Magnus Striet, Rita Werden (Hgg.), Unheilige Theologie! Analysen angesichts sexueller Gewalt gegen Minderjährige durch Priester (Katholizismus im Umbruch 9), Freiburg i.Br. 2019, Herder-Verlag, 200 S., 20.- €, ISBN: 978-3-451-38509-5.


Seit einigen Jahren hält der Missbrauchsskandal die katholische Kirche weltweit in Atem. In Deutschland verlieh Klaus Mertes 2010 mit seinem offenen Brief der Debatte Schwung, die mit der Veröffentlichung der MHG-Studie 2018 und der anschließenden Einrichtung des Synodalen Weges ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Zahlreiche theologische Beiträge begleiten diese Auseinandersetzungen.[1]

In diesen Kontext ist auch der vorliegende Band von Magnus Striet und Rita Werden einzuordnen, der Ergebnisse eines interdisziplinären Fachsymposiums im März 2017 und weitere Reflexionen bis zum Stichtag 6. November 2018 beinhaltet. Mit Blick auf die MHG-Studie und den Bericht aus Pennsylvania halten Striet und Werden im Vorwort unmissverständlich fest, dass es sich bei Missbrauchstaten im Raum der katholischen Kirche nicht nur um Einzelfälle handeln könne, sondern auch systemische Ursachen zu analysieren seien.

Dem „soziale[n] System“ (10; 15) „Kirche“ ist der erste Beitrag des Bandes gewidmet: „Sexueller Missbrauch im Raum der Katholischen Kirche. Versuch einer Ursachenforschung“ (15-40). Darin fragt Magnus Striet, ob nicht ein „historisch gewordenes systemisches Bewusstsein“ oder gar „theologische Denkfiguren im Raum der Kirche missbrauchsbegünstigend, weil systemstabilisierend gewirkt haben könnten.“ (18) Er setzt zunächst drei Schlaglichter: „Antimodernismus“ (19-24), „[v]erweigerte Selbstaufklärung“ (24-29), „Priesterbild“ (29-33) und wirft damit unter der formalen Perspektive „Identität“ Themen auf, die sich wie ein roter Faden durch den Band ziehen und materialiter in den sich anschließenden Beiträgen entfaltet werden. Er sieht die Vertuschung von Missbrauch als antimodernistische Identitätsstrategie, die sich der Vorstellung einer heiligen Institution und eines idealisierten Priesterbildes bediene und damit die insbesondere von der Französischen Revolution beförderte „Freiheitsmoderne“ (20) im Keim zu ersticken suche. Ein „nüchternes Sprechen“ (31) über menschliche Unzulänglichkeit und Sexualität bedrohten diese Konstruktion und würden deshalb unterbunden.

Im Abschnitt „Sünder oder Opfer?“ (34-40) wirft Striet die originelle Frage auf, ob Missbrauch auch durch eine augustinisch-pessimistische Anthropologie begünstigt werde, die Kinder immer schon als kleine Sünder*innen kennzeichne. Insbesondere durch die Verquickung von Erstkommunion und Beichte werde ein Raum geschaffen, in dem Priester und Kind sich sehr intim und nahe begegneten. Diesen Zusammenhang und andere theologische Überlegungen, die zu einem gefährlichen „Habitus im Kirchensystem“ (40) beitrügen, müsse die Kirche immer wieder kritisch reflektieren. Subtile theologische Differenzierungen seien danach zu befragen, ob sie überhaupt in diesem System Wirkung zeigten, und es gelte, in der Stimme der Betroffenen einen theologischen Ort zu entdecken.

 

Einen methodisch originellen Beitrag liefert Rita Werden unter der Überschrift „Systemische Vertuschung. Zur Rede von Scham in den Stellungnahmen von Bischöfen im Kontext der Veröffentlichung der MHG-Studie“ (41-77). Das Hervorhebenswerte ihres Beitrags besteht darin, dass sie der Analyse des Diskurses einen breiten Raum bietet. Sie konstatiert ein „Missverhältnis zwischen dem von den Bischöfen geäußerten Bedauern und der Erschütterung einerseits und ihrem Schweigen über den persönlichen Anteil, mögliches eigenes Fehlverhalten andererseits“ (42).

Werden schickt ihrer Untersuchung eine Unterscheidung von Scham- und Schuldkultur voraus: Während Scham ein Phänomen sei, bei dem Gruppeninteressen im Vordergrund stünden und die Funktionalität eines Kollektivs gesichert werde (etwa durch die Verweigerung von Anerkennung als Exklusionsmechanismus), werde beim Thema „Schuld“ die Autonomie der*s Einzelnen und damit auch die Verantwortung für die eigenen Taten unterstrichen.

Viele bischöfliche Äußerungen, so Werdens Beobachtung, ließen sich als schamkulturell identifizieren: Durch „Deagentivierung“ (53), Passivformulierungen und „Ausflüchte ins Theologisch-Anthropologische“ (53) diffundiere Verantwortung. Die Bischöfe schämten sich für ein System, dem die Schuld vage zugeordnet werde. Die konkret Verantwortlichen würden jedoch – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht benannt.

Im Abschnitt „Frage nach den Ursachen und die Krise einer Selbstlegitimation“ (61-71) setzt Werden sich mit missbrauchsbegünstigenden theologischen Denkfiguren auseinander. Sie identifiziert insbesondere in Beiträgen von Gerhard Ludwig Müller und Joseph Ratzinger die Strategie, theologische Diskurse mit Autoritätsargumenten zu unterbinden. Andere Meinungen, besonders in moralischen Fragen, erschienen so als Angriff auf Wahrheit und Heiligkeit der Kirche und nicht als legitime Denkoption. Demgegenüber gibt Werden zu bedenken, dass Theologie „menschenerdacht“ (73) sei und Macht „in der Kirche eine theologische Legitimation [hat]. Sonst hat sie keine.“ (74) Diskursanalyse und theologische Kritik weisen hier den Weg zur Überwindung einer schamkulturellen und missbrauchsanfälligen „institutionelle[n] Raison“ (76) zugunsten einer Schuldkultur, die Tat und Täter klar benennt.

 

Einen sehr pointierten Aufsatz liefert Georg Essen, der sich aus historischer und systematischer Perspektive mit dem Priesteramt beschäftigt und somit ein Hauptthema des vorliegenden Bandes bespielt. Unter dem Titel „Das kirchliche Amt zwischen Sakralisierung und Auratisierung. Dogmatische Überlegungen zu unheilvollen Verquickungen“ (78-105) geht er der Frage nach, inwiefern ein bestimmtes Priesterbild Missbrauch begünstigt. Zunächst grenzt er zu diesem Zweck die „Sakralisierung des Priesters“ (82) im Laufe der Geschichte von „Charisma“ im Weberschen Sinne ab: Die „Aura der Heiligkeit“ (82) besitze der Priester durch seine Weihe, sie müsse sich nicht unter Beweis stellen. Dazu trügen maßgeblich die Vorstellung des character indelebilis der Weihe und die ex opere operato-Lehre bei.

Anschließend nimmt Essen das Zu- bzw. Auseinander von Priester und Gemeinde historisch in den Blick (84-90). Dabei stellt er fest, dass der Gedanke der Eucharistie als gemeinschaftlicher Feier sich immer mehr auf den Priester als zentralen Akteur verengt habe, der nun eine Mittlerfunktion übernehme, die „mit der Forderung nach kultischer Reinheit“ (86) einhergehe. Da insbesondere sexuelle Praktiken als bedrohlich für diese Reinheit gegolten hätten, sei die Einführung des priesterlichen Zölibats nur konsequent.

Dass diese archaischen Gedanken nach wie vor in der Kirche präsent seien, habe Benedikt XVI. unter Beweis gestellt. Besonders die mit Zitaten des Pfarrers v. Ars flankierte Ausrufung des Priesterjahres 2009 lasse sich in diesen Traditionsstrang einordnen: „Es ist ein Priesterbild der Gegenwelt, das hier von päpstlicher Seite stilisiert wird“ (91). Diese Vorstellung, so Essen, trage maßgeblich zur toxischen Mischung aus negativ konnotierter, verdrängter Sexualität und pathologischer Selbstaufgabe bei. Als Gegengift schlägt er eine Rückbesinnung auf das Zweite Vatikanum und den „dort zaghaft begonnene[n] Weg einer Desakralisierung des Presbyterdienstes“ (102) vor, insbesondere im liturgischen Bereich.

 

Einen etwas anderen, aber nicht weniger bedeutsamen Fokus setzt Stephan Goertz: „Sexueller Missbrauch und katholische Sexualmoral. Mutmaßliche Zusammenhänge“ (106-139) Dabei stellt er eine kontrastreiche Diskussionslandschaft dar: Während die einen (Joseph Ratzinger beispielsweise) meinten, man müsse die geltenden Normen zur Sexualmoral noch stärker und offensiver einschärfen, sähen die anderen in ebendiesen Normen einen erheblichen Risikofaktor. Wie genau die Sexualmoral der Kirche zum Missbrauch beitragen könne, zeigt Goertz anhand dreier Themenfelder.

Als erstes nimmt er die Tabuisierung von Sexualität in den Blick, die sich auf Augustins Skepsis gegenüber der Lust zurückführen lasse. Ausführlicher widmet Goertz sich zweitens dem vermeintlichen „Risikofaktor Homosexualität“ (121-128). Er widerspricht der These, dass insbesondere homosexuelle Priester für den Missbrauch in der Kirche verantwortlich seien. Das eigentliche Problem bestehe vielmehr, so Goertz‘ Erwiderung, in der Nichtannahme der eigenen sexuellen Identität. Gepaart mit systemischen Anreizen und Möglichkeiten zur Verheimlichung werde das Priesteramt aufgrund dieser beiden Faktoren attraktiv für Personen mit ungeklärter Sexualität – ein erheblicher Risikofaktor.

Drittens gebe es, so Goertz abschließend, keine angemessenen moraltheologischen und kirchenrechtlichen Begrifflichkeiten, die die „[s]exuelle Selbstbestimmung anerkennen“ (128-136). Unter den „Sünden gegen das sechste Gebot“ würden im Kirchenrecht (c. 1395) ganz disparate Phänomene zusammengefasst und – bis heute – gälten als schützenswerte (Rechts-)Güter beispielsweise der priesterliche Zölibat oder die Keuschheit und nicht das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen. In Kontrast dazu erinnert Goertz an Gaudium et spes und Familiaris consortio, die die systematische Grundlage lieferten, Missbrauch als „Widerspruch zum Personsein der Betroffenen“ (131) zu klassifizieren. Ein entsprechender Reflexionsprozess unter Einbezug von Laien sei demnach dringend notwendig und sogar aus moralischer Sicht geboten.

 

Gunda Werner schließt mit einem sozialwissenschaftlich und historisch abgesicherten Beitrag an: „Bildung und Kontrolle. Historische Rückführung des Narrativs eines ‚gesunden‘ Sündenbewusstseins in exemplarischen lehramtlichen Verlautbarungen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil“ (140-174). Mit Foucault stellt sie dar, wie Subjekte gleichzeitig gebildet, unterworfen und – insbesondere durch die Ohrenbeichte – in die Machstrukturen der Kirche eingebunden würden.

Beginnend mit der Verinnerlichung des Sündenbewusstseins seit Abaelard und der Zurückdrängung der öffentlichen Buße zugunsten der Ohrenbeichte gelange der Priester dank seines intimen Wissens über jedes einzelne Mitglied der Gemeinde in eine erhebliche Machtposition. Die neuzeitliche Wende zum autonomen Subjekt gehe dabei zunächst mit einer Loslösung von der „alles normierenden Heilsanstalt der Kirche“ (152) einher. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert setze jedoch aufgrund der Verbindung von Eucharistie und Beichte eine machterhaltende Gegenbewegung ein. Die Verknüpfung von Erstkommunion und Erstbeichte schließlich schaffe eine fatale Abhängigkeit der Subjekte und damit einen „Nährboden übergriffiger bis sexualisierter Gewalt-Handlungen“ (155).

„Macht“ versteht Werner in diesem Kontext (angelehnt an Foucault) disziplinierend, hierarchisch strukturiert, aber gleichzeitig unsichtbar: Es reiche aus, wenn die Einzelnen sich überwacht fühlten (vgl. Benthams Panopticon), um sich selbst zu überwachen. Diese „fiktive Beziehung“ (163) führe zu einer Entsolidarisierung bei parallel stattfindender Gleichschaltung. In den letzten Jahren lasse sich zwar ein Rückgang der Beichtpraxis feststellen, dieser gehe jedoch mit einem Beharren des Lehramts auf dem „Sündenbewusstsein“ (166) der Gläubigen einher. Erst mit Evangelii Gaudium zeichne sich eine Änderung in dieser Frage ab.

 

Hubertus Lutterbachs historischer Beitrag „Die Kultische Reinheit – Bedingung der Möglichkeit für sexuelle Gewalt von Klerikern gegenüber Kindern?“ (175-195) rundet den vorliegenden Sammelband ab. Seine Grundthese lautet: Das Ideal kultischer Reinheit verbinde Mönche bzw. Priester und Kinder auf eine exklusive Art und Weise. In dieser Gemeinsamkeit liege ein begünstigender Faktor für sexuellen Missbrauch.

Lutterbach erklärt, dass die alttestamentliche Vorstellung einer „kultische[n] Befleckung“ (im Gegensatz zur „Sünde als ethisch-gesinnungsorientierter Verstoß“ (176)) im 6. Jahrhundert eine Renaissance erlebe. Zudem formierten sich ab dem 4. Jahrhundert spirituell-elitäre Gruppierungen in Ägypten und Syrien, die sich später in Klöstern zusammenschlossen. Im Frühmittelalter prägten diese Bewegungen auch den restlichen Klerus. Auf dieser Grundlage entwickele sich im Laufe des Mittelalters das Ideal des „senex puer“ (181), des kindlichen Mannes. Dieses Vorbild lasse sich dadurch plausibilisieren, dass Kinder ihre (genitale) Sexualität noch nicht ausleben und deshalb als in besonderem Maße kultisch rein gelten konnten. In zahlreichen Quellen werde diese Idealisierung greifbar (Lutterbach nennt zum Beispiel „Kinderlektoren“ (183)). Später seien weitere Bräuche hinzugekommen und noch im 19. Jahrhundert könne, etwa in Beuron, eine „kinderorientierte[] Mönchsspiritualität“ (190) nachgewiesen werden. Erst das Zweite Vatikanum breche mit diesen Vorstellungen, indem es in Lumen Gentium 32 auf der „neutestamentlich verwurzelten, gemeinsamen Gotteskindschaft aller Getauften“ (191) beharre.

Das Kinder und Mönche/Priester verbindende Ideal kultischer Reinheit habe, so Lutterbachs Fazit, einen „exklusiven sozialen Raum“ (193) konstituiert, in dem es gerade im Bereich der Sexualität an Kontrolle gemangelt habe. Entsprechend brauche es für eine wirksame Aufarbeitung des Missbrauchsskandals Expert*innen, die vom „Ideal der kultischen Reinheit unberührt sind.“ (195)

 

Der vorliegende Band behandelt, wie deutlich geworden sein sollte, ein theologisch höchst spannendes und akutes Themenfeld. Dabei ist besonders bemerkenswert, dass die zu Beginn ausgespannten roten Fäden – trotz unterschiedlicher Herangehensweisen – immer wieder aufblitzen: Themen wie kirchliche Identität und Antimodernismus, ein sakralisiertes Priesterbild und der exklusive Begegnungsraum von Kindern und Priestern finden sich in fast jedem Artikel wieder. Die ein oder andere Redundanz ließ sich dabei wohl nicht vermeiden.

Begrüßenswert und wichtig ist ebenso das Anliegen des Bandes, interdisziplinär vorzugehen. Welchen Mehrwehrt eine ausführliche Beschäftigung mit den nichttheologischen Wissenschaften hat, stellt Gunda Werner in ihrer Auseinandersetzung mit Michel Foucault unter Beweis. Ähnlich ertragreich wäre es gewesen, auch den Begriff des Habitus, der mehrfach auftaucht (so bspw. bei Striet, 25; 40 und Essen, 84; 105), philosophisch oder sozialwissenschaftlich (in Anlehnung an Pierre Bourdieu beispielsweise) weiter zu entfalten. Gerade für das so zentrale Thema Priesterbild bzw. –ideal wäre zudem eine Auseinandersetzung mit aktuelleren psychologischen Theorien – oder gar ein eigener Beitrag aus psychologischer Sicht – wünschenswert gewesen. Gleiches gilt für den Themenkomplex Macht und Liturgie.

Noch wichtiger als diese thematischen Ergänzungen wäre m.E. jedoch ein anderer Punkt. Striet schreibt selbst, wie unabdingbar es sei, den Betroffenen zuzuhören (vgl. 40). Wieso, so lässt sich kritisch rückfragen, wurde diese Perspektive dann nicht einbezogen? Doris Wagners eindrückliche Monographie: Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Freiburg i.Br. 2019 wird zwar erwähnt (17), ein entsprechender Beitrag fehlt allerdings.

Eine große Herausforderung des Themas insgesamt ist die Vieldeutigkeit der verwandten Begriffe. Dies gilt für „Missbrauch“ selbst, womit ganz unterschiedliche Taten gemeint sein können (geistlich, körperlich, sexuell) und „Betroffene“ bzw. „Opfer“ (sind nur Kinder und Jugendliche oder auch Erwachsene einzubeziehen?). Potenziert wird diese Schwierigkeit durch die Parallelisierung von Missbrauch und Vertuschung: Dabei handelt es sich um zwei nahe beieinanderliegende Phänomene, die nicht zu trennen sind, aber unterschieden werden müssen. Sicher gibt es Faktoren, die beides befördern, bei anderen Themen wäre m.E. jedoch eine Differenzierung heuristisch sinnvoll. Eine bestimmte Ekklesiologie z.B. erschwert sicherlich die Aufklärung von Missbrauchstaten, aber ob sie diese auch selbst befördert, scheint fraglich.

Am Ende der einzelnen Beiträge werden praktische Konsequenzen besprochen; etwa der Bruch mit „jener verhängnisvollen Tradition einer sazerdotalen Sonderrolle des Weihepriesters“ (Essen, 104), die Entprivatisierung der Beichte (Werner) und die Aufarbeitung der Taten durch Laien bzw. die Etablierung einer „laikalen Rechtskultur“ (Lutterbach, 195). Hier tauchen zwei Probleme auf: Zum einen ist es nicht immer klar, wie diese Vorschläge mit den im Artikel besprochenen Themen zusammenhängen. Inwiefern können etwa der Vorschlag der Etablierung von Verwaltungsgerichten und die Forderung nach einem Einbezug von Laien– so sehr diese Impulse zu begrüßen sind! – Ergebnisse einer historischen Studie zum kultischen Reinheitsideal von Klerikern und Kindern sein? Zum anderen bleiben die Vorschläge vage: Wie genau lassen sich Betroffene (institutionell) in die Aufarbeitung und Prävention einbeziehen? Und wie sähe eine Wiederbelebung des öffentlichen Aspekts der Buße aus? Gerade in Zeiten von omnipräsenten social media ist es essenziell, geschützte Räume zu schaffen, in denen Menschen ihr Scheitern ohne Angst vor Stigmatisierung thematisieren können. Wie dabei gleichzeitig Missbrauch verhindert werden kann, bedarf weiterer ausführlicher Debatten.

Dass diese und andere Fragen offengelassen werden, spricht nicht gegen den vorliegenden Band. Im Gegenteil, damit erfüllt er seine Aufgabe im Rahmen einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem komplexen Phänomen in den Grenzen zweier Buchdeckel: Er liefert kreative Impulse, weist in präventiver Absicht auf bleibende Probleme hin und regt zu weiterem Nachdenken und Forschen an. Magnus Striet und Rita Werden ist es hier gelungen, ein Werk herauszugeben, das nicht nur interessante Einsichten für Forscher*innen bietet, sondern auch für pastoral Mitarbeitende ein kritischer Begleiter sein kann.

 

[1] Man denke insbesondere an die erschienenen Sammelwerke. Um nur drei wichtige aus dem deutschsprachigen Raum zu nennen: Godehard Brüntrup/Christian Herwartz/Hermann Kügler (Hg.), Unheilige Macht. Der Jesuitenorden und die Missbrauchskrise, Stuttgart 2013; Matthias Remenyi/Thomas Schärtl (Hg.), Nicht ausweichen. Theologie angesichts der Missbrauchskrise, Regensburg 2019; Konrad Hilpert/Stephan Leimgruber/Jochen Sautermeister/Gunda Werner (Hg.), Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Raum von Kirche. Analysen – Bilanzierungen – Perspektiven, Freiburg i.Br. 2020 (Quaestiones disputatae 309).

 

Zum Rezensenten:

Martin Höhl, seit 2018 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Moraltheologie, Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen/Frankfurt am Main.

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