theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Hans Jürgen Karp/ Joachim Köhler (Hg.), Katholische Kirche unter nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur. Deutschland und Polen 1939-1989, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2001, (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 32) 286 Seiten, EUR 39,90, ISBN: 3-412-11800-1

Die beispiellosen Verbrechen der Deutschen in Polen im Zweiten Weltkrieg und das Unrecht der Vertreibung von Deutschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße hinterließen zwischen den beiden Nationen tiefe Gräben. An wirklicher Aussöhnung jenseits staatssozialistisch verordneter Rituale dachten zunächst nur die wenigsten. Zu schmerzhaft war die Leiderfahrung, zu dominierend die nationalen Emotionen, zu offensichtlich die politische Instrumentalisierung des Aussöhnungsgedankens.

Auch die deutschen und polnischen Katholiken passten sich zunächst in dieses konfliktgeladene Spannungsverhältnis ein. Der nationale Gegensatz war stärker als die Grundsätze der Nächstenliebe und der konfessionellen Solidarität. Erst seit den 1960er Jahren setzte in der deutschen und polnischen Kirche ein Aussöhnungsprozess ein, der in den darauf folgenden Jahrzehnten im Wesentlichen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten und Gesellschaften beitrug. Dennoch konnten die vorhandenen Kontroversen, vor allem im Hinblick auf die Haltung der deutschen Kirche gegenüber den polnischen Katholiken in den Jahren 1939-1945 sowie auf die Haltung der polnischen Kirche gegenüber den deutschen Katholiken nach 1945 nicht überwunden werden. Vielmehr sind im Laufe der Jahre neue hinzugekommen, etwa wegen der kühlen deutschen Antwort auf die Versöhnungsbotschaft der polnischen Bischöfe von 1965 oder der bis zum Ende der achtziger Jahre ausbleibenden deutschsprachigen Seelsorge in Polen.

Noch vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems knüpften deutsche und polnische Kirchenhistoriker vielfältige Kontakte an, ohne jedoch in der Regel den Rahmen des jeweiligen nationalen Konsenses zu verlassen. Die Ursache lag nicht zuletzt darin, dass die meisten Forscher weit reichende negative Konsequenzen für ihre Nationalkirche und ihren Staat befürchteten, sollte sich der Standpunkt der Gegenseite durchsetzen - die Grenzfrage zwischen Deutschland und Polen war bis 1990 offen.

Nach der politischen Wende der Jahre 1989-1990 entstanden zwar günstigere Voraussetzungen für die Klärung der Streitpunkte, die Fronten waren aber nach jahrzehntelanger Polemik festgefahren. Eine Annäherung der Positionen fand nur zaghaft statt. In dieser Situation entschlossen sich zwei deutsche Wissenschaftler, Hans-Jürgen Karp und Joachim Köhler, deutsche und polnische Forscher an einen Tisch zusammenzubringen und gemeinsam „mit der Aufarbeitung eines der umstrittensten Problemfelder der kirchlichen Zeitgeschichte und deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte zu beginnen“ (aus dem Vorwort der Herausgeber, S. X). Gemeint war damit die Beziehung zwischen der deutschen und polnischen Kirche unter der nationalsozialistischen bzw. kommunistischen Diktatur, und zwar im Kontext der deutsch-polnischen Beziehungen und der umstrittenen Gebiete östlich und westlich der deutsch-polnischen Grenze von 1938.

Karp und Köhler warfen die Frage auf, „ob und gegebenenfalls in welcher Weise und aus welchen Motiven die Kirche – in Spannung zu ihrem universalen Sendungsauftrag – an den Programmen der nationalen und staatlichen Integration mitgewirkt hat, die vom Staat und herrschender Partei für die sog. eingegliederten Gebiete im Osten des Deutschen Reiches und – umgekehrt für die sog. West- und Nordgebiete Polens entwickelt wurden“ (ebd., S. X f.).

Diese Fragestellung kann gewisse Vorbehalte wecken. Erstens gab es Unterschiede zwischen der nationalsozialistischen und kommunistischen Diktatur und zwischen den Wirkungsbedingungen der deutschen Kirche in den Jahren 1939-1945 und der polnischen seit dem Jahr 1945. Zweitens waren die Ursachen und Umstände der Annexion polnischer Westgebiete durch Hitlerdeutschland 1939 und der Übernahme der Oder-Neiße-Gebiete durch Polen 1945 unterschiedlich. Es ist daher nicht unproblematisch, die Haltung der deutschen und polnischen Kirche direkt miteinander zu vergleichen. Karp und Köhler erkannten diese Schwächen einer vergleichenden Perspektive, entschieden sich aber dennoch dafür, weil sie hofften, dadurch „nationale und ideologische Engführungen“ zu überwinden und den „Erkenntnishorizont zu erweitern“ (ebd., S. IX).

Die von Karp und Köhler konzipierte und organisierte deutsch-polnische Tagung fand im Juli 1997 unter Teilnahme von etwa 30 Historikern, Politologen und Theologen beider Länder in Bad Saarow statt. Den Initiatoren der Tagung gelang dabei etwas bis dahin Einzigartiges: Die führenden Fachleute für die deutsch-polnischen Kirchenbeziehungen im 20. Jahrhundert begegneten sich, stellten die Ergebnisse ihrer Forschung bzw. ihre Thesen vor und diskutierten gemeinsam über die schwierigen bilateralen Beziehungen in der Vergangenheit. Dass es dabei immer wieder zu heftigen emotionalen Streitgesprächen kam, ist angesichts der Vorgeschichte nicht verwunderlich.

Der hier vorgestellte Band enthält die auf der Tagung in Bad Saarow gehaltenen Referate. Er ist von herausragender Bedeutung, da er Beiträge nahezu aller führenden deutschen und polnischen Forscher, die sich mit den wechselvollen Beziehungen beider Kirchen beschäftigen, umfasst. Eine detailliertere Darstellung jedes der insgesamt neunzehn Beiträge würde den Rahmen dieser Rezension sprengen, es sollen aber zumindest die wichtigsten Informationen über die Artikel und ihre Autoren vermittelt werden.

Zunächst ist anzumerken, dass die Quantität und Qualität einzelner Beiträge sehr unterschiedlich ist. Neben Artikeln die über 30 Seiten zählen, wurden kürzere Texte von nur 4 oder 6 Seiten veröffentlicht. Neben inhaltlich solide ausgearbeiteten Auseinandersetzungen sind Beiträge vorzufinden, die lediglich als Anstoß zur Beschäftigung mit den in ihnen aufgegriffenen Themen bezeichnet werden können.

Einige Autoren setzten sich mit dem historischen, politischen, kirchenpolitischen und theologischen Rahmen der in dem Band aufgegriffenen Thematik auseinander. So widmet sich Zygmunt Zieliński in seinem Artikel den Bevölkerungsverschiebungen in Ostmitteleuropa 1939 1950, versucht eine historiographische Bilanz zu ziehen und hinterfragt den einseitigen Umgang der deutschen und polnischen Historiker mit dem Thema. Leonid Luks und Bernd Schäfer stellen den politischen, bzw. kirchenpolitischen Hintergrund des Geschehens im stalinistischen Polen und der kommunistischen DDR vor (es fehlt im Band ein Pendant über das Dritte Reich). Wichtige und interessante Überlegungen zur Erhellung der Stellung der Kirche und der Staat-Kirche-Beziehungen im totalitären Staat bieten Heinz Hürten und Lydia Bendel-Maidl in ihren Beiträgen über das Totalitarismusmodell, bzw. die Thomanische Staatslehre.

Mehrere Beiträge befassen sich mit der Haltung einzelner herausragender Kirchenmänner im Hinblick auf die Staat-Kirche-Beziehungen und das deutsch-polnische Verhältnis im Dritten Reich, der DDR und der Volksrepublik Polen. So schreibt Joachim Köhler über Kardinal Adolf Bertram, Hans-Jürgen Karp über den Bischof von Ermland, Maximilian Kaller, Jerzy Myszor über den Kattowitzer Bischof Stanisław Adamski, Jan Kopiec über den Apostolischen Administrator in Oppeln und späteren Erzbischof von Breslau, Bolesław Kominek und Andrzej Kopiczko über die Verwalter der Diözese Ermland in den ersten Nachkriegsjahren, Teodor Bensch und Adalbert Zink. Stefan Samerski und Władysław Szulist bewerten (unterschiedlich) die Tätigkeit des Danziger Bischofs Karl Maria Splett als Apostolischer Administrator der Diözese Kulm und Kazimierz Śmigiel vergleicht die Haltung des polnischen und deutschen Apostolischen Administrators im Wartheland, Walenty Dymek und Hilarius Breitinger.

Einen anderen Vergleich bietet Jerzy Pietrzak, indem er die politischen und kirchenrechtlichen Grundlagen der Einsetzung Apostolischer Administratoren in den Jahren 1939 1942 in den polnischen Westdiözesen und 1945 in den Oder-Neiße-Bistümern gegenüberstellt. Darüber hinaus stellt Stefan Garsztecki das Deutschlandbild in der polnischen katholischen Publizistik in den Jahren 1956 1989 vor und Georg Strobel begründet die These, dass das, laut Strobel, ausgesprochen antideutsche Verhalten der polnischen Kirche in den Oder-Neiße-Gebieten nach 1945 in der traditionellen chauvinistischen und xenophoben Ausrichtung des polnischen Katholizismus wurzelte.

Interessanterweise beschränkt sich der Blick der Bandautoren nicht nur auf die deutsch-polnischen Fragen. Vielmehr befassen sich Dieter Grande und Rudolf Kilank, freilich in sehr kurzen Beiträgen, mit dem Umgang der katholischen Kirche, bzw. des Bischofs Heinrich Wienken mit den Sorben. Der Band wird mit dem Nachwort von Joachim Köhler „Der Dialog geht weiter“ abgeschlossen.

Dass der Sammelband kaum bahnbrechende inhaltliche Erkenntnisse vermitteln würde, war von vornherein vorauszusehen. Den Autoren ging es vielmehr darum, das bereits Erforschte festzuhalten, zu reflektieren und einer übernationalen Überprüfung zu unterziehen. Interessante Schlüsse können anhand der Darlegungen der prominenten Verfasser dennoch gezogen werden. Den wichtigsten formulierte Joachim Köhler im Nachwort. Darin heißt es: „Offensichtlich hat sich den Bischöfen in totalitären Systemen primär die Frage nach den Menschenrechten nicht gestellt. Das gilt für deutsche und polnische Oberhirten in gleicher Weise. Ihr oberhirtlicher Auftrag galt der Sicherung der Seelsorge an jenen Menschen, die ihnen anvertraut waren. Die Sorge bestimmte auch das Verhältnis zum Staat (…). Einschränkungen, die vom nationalen Interesse her gefordert wurden, wie z. B. das Verbot der Muttersprache, die sich von der Nationalsprache unterschied, wurden hingenommen, weil man ja als ‚Kirche’ überleben wollte.“ (S. 280).

Wie erwähnt, ging es den Initiatoren darum, von der oft einseitigen nationalen Optik Abstand zu nehmen und die Streitfragen der deutsch-polnischen Kirchenbeziehungen in binationaler Perspektive dialogisch zu erörtern. Gerade deswegen ist es jedoch zu bedauern, dass die während der Tagung im Anschluss an einzelne Vorträge geführten lebhaften Diskussionen nicht zumindest in Auszügen mit veröffentlicht wurden. Die Reaktionen der deutschen und polnischen Fachleute auf die Referate ihrer Kollegen würden Aufschluss geben, wie groß der Konsens bzw. Dissens bei einzelnen Fragen der deutsch-polnischen Kirchenbeziehungen ist.

Insgesamt ist jedoch das Ergebnis der Bemühungen positiv. Der Dialog zwischen deutschen und polnischen Forschern wurde wesentlich vertieft und ein Prozess der gemeinsamen vergleichenden Untersuchung des Themas eingeleitet. Erfreulich ist dabei der Befund, dass viele Beiträge die Bemühung ihrer Autoren offenbaren, von der einseitigen nationalen Sichtweise abzurücken. (Besondere Beachtung verdienen in diesem Kontext die kritischen Beiträge der beiden Herausgeber des Bandes zu Kardinal Bertram und Bischof Kaller.) Eine einseitige, die andere Seite anklagende und zugleich selbstgerechte Haltung ist nur in sehr wenigen Texten des Bandes zu erkennen. Vor dem Hintergrund des bisherigen Umgangs mit der Geschichte der deutsch-polnischer Kirchenbeziehungen sind das bedeutende Errungenschaften.

Dass der Dialog seit der Veröffentlichung des Bandes im Jahre 2001 nicht vertieft wurde, geht nicht auf das Konto der Initiatoren und Herausgeber. Es bleibt zu hoffen, dass die Initiative von Hans-Jürgen Karp und Joachim Köhler trotz der seit einigen Jahren andauernden Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen fortgesetzt und zur Aussöhnung der immer noch teilweise entfremdeten deutschen und polnischen Katholiken beitragen wird, denn „Versöhnung bedarf des Dialoges, auch des wissenschaftlichen Dialogs“ (Paul Mai im Geleitwort, S. VII).


Rezensent:
Robert Zurek

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