Eva Vybíralová, Untergrundkirche und geheime Weihen. Eine kirchenrechtliche Untersuchung der Situation in der Tschechoslowakei 1948-1989, Würzburg 2019, Echter-Verlag, 373 S., 24,00.- €, ISBN 978-3-429-05363-5

Es war eine heftige Auseinandersetzung um Vorgänge in der Kirche in der totalitären Tschechoslowakei. Das ist knapp deren Kontext, den Frau Vybíralová im Kapitel 2 skizziert: Bald nach der Machtübernahme startete die Regierung eine Kirchenvernichtungspolitik, die als eine der grausamsten im „Ostblock“ galt. Jedes Instrument war den Machthabern willkommen: die Vertreibung der Kirchen aus allen gesellschaftlichen Einrichtungen (Altenheime, Kindergärten, Schulen etc.); die Auflösung der Orden, die Inhaftierung vieler Priester; die Spaltung der Kirche, vor allem der Bischöfe und Priester; die bis in den Vatikan reichende Überwachung der inneren Vorgänge des ortskirchlichen Lebens. Der Überlebenskampf führte nicht nur zu geheimen Bischofsweihen, sondern trieb jenen Teil der Christinnen und Christen in den Untergrund, die sich vom Staat nicht korrumpieren ließen und keine Hoffnung mehr hatten, dass es in diesem Staat ein Überleben der Kirche geben könne. Im Untergrund organisierten sie sich in verschworenen Gemeinschaften, die sich notgedrungen um den Altar und damit um die Priester sammelten.

Natürlich war die dramatische Lage in „Rom“ nicht unbekannt. Deswegen wurden den (Untergrund-)Bischöfen weitreichende Vollmachten („Fakultäten“) gegeben. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben die Ortsbischöfe das Recht, von Bestimmungen des allgemeinen Rechts abzugehen, wenn dies für das Wohl und Wirken der Ortskirche unabdingbar ist. Vor dem Konzil hingegen musste den Ortsbischöfen von Rom dazu eine Vollmacht ab homine und ad tempus gewährt werden. Diese gab es denn für die Kirche in der Tschechoslowakei auch. Sie wurden – in Anspielung auf die Kirchenverfolgung in Mexiko 1920 – „mexikanische Fakultäten“ genannt. Dazu kamen im Laufe der Zeit weitere Erlaubnisse an einzelne Bischöfe, die diese wiederum an ihre (geheim bestellten) Nachfolger „vererben“ konnten. Die Kapitel 3 und 4 berichten über die vielfältigen „Fakultäten“ in der Tschechoslowakei.

Je länger die aggressive Politik des Staates währte, desto klarer stellte sich heraus, dass diese „Vollmachten“ sich eher auf Fragen bezogen, die das Überleben nicht gewährleisten konnten. Es zeigte sich, dass solche Regelungen nur einen Sinn ergeben, wenn sie mit den Betroffenen vor Ort abgesprochen sind, was nicht geschah. Das führte dazu, dass sensible Untergrundbischöfe begannen, in eigener Verantwortung zu handeln. Zu diesen zählte der Geheimbischof Felix Maria Davídek. Dieser erwartete, so eine Auskunft von Tomáš Halík, „gleich nach der sowjetischen Okkupation eine massenhafte Verfolgung. Damit legitimierte er auch hauptsächlich die Frauenordination als Hilfe für Frauen im Gefängnis“.

Bischof Davídek hatte im Untergrund eine Gemeinschaft aufgebaut, deren Spiritualität gefördert und die vielfältigen Berufungen der Laien unterstrichen, nicht zuletzt jene der Frauen. Angesichts der Inhaftierung der meisten Priester sollten ausreichend viele Priester geheim geweiht werden (Kapitel 4). Geheim bedeutete: nicht nur im kleinen Kreis, in Wohnungen, im Gefängnis, sondern manchmal auch bei einem Spaziergang – fast immer unter Ausschluss der eigenen Familie, manchmal in Zusammenarbeit mit einzelnen Bischöfen im Ausland, so in Polen oder auch der DDR (im Kapitel 5), ohne jegliche Dokumentation, oftmals mit eigener spirituell-theologischer Vorbereitung. Solch neue Wege wurden wegen der Gefahr des Verrates unter den Verantwortlichen nur in konspirativen Andeutungen, oft unkonkret und immer ohne Protokolle verhandelt. Frau Vybíralová schildert diese Vorgänge, legt akribisch recherchierte Weihelisten vor, zeichnet auch die Weihestränge der Geheimbischöfe nach.

Im kirchenhistorisch gewichtigen Kapitel 6 legt sie dem Leser eine gut recherchierte Aufarbeitung der höchst zwiespältigen Vorgänge nach der Wende von 1989 vor. Das, was im Untergrund gewachsen war, musste nun wieder in den Normalbetrieb des kirchlichen Lebens eingeordnet werden. Gewachsen war aber Vielfältiges: glaubensstarke und verschworene Gemeinschaften mit Priestern wie Laien, die oft jahrelang im Gefängnis saßen. Es gab psychische wie physische Märtyrer des Glaubens. Dazu kamen die Bemühungen von Orden (wie Jesuiten, Salesianer u.a.), im Untergrund ein„unsichtbares Leben auf Sparflamme“ zu erhalten und Christinnen und Christen im Untergrund beizustehen.

Wie das Forschungsnetzwerk „Pastorales Forum“ erarbeitete, galt es, vieles aus den Erfahrungen der Verfolgung zu lernen, aber anderes auch zu verlernen. Eine Theologie der Zweiten Welt, wie etwa bei András Máté-Tóth [1] , entstand, auch eine kleine ost(mittel)europäische Pastoraltheologie wurde geschrieben, z.B. von András Máté-Tóth und Pavel Mikluscak [2] . Ein Mitglied des Forschungsnetzwerks, der slowakische Priester Peter Sepp, richtete wie die Autorin der vorliegenden Studie sein – auf Gespräche mit den Betroffenen gestütztes - pastoraltheologisches (und nicht nur soziologisches: 294) Augenmerk auf die Koinótēs, und hier wiederum auf die Frauen in dieser verborgenen Kirche und deren geheime Weihen [3] .

Frau Vybíralová begrenzt sich im letzten Kapitel ihrer Studie auf die kirchenrechtlichen Aspekte der Aufarbeitung der Entwicklungen in der Untergrundkirche. Im Kapitel 1 über das Weiherecht hat sie eine breite kirchenrechtliche Grundlage dafür gelegt, eine umsichtige rechtliche Evaluierung der Vorgänge vornehmen zu können. Wie Peter Sepp nimmt auch sie die geheimen Weihen in der Tradition von Bischof Davídek und vor allem den Umgang der römischen Behörden mit diesen nach der Wende in den Blick. Bischof Davídek hatte ja nicht nur ehelose Männer zu Priestern geweiht, sondern auch verheiratete Priester und auch wenige verheiratete Bischöfe. Und nicht zuletzt kam es nach dem „Konzil von Kobeřice“, welches die Gemeinschaft Koinótēs spaltete, zur Ordination einiger Frauen. Eine von diesen, Ludmila Javorová, bestellte Bischof Davídek als seine Generalvikarin.

Rom räumte nach der Wende auf. Eine Nottradition wurde abrupt beendet, bevor sie sich in den Alltag der römisch-katholischen Weltkirche einnisten konnte. Frau Vybíralová skizziert das Verfahren aus kirchenrechtlicher Sicht sehr kritisch. Priesterweihen von ehelosen Männern wurden sub conditione wiederholt, verheiratete Männer konnten Diakone werden, die meisten der (auch von Bischof Davídek geweihten) Geheimbischöfe wurden ihres Amtes enthoben. Manche Priester beantragten ihre Laisierung (was letztlich eine indirekte Anerkennung ihrer Weihe darstellt).

In einsichtigen Analysen deckt Frau Vybíralová auf, dass dieses römische Vorgehen kirchenrechtlich in wichtigen Punkten auf schwachen Beinen steht. Daraus lässt sich vermuten, dass mit dieser Aktion höchstwahrscheinlich andere, nämlich kirchenpolitische Ziele verfolgt wurden. Das zumal in der Gemeinschaft Koinótēs Gewachsene sollte beendet werden, bevor es zu einem weltkirchlichen Präzedenzfall werden konnte. Die Art und Weise, in der von der Vatikanischen Kommission recherchiert, wie mit Betroffenen nicht geredet wurde, wie das unliebsame Handeln von Felix Maria Davídek dadurch „entwertet“ wurde, indem der Person mit einem fachlich unzulässigen Gutachten „Unzurechnungsfähigkeit bescheinigt“ wurde: all diese beklemmenden Vorgänge werden von der Autorin der Studie benannt.

Solches Vorgehen kann Vergangenes „beheben“, aber nicht anstehende Fragen klären. Das Gedächtnis der Kirche als pilgerndes Gottesvolk währt länger als die biologische Ablaufzeit geheim geweihter Männer und Frauen und ihrer unmittelbaren Angehörigen. Auch die Studie von Frau Vybíralová wird dazu beitragen. Es überrascht nicht, dass solche pastoralpolitischen Anliegen, wenngleich modifiziert, in der Amazoniensynode von 2019 eine Fortsetzung gefunden haben. Die Erfahrungen der Untergrundkirche belegen, wie zentral die Feier der Eucharistie im (Über-)Leben der Gemeinschaften des Evangeliums ist. Dazu aber brauche es, so die theologisch gut fundierte Weihepraxis in der Gemeinschaft Koinótēs, handlungsfähige Priester. Diese fehlen in Amazonien und anderen Teilen der Weltkirche. Folgerichtig wurde daher neben anderen großen Fragen des Überlebens des Regenwaldes und der Inkulturierung des Evangeliums in die amazonische Kultur auch die Ordination verheirateter Männer zu Priestern und von Frauen wenigsten zu Diakoninnen diskutiert.

Vor allem nach dem Schlusskapitel der wichtigen Studie von Frau Vybíralová bleibt ein schaler Nachgeschmack. Ist es nicht bedauerlich, dass manche Verfolgte des Kommunismus am Ende Verfolgte der eigenen Kirche werden mussten? Aus Rettern der Kirche wurden Verräter am Kirchenrecht. Für viele Priester war die Erfahrung des Gefängnisses zum Anlass geworden, sich „für die Bildung einer ökumenischen, nicht-klerikalen und nicht-triumphalistischen Kirche“ (Tomáš Halík) einzusetzen – also eine Kirche mit einer Communio-Struktur, mit gleicher Würde aller, so das Zweite Vatikanische Konzil in der Kirchenkonstitution: eine Koinótēs eben. Dieser Schatz aus der „verborgenen Kirche“ der Verfolgungszeit bleibt den römischen Ordnungshütern verborgen.


[1] András Máté-Tóth, Theologie in Ost(Mittel)Europa. Ansätze und Traditionen, Ostfildern 2002.

[2] András Máté-Tóth/Pavel Mikluscak, Nicht wie Milch und Honig. Unterwegs zu einer ost(mittel)europäischen Pastoraltheologie, Ostfildern 2000.

[3] Peter Sepp, Geheime Weihen. Die Frauen in der verborgenen tschechoslowakischen Kirche Koinótēs, Ostfildern 2004.


Zum Rezensenten:
Dr. Paul Michael Zulehner ist emeritierter Professor für Pastoraltheologie an der Universität Wien.

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