theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Sabine Dramm, V-Mann Gottes und der Abwehr? Dietrich Bonhoeffer und der Widerstand, Gütersloh: Gütersloher-Verlagshaus 2005, 336 Seiten, EUR 22,95, ISBN: 3-579-07117-3 ; 978-3-579-07117-6


Bisher gab es keine monographische Darstellung über Dietrich Bonhoeffers Beteiligung am Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Mit ihrem neusten Bonhoeffer-Buch will Sabine Dramm diese Lücke in der Bonhoeffer-Literatur schließen. Das Verdienst der nun vorliegenden Darstellung liegt darin, dass sie Ergebnisse der Bonhoefferforschung und der Forschung zum Widerstand zusammenführt.

Aufgrund ihrer Untersuchung kommt Dramm zu dem Ergebnis, dass Bonhoeffers Beteiligung am Widerstand nicht überschätzt werden dürfe. Der „reale Anteil Bonhoeffers an konspirativen Widerstandsaktivitäten“ falle „viel geringer aus als gemeinhin angenommen, und dieser geringe Anteil“ habe „kaum nachweisbare Resultate“ (241) gezeitigt. Obwohl Dramm an einzelnen Stellen zu anderen Einschätzungen als Eberhard Bethge kommt, bestätigt sie damit das Gesamturteil, das dieser bereits 1967 in seiner bis heute grundlegenden Bonhoeffer-Biographie ausgesprochen hat [1]. Entschieden geht sie gegen die Überhöhung Bonhoeffers und gegen Legendenbildungen vor. „Ich wollte Bonhoeffer vom Himmel der blinden Verehrung auf den Boden seines gelebten Lebens holen ... Nicht um ihn zu minimieren oder gar zu diffamieren, nicht im polemischen Sinne einer penetranten Entlarvungsliteratur, sondern um ihn mit seinem ‚imperfekten‘, seinem unvollkommenen, seinem auch widersprüchlichen Leben gerecht zu werden und ihm dadurch Respekt, mehr noch: die Hochachtung zu zollen, die ihm zukommt“ (244 f.).

An vier Beispielen sei die Tendenz, zu einer realistischen Einschätzung der Bedeutung Bonhoeffers für den Widerstand zu gelangen, verdeutlicht:

1. Das Unternehmen Sieben war eine Aktion der im Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht tätigen Verschwörer, durch die 1942 vierzehn von der Vernichtung bedrohte jüdische Menschen ins Ausland geschafft wurden. Der Hauptverantwortliche für diese Aktion war Bonhoeffers Schwager Hans von Dohnanyi. Bethges Darstellung kann den Eindruck erwecken, Bonhoeffer sei entscheidend an der Planung und Durchführung des Unternehmens beteiligt gewesen. In vereinfachender Rezeption konnte daraus z. B. die Aussage werden, Bonhoeffer habe „14 von der Deportation bedrohte Juden in die Schweiz“ [2] gebracht. Auf der Grundlage einer bereits 1993 erschienen Untersuchung zum Unternehmen Sieben [3] weist Dramm das als blinde Überhöhung zurück. Bonhoeffers Anteil habe darin bestanden, sich für die Einbeziehung Charlotte Friedenthals in die Aktion einzusetzen. Indirekt seien auch seine Schweizer Beziehungen dadurch zum Tragen gekommen, dass sich von Dohnanyi ihrer bediente (vgl. 134).

2. Im April 1942 reiste Bonhoeffer im Auftrag der Abwehr gemeinsam mit Helmuth James Graf von Moltke nach Norwegen. Als Erfolg der Reise hat man die Haftentlassung des kurz zuvor verhafteten norwegischen Erzbischofs Eivind Berggrav angesehen. Nach Dramm lässt sich das nicht belegen. Die Haftentlassung sei von Martin Bormann telegraphisch angeordnet worden, ohne dass Moltke und Bonhoeffer einen Einfluss darauf gehabt hätten [4]. Allerdings sind ihre Ausführungen zum Anlass der Reise unklar. Nach S. 146 war die Nachricht über die bevorstehende Verhaftung Berggravs der Anlass für die Entsendung Moltkes und Bonhoeffers, dagegen spricht sie S. 152 von „zeitlicher Koinzidenz“ und scheint gar keinen Zusammenhang zwischen der Verhaftung Berggravs und der Reise anzunehmen.

3. Dramm schließt sich der herrschenden Auffassung an, dass das Treffen mit Bischof Bell in Sigtuna 1942 den Höhepunkt von Bonhoeffers konspirativer Tätigkeit darstellte (vgl. 191 f. 237). Ihre Korrektur an der Darstellung dieses Treffens besteht darin, die Rolle Hans Schönfelds aufzuwerten. Schönfeld, der Leiter der Forschungsabteilung des im Aufbau befindlichen Ökumenischen Rats der Kirchen, war von Genf aus bereits vor Bonhoeffer nach Schweden gereist, um Bischof Bell zu treffen. Zu Unrecht habe man Schönfelds Rolle bei dem Treffen geringer eingeschätzt als die Bonhoeffers und nicht gewürdigt, dass er ein ebenso hohes Wagnis eingegangen sei wie dieser (188 f.). Für die in der Literatur oft kritisierte Weigerung der Alliierten, besonders der britischen Regierung, auf die Kontaktaufnahme seitens des deutschen Widerstandes zu reagieren, zeigt Dramm Verständnis. Es habe „eine besondere Art der Kommunikationsstörung“ (187) vorgelegen (vgl. auch 92 f.).

4. Unentscheidbar bleibe gegenwärtig, was Bonhoeffer von den Attentatsversuchen im März 1943 wusste. Doch die Behauptung, Bonhoeffer sei teils direkt, teils indirekt an den Attentatsversuchen beteiligt gewesen, weist Dramm als unhaltbar zurück (vgl. 224).

Die spezifische Bedeutung Bonhoeffers für den Widerstand liegt nach Dramm „in der ethischen Fundierung von Widerstand“ (241). Seine Rolle innerhalb des Widerstandskreises lasse sich „am ehesten mit intellektueller Seelsorger umschreiben“ (ebd.). Dramm verweist auf Gespräche Bonhoeffers mit Hans Oster und Hans von Dohnanyi (S. 47 f.) sowie auf einschlägige Bonhoeffertexte: auf Teile des Ethikmanuskriptes, auf das Gutachten „Staat und Kirche“ und auf den Essay „Nach zehn Jahren“, den Bonhoeffer Ende 1942 verfasste und als Weihnachtsgabe unter anderem Oster und von Dohnanyi zukommen ließ (vgl. S. 112. 157. 215-218. 241-244). Nicht wenige Widerständler in Bonhoeffers Umgebung seien gläubige Menschen gewesen. „Sie wurden seitens ihres offiziellen evangelischen Kirchentums wenig gestützt und handelten ohne dessen Legitimation. Diese Lücke konnte Bonhoeffers theologisch-seelsorgerliche Beratung schließen“ (242).

Als Zentrum der Gedanken Bonhoeffers zur ethischen Fundierung des Widerstands sieht Frau Dramm in Übereinstimmung mit anderen Interpreten die Überlegungen zum Schuldproblem an. Die Widerständler standen vor dem Dilemma, dass Schuld unvermeidlich war. Taten sie nichts, wurden sie schuldig, taten sie etwas, indem sie den Diktator durch ein Attentat beseitigten, wurden sie auch schuldig (210-212). „Wir machen uns schuldig, aber wir müssen es tun, und – wir können vor Gott mit dieser Schuld leben. ... In dieser Befreiung zur Schuld ist das proprium Bonhoeffers, ist sein spezifischer Anteil an der ethischen Fundierung des Widerstandes zu sehen.“ (243; vgl. 157) Außerdem hebt Dramm Bonhoeffers Optimismus hervor (196. 218. 242), seine im Glauben begründete Hoffnung. „Mit Hoffnung zu leben – und mit Schuld, das war von Bonhoeffer zu lernen.“ (242)

Zweifellos hat Bonhoeffer einen wichtigen Beitrag zur ethischen Fundierung des Widerstands geleistet und für sich einen Weg gefunden, die Beteiligung an der Verschwörung gegen den Nationalsozialismus theologisch zu verantworten. Das ist auch dann zuzugeben, wenn man Vorbehalte gegenüber Bonhoeffers Konzeption hat. [5] Aber war er als intellektueller Seelsorger wirklich „erfolgreich“? Konnten sich andere im Widerstandskreis seine Gedanken zu Eigen machen? Dramm scheint das anzunehmen, aber eine direkte, auf Quellen gestützte Bearbeitung dieser Fragen unterbleibt. An dieser Stelle müsste Dramms Untersuchung weitergeführt werden. Denn nur wenn Bonhoeffer als intellektueller Seelsorger „erfolgreich“ war, hatten seine Gedanken nicht nur später eine Bedeutung für das theologische Nachdenken über den Widerstand, sondern bereits damals eine über seine Person hinausgehende Bedeutung für den Widerstand.

Resümee: Das gut lesbare Buch schließt auf überzeugende Weise eine Lücke in der Bonhoefferliteratur und leistet einen wichtigen Beitrag zu einem Bonhoefferbild, das dem historisch Fassbaren besser gerecht wird und Legenden und Überhöhungen vermeidet.

[1] Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie, (München 1967), Gütersloh 82004, S. 895.

[2] Chrismon 3/2004, S. 32 (zit. Dramm, S. 267, Anm. 25).

[3] Winfried Meyer, Unternehmen Sieben. Eine Rettungsaktion für vom Holocaust Bedrohte aus dem Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht, Frankfurt a. M. 1993.

[4] Dramm stützt sich vor allem auf Freya von Moltke / Michael Balfour / Julian Frisby, Helmuth James von Moltke 1907-1945. Anwalt der Zukunft, Stuttgart 1975, S. 183 f.

[5] Bonhoeffers Gedanken zur Unvermeidlichkeit der Schuld angesichts moralischer Dilemmata müssten meines Erachtens kritischer beurteilt werden, als es normalerweise geschieht. Wenn ein bestimmtes Handeln moralisch notwendig ist, dann wird ein Mensch durch dieses Handeln moralisch nicht schuldig, und zwar auch dann nicht, wenn er ein moralisches Prinzip verletzt, das bisher ausnahmslos zu gelten schien.

Rezensent:
Michael Hüttenhoff

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