Franz-Heinrich Beyer, Eine Theologen-Existenz im Wandel der Staatsformen. Helmuth Schreiner. 1931-1937 Universitätsprofessor in Rostock, Leipzig 2019, Evangelische Verlagsanstalt, 184 S., 28,00.- €, ISBN 978-3-374-06054-2.


Franz-Heinrich Beyer, Professor emeritus für Praktische Theologie (Religionspädagogik), verfasste diese Monographie als Beitrag zum 600jährigen Jubiläum der Universität Rostock. Das Buch bietet einen Gesamtüberblick über Helmuth Schreiners (1893-1962) Leben und Werk. Den Schwerpunkt des Buches bildet das vierte Kapitel, das Schreiners Wirken als Professor für Praktische Theologie in Rostock (1931-1937) darstellt (S. 67-132). Da Beyer Schreiners Wirken im Kontext der Theologischen Fakultät behandelt, bietet das Buch auch einen Überblick über die Geschichte der Fakultät in den 1930er Jahren. Für diese Zeit konnte Beyer auf bisher nicht zugängliches Archivmaterial zurückgreifen.

Im 1. Kapitel des Buches blickt Beyer auf zwei Ereignisse, in die Schreiner auf unterschiedliche Weise verwickelt war: den Widerstand gegen die Berufung Günther Dehns auf die Professur für Praktische Theologie nach Heidelberg und den Blasphemieprozess gegen George Grosz wegen seines Bühnenbilds für Der brave Soldat Schwejk. In diesem Prozess trat Schreiner als Gutachter auf. Er warf Grosz vor, seine Bilder seien geeignet, „das religiöse Gefühl der Christen und die Einrichtungen der Kirche aufs tiefste“ zu verletzen „und dadurch eine Schädigung der Volksgemeinschaft heraufzuführen“ (zit. S. 18). Da Dehn schließlich auf die Professur in Heidelberg verzichtete und an seiner Stelle der Rostocker Praktische Theologe Renatus Hupfeld berufen wurde, konnte Schreiner in Rostock die Nachfolge Hupfelds antreten.

Nachdem Beyer durch die beiden Schlaglichter Interesse an der Person Schreiners geweckt hat, bietet er eine chronologische Darstellung seines Lebens und Werkes. Das 2. Kapitel befasst sich mit der Zeit bis zu Schreiners Berufung nach Rostock. Nach seinem Theologiestudium in Halle, Berlin und Bonn (1911-1914) meldete sich Schreiner freiwillig zum Kriegsdienst. „Der Einsatz für Volk und Vaterland war und bleibt ihm etwas Selbstverständliches.“ (S. 20 f.) Nach dem Zweiten Theologischen Examen (1920) schrieb sich Schreiner für zwei Semester in der Philosophischen Fakultät in Erlangen ein, wo er aufgrund einer Dissertation über den Glaubensbegriff bei Friedrich Heinrich Jacobi promoviert wurde. Vermutlich war es Schreiners Wingolf-Freund Carl Gunther Schweitzer, der ihn dazu anregte, nach Erlangen zu gehen, und ihn dort in den Kreis um Friedrich Brunstäd einführte. „Spätestens in diesem Kreis ist Schreiner mit den sozialethischen theoretischen Erwägungen Brunstäds in Berührung gekommen, die für seine berufliche Zukunft“ (S. 25) bestimmend werden sollten. Neben Brunstäd waren es weitere bedeutende konservative Theologen wie Martin Kähler, Reinhold Seeberg und Friedrich Mahling, die Schreiner theologisch prägten. „Ihnen gemeinsam ist die Ablehnung der europäischen Aufklärung, deren Folgen als Ausgangspunkt für die konstatierten Missstände der Gegenwart gelten.“ (S. 27) Der Konservativismus verband sich mit einem sozialen Programm, das sich an den Begriffen ‚Gemeinschaft‘ und ‚Volk‘ orientiert, und einer ‚soziokulturellen Judenfeindschaft‘, die ‚den Juden‘ für die „‚Zersetzung‘ all derjenigen Anschauungen und Wertvorstellungen“ verantwortlich machte, „die aus deutschnationaler, konservativ-christlicher bzw. völkisch geprägter Perspektive betrachtet als unantastbar galten“ (Marikje Smid, zit. S. 29).

Von 1921 bis 1926 war Schreiner als Leiter der Hamburger Stadtmission tätig. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit bildete die ‚praktische Apologetik‘, die Schreiner „als Lehre von der Kunst der Anwendung der Glaubenserkenntnisse in der jeweiligen konkreten Lage im Dienste der Liebe“ (zit. S. 40f.) definierte. Schreiner organisierte Evangelisationswochen für Arbeiter sowie Weltanschauungswochen, die in der Universität stattfanden, und entfaltete eine umfassende Vortrags- und Publikationstätigkeit, in der er sich als völkischer Theologe und Kenner der sozialen Lage profilierte. 1926 veröffentlichte er ein umfangreiches Buch mit dem Titel Geist und Gestalt. Vom Ringen um eine neue Verkündigung, dessen sechstes, der praktischen Apologetik gewidmetes Kapitel mit seiner von der Theologischen Fakultät Rostock angenommenen Lizentiatenarbeit identisch ist.

Von 1926 bis 1931 wirkte Schreiner als Vorsteher des Johannesstifts in Berlin, das damals vor allem im Bildungsbereich tätig war. Mit der Zusage, die Stelle als Vorsteher zu übernehmen, verband Schreiner die Forderung, dass die Apologetische Centrale, die von Carl Gunther Schweitzer geleitet wurde, ans Johannesstift übersiedeln sollte. Seit 1927 war Walter Künneth dort als Dozent tätig. Wie in Hamburg so entfaltete Schreiner auch hier eine umfassende Vortrags- und Publikationstätigkeit. In der Berliner Zeit verfasste Schreiner nicht nur das Gutachten für den Grosz-Prozess, sondern auch eines zu den Grundlagen des Nationalsozialismus, aus dem sein Vortrag Der Nationalsozialismus vor der Gottesfrage. Illusion oder Evangelium? hervorging. Beyer weist darauf hin, dass dieser Vortrag in der Forschung unterschiedlich beurteilt wird. Während Klaus Scholder eine „Nähe des Verfassers zum Nationalsozialismus mit Ausnahme der ‚völkischen Ersatzreligion‘“ konstatiert, erkennt Kurt Nowak „einen deutlich kritischen Grundtenor“ (S. 51). Beyer selbst verzichtet auf eine Bewertung, berichtet aber, dass die Schrift von nationalsozialistischer Seite zurückgewiesen wurde.

Im 3. Kapitel gibt Beyer einen kurzen Überblick über die Vorgeschichte und Geschichte der Theologischen Fakultät Rostock, ihre personelle Besetzung, die Entwicklung der Studentenzahlen und ihre öffentliche Wirksamkeit. Beyer nimmt an, dass sich Brunstäd, der seit 1925 den Lehrstuhl für Systematische Theologie innehatte und zum Zeitpunkt der Berufung Rektor der Universität war, stark für Schreiners Berufung eingesetzt haben dürfte.

Das zentrale 4. Kapitel trägt die Überschrift „Helmuth Schreiner und die Theologische Fakultät Rostock im vierten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts“. Es bietet einen Überblick über die Arbeit der Fakultät und Schreiners Wirken: seine Lehre, seine Tätigkeit als Dekan, seine Veröffentlichungen und seine außeruniversitären Aktivitäten. Im Mittelpunkt steht, wie sich Schreiner und die Fakultät im Kirchenkampf positionierten und dem Nationalsozialismus gegenüber verhielten. Beyer nimmt an, dass Schreiner kurzzeitig Mitglied der Deutschen Christen war (vgl. S. 80). Gleichzeitig gehörte er von Anfang an zur Jungreformatorischen Bewegung. Als Freund Gerhard Jacobis stand er in Verbindung zum Jacobi-Kreis, in dem der Pfarrernotbund gegründet wurde. Ob Schreiner sich dem Notbund anschloss, geht aus Beyers Darstellung nicht hervor. Wenn Schreiner der Meinung war, dass die Einführung des Arierparagraphen nicht im Gegensatz zum Bekenntnis stand (vgl. S. 77), widersprach das jedenfalls der Verpflichtungserklärung des Pfarrernotbundes. Später gehörte er zu den lutherischen Kritikern der Barmer Theologischen Erklärung und zu den Mitbegründern des Lutherischen Rats. Ausführlich referiert Beyer Schreiners Veröffentlichungen zum Nationalsozialismus, unter denen der gemeinsam mit Walter Künneth herausgegebene Band Die Nation vor Gott und die drei darin enthaltenen Aufsätze Schreiners hervorzuheben sind.

Nach Beyer hat Schreiner „sich niemals als Gegner des Staates und von dessen Maßnahmen, sondern ausschließlich als Gegner der nationalsozialistischen Ideologie verstanden, einer Ideologie, die ein Geschöpf (Rasse, Blut, Führer) an die Stelle des Schöpfers zu stellen im Begriff war. Ebenso hat er sich konsequent gegen die willkürlichen Eingriffe von Institutionen des Staates und der Partei in die Zuständigkeiten der Kirche, vor allem aber gegen seine innerkirchlichen Gegner gewandt. In diesen Auseinandersetzungen meinte er oft, sich“ gegen Alfred Rosenberg und die neuheidnischen Strömungen im Nationalsozialismus „auf Aussagen von Hitler berufen zu können.“ (S. 127) Noch 1937 zitierte er Hitlers Regierungserklärung von 1933, der zufolge die Regierung „in den beiden Kirchen die wichtigsten Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums“ (zit. S. 122) sehe. Schreiner bejahte den „Nationalsozialismus als Bewegung mit dem Ziel der Volk-Werdung“ (S. 90). Gegen Angriffe im Niederdeutschen Beobachter verteidigte er sich in einem Brief von 21.6.1935: „Warum sind Sie so ungerecht gegen mich? Ich bin wahrhaftig kein Feind der nationalsozialistischen Weltanschauung“ (zit. S. 98). Zu einem „Gegensatz zwischen Nationalsozialismus und Christentum“ kommt es nach Schreiner nur dort, „wo man [...] aus dem Nationalsozialismus eine Religion macht“ (S. 90). Gemeinsam mit Künneth erklärt er im Vorwort zu Die Nation vor Gott, „das große Werk der nationalen Erneuerung“ könne nur dann „segensreich durchgeführt werden [...], wenn es getan“ werde „im Gehorsam gegen Gottes Ordnungen“ [1]. Als man ihm vorwarf, er habe „judenfreundliche Äußerungen getan“ (S. 92), wies er das von sich. In den Auseinandersetzungen um die Durchführung der Deutschen Evangelischen Woche in Stuttgart 1936 ging er auf Distanz zu Paul Humburg, der trotz des Verbotes der politischen Polizei Stuttgart auf der Woche reden wollte, und zog sich aus der Mitarbeit zurück (vgl. S. 110 f.).

Beyers Buch zeigt, wie Schreiners Versuch, den Nationalsozialismus grundsätzlich zu bejahen, aber dennoch an bestimmten, sein Verhältnis zum Christentum betreffenden Punkten Kritik zu äußern, scheiterte. Die nationalsozialistische Presse, der Reichsstatthalter von Mecklenburg, Friedrich Hildebrandt, und auch der deutsch-christliche Mecklenburger Oberkirchenrat betrachteten Schreiner und die Fakultät als Gegner des Nationalsozialismus. In einem Brief an das Mecklenburgische Staatsministerium vom 10. November 1936 bewertete der Oberkirchenrat „die Arbeit der theologischen Professoren der Universität Rostock als Schädlingsarbeit“ (S. 104). Im Juni 1937 verfügte der Reichsstatthalter auf der Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Schreiners Versetzung in den Ruhestand. Durch Briefe an das Mecklenburgische Staatsministerium und den Reichsminister für Wissenschaft versuchte Schreiner zu erreichen, dass seine Pensionierung zurückgenommen werde. Vorwürfe, die gegen ihn im Umlauf waren, bestritt er. Für eine Reihe von ihnen machte er den Mecklenburgischen Oberkirchenrat verantwortlich. An seinen Veröffentlichungen könne man sehen, „welche positive Stellung“ er „zu Staat und Volk einnehme“ (zit. S. 126). Doch Schreiners Bemühungen blieben ebenso erfolglos wie die der Fakultät und des Dekans Brunstäd. Wegen seines als „ungesetzlich“ (S. 130) eingestuften Eintretens für Schreiner wurde Brunstäd im Dezember 1937 als Dekan entlassen.

Die Vorschläge der Fakultät für Schreiners Nachfolge wurden abschlägig beschieden. Schließlich beauftragte das Reichsministerium für Wissenschaft 1942 Hermann Werdermann mit der Lehrstuhlvertretung. Nach Beyer „findet das durchaus die Zustimmung Schreiners“ (S. 138) – obwohl Werdermann, was Beyer nicht erwähnt, Deutscher Christ war und am Eisenacher Institut für Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben mitarbeitete [2]. Die Versuche der Rostocker Fakultät, Schreiner nach dem Krieg zur Rückkehr zu bewegen, bleiben erfolglos.

Das 5. Kapitel behandelt Schreiners Wechsel nach Münster und seine dortige Wirksamkeit. Im Februar 1938 wurde er dort Vorsteher des Diakonissenmutterhauses. Nach dem Krieg wurde er außerdem zum Ordinarius für Praktische Theologie berufen und übernahm das Amt des Dekans der Theologischen Fakultät. Aus Krankheitsgründen legte er 1955 das Vorsteheramt nieder und wurde 1957 vorzeitig emeritiert. Ein in das Kapitel eingefügter Exkurs gibt einen guten Überblick darüber, wie Schreiners Homiletik in der evangelischen Theologie von Wolfgang Trillhaas 1935 bis Reinhard Schmidt-Rost 2000 rezipiert wurde.

Das letzte Kapitel des Buches Bewährte lebenslange Freundschaften Schreiners aus dem Wingolf enthält biographische Skizzen zu Carl Gunther Schweitzer (am ausführlichsten), Gerhard Jacobi und Walter Künneth und beschreibt ihre Beziehung zu Schreiner. Das Buch schließt mit einem interessanten Epilog zu Schreiners Rostocker Personalakte, die erst 2009 zugänglich wurde.

Helmuth Schreiner war ein typischer Vertreter der national-konservativen, vom Luthertum geprägten Richtung der kirchlichen Opposition im ‚Dritten Reich‘. Beyers Arbeit erweitert und vertieft unsere Kenntnisse dieser Richtung. Mit Urteilen über Schreiner hält Beyer sich zurück. Allerdings zitiert er S. 139-142 Zeugnisse von Zeitgenossen über Schreiner, die durchweg positiv ausfallen.

Zu zwei Themen hätte ich mir eine genauere und differenziertere Darstellung gewünscht:

1. Schreiners Stellung zur nationalsozialistischen Weltanschauung: Wie bereits zitiert, hat Schreiner sich laut Beyer „niemals als Gegner des Staates und von dessen Maßnahmen, sondern ausschließlich als Gegner der nationalsozialistischen Ideologie verstanden“ (S. 127). Diese Charakterisierung passt auf die Intention, die Schreiner 1931 mit Der Nationalsozialismus vor der Gottesfrage verfolgte. Aber wie ist zu verstehen, wenn Schreiner 1935 erklärt, er sei „wahrhaftig kein Feind der nationalsozialistischen Weltanschauung“? Was bedeutet es, dass er im gleichen Brief über seine Pädagogik-Vorlesungen schreibt, er setze seine Ehre daran, sie „von der nationalsozialistischen Weltanschauung her aufzubauen“ (zit. S. 98)? Sind diese Aussagen taktische Schutzbehauptungen, welche die Ablehnung der nationalsozialistischen Weltanschauung verschleiern sollen? Oder unterscheidet Schreiner 1935 zwischen einer nationalsozialistischen Weltanschauung, die mit dem Christentum vereinbar ist, und inakzeptablen Auslegungen, die den Nationalsozialismus zu einer Religion machen oder mit einer neuheidnischen Religion verbinden? Gibt es eine Entwicklung bei Schreiner? Wie ist unabhängig von seiner subjektiven Selbsteinschätzung das Verhältnis seiner Theologie zur nationalsozialistischen Weltanschauung bzw. zu ihren Ausprägungen sachlich-objektiv zu beurteilen? Er lehnte es zwar ab, Rasse zum Weltanschauungsprinzip zu machen [3], aber dennoch integrierte er die Konzepte Rasse, Volk und Volksgemeinschaft sowie die Judenfeindschaft in seine Theologie.

2. Schreiners Stellung zur Eugenik: Beyer referiert S. 87 Schreiners Aufsatz Möglichkeiten und Grenzen der Eugenik [4] und zitiert S. 88 eine Aussage Schreiners aus dem Jahr 1937, derzufolge sein Eugenik-Aufsatz „eindeutig“ seine „positive Stellungnahme“ zum nationalsozialistischen Eugenik-Gesetz von 1933 zeige. Wenn man nur Beyers Referat kennt, bleibt aber rätselhaft, wie Schreiner von einer positiven Stellungnahme sprechen konnte. Natürlich kann auch hier gefragt werden, ob es sich nicht um eine taktische Schutzbehauptung handelt. Eine genauere Lektüre des Textes zeigt aber, dass Schreiners Verteidigung sachlich nicht unbegründet war: a) Beyer schreibt richtig, dass nach Schreiner „das Evangelium eine Abgrenzung von Unterwertigen und Vollwertigen als eine endgültige ablehne“ (S. 87; Hervorhebung M.H.). Aber dass am Ende vor Gott die Unterscheidung nicht zählt, schließt für Schreiner nicht aus, dass er der Unterscheidung von Vollwertigen und Unterwertigen für das Leben eines Volkes und das Handeln des Staates eine große Bedeutung beimisst. – b) Beyer schreibt, dass Schreiner den „Forderungen nach Sterilisierungen bei sogenannten Unterwertigen [...] starke Bedenken“ (S. 87) gegenüberstelle. Doch bei Schreiner findet sich die Einschränkung ‚sogenannte‘ nicht, und die ethischen Argumente, die er gegen die Sterilisierung anführt, nennt er im Rahmen einer ethischen Abwägung, die mit dem Resümee schließt: „Es wird also die Sterilisierung als negatives Mittel der Eugenik in manchen Fällen nicht zu umgehen sein.“ [5] Von dem bald nach Erscheinen des Buches in Kraft getretenen Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses unterscheidet sich die Position Schreiners nur in einem wichtigen Punkt: Für Schreiner ist „die freie Zustimmung des zu Sterilisierenden“ [6] Voraussetzung der Sterilisation. – c) Beyer schreibt richtig, dass nach Schreiner „die Armen und Kranken ein Schatz der Kirche“ [7] sind. Schreiner verlangt daher, dass sich die Wohlfahrtspflege auch um die Unterwertigen kümmere, und forderte von der Kirche Barmherzigkeit, aber eine Barmherzigkeit, die mit Zucht und Gerechtigkeit verbunden sein müsse. Beyer notiert etwas unklar: „Um die Fortpflanzung kranker Erbanlagen zu beschränken, fordert er die geschlossene Fürsorge gesetzlich zu regeln.“ (S. 87). Das bedeutet im Klartext: Schreiner verlangt, die Unterbringung der Unterwertigen solle durch ein Gesetz so geregelt werden, dass durch Kontaktbeschränkungen deren Fortpflanzung ausgeschlossen ist. Davon verspricht er sich eine größere eugenische Wirkung als von der Sterilisierung. – d) Eindeutig abgelehnt wird von Schreiner die „Vernichtung der Unterwertigen“ [8], aber die war auch in dem Gesetz von 1933 noch nicht als Maßnahme vorgesehen.

„Dass seine nach seiner Auffassung theologisch begründete, nationale und staatstreue Gesinnung [...] nicht wahrgenommen und gewürdigt worden ist, das muss Schreiner“ laut Beyer in den Jahren 1937/38 „tief erschüttert haben.“ (S. 127). 1947 urteilte Carl Gunther Schweitzer, Schreiner sei „nur noch ein Schatten von dem, was er einst gewesen war“ (zit. S. 128). Beyer meint, dass dafür nicht allein und in erster Linie die schweren Kriegserlebnisse verantwortlich gewesen seien. Ihr „tieferer Grund scheinen doch die Ereignisse und Erfahrungen im Umfeld der Zwangspensionierung in Rostock gewesen zu sein“ (S. 128). Das rückt Schreiner – ich nehme an, ohne dass Beyer es wollte – in ein eigenartiges Licht. Denn dann wäre es die fehlende Anerkennung von Seiten der Nationalsozialisten gewesen, die Schreiner zermürbte. Aber Beyers Einschätzung ist eine Vermutung, mehr nicht.


[1] Walter Künneth / Helmuth Schreiner, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Die Nation vor Gott. Zur Botschaft der Kirche im Dritten Reich, Berlin 1933, S. V-VII, dort: S. V (zit. Beyer, S. 83).

[2] Vgl. Folkert Rickers, Art. Werdermann, Hermann, in: BBKL, Bd. 21 (2003), Sp. 1529-1547.

[3] Vgl. Helmuth Schreiner, Die Rasse als Weltanschauungsprinzip, in: Künneth/Schreiner (Hrsg.), Nation, S. 38-53.

[4] Helmuth Schreiner, Möglichkeiten und Grenzen der Eugenik, in: Künneth/Schreiner (Hrsg.), Nation, S. 54-73.

[5] Schreiner, Möglichkeiten, S. 68.

[6] Ebd.

[7] Schreiner, Möglichkeiten, S. 69; vgl. Beyer, S. 87.

[8] Schreiner, Möglichkeiten, S. 60.


Zum Rezensenten:
Dr. Michael Hüttenhoff ist Professor für Historische und Systematische Theologie an der Universität des Saarlandes.

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