314.
[120] Ebd., 88ff.,168.
[121] Vgl. Max Domarus,
Hitlers Reden und Proklamationen 1932-1945,
Wiesbaden 1937, 1341, 1469, 617.
[122] Hitler, „Mein Kampf“,
371.
[123] Ebd., 372.
[124] Vgl. Fußnote
98 und 99.
[125] Vgl. Fußnote
99.
[126] Vgl. Hitler, „Mein Kampf“, unter Bezug auf Schopenhauer:
„Das Dasein treibt den Juden zur Lüge,
und zwar zu immerwährender Lüge“, 335, sowie der bereits
zitierte Text aus der S. 336, in der begründet wird, warum Jesus –
für Hitler kein Jude – vom „Widersacher
jedes Menschentums“ an „das Kreuz
geschlagen“ wurde.
[127] Vgl. Erich Zenger,
„Gottes ewiger Bund mit Israel. Christliche Würdigung des Judentums
im Anschluss an Herbert Vorgrimler“, in: Gotteswege, hg. von Ralf Miggelbrink,
Dorothea Sattler, Erich Zenger, Paderborn 2009.
[128] Vgl. Ja und Nein. Christliche Theologie im Angesicht
Israels. Festschrift zum Geburtstag von Wolfgang Schrade, in Zusammenarbeit
mit Katja Kriemer und Rainer Stuhlmann, hg. von Klaus Wengst und Gerhard
Saß, Neukirchen-Vluyn 1998.
[129] Zitiert nach Klaus
Wengst, in: Jesus zwischen Juden und Christen.
Re-Visionen im Verhältnis der Kirche zu Israel, Zweite, durchgesehene
und erweiterte Auflage, Stuttgart 2000, 143.
[130] Vgl. Klaus Berger,
Ullrich Niemann, Marion Wagner, Das Böse
und die Sprachlosigkeit der Theologie, München 2007.
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