Maximilian Plich
Die Kirchen und die Gefahr einer Radikalisierung von Christen durch Rechtspopulisten
Um rechten Populismus als solchen identifizieren und die Vorgehensweise
derer, die einen solchen praktizieren, durchschauen zu können, können einige
charakteristische Merkmale festgehalten werden.
Dazu gehören horizontale und vertikale Trennungen. Erstere sollen
Personengruppen, die bestimmte homogene Merkmale, wie weiße Hautfarbe,
heterosexuelle Orientierung oder christliche Religionszugehörigkeit nicht
aufweisen, als minderwertig klassifizieren und vom antipluralistisch definierten
„Volk“ ausschließen. Vertikale Trennungslinien werden zwischen den zum exklusiv
verstandenen „wahren“ Volk gehörenden Menschen und den Eliten sowie politischen
Verantwortungsträger*innen einer Gesellschaft gezogen. Diese werden als korrupt
dargestellt, weil sie aus der Sicht der Populisten das „Volk“ und dessen
angeblich einheitlichen Willen ignorieren oder untergraben. Die Populisten
selbst verstehen sich mit einem moralischen Alleinvertretungsanspruch als einzig
legitime Repräsentanten des „Volkes“. [1]
Zum gängigen Vorgehen von Populisten
gehört auch, Bedrohungsszenarien rhetorisch heraufzubeschwören, gegen welche
dann wortgewandt Stellung bezogen wird. Dies geschieht durch Unterstellungen,
beziehungsweise Übertreibungen von Sachverhalten, auf deren Zutreffen bestanden
wird, um dann öffentlichkeitswirksam dagegen zu polemisieren. [2]
Dass auch in Kontexten von Kirche und Christentum einige dieser charakteristischen Populismus-Merkmale festgestellt werden können, ist im Folgenden zu untersuchen und zeigt die Aktualität des Themas „Kirche und Populismus“.
Populismus und Kirche
So kann beispielsweise in aktuell ausgetragenen Debatten zwischen „progressiv“ und „traditionell“ Orientierten eine Verschiebung von der sachlichen auf die emotionale Ebene festgestellt werden. Dies geht etwa aus Kommentaren in Internetblogs oder auch aus Verlautbarungen teils hochrangiger Vertreter der kirchlichen Hierarchie hervor und zeigt sich in Debatten um kirchliche Positionierungen im politischen Tagesgeschehen, um eine Reform kirchlicher Normen in Bezug auf Frauenordination, Zölibat, Sexualmoral, Umgang mit geschlechtlicher Diversität, auch in der Diskussion um die Legitimität von Reformbemühungen etwa im Rahmen des in Deutschland begonnenen Synodalen Weges. Auch die populistischen Vorgehensweisen eines vertikalen oder horizontalen Exkludierens und des Heraufbeschwörens von Bedrohungsszenarien lassen sich innerhalb des Christentums feststellen, wie im Folgenden anhand einiger Beispiele aufzuzeigen ist.
Kirchliche Stellungnahmen gegen Positionen von beispielsweise AfD oder Pegida [3] motivieren rechte Christen wie auch die AfD zu Aufforderungen an die Kirchen, sich nicht politisch zu betätigen sowie zu Vorwürfen, dass die Kirchen das Christentum nicht mehr verträten. Zweifelsohne ist hier das rechtspopulistische Muster feststellbar, dass Inhaber von Führungspositionen als korrupte, einen fiktiven homogenen Volkswillen nicht mehr repräsentierende Elite klassifiziert werden, während für die eigene populistische Gruppe ein moralischer Alleinvertretungsanspruch behauptet wird und alle, die andere Positionen vertreten als „undemokratisch“ bezeichnet werden. [4] Das an die evangelische Kirche gerichtete Papier „Unheilige Allianz“ erhebt aufgrund des kirchlichen Einsatzes gegen Diskriminierungen, für Migration und für Klimaschutz den Vorwurf, die Kirche verrate das Christentum, entferne sich vom Glauben und paktiere mit den „Mächtigen“ und dem „links-grünen Zeitgeist“. Als Beispiele für die konstante Kollaboration der Kirchen mit den jeweils mächtigen Eliten werden außerdem die Zeiten des Nationalsozialismus und des DDR-Regimes angeführt. [5] Somit zeigt sich beispielhaft, dass politisch motivierte Rechte versuchen, konservative Christen durch Polemik gegen den Einsatz der Kirchen für „links-grüne“ politische Themen und gegen die bestehende gesellschaftliche Vielfalt, welcher eine fiktive Einheitlichkeit als Ideal gegenübergestellt wird, [6] für sich und auch für weitere rechtsextreme Positionen, für welche dies vormals nicht ansprechbar waren, zu gewinnen. Obwohl der Rechtspopulismus den Werten des Christentums, wie Nächstenliebe und Empathie gegenüber Schwachen und Ausgestoßenen diametral gegenübersteht, versprechen sich rechtspopulistische Akteure, Parteien und Gruppierungen, durch einen Schulterschluss mit Christen, ihren Rezipientenkreis in ein vormals nicht erreichtes Milieu hinein zu erweitern sowie gesamtgesellschaftlich an Legitimität und Akzeptanz zu gewinnen. [7]
Vor allem traditionalistisch ausgerichtete und einen exklusiven Anspruch verfolgende, also nur der eigenen Religion Wahrheit zuerkennende Christen scheinen hierfür ansprechbar zu sein. Bei ihnen kann, wie Hilke Rebenstorf in der European Values Study 2008 feststellt, ohnehin eine überdurchschnittliche Ablehnung sowohl von Personen anderen Glaubens als auch von Homosexuellen festgestellt werden. Ein exklusiver Wahrheitsanspruch scheint also das Aufkommen von Vorurteilen zu befördern. Bei Christen mit einem inklusivem Wahrheitsanspruch, die also allen Religionen gewisse Grundwahrheiten zugestehen, kann dies nicht festgestellt werden. Eine solche Wahrnehmung anderer Religionen scheint dem Aufkommen von Vorurteilen also eher entgegenzuwirken. [8]
Themenfeld Islam
Einer der Schwerpunkte populistischer Äußerungen im aktuellen politischen Tagesgeschehen, auch in Verbindung mit Christentum und Kirchen, ist das Themenfeld „Islam“. Mit diesem Phänomen befasst sich auch Liane Bednarz in einem Kapitel ihres Buches „Die Angstprediger. Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern“.
Seit der 1965 formulierten Konzilserklärung „Nostra Aetate“ ist der allen Religionen Grundwahrheiten zuerkennende und auch die Muslime, „mit Hochachtung betrachtende“ Inklusivismus die offizielle Position der katholischen Kirche.[9] Von rechten Christen oder sich ausdrücklich auf das Christentum oder eine zu wahrende christlich- kulturelle Prägung berufenden politisch Motivierten wird gegen diesen Inklusivismus populistisch und antimuslimisch agiert. Obwohl die Kirche mit dieser Haltung, ohne andere Religionen herabzuwürdigen, am eigenen Wahrheitsanspruch festhält, also keine synkretistische Religionsvermischung vertritt,[10] wird genau dies als Vorwurf an die Kirche herangetragen und mit weiteren selbst heraufbeschworenen Gefahrenszenarien, wie dem einer Islamisierung, und dem Vorwurf einer zu laschen Haltung der Kirchen demgegenüber verknüpft. In diesem Zusammenhang wird nicht selten als Bedrohung vorgegeben, dass eine „neue Weltordnung“ mit einer einzigen, alle Rassen, Kulturen, Ideologien und Religionen zu einer universalen Synthese harmonisierenden Weltgemeinschaft errichtet werden solle. Als Beleg für diese vermeintliche Bedrohung christlicher Identität durch antichristliche Religiosität und (gezielte) Vermischung der Kulturen wird oftmals auch die Migration muslimischer Flüchtlinge genannt. Um die vermeintliche Verwicklung der Kirchen darin zu plausibilisieren, die Gefahr als real und von den Kirchen aufgrund ihrer Kooperation mit den staatlichen Eliten als mitverursacht erscheinen zu lassen, werden die von Papst Johannes-Paul II 1986 eingesetzten und auch von seinen Nachfolgern durchgeführten „Weltgebetstage für den Frieden“ in Assisi angeführt. Obwohl bei diesen die teilnehmenden Vertreter verschiedener Religionen ihre Gebete nicht gemeinsam sprechen, sondern jeweils aufmerksam und ehrfürchtig zuhörend nacheinander vortragen, wollen konservative rechtspopulistisch agierende Christen darin einen kirchlichen Verstoß gegen den Monotheismus, einen Abfall vom wahren Glauben und eine Verbreitung des Synkretismus sehen.[11]
Eine weitere, von Liane Bednarz dargelegte, antimuslimische Argumentationsweise, mit welcher Rechtspopulisten konservative Christen erreichen und Bedenkenträger gegen die Migrations- und Flüchtlingspolitik radikalisieren wollen, beschwört das Szenario eines „Bevölkerungsaustauschs“ herauf. Demzufolge erfahre eine islamische Minderheit, der eine gewaltsame, die Überwindung anderer Kulturen anstrebende Ideologie nachgesagt wird, von den politisch Mächtigen gezielt Förderung und Privilegierungen. Damit verrate die politische Elite das eigene christliche und deutsche Volk, das mit der Zeit verdrängt, diskriminiert und schließlich eine vom Aussterben bedrohte Minderheit werde. [12] Vorfälle zwischen muslimischen und christlichen Bewohnern in Flüchtlingsunterkünften werden in diesem Zusammenhang zu gesamtgesellschaftlichen Problemen erklärt und mit dem Verweis auf Terroranschläge zugespitzt. [13] Solche Äußerungen über ein vermeintliches Verdrängt-Werden können von Vertretern eines rechtskonservativen Christentums selbst stammen, können aber auch mit den von außen aus dem rechtspolitischen Milieu an die Kirchen gerichteten Vorwürfen verbunden werden, hiergegen keine Stellung zu beziehen oder mit den korrupten politischen Eliten zu kooperieren und das eigene christliche Volk zu hintergehen.
Als Belege für die vermeintliche Aufgabe eigener Identität aus Rücksicht gegenüber dem Islam werden häufig religionsneutrale Umbenennungen z.B. von Weihnachtsmärkten oder St.-Martins-Feierlichkeiten angeführt. Es dürfte jedoch unhaltbar sein anzunehmen, dass durch solche Umbenennungen die betreffenden Traditionen vom Aussterben bedroht seien, wie u. a. durch eine 2016 von der CDU initiierte Aktion zur Rettung von St.-Martins-Traditionen suggeriert wurde. [14] Es handelt sich auch keineswegs um ein Massenphänomen. Aus diesen Gründen und weil solche Umbenennungen auch bei Muslimen selbst auf Unverständnis stoßen, können Behauptungen dieser Art als populistisches Schüren von Ängsten vor Identitätsverlust identifiziert werden. [15]
Themenfeld „Gender und Lebensschutz“ als Schnittmenge
Bei religiösen Menschen insgesamt kann dennoch festgestellt werden, dass Angehörigen anderer Religionen weniger mit Ablehnung und Vorbehalten begegnet wird als Homosexuellen oder Nicht-Heterosexuellen. [16] Daher sind es im Besonderen Themen wie „Gender“, „sexuelle und geschlechtliche Identitäten“ sowie „Schutz von Leben und Familie“, die eine Schnittmenge zwischen Populismus und rechten Christen bilden.
Mit Stellungnahmen zu diesen Themen versuchen Rechtspopulisten, Anschluss an Gläubige und an bis in die Mitte der Gesellschaft hineinreichende Milieus zu gewinnen, welche für rassistische, antimuslimische und völkisch-nationalistische Inhalten ansonsten nicht ansprechbar wären. Durch Verknüpfungen mit den genannten Themen sollen Angehörige dieser Milieus auch von der vermeintlichen Plausibilität weiterer, vormals nicht geteilter rechtsextremer Inhalte überzeugt werden. Mit einem solchen Vorgehen kann versucht werden, bei Christen eine vormals weniger ausgeprägte Ablehnung anderer religiöser und ethnischer Gruppen zu fördern oder andere rechtsextreme Sichtweisen hervorzurufen, indem diese mit christlicherseits emotional aufgeladenen Themen wie Schutz von Leben und Familie verbunden werden. In ihrem Aufsatz „Rechtspopulistische Strömungen und ihr Anti-Genderismus“ legt Sonja Strube an drei Beispielen diese Vorgehensweise und bereits vorhandene Kooperationen von Akteuren der neuen Rechten mit konservativen Christen offen.
So zeigt Strube auf, was politisch rechtsextrem Motivierte durch Unterstützung von christlich inspirierten Anti-Abtreibungsdemonstrationen bezwecken wollen. Durch den an die Kirche gerichteten Vorwurf, sich anders als man selbst nicht intensiv gegen Schwangerschaftsabbrüche einzusetzen, soll in erster Linie eine Profilierung der Populisten als Lebensschützer erreicht werden, um die christlichen Demonstranten für rechtsextreme Vorstellungen zu gewinnen: zum Beispiel für das heraufbeschworene Szenario eines „Volkstodes“ der biologistisch als Rasse definierten Deutschen oder für das mit islamfeindlichen Implikationen versehene Szenario eines Geburtendschihads. Mit dem Verweis auf die Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen findet zudem eine Relativierung der fabrikmäßigen Massenermordungen von Juden im Nationalsozialismus statt. [17] Akteure rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien, Initiativen und Bewegungen versuchen durch die vermeintliche Nähe zu Christen und Mitgliedern der Kirche, selbst weniger extrem zu erscheinen und ein bürgerliches Image aufzubauen. Zu nennen ist beispielsweise der rechte anonyme Webblog „Politically Incorrect“, der nicht nur, so Strube, durch biologistischen, antimuslimischen Rassismus auffällt [18] und bei eigenen Werbeaktionen mit rechten, teils gewaltbereiten Organisationen kooperiert, darunter HogeSa, Pegida oder die identitäre Bewegung, sondern auch Anti-Gender- und Anti-Abtreibungs-Kundgebungen wie „Marsch für das Leben“ und „1000 Kreuze für das Leben“ bewirbt, deren Teilnehmer*innen sich zu einem großen Teil als christlich motiviert sehen. Ebenfalls nennt Strube die NPD-nahe „Bürgerinitiative Ausländerstop“, deren Teilnahme an der Anti-Abtreibungsdemonstration „1000 Kreuze für das Leben“ in München dazu führte, dass das Erzbistum sich wegen rechtsextremer Unterwanderungen von der Veranstaltung distanzierte. [19]
Ähnliches kann, so Strube, festgestellt werden, wenn gegen eine vermeintliche Frühsexualisierung von Kindern im Schulunterricht mobilisiert wird. Dieses Szenario wird angesichts der Zielformulierung in Bildungsplänen, Vorurteile gegenüber nicht-heterosexuellen Orientierungen abzubauen, eigenständig aufgebauscht, um dann wiederum dagegen zu polemisieren. Teilweise ist auch die Rede von einer Homosexualisierung der Gesellschaft, welche von einer mächtigen Homo-Lobby angestrebt werde. [20] Bei Strubes näherer Betrachtung der Aktivitäten der sich gegen diese Thematiken richtenden Initiative „Besorgte Eltern“, fällt etwa die Zusammenarbeit mit der „Initiative Familienschutz“ des Ehepaares von Storch, mit Pegida-Unterstützern und mit bei Kundgebungen präsenten Anhängern des NPD-nahen Armenius-Bundes auf. Da sich auch einzelne CDU-Politiker bei der Initiative engagieren und die private katholische Internetseite kath.net positiv berichtete, [21] zeigt sich auch hier, dass versucht wird, ein bürgerlich-christliches Image aufzubauen und ein entsprechendes Milieu für rechtsextreme Positionen zu gewinnen. [22] Generell wird dieses Thema von Rechtspopulisten gerne genutzt, um mit unzutreffenden emotionalisierenden Behauptungen gezielt Ängste und Empörungen hervorzurufen. Dadurch sollen dem Bildungssystem, den Lehrer*innen als dessen Repräsentanten und letztendlich dem gesamten demokratisch-politischen System gezielt das Vertrauen entzogen und die eigenen Überzeugungen als Alternative dargestellt werden. [23] So ist nach der gezielten Angst-Beschwörung der Initiative „Besorgte Eltern“ beobachtbar, dass beansprucht wird, nach Art. 20 Abs. 4 GG legitim Widerstand zu leisten. Somit wird deutlich, dass diese Initiative letztendlich darauf abzielt, die politische Verfasstheit und bestehende liberal-plural demokratische Ordnung der Bundesrepublik abzuschaffen und über das Thema Kinderschutz einen größeren Kreis an Empfängern für die Überzeugung, dass das politische System Deutschlands eine Diktatur sei, sowie für Aufrufe zum Widerstand zu gewinnen. [24] Dadurch, dass die rechten Kräfte suggerieren, auf der Seite von zu schützenden Opfern des Systems zu stehen und diesen Empathie entgegenzubringen, sollen eigene (bestehenbleibende) menschenverachtende, hasserfüllte und gewaltbereite Positionen weniger extrem und berechtigt erscheinen. [25]
Weitere, bereits bestehende Vermischungen von Aktivitäten konservativer Christen und rechter Populisten, die versuchen sich bürgerlich zu präsentieren, werden deutlich an dem von Strube aufgezeigten Beispiel der meist in Stuttgart stattfindenden „Demo für Alle“. Auch diese richtet sich gegen eine vermeintliche Frühsexualisierung, wie auch gegen Gender-Mainstreaming und tritt ein für die Exklusivstellung traditioneller Vorstellungen von Ehe und Familie, in denen Heterosexualität und eine klare Verteilung von Geschlechterrollen als Norm betrachtet werden. Aufgebaut wurde diese Demonstrationsinitiative im Jahr 2014 angesichts des im baden-württembergischen neuen Bildungsplan formulierten Vorhabens, die Akzeptanz sexueller Vielfalt stärker zu thematisieren. Initiatorin war die damals der CDU angehörende Katholikin Hedwig von Beverfoerde, welche in anderen Initiativen schon regelmäßig mit dem Ehepaar von Storch zusammenarbeitete. [26] Positive Berichterstattungen über Aktionen der „Demo für Alle“, bei denen konservativ-christliche Vertreter*innen und Redner*innen, etwa des Bündnisses „Kirche in Not“, regelmäßig gemeinsam mit solchen der AfD auf der Rednertribüne stehen, fanden sich nicht nur im Webblog „Politically Incorrect“ und anderen rechten Medien. Auch die private katholische Internetseite „kath.net“ berichtete positiv und veröffentlichte eine Stellungnahme der Initiative, in der Sonja Strube angegriffen und der Verleumdung bezichtigt wurde. [27]
Fazit
Wie bereits erwähnt, sind vor allem Christen, die ein exklusives
Religionsverständnis verfolgen, anfällig sowohl für die Ablehnung von Menschen
anderer Religionen als auch anderer sexueller Orientierung, wobei insgesamt
unter den Christen die Anfälligkeit für Anti-Genderismus überwiegt. Dieser wird
jedoch von rechtsextremen Populisten mit ethnisch und religiös exkludierenden
Bedrohungsszenarien verknüpft, um Christen auch für extreme Positionen zu
gewinnen, für welche diese ohne einen heraufbeschworenen Zusammenhang mit Themen
wie Gender, Familien- oder Lebensschutz nicht erreichbar wären. Daher zeigt
sich, dass eine Kirche, die sich auch heute zu ihrem 1965 in „Nostra Aetate“
formulierten religiösen Inklusivismus sowie zur liberal demokratischen
Staatsordnung bekennt, einsehen müsste, dass Einschärfungen konservativer
Positionen, Gender-Thematik und Sexualmoral betreffend, sowie entsprechende
Äußerungen hochrangiger Kirchenvertreter, die sich einer Verfallsrhetorik
bedienen, kontraproduktiv sind. Dazu gehören Papst Franziskus‘ Aussage von 2016,
dass die Gender-Theorie der große Feind der Ehe sei, [28] der Vergleich des
mittlerweile in den Ruhestand getretenen Salzburger Weihbischofs Andreas Laun,
der die Gender-Theorie als ebenso in Lügen über Gott und Menschen gründend wie
Nationalsozialismus und Stalin-Regime bezeichnete [29] oder das 2019 erschienene
Schreiben des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zum Missbrauchsskandal, welches
die westliche, liberale Gesellschaft wie auch einzelne progressive Theologen und
Kirchenvertreter verurteilt und somit populistische Züge des Antipluralismus und
des moralischen Alleinvertretungsanspruchs aufweist. [30] Solche Äußerungen
kirchlicher Vertreter schaffen Rechtspopulisten Profilierungsmöglichkeiten und
bestärken diese darin, mit bestimmten Christen eine Schnittmenge zu schaffen, um
somit auch einfacher gegen andere, kirchlicherseits seit dem Zweiten Vaticanum
eigentlich bejahte Themen polemisieren zu können, darunter die Anerkennung
anderer Religionen, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde. Daher wäre es im
eigenen Interesse der Kirche, differenzierter zu argumentieren, sowie ernsthaft
abzuwägen, ob Kirche nicht für andere Grundpositionen in Fragen der
Gender-Thematik eintreten müsste. Nicht nur um den vom Antipluralismus
betroffenen, nicht der heterosexuellen Norm entsprechenden Menschen, die ihnen
zustehende Hochachtung zuzusprechen, sondern auch um kirchenangehörige Christen
vor der Vereinnahmung durch Rechtspopulisten zu schützen und letzteren nicht
selbst die Argumentation bei diesem Vorgehen zu vereinfachen. Es kann zwar
angenommen werden, dass die Kirche dann einmal mehr von Rechten, die einen
alleinigen Wahrheitsanspruch formulieren, als korrupt bezeichnet und auch von
innerkirchlichen Vertretern des Traditionsbruchs bezichtigt würde, Vertreter des
Extrems also wohl nicht erreichen würde. Allerdings könnten (konservative)
Christen, die der kirchlichen Lehrautorität orientierungsstiftende Bedeutung
zumessen, für eine höhere Hemmschwelle sensibilisiert werden, bevor sie sich von
Rechtsextremen durch eine Verknüpfung mit Themen aus dem Bereich „Schutz von
Leben und Familie“ für religions-, demokratie- und menschenfeindliche Positionen
gewinnen lassen.
[1] Vgl. Hilke Rebenstorf, „Rechte“ Christen? –
Empirische Analysen zur Affinität christlich-religiöser und rechtspopulistischer
Positionen, in: Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik 2018 2: S.
313–333, hier: S.320-321.
[2] Vgl. Sonja Strube, Rechtspopulistische Strömungen und ihr Anti-Genderismus, in: Eckholt, M. (Hg.), Gender studieren. Lernprozess für Theologie und Kirche, Ostfildern 2017, S. 105-120, hier: S. 107.
[3] Vgl. Liane Bednarz, Die Angstprediger. Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirche unterwandern, Bonn 2019, S. 50 ff.
[4] Vgl. Matthias Altmann, Autorenteam hat Thesen zu "Religion und Rechtspopulismus" verfasst: Warum AfD und Co. das Christentum für sich reklamieren, https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/warum-afd-und-co-das-christentum-fur-sich-reklamieren [einges. am 15.10.2019].
[5] Vgl. Matthias Möhring-Hesse, Angriff gegen die rotgrün versiffte Kirche. Wie eine Landtagsfraktion der AfD über den rechten Glauben wacht – und was daraus theologisch gelernt werden kann, https://www.feinschwarz.net/angriff-gegen-rotgruen-versiffte-kirche-afd/ [einges. am 11.10.2019].
[6] Vgl. Altmann, Autorenteam (wie Anm. 4).
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. Rebenstorf, „Rechte“ Christen (wie Anm. 1), S. 323-324; S. 330.
[9] Erklärung Nostra Aetate. Über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (1965), http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decl_19651028_nostra-aetate_ge.html [einges. am 10.11.2019].
[10] Bednarz, Die Angstprediger (wie Anm. 3), S. 130 ff.
[11] Ebd., S. 137-141.
[12] Ebd., S. 135-137.
[13] Ebd., S. 161.
[14] https://www.sol.de/archiv/news/Wie-gefaehrdet-ist-St.-Martin-wirklich-CDU-startet-Aktion-gegen-Sonne-Mond-und-Sterne-Feste,10688 [einges. am 17.11.2019].
[15] Ebd., S.142-146.
[16] Vgl. Rebenstorf, „Rechte“ Christen (wie Anm. 1), S. 330; Beate Küpper/Andreas Zick, Religiosität und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – Ergebnisse der GMF-Studien, in: Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie, hg. v. Sonja Angelika Strube, Freiburg u.a. 2015, S. 48-63, hier: S. 57 ff.
[17] Vgl. Strube, Rechtspopulistische Strömungen (wie Anm. 2), S. 108.
[18] Vgl. ebd., S. 111-112.
[19] Vgl. ebd., S. 108-109; S. 111-112.
[20] Vgl. Bednarz, Die Angstprediger (wie Anm. 3), S. 79.
[21] Rudolf Gering, Kinder brauchen Liebe, keinen Sex!, http://www.kath.net/news/44557 [einges. am 16.10.2019].
[22] Vgl. Strube, Rechtspopulistische Strömungen (wie Anm. 2), S. 109-110.
[23] Vgl. ebd., S. 119.
[24] Vgl. ebd., S. 110-111.
[25] Ebd., S. 119.
[26] Vgl. Bednarz, Die Angstprediger (wie Anm. 3), S. 96.
[27] Vgl. Strube, Rechtspopulistische Strömungen (wie Anm. 2), S. 113-115; DEMO FÜR ALLE, "Nein" zu Falschbehauptungen von katholischer Theologin, http://www.kath.net/news/61593/print/yes [einges. am 16.10.2019]; Frankfurter Rundschau hetzt gegen Demo für alle und verherrlicht Frühsexualisierung, http://www.pi-news.net/2016/10/frankfurter-rundschau-hetzt-gegen-demo-fuer-alle-und-verherrlicht-fruehsexualisierung/ [einges. am 16.10.2019].
[28] „Katholische Kreise können sich in der Gender-Debatte auf offizielle Verlautbarungen ihrer Kirche bis hin zu Papst Franziskus berufen. Dieser sagte im Herbst 2016: „Der große Feind der Ehe ist die Gender-Theorie. Es gibt heute einen Weltkrieg, um die Ehe zu zerstören.“ Dieser Krieg, so der Papst weiter, werde nicht mit Waffen, sondern durch „ideologische Kolonialisierung“ geführt. Gegenüber dem inzwischen in den Ruhestand getretenen Salzburger Weihbischof Andreas Laun soll Franziskus, wie Laun im März 2014 berichtete, zudem gesagt haben, dass „die Gender-Ideologie“ „dämonisch“ sei. – Bednarz, Die Angstprediger (wie Anm. 3), S. 73.
[29] „Weder Papst Franziskus noch Papst Benedikt gingen allerdings so weit wie Laun, der die Gender-Theorie in einem Hirtenbrief, den auch kath.net publizierte, gar in eine Reihe mit dem Nazi- und dem Stalin-Regime stellt. Laun schrieb: „In unserer Zeit hat es bereits zwei besonders teuflische Auseinandersetzungen zwischen Gott und Seinem und unserem Feind gegeben, den Nationalsozialismus und den Kommunismus, die unendlich viel Leid über die Menschen brachten. Beide gründeten in gewaltigen Lügen über Gott und die Menschen. Man hätte es bis vor einigen Jahren nicht geglaubt, aber heute ist wieder eine grauenhafte Lüge groß und mächtig geworden. Sie nennt sich Gender, sie greift die Menschen in ihrer Intimsphäre an.“, in: ebd.
[30] Vgl. Lucia Scherzberg/August H. Leugers-Scherzberg,
Benedikts Schreiben zum Missbrauchsskandal. Ein populistisches Manifest,
https://www.feinschwarz.net/benedikts-schreiben-zum-missbrauchsskandal-ein-populistisches-manifest/
[einges. am 14.10.2019].
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