Helmut Hoping/Jan Heiner Tück (Hg.), Die anstößige Wahrheit des Glaubens. Das theologische Profil Joseph Ratzingers, Freiburg: Herder 2005, 141 Seiten, EUR 11,50, ISBN: 3-451-28914-8
Sofort nach seiner Wahl zum neuen Papst Benedikt XVI. wurde Josef Ratzinger als "Theologenpapst" bezeichnet und die Brillanz seines theologischen Denkens hervorgehoben, ohne dass sich eine breitere Öffentlichkeit ein Bild von der Eigenart seiner Theologie machen konnte. Die beiden Freiburger Theologen Helmut Hoping und Jan Heiner Tück wollen mit ihrem Bändchen diesem Mangel abhelfen und den Lesern den Theologen Joseph Ratzinger und die unverwechselbare Eigenart seiner Theologie nahe bringen. Zudem möchten sie der vorschnellen Einschätzung entgegenwirken, Ratzinger habe sich von einem progressiven Theologen zu einem erzkonservativen obersten Glaubenshüter und römischen Zentralisten gewandelt. Das Problem der „Wandlungen“, ein Kernproblem vieler Biographien öffentlich agierender Personen des 20. Jahrhunderts – man denke nur an die deutschen Politiker Herbert Wehner, Otto Schily, Joschka Fischer oder den unvergessenen Dom Helder Camara – lässt sich gewiss nur durch eine sorgfältige Einordnung der intellektuellen Entwicklung in den historischen Kontext beleuchten. In einem kleinen Bändchen wie diesem lässt es sich sicher nicht lösen – das ist aber auch nicht die Absicht der Herausgeber, die von vornherein die Kontinuitätsthese vertreten.
Das Buch ist handlich und gut zu lesen. Es bietet eine Einführung in ausgewählte Schriften Ratzingers, dann die Texte selbst zu den Themen "Kirche", "Jesus Christus", "Gott" sowie zum Dialog der Religionen und zum Verhältnis von Glaube und Vernunft. Eine Sammlung theologischer Bonmots aus dem Mund oder der Feder Ratzingers, ein Lebenslauf und eine kleine Auswahlbibliographie schließen den Band ab.
Es ist zwar die erklärte Absicht der beiden Herausgeber, dem Eindruck entgegenzuwirken, Ratzinger sei ein katholischer "Hardliner". Doch die Auswahl der Schriften und Äußerungen Ratzingers sowie die kommentierenden Einführungen vermögen diesen Eindruck nicht abzumildern. Zudem versäumen sie es, auf Ambivalenzen, Spannungen und Widersprüche in der Theologie Ratzingers aufmerksam zu machen, weil sie ihm eine Einheit und Kohärenz in seiner theologischen Arbeit unterstellen, die so nicht gegeben ist. Am Beispiel der Aussagen über die Kirche und zum Verhältnis von Glaube und Vernunft sei dies erläutert.
Der ausgewählte Text über Ursprung und Wesen der Kirche bietet zwar einen lesenswerten Überblick über die Wege und Irrwege der Bibelauslegung und Jesusforschung verschiedener Epochen, schließt aber mit der Feststellung Ratzingers, dass der Maßstab für das, was als "historisch und sachlich treu" gelten kann, die Vereinbarkeit mit der kirchlichen Tradition, dem "Grundgedächtnis" der Kirche ist. Dass nur als katholisch gelten kann, was mit dem Grundgedächtnis der Kirche vereinbar ist, ist unbestreitbar; doch kann die Tradition nicht festlegen, was historisch ist. Ein weiterer Punkt in diesem Text betrifft die besondere Betonung der Brautmetaphorik im Reden über die Kirche. Diese zeugt nicht gerade von einer besonderen Sensibilität gegenüber den Zeichen der Zeit, die die Herausgeber Ratzinger bescheinigen. Denn die Brautmetaphorik impliziert ein hierarchisches Verhältnis der Geschlechter und überträgt es in die symbolische Ordnung des christlichen Glaubens.
Dabei gibt es eine Reihe ekklesiologischer Texte, die das ekklesiologische Grundanliegen des Theologen Ratzinger deutlicher zu tage treten lassen: Texte, die das Verständnis der Kirche als Sakrament, als Zeichen und Werkzeug für die Verbindung der Menschen mit Gott und untereinander entfalten. Im Begriff der Kirche als Sakrament ist besonders der Weltbezug der Kirche, ihre Öffnung zur Welt angesprochen. So ist es charakteristisch, dass Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation dem Begriff der Kirche als Sakrament den Vorzug gab vor der Bezeichnung der Kirche als communio. Das "Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio" [1] formulierte eine harsche Kritik an der sog. Communio-Ekklesiologie. Dagegen erwecken die Herausgeber in diesem Bändchen den irreführenden Eindruck, Ratzinger sei ein Protagonist dieser von ihm kritisierten Ekklesiologie.
Mit dem Weltbezug der Kirche hängt der diakonische Aspekt der Kirche eng zusammen: der Dienst der Kirche an den Menschen gehört für Ratzinger zum Wesen der Kirche, unabhängig davon, ob diese der Kirche angehören oder nicht und unabhängig davon, ob die Kirche davon Vor- oder Nachteile hat. So unterstrich auch die erste Enzyklika Benedikts XVI. [2], die im Januar 2006 veröffentlicht wurde, deutlich diese Verpflichtung der Kirche zum Dienst am Menschen, der soziales und politisches Engagement mit einschließt. Dabei ist es bemerkenswert, dass die Diakonia als Wesensvollzug der Kirche Joseph Ratzinger viel mehr am Herzen liegt als seinem reformtheologischen Gegenspieler Hans Küng, der diesen Aspekt der Kirche in seinem bekannten Buch über die Kirche vernachlässigt, obwohl er die Öffnung der Kirche zur Welt so nachdrücklich fordert.
Dass die Herausgeber darauf verzichtet haben, lehramtliche Texte heranzuziehen, die wesentlich von Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation geprägt worden sind, ist ein Manko. Auch wenn es sich dabei um eine andere Textsorte als im Fall wissenschaftlich-theologischer Schriften handelt, gehört die Auseinandersetzung mit diesen Schriften dazu, wenn ein Einblick in das Denken des "Theologenpapstes" gegeben werden soll. Anhand solcher Texte lassen sich nämlich Spannungen zu wissenschaftlich-theologischen Aussagen Ratzingers wahrnehmen. So steht dessen Hochschätzung der Vernunft, die der Band unter Punkt IV. dokumentiert [3], in Kontrast zu dem deutlichen Traditionalismus (Fideismus), der aus dem unter Federführung Ratzingers entstandenen Dokument der Glaubenskongregation "Dominus Iesus"[4] spricht. In diesem Dokument, das ein großes Medienecho auslöste und sich nachteilig auf das ökumenische Klima in Deutschland auswirkte, werden Glaubenssätze nicht mit Hilfe der Vernunft reflektiert und begründet, sondern es wird schlicht gefordert, dass sie fest zu glauben seien. Eine weitere Spannung zwischen wissenschaftlich-theologischen Aussagen Ratzingers und von ihm mit verantworteten lehrmtlichen Texten besteht hinsichtlich des Verhältnisses von Judentum und Kirche. In dem von den Herausgebern angeführten Text gibt Ratzinger der Überzeugung Ausdruck, dass Gott den Juden als ersten Eigentümern der Heiligen Schrift eine eigene Sendung aufgetragen habe – Dominus Iesus, aber auch der von den Herausgebern ausgewählte Text über Jesus Christus, sind von einer teils latenten, teils manifesten Überbietungschristologie (erst in Jesus Christus ist das wahre Wesen Gottes erkennbar) geprägt, Dominus Iesus zusätzlich von einer Auffassung von der Heilsuniversalität der Kirche, die für den Heilsweg des Judentums keinen Platz lässt.
Für einen ersten Einstieg in das theologische Denken Ratzingers ist das Buch sicherlich geeignet. Um allerdings Skeptikern den Papst als theologischen Denker interessant zu machen oder eine wirkliche Auseinandersetzung zu führen, wäre eine Auswahl anderer theologischer Texte notwendig gewesen.
[1] Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als Communio, 28. Mai 1992, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1992 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 107)
[2] Enzyklika DEUS CARITAS EST von Papst Benedikt XVI. an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die gottgeweihten Personen und an die Christgläubigen über die christliche Liebe, 25. Dezember 2005, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2006 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 171)
[3] Noch besser geeignet wäre der brillante Essay "Der angeweifelte Wahrheitsanspruch. Die Krise des Christentums am Beginn des dritten Jahrtausends", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Januar 2000
[4] Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung DOMINUS IESUS über die Einzigkeit und Heilsuniversalität Christi und der Kirche, 6. August 2000, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2000 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 148)
Rezensentin:
Lucia Scherzberg
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