Philipp Tönjes
WENN MAN SICH MIT POPULISTISCHER RHETORIK BESCHÄFTIGT
Schaut man heute in die Medien, so kann man sich dem Begriff „Populismus“
nicht mehr entziehen. Ob als Kampfbegriff oder Sammelbezeichnung; es scheint,
Populismus ist überall vertreten. Um nicht weiterhin Halbwahrheiten aufzusitzen,
wollte ich mich im vergangenen Semester näher mit dem Phänomen beschäftigen und
habe ein Seminar zum Thema „Populismus. Theoretische Grundlagen - Akteure -
Argumentationsmuster“ besucht. In diesem Rahmen haben wir u.a. einen sehr
detaillierten, aber nach Einschätzung des Autors, keinesfalls vollständigen
Katalog populistischer Rhetorik von Martin Reisigl besprochen. [1] Dieser
Katalog ist inzwischen schon 15 Jahre alt, scheint aber nichts an Aktualität
verloren zu haben. Im Gegenteil scheint er aktueller denn je zu sein. Die
Beschäftigung mit populistischer Rhetorik half nicht nur zu verstehen, was
Populismus eigentlich meint, sondern auch, warum populistische Propaganda
Menschen so einfach für sich gewinnen kann. Vor diesem Hintergrund sollen die
Thesen Reisigls genauer betrachtet werden.
Die Parole „Wir sind das Volk!“ ist in vielerlei Hinsicht kennzeichnend für die Rhetorik des Populismus. Wir als Volk und der Rest als die Anderen, die Fremden, überspitzt sogar die Feinde - eine klare Schwarz-Weiß-Malerei. Die Welt wird eingeteilt in „wir“ und „die“, die Unterscheidung wird oft einfach gemacht, und Sündenböcke sind schnell gefunden. "Hier" und "dort", "bei uns hier unten" und "bei denen da oben", einfache und schnell formulierte Gegensätze. Die Freund-Feind-Dichotomisierung ist im Rahmen einer populistischen Rhetorik äußerst prominent. [2]
„Wir sind das Volk!“ ist zusätzlich eine Vereinfachung - eine weitere Methode der populistischen Rhetorik. [3]
Doch welchen Wert haben die Freund-Feind Darstellung und die Vereinfachung wirklich? Hier gilt es nachzufragen und Klarheit zu fordern. Auf die Frage „Wer sind eigentlich die Anderen?“ wissen viele Akteure häufig schon keine Antwort mehr. Einigkeit in der Frage, wer eigentlich das „Volk“ ist, kann wohl auch unter Rechtspopulisten nur schwer erzielt werden. Der vage Charakter der Kampfbegriffe des Populismus und die einseitige Präsentation einfacher Fakten und Statistiken, selbstverständlich ohne Vergleichswerte, muss programmatisch verstanden werden. Es geht im Kern nicht darum, die Angelegenheiten des kleinen Mannes/der kleinen Frau zu verhandeln, auch nicht, politisch komplizierte Gegebenheiten schlüssig und einfach darzulegen, sondern einzig darum, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen und damit eine möglichst große Masse zu mobilisieren.
Wenn man sich weiter damit beschäftigt, wird schnell klar, wie Populisten sich mit der „Masse von uns kleinen Leuten“ solidarisieren. „Nimm kein Blatt vor den Mund!“, „Rede wie dir der Schnabel gewachsen ist!“, ist die Devise. [4] Damit wird eine noch größere Distanz zwischen „denen“ und „uns“ erzeugt. Man konzentriert sich scheinbar auf das Wesentliche. Aussagen werden willkürlich getroffen, eine elaborierte Sprache findet kaum Anwendung. Dies macht es einfach, die politische Elite als abgehoben darzustellen, eine Entfremdung herauszuarbeiten und eine weitere Abschottung zu erreichen. Den Gipfel des „Frei-heraus-Sprechens“ erreicht man mit dem nächsten Stilmittel der populistischen Rhetorik: „Beschimpfung wirkt besser als rationale, begründungspflichtige Kritik.“ [5] Und tatsächlich scheint es, als sei die Diffamierung des politischen Gegners ein probates Mittel. Der Grund dafür liegt neben der engen Verbindung mit dem vorher genannten rhetorischen Mittel darin, dass man zum einen Gesprächsstoff liefert, der über das Fehlen von Argumenten hinweg täuscht, und dessen Verbreitung fördert, zum andern als der wirkt, der es sich zu sagen traut.
Führt man sich dies beim Verfolgen einer politischen Debatte vor Augen, verlieren beide Mittel schnell ihren Wert und ringen einem nur noch ein müdes Lächeln ab. Ich muss zugeben, Politik in einfachen Worten hat ihren Reiz. Ich glaube auch, dass einfache Worte eines der größten Erfolgskonzepte des Populismus sind; dennoch reichen sie für komplexe Sachverhalte häufig nicht aus. Die Wortwahl geschieht weniger als Mittel zum Verständnis als zum Wählergewinn, und der transportierte Inhalt lässt häufig zu wünschen übrig. Dasselbe lässt sich über Beleidigungen von politischen Gegnern sagen. Was im ersten Moment mutig zu sein scheint, nämlich „das zu sagen was, alle denken“, ist bei genauerer Betrachtung keinen zweiten Gedanken wert. Sieht man den Zweck dahinter, ist die Aussage nicht von Mut, sondern von Kalkül getragen. Wenn es nur darum geht, mit allen Mitteln im Gespräch bleiben zu wollen, spielt das Gesagte kaum eine Rolle. Ich glaube, und das glaube ich nur für diesen Punkt: Wenn es um Beleidigungen von populistischer Seite geht, ist Ignorieren das Mittel zum Erfolg.
Ein weiteres Mittel populistischer Rhetorik, das man häufig antrifft, ist die „Froschperspektivierung“, welche vermitteln möchte, dass der Sprecher von unten auf die Vorgänge oben schauen muss. Er ist dabei nicht aktiv, sondern muss passiv mit ansehen, was oben passiert. Es wird suggeriert, dass das geschaffene Kollektiv ohnmächtig dem Treiben der Politiker und Eliten „oben“ ausgeliefert ist. [6] Populistische PolitikerInnen versprechen, das Sprachrohr nach oben zu sein oder, nach erfolgreicher Wahl, zu werden. Sie geben vor, aus der Mitte der Frösche zu stammen und als Fürsprecher für eben jene Frösche einzustehen. [7]
Es ist zunehmend interessant, wie Parteien und PolitikerInnen, welche auch durch die großzügige Nutzung der Froschperspektive in Amt und Würden gekommen sind, immer noch versuchen, ihre Anliegen vom selben Standpunkt aus zu verkaufen. Prinzipiell unterscheidet sich die Froschperspektive nicht grundlegend von den Versprechen anderer PolitikerInnen, sich für diese oder jene Gruppe stark zu machen. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch in der suggerierten Machtlosigkeit der „kleinen Frösche“. Man nimmt gewissermaßen eine Opferrolle hinsichtlich der bestehenden Politik ein, ein hilfloses Treiben und Zuschauen. Es ist davon auszugehen, dass diese Perspektive all jene anspricht, die sich in unsicheren Verhältnissen befinden oder sich von der Politik übergangen fühlen. Ich fürchte, die Froschperspektive der Populisten ist die Perspektive der Perspektivlosen. Es bleibt also zu sagen: als solche hat sie ihre Daseinsberechtigung. Zu hoffen bleibt, dass sich andere, demokratische Kräfte auf den Weg machen, eben jene Menschen dort abzuholen wo sie, zurzeit von Populisten, abgeholt werden.
Das Arsenal der rhetorischen Figuren ist dabei noch nicht erschöpft. „Suggestive pathetische Dramatisierung und Emotionalisierung“ [8] und ständige Wiederholung programmatischer Punkte [9] (Wir sind das Volk!), werden ebenfalls sehr gerne genutzt.
Es ist unbestreitbar, dass beide Mittel einen Zweck erfüllen. Die Emotionalisierung zielt, genau wie die starke Vereinfachung von Sachverhalten, darauf ab, mit einfachen Mitteln viele Menschen zu erreichen, sie emotional zu bewegen, aufzuwühlen oder gar aufzuhetzen. Dieses Mittel ist nicht nur aus der populistischen Rhetorik bekannt. Für die Rezeption von populistischen Texten empfiehlt es sich, immer die Vorwände zu suchen, die zum Aufstacheln genutzt werden. Emotionale Debatten haben oft keinen Mehrwert, sie zielen auf spontane Reaktionen und Beifall ab, nicht auf langfristige Lösungen. Die ständige Wiederholung erreicht schon dadurch ihr Ziel, dass das ständig Wiederholte im Gedächtnis bleibt. Allerdings ist dies nicht unbedingt das einzige Anliegen. Die gebetsmühlenartige Wiederholung führt dazu, dem Gesagten Nachdruck zu verleihen.
Bevor wir uns einer abschließenden Bewertung widmen, kommen wir noch zu den beiden, wie ich finde, interessantesten Eigenschaften populistischer Rhetorik.
Populistische Rhetorik unterliegt einer klar kalkulierten Ambivalenz. Das Ziel der widersprüchlichen Aussagen ist es, möglichst viele Leute anzusprechen und sie für die Sache ins Boot zu holen. Weiterhin wird es dadurch fast unmöglich, die PolitikerInnen, welche die Aussagen tätigen, eindeutig in der politischen Landschaft zu verorten. [10]
Wenn man um diesen Umstand weiß, wird man zunehmend misstrauischer gegenüber den Aussagen populistischer PolitikerInnen. Die Zeiten, in denen man damit davonkam, zu sagen „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“, sind mit dem aktuellen Stand der Digitalisierung lange passé. Dennoch wird es nur durch die Digitalisierung alleine nicht einfacher, in einer konkreten Konfrontation mit den widersprüchlichen Aussagen umzugehen. Man müsste sich ein enormes Faktenwissen aneignen, um sofort zu erkennen, ob bestimmte Aussagen auch schon gegenteilig getroffen wurden. Hier liegt auch das Problem im massen-medialen Umgang mit Populisten. Wenn man die Überprüfung nicht gleich leisten kann, ist man am Ende der Sendezeit, eine nachträgliche Richtigstellung interessiert dann kaum noch.
Der letzte rhetorische Baustein, auf den eingegangen werden sollte, ist die Schaffung eines Personenkultes. [11] Ob nun Petry, Weidel, Kurz oder Orbán – alle werden von ihren Parteifreunden oder sonstigen populistisch-demagogischen Kräften an die Spitze einer Art Erlöserkult gesetzt. Das Versprechen ist immer das gleiche: Wenn der charismatische Führer erst gewählt ist, werden die Probleme, die angesprochen wurden, mit aller Härte des Law & Order-Staates angegangen. Alle Sorgen werden irgendwie aus der Welt geschafft werden, und paradoxerweise wird das Volk an diesem einem Führerkult ähnelnden System seinen Anteil haben.
Wie zu Beginn schon erwähnt: Weiß man um die rhetorischen Mittel, ändert sich die Wahrnehmung. Nimmt man die zehn genannten Phänomene als Anhaltspunkte für populistische Rhetorik und führt sich vor Augen, dass sie niemals vollständig oder in gleicher Quantität und Qualität auftreten müssen, dann wird einem schnell klar, wie oft man sich auch im kleinen Rahmen oder in privaten Gesprächen populistischen Äußerungen gegenüber sieht. Ist einem der Grundkatalog geläufig, dann lassen sich viele Arten von Populismus erkennen: Rechtspopulismus, Linkspopulismus, Ökopopulismus oder konservativer und religiöser Populismus. Was mich überrascht hat, ist, wie häufig man auf populistische Tendenzen stößt, wo man sie nicht erwartet.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es beim Umgang mit politischen
Inhalten wohl immer angeraten ist, Vorsicht walten zu lassen und, ganz im
wissenschaftlichen Sinne, nicht zu generalisieren. Es ist wichtig zu verstehen,
dass nicht jede politische Aussage, welche sich der vorgestellten Stilmittel
bedient, auch automatisch populistisch sein muss. Das Wissen um die rhetorischen
Werkzeuge des Populismus hilft aber, sich der Aussagen klar zu werden, Distanz
zu wahren und die Inhalte nicht unreflektiert anzunehmen. Entlarvt man eine
politische Aussage als populistisch, verliert sie ihre Überzeugungskraft, und es
wird schnell unmöglich, sich in ihrem Netz zu verfangen. Da es mit dem nötigen
Wissen möglich ist, populistische Statements auf haltlose Satzhülsen zu
reduzieren, sollten ernsthafte Demokraten auf solche Aussagen verzichten.
[1] Martin Reisigl: ‘Dem Volk aufs Maul schauen, nach dem Mund reden
und Angst und Bange Machen‘ – Von populistischen Anrufungen, Anbiederungen und
Agitationsweisen in der Sprache österreichischer PolitikerInnen, in:
Rechtspopulismus. Österreichische Krankheit oder europäische Normalität?, hg. v.
Wolfgang Eismann, Wien 2002, S. 149 – 199, hier S. 166.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Ebd. S. 166-167.
[5] Ebd. S. 167.
[6] Ebd.
[7] Ebd.
[8] Ebd. S.
167 – 168.
[9] Ebd. S. 168.
[10] Ebd.
[11] Ebd.
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