Horst Junginger
Religionswissenschaft und Nationalsozialismus
(Abstract des Referats auf der Fachtagung „Theologie und Vergangenheitsbewältigung II. Französischer Katholizismus - deutscher Protestantismus 1930-1950“ vom 12. bis 14. Januar 2007)
Die Religionswissenschaft in Deutschland gehört zu den Universitätsdisziplinen, die in der Zeit des Nationalsozialismus einen beträchtlichen Aufschwung genommen haben. Während des Dritten Reiches wurde eine ganze Reihe von religionswissenschaftlichen Lehrstellen neu geschaffen oder es wurden bei anderen Fächern neue religionsgeschichtliche Schwerpunkte hinzugefügt. Insbesondere erfuhr die Religion der Germanen und der so genannten Indogermanen bzw. Arier eine starke Aufmerksamkeit, etwa in der Germanistik, der Volkskunde oder der Indologie. Hatte sich die Ausdifferenzierung der akademischen Religionswissenschaft in der Weimarer Republik unter den Bedingungen einer säkularer werdenden Gesellschaft und in Abgrenzung von den beiden Kirchen vollzogen, kam es nach 1933 zu einer neuen Hinwendung zum Religiösen, d.h. zu einer religionsaffirmativen Programmatik, deren religiöse Bezüge sich allerdings verändert hatten. Auf dieser eher zivil- als traditionell religiösen Grundlage hofften viele Religionswissenschaftler darauf, ihre akademische Außenseiterposition verlassen zu können, um sich im Dritten Reich auf neue Weise als Religionsexperten zu profilieren. Die allgemeine Auffassung, dass der NS-Staat und seine Weltanschauung religiös begründet sein sollten, hatte für die meisten von ihnen aber nur eine abstrakte Bedeutung. Nur ganz wenige gingen darüber hinaus und beteiligten sich an den religiösen Neugründungen, die das Christentum durch einen indogermanischen oder Deutschen Glauben ersetzen wollten. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Tübinger Indologe und Religionshistoriker Jakob Wilhelm Hauer, der im Juli 1933 zum Führer der Deutschen Glaubensbewegung ausgerufen wurde.
Der Aufschwung einer theologie- und kirchenunabhängigen Religionsforschung setzte im Dritten Reich allerdings erst mit einigen Jahren Verspätung ein, denn die religionspolitischen Verhältnisse waren zunächst durch eine deutliche Annäherung von Staat und Kirche geprägt. Davon profitierten in erster Linie die Deutschen Christen. Bernhard Rust und v.a. Eugen Mattiat, einer seiner engsten Mitarbeiter und Hauptreferent für die Geisteswissenschaften im Reichserziehungsministerium, taten ihr Möglichstes, um deutschchristlichen den Vorrang vor deutschgläubigen Interessen zu geben. Diese Situation änderte sich erst in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre, als parallel zu der in die Wege geleiteten Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens der Einfluss kirchenfeindlicher Kräfte an den Universitäten zunahm. Von Martin Bormann ist bekannt, dass er als Leiter der Reichskanzlei den Abbau theologischer Fakultäten betrieb, deren Stellen er zum Teil in religionswissenschaftliche Professuren umwandeln wollte. Sowohl dem Amt Rosenberg als auch dem Ahnenerbe der SS gelang es 1942, mit eigenen religionswissenschaftlichen Professuren an der Universität Halle (Wilhelm Brachmann) und Straßburg (Otto Huth) Fuß zu fassen. Auch wenn entgegen einer weit verbreiteten Annahme die Religionsforschung dieser beiden Institutionen nicht dazu diente, eine neue heidnische Gegenkirche zu schaffen, war ihre antikirchliche Frontstellung doch unübersehbar.
Der antikatholische Impuls, der die Geschichte der deutschen Religionswissenschaft von Beginn an auszeichnete, stieß im Nationalsozialismus auf ausgesprochen günstige Entwicklungsbedingungen. Gerade für solche Religionswissenschaftler, die dem Umfeld des liberalen Protestantismus entstammten, lag es nahe, sich über die Kritik am katholischen Dogmatismus neu ins Spiel zu bringen. Die Urmonotheismus-Theorie Wilhelm Schmidts bot einen solchen Referenzpunkt für die innerfachlichen Debatten der damaligen Zeit. Allzu lange hat man in der Religionswissenschaft übersehen, dass es neben einer liberalprotestantischen auch eine katholische Variante theologischer Religionswissenschaft gab, die in ihrer institutionalisierten Form an den beiden Professuren von Friedrich Andres und Johann Peter Steffes in Bonn und Münster erkennbar ist. Weder vor noch nach 1945 wurde freilich daran gedacht, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser beiden Positionen auf dem Hintergrund der allgemeinen politischen Entwicklung kritisch zu reflektieren.
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