Heinzpeter Znoj und Sabine Zurschmitten (Hg.), Churches, Mission and Development in the Post-colonial Era. Christian Engagements between Holistic and Modernist Schemes of Improvement. Baden-Baden 2019. Academia, 161 S., 39.- €, ISBN: 978-3-89665-820-3

 

Einleitung

Wo liegen die Wurzeln der Entwicklungszusammenarbeit?
In welchem Zusammenhang stehen die Begriffe Mission und Entwicklung und wie können diese Begriffe in dem diversen Feld unterschiedlicher Konfessionen, Missionstheologien und Entwicklungstheorien definiert werden?
Welche Rolle spielen Christentum und Kirche in der Entwicklung, Nationwerdung und Identitätsbildung der Länder des globalen Südens?
Hat durch Mission in kolonialer und postkolonialer Zeit Entwicklung stattgefunden, und was sind gegenwärtig Ziel und Auftrag von Mission in den christlichen Konfessionen?

In „Churches, Mission and Development in the Post-colonial Era“ (2019) gehen die Herausgeber Heinzpeter Znoj und Sabine Zurschmitten der Frage nach, welche Funktion christliche Kirchen und Mission in dem vieldimensionalen Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit einnehmen. Mit englischen und deutschen Aufsätzen aus Anthropologie, Geschichtswissenschaft und Theologie wagt der Band einen Dialog der Disziplinen, in welchem anhand von Praxisbeispielen aufgezeigt wird, dass nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit und ein ganzheitliches Missionsverständnis einen komplementären Beitrag leisten können. Die AutorInnen skizzieren die mitunter konträre Landschaft der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit in der Schweiz und fokussieren sich auf Akteure der Kirchen, Missionsorden und –gesellschaften, welche als Wegbereiter und lokale Partner internationaler Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit im heutigen Kontext wissenschaftliche Beachtung verdienen, ohne sich gegenüber kritischen Anfragen der postkolonialen Studien bezüglich der Rolle der Kirchen in Kolonisation und Staatenbildung zu verschließen. Fallbeispiele aus Indonesien und Simbabwe, Interviews mit MissionarInnen sowie historische Quellenarbeit veranschaulichen, dass die Frage nach den Wurzeln der christlichen Entwicklungszusammenarbeit und ihrer Definition nicht allgemein, sondern nur in Bezug auf das Missions- und Entwicklungskonzept der jeweiligen Organisation oder Kirche beantwortet werden kann.

 

Aufbau und Inhalt

Der Einleitung der Herausgeber folgend gliedert sich der Band (161 Seiten) in drei Abschnitte aus jeweils zwei Aufsätzen. Im ersten Teil erfolgt eine theologische und sozialanthropologische Klärung des Begriffs Mission, um einerseits die konfessionellen und biblischen Bedeutungsdifferenzen aufzuzeigen, andererseits dem Leser eine Orientierung am ganzheitlichen Missionsverständnis zu bieten, welches auf Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Ökumenischen Rates der Kirchen entwickelt wurde. Der zweite Teil bietet eine geschichtliche Perspektive auf den Paradigmenwechsel in der christlichen Mission hin zu einem nachhaltigen Entwicklungsverständnis anhand zweier Beispiele, die auch die Grenzen dieses Konzepts und Abhängigkeiten von der staatlichen Entwicklungspolitik aufzeigen. Wie vielschichtig nicht nur die Vorstellungen von Mission, sondern auch Entwicklungsstrategien sind, wird im dritten Abschnitt deutlich, in dem zwei anthropologische Analysen aus Indonesien die Verstrickungen von christlichem Entwicklungsengagement, Indigenisierung der Kirchen, Interessen europäischer Spendenorganisationen und staatlicher Entwicklungspolitik aufzeigen.


Claudia Hoffmann: The Roots of Christian Motivated Development Work. A Theological Perspective

Die Baseler Theologin Claudia Hoffmann untersucht die Verwurzelung christlicher Entwicklungszusammenarbeit in der Mission. Der in der Gegenwart negativ konnotierte Begriff Mission wird häufig mit der historischen Konversion Andersgläubiger in schuldhafter Verstrickung mit der Kolonisation in Verbindung gebracht. Trotz angebrachter postkolonialer Kritik an Missionsstrategien im 19. und 20. Jahrhundert muss man würdigen, dass die diaconia, der Dienst an den Armen, schon vor dem Hinzutreten staatlicher Institutionen als konstitutives Element der Mission galt. In einer theologischen Reflexion stellt Hoffmann verschiedene biblische Missionskonzepte vor (Mt 28; Lk 4 und 24; 1Kor 9) und zeigt auf, dass der Bibel kein einheitliches Missionskonzept zugrunde liegt. Die verschiedenen biblischen Konzepte bieten den Referenzrahmen für Missionstheologien der christlichen Konfessionen, welche hier in die Kategorien römisch-katholisch, protestantisch, pentekostal und evangelikal eingeteilt werden. Am Beispiel des Missionswerkes Mission 21, seit 2001 ein Zusammenschluss verschiedener evangelischer Missionsakteure in der Schweiz, erarbeitet Hoffmann Charakteristika christlicher Entwicklungstätigkeit. Neben einem partnerschaftlichen Verhältnis stehen Eigeninitiative und –verantwortung der lokalen Partner im Vordergrund der Langzeiteinsätze in der personellen christlichen Entwicklungszusammenarbeit, welche in der Motivation durch den persönlichen Glauben begründet ist.


Maria Hughes: Notions of mission – Re-examining Protestant Missionaries’ Understandings of the Content and Purpose of Their Work in Today’s World and Their Reaching for Utopia

„Classic mission does not exist anymore“ (S. 41). Mit diesem Zitat steigt die Sozialanthropologin Maria Hughes in ihren Forschungsbeitrag über den Missionsbegriff in Verbindung zur heutigen Entwicklungszusammenarbeit ein. Die deutliche Abkehr von der traditionellen Bedeutung von Mission als Bekehrung von Nichtchristen hinterlässt eine Leerstelle, in welcher die Autorin InterviewpartnerInnen mit protestantischem Hintergrund darüber zu Wort kommen lässt, wie sie missionarische Arbeit heute definieren. Neben der Distanzierung vom Missionsverständnis als Christianisierung äußern Hughes GesprächspartnerInnen in den Interviews vermehrt die Vorstellung von Mission als Entwicklungszusammenarbeit mit einer ganzheitlichen Dimension, die nicht nur auf physische oder technische Hilfe, sondern auch auf soziale und spirituelle Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet ist. Daneben wird die Bewusstseinsbildung für Solidarität mit den Armen und für kulturelle Vielfalt betont. Maria Hughes‘ Forschungsarbeit kommt zu dem Schluss, dass sich theologisches Missionsverständnis und Entwicklungszusammenarbeit nicht eindeutig voneinander abgrenzen lassen und stützt damit die Grundthese des Bandes, dass die beiden Begriffe Mission und Entwicklung mehr Berührungspunkte haben als zunächst angenommen.


Barbara Miller: „Nachhaltige Entwicklung“ als Innovation? Diskurs der Missionsgesellschaft Bethlehem in den 1960er und 1970er Jahren

In ihrem deutschsprachigen Beitrag stellt Barbara Miller am Beispiel der Missionsgesellschaft Bethlehem (SMB) vor, wie sich aus der Missionspraxis in Simbabwe in den 1960er und 1970er Jahren ein Diskurs über Nachhaltigkeit, Ressourcenverteilung und Solidarität zwischen den Völkern entwickelt hat, bevor das Konzept nachhaltige Entwicklung 1987 im Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung thematisiert wird. Anhand der Missionszeitschrift Bethlehem (ab 1972 Wendekreis) analysiert sie die schriftlichen Mitteilungen der Missionare in Simbabwe, die in ihren Projekten vor Ort Zukunftsalternativen entgegen einer auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichteten Entwicklungspolitik aufbauen und sich in einem Richtungswechsel zunehmend an die Interessierten und Unterstützer in der Schweiz richten, um diese für die Auswirkungen ihres eigenen Konsumverhaltens und Rohstoffverbrauchs auf die Länder des globalen Südens zu sensibilisieren.


Noëmi Rui: Versuche einer alternativen Entwicklungspolitik in den 1970er Jahren. Wege der Kooperation in der ökumenischen Bewegung

Vielgenannte Leitgedanken der gegenwärtigen kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit lauten: Bewusstseinsbildung, Nachhaltigkeit, gleichberechtigte Entwicklungskooperation mit den lokalen Partnern, Aus- und Weiterbildung von lokalen Fach- und Führungskräften sowie Eigeninitiative und Ko-Finanzierung. Noëmi Rui reflektiert in ihrem Beitrag am Beispiel der Entwicklungseinheit des Ökumenischen Rates der Kirchen und der Interkerkelijke Coördinatie Commissie voor Ontwikkelingsprojecten, der Niederländischen Organisation für kirchliche Entwicklungszusammenarbeit, wie sich in den 1960er und 1970er Jahren aus der Kritik am traditionellen christlichen Missionsverständnis der Wandel zur kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit vollzogen hat. Eine hierarchisch geprägte Geber-Empfänger-Mentalität wurde abgelöst durch die zunehmende Konzentration auf die lokale Realität und die Bedürfnisse der Menschen, welche in gemeinsam formulierten Entwicklungskonzepten ihren Ausdruck findet. Anhand von zwei konkreten Projekten in Indonesien – dem Aufbau eines nationalen Development Centres und dem Dorfentwicklungsprogramm durch lokale Motivatoren – erläutert Rui die Chancen dieses bedürfnisorientierten Ansatzes. Jedoch wird auch deutlich, dass eine gleichberechtigte Kooperation aller Akteure ein Lernprozess ist, welcher von der Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung und Regierung sowie der Schwierigkeit, das Machtgefälle zwischen finanzierenden und ausführenden Organisationen zu überwinden, beeinflusst wird.


Sabine Zurschmitten: Regulating Succession: The Challenge to secure the Future of longterm Catholic Development Cooperation in Western Flores, Eastern Indonesia

Wie vollziehen sich die Übergabe und Nachfolge eines kirchlichen Entwicklungsprojektes, welches über 40 Jahre von einem Missionar geleitet wurde und in welchem die Interessen der lokalen Bevölkerung, der Diözese, der politischen Führung, der Spenderorganisationen sowie der Missionsgesellschaft aufeinander treffen? Sabine Zurschmitten greift in ihrer ethnographischen Studie über die Rolle der Steyler Missionare auf der Insel Flores die These dieses Bandes - dass Entwicklungsparadigmen aus kirchlichem missionarischem Engagement entstanden sind – auf und zeigt Schwierigkeiten und Grenzen dieser Verbindung zwischen Mission und Entwicklung auf. Am Beispiel des Steyler Missionars Father Armin würdigt Zurschmitten die Notwendigkeit und Wirkmächtigkeit missionarischen Engagements in abgelegenen Gebieten Indonesiens im 20. Jahrhundert, wo die Kolonialregierung und später der Staat nicht tätig geworden sind. Missionarische Langzeiteinsätze führen häufig zu Ortskenntnissen und einer Vertrauensbasis zu der lokalen Bevölkerung, wodurch die MissionarInnen gefragte lokale Partner für Geldgeber aus dem Ausland werden. Die Schwierigkeiten dieser Doppelrolle als Geldgeber und Empfänger sowie die Zusammenarbeit mit der durch die Indigenisierung des Klerus geprägten Diözese, der auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichteten Regierung und internationalen Entwicklungsorganisationen führen zu komplizierten Prozessen, wenn der Missionar das Patronat über die Projekte abgeben und eine Nachfolge organisieren möchte: Wer bekommt eine Leitungsposition? Inwieweit dürfen der Bischof, internationale Geldgeber und der Unterstützerkreis aus der Schweiz mitentscheiden, wie die Gelder zukünftig verwendet werden? Wer besitzt das Land, welches dem Missionar für die Projekte von den Clan-Ältesten zur Verfügung gestellt wurden? Wie kann eine nachhaltige Weiterführung der Projekte gewährleistet werden, die die lokale Bevölkerung unterstützt und die gleichzeitig den Vorgaben internationaler Entwicklungszusammenarbeit gerecht wird?


Cypri Jehan Paju Dale: Catholicism, Development Ideology, and the Politics of (De)colonization in West Papua

Cyprianus Dale untersucht die Rolle der Katholischen Kirche in der politischen Entwicklung Westpapuas: Westpapua gehört zu der Republik Indonesien, während die Osthälfte der Insel den autonomen Staat Papua-Neuguinea bildet. Die ehemalige niederländische Kolonie Westpapua wurde 1962 entgegen der Forderung der indigenen Bevölkerung nach einem eigenständigen Staat der indonesischen Regierung unterstellt. Die indigenen Katholiken werfen ihrer Kirche vor, das Entwicklungsprogramm der niederländischen und indonesischen Regierungen zu unterstützen, welches mit einer Zivilisierung der indigenen Bevölkerung einhergeht. Die Bevölkerung fordert die politische Anerkennung und Unabhängigkeit Westpapuas entgegen dem Transmigrationsprogramm der indonesischen Regierung, welches auch die Katholische Kirche mit der Einsetzung indonesischer Bischöfe betrifft. Dales Fazit lautet, dass die Kirche eine wesentliche Rolle in der Formierung des indonesischen Staates in Westpapua gespielt hat, einer Entwicklungsideologie folgend, die die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern soll, ohne auf deren Selbstverständnis, die eigenen Traditionen und Wünsche einzugehen. Eindringlich beschreibt er Protestaktionen der indigenen Gläubigen, die als Basis der Katholischen Kirche in West Papua von den kirchlichen Autoritäten gehört werden möchten. In dieser sozialanthropologischen Analyse des katholischen Milieus in Westpapua formuliert Cyprianus Dale den Auftrag, das Zusammenspiel von Nationalität, Ethnizität und politischer Ideologie in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit zu überdenken und als Weltkirche im befreiungstheologischen Sinn Solidarität zu üben mit den Gläubigen, die sich in der kirchlichen Hierarchie nicht repräsentiert sehen.

 

Fazit

Der Band „Churches, Mission and Development in the Post-colonial Era“, veröffentlicht 2019 als Sonderausgabe in der Reihe ANTHROPOS, bietet Diskussionsstoff für Anthropologen, Geschichtswissenschaftler und Theologen, die sich keine einfachen Antworten in Bezug auf die Verflechtung der Interessen christlicher Religionsgemeinschaften, der Politik und Hilfsorganisationen in der globalisierten Welt erwarten. Die anfängliche Frage, wo die Wurzeln der heutigen kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit liegen und in welchen Bedeutungszusammenhängen die Begriffe Mission und Entwicklung in postkolonialer Zeit interagieren, wird aus historischer, sozialanthropologischer und theologischer Sicht beantwortet mit dem Verweis auf Schwierigkeiten und begrüßenswerte Entwicklungen. Die ökumenische Perspektive zeigt die Vielfalt der Missions- und Entwicklungskonzepte in den christlichen Konfessionen auf, jedoch kann man aus theologischer Warte den Verweis auf die päpstliche Enzyklika Laudato Si (2015) ergänzen, in welcher der Begriff ganzheitliche Entwicklung, ausgehend vom Individuum, in seiner Dringlichkeit auf ökologische, sozialpolitische und ethische Krisen zu reagieren, reflektiert wird.


Den Leser erwartet ein Einblick in das Ringen protestantischer, pentekostaler, katholischer und evangelikaler Christen um ein zeitgemäßes Missionsverständnis, das einer nachhaltigen Entwicklung dient, ohne die Frage auszuklammern, ob die Begriffe Entwicklung und Mission Ziele und Motivation der jeweiligen Beteiligten hinreichend auszudrücken vermögen: Einzutreten in ein Beziehungsgeschehen mit den Menschen der Weltgemeinschaft und dem Schöpfer, das geprägt ist von Solidarität mit den Armen, Sensibilität für kulturelle Diversität und einem Verantwortungsgefühl füreinander und gegenüber der Natur.

 

Zur Rezensentin:

Friederike Dillenseger, Dipl.-Theol., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Weltkirche und Mission (IWM) an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt am Main. Sie ist dort verantwortlich für den Forschungsbereich Missionsgeschichte.



Refbacks

  • Im Moment gibt es keine Refbacks




Tübingen Open Journals - Datenschutz