Raphael Rauch, »Visuelle Integration«? Juden in westdeutschen Fernsehserien nach »Holocaust«, Göttingen 2018, Vandenhoeck & Ruprecht, 458 S., 64,99.- €, ISBN: 978-3-647-31048-0
Das „Medienereignis“ der Ausstrahlung der amerikanischen Fernsehserie
„Holocaust“ im westdeutschen Fernsehen im Jahr 1979 war bereits mehrfach Thema
geschichtswissenschaftlicher Arbeiten. Raphael Rauch, als ausgebildeter
Journalist und Fernsehredakteur mit dem Medium TV gut vertraut, hat in seiner am
Münchener Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur entstandenen Dissertation
dieses fernsehhistorische Ereignis in den Kontext anderer im bundesdeutschen
Fernsehen ausgestrahlter Serien gestellt, die sich explizit oder implizit mit
jüdischem Leben in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigen. Dabei
nahm er außer der amerikanischen Serie noch sechs weitere Serien in den Blick.
Die Aufnahme der im Jahr 1977 geplanten Verfilmung von Gustav Freytags „Soll und Haben“ in die Untersuchung widerspricht nur scheinbar dem im Buchtitel angekündigten Fokus auf Serien nach „Holocaust“, denn dieses Projekt wurde nicht umgesetzt. Die im Planungsstadium auf und zwischen mehreren Ebenen – Drehbuchautoren, Produktionsfirma, WDR und ARD-Gremien und -Funktionäre, Presse, Berufs- und Schriftstellerverbände, Zentralrat der Juden – zu beobachtenden Diskussionen führten schließlich dazu, dass die Serie nicht realisiert wurde. Die Debatten kreisten insbesondere um zwei unterschiedlich bewertete Aspekte. Zum einen wurde die Romanvorlage aufgrund ihrer antisemitischen Tendenzen als nicht geeignet für eine Verfilmung im Rahmen einer Unterhaltungsserie angesehen, zum anderen sorgte die Benennung Rainer Werner Fassbinders als Regisseur aufgrund der Auseinandersetzungen um sein Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ für Widerspruch. Gerade vor dem Hintergrund der bundes- und weltpolitischen Lage des Jahres 1977 wurde zudem die Bearbeitung des Verhältnisses zwischen Juden und Nicht-Juden in der deutschen Geschichte in einem – auch wenn wie von den Befürwortern der Serie aufklärerisch intendierten – fiktionalen, traditionell dem Zweck der Unterhaltung gewidmeten Format als nicht der Thematik angemessen verstanden.
Diese Diskussionen wurden dann zwei Jahre später um die Frage, ob die US-amerikanische TV-Serie „Holocaust“ im bundesdeutschen Fernsehen gesendet werden sollte, fortgesetzt. „Holocaust“ war nach dem Vorbild der Serie „Roots“, die die Geschichte der Sklaverei in den USA und der Unterdrückung der Afroamerikaner am Beispiel von sieben Generationen einer Familie zeigte, von NBC produziert worden und zeigte die Geschichte der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden am Beispiel einer deutsch-jüdischen Familie. Rauch zeichnet die Debatten vor der Ausstrahlung nach, die zu einigen Änderungen und Streichungen von Szenen führten. Den zweifelsohne großen Publikumserfolg der Serie stellt er in den Kontext der Einschaltquoten anderer TV-Angebote, zeigt aber doch die an diesen Quoten ablesbare hohe Relevanz für den gesellschaftlichen Diskurs über den Mord an den Juden auf. Von vielen Seiten, auch innerhalb der jüdischen Gemeinden, wurde die Serie sehr kontrovers diskutiert. Über die unterschiedlichen Standpunkte hinweg wurde aber schließlich die Notwendigkeit erkannt, von deutscher Seite aus ebenfalls im Format der TV-Serie sich mit der Geschichte der Ermordung der europäischen Juden zu befassen und die vielfältigen an die US-Serie gerichteten Kritikpunkte dabei zu berücksichtigen.
Die folgenden drei Kapitel im Buch gelten drei unterschiedlichen Umsetzungen dieser Forderung. Die Verfilmung der Autobiografie von Janina David „Ein Stück Himmel“ im Jahr 1982, in der sie ihr Überleben und die Ermordung ihrer Familie beschreibt, war von Anfang an als „eine Art Anti-Holocaust“ mit einem hohen Authentizitätsanspruch konzipiert. Es zeigt sich allerdings in der Umsetzung, dass die Verfilmung entscheidende Elemente der literarischen Vorlage aussparte, etwa die Suizidabsichten der Protagonisten oder zu detaillierte Aufnahmen aus einem Konzentrationslager, um, wie Rauch interpretiert, die Zuschauer zu „schonen“. Die Bedenken der Produzenten, Deutsche nicht zu „grausam“, aber auch nicht als zu „gütig“ darzustellen und den Antisemitismus in Polen nicht zu sehr zu betonen, führt Rauch auf antizipierte Reaktionen des deutschen und internationalen Publikums zurück. Damit stieß die Serie nicht nur auf die Kritik der Autorin, sondern auch in der jüdischen Presse, während sie von den meisten Medien sehr positiv aufgenommen wurde.
In der Beurteilung der international erfolgreichen Serie „Heimat“ von Edgar Reitz aus dem Jahr 1984 nimmt der Autor weitgehend die Position der schon kurze Zeit nach der Ausstrahlung einsetzenden Kritik an diesem Epos ein, die auf das Verschweigen der jüdischen Leidensgeschichte in dieser am Lebenslauf einer Hunsrücker Dorfbewohnerin entlang erzählten Geschichte seit dem Ende des Ersten Weltkrieges verwies. Rauch allerdings betont nicht das Verschweigen, sondern analysiert die Passagen des Filmes, in denen Juden in ihrer Rolle als „Ausgeschlossene und Ausgestoßene“ gezeigt werden. Bei allem kritischen Umgang mit dem Reitzschen Ansatz verweist Rauch dann allerdings auch darauf, dass das Filmepos unterschiedlich interpretiert werden kann, als Beschönigung der deutschen Geschichte oder aber gerade auch als Aufzeigen von deren „Exklusions- und Verdrängungsmechanismen“. In jedem Fall sei, so das Fazit, „Heimat“ ohne „Holocaust“ nicht möglich gewesen.
Nicht explizit auf die Vergangenheit, sondern auf das jüdische Leben in der bundesrepublikanischen Gegenwart ging die Serie „Levin und Gutman“ aus dem Jahr 1985 ein. In dieser von Wolfdietrich Schnurre geschriebenen Serie ging es um die Situation jüdischer Familien in der Bundesrepublik in den achtziger Jahren, die am Beispiel einer orthodoxen und einer liberalen Familie in möglichst vielen Schattierungen aufgezeigt werden sollte. Einer der wesentlichen Erzählstränge des Films ist der Generationenwechsel in den jüdischen Familien: Am Schluss der Filmreihe war die Generation der Holocaust-Überlebenden verstorben oder hatte Deutschland verlassen. Der Bezug zur „Holocaust“-Serie ist kaum Thema, vielmehr stand eine britische TV-Produktion über jüdisches Leben in England Pate bei der Konzeption.
Eine Folge der Serie „Kir Royal“ aus dem Jahr 1986, in der das Wirken eines Münchener Klatsch- und Schickeria-Reportes geschildert wird, beschließt die Reihe der untersuchten Fernsehserien. In der Folge geht es um die Geschichte eines in München lebenden jüdischen Komponisten, der im Sterbebett liegt, und einer alten Freundin, hinter der man als Vorbild Marlene Dietrich vermuten kann. Rauch zeigt die vielfachen bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Verweise auf die Geschichte der Vernichtung, auf die in München noch vielfältig existenten, durch die NS-Zeit geprägten Orte und auf „faschistoide Tendenzen“ in der Gegenwart hin.
Im Fazit geht Rauch der Frage nach, inwiefern die Fernsehanstalten einen Beitrag zur – nach Wolfdietrich Schnurres Begrifflichkeit – „visuellen Integration der Juden“ in der Bundesrepublik leisteten und inwiefern dadurch die „Grenzen des Sagbaren“ verschoben wurden. Einerseits hatten nach dem Medienereignis „Holocaust“ jüdische Figuren in deutschen Serien „Konjunktur“, und es wurden verschiedene Facetten jüdischen Lebens aufgezeigt. Andererseits zeigte sich gerade bei den Auseinandersetzungen zwischen Filmproduzenten und der Autorin der Vorlage zu „Ein Stück Himmel“, dass weiterhin Grenzen gezogen und eingehalten wurden, gerade diese Grenzziehungen aber auch zu Kontroversen führen konnten. Die Grenzen der „visuellen Integration“ erweisen sich auch anhand der Analyse der Rezeption, wie sie etwa aus der Zuschauerpost zu rekonstruieren ist. Hier standen häufig keineswegs die von den Filmemachern forcierten Themen im Mittelpunkt des Interesses der Zuschauer, sondern ganz andere, die eher der Logik der Rezeption von Vorabendserien als der der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus folgten. Gerade an solchen Details lässt sich der Ansatz der Cultural Studies nachvollziehen, dass das, was in die filmischen Texte hineingeschrieben wird, nicht unbedingt dem entspricht, was herausgelesen wird.
Raphael Rauch hat eine Arbeit vorgelegt, die auf der Basis einer Fülle von Quellen seinem Anspruch, „die Trias von Produktion, filmischem Text und Rezeption ernst zu nehmen“, gerecht wird und keinesfalls, wie er mit leichtem understatement behauptet, lediglich als Grundlagenforschung für weitere notwendige Analysen verstanden werden kann. Seine Methode, die Diskussionen vor, während und nach der Produktion der Filme zu recherchieren, die unterschiedlichen Ansätze der Akteure auch mit deren biografischem Hintergrund zu erklären, Produktion und Rezeption sehr klar historisch zu verorten, überzeugt, auch wenn man der Interpretation der „filmischen Texte“ – insbesondere im Fall der Reitzschen „Heimat“ – nicht bis in jedes Detail zu folgen bereit ist.
Zum Rezensenten:
Dr. Gunter Mahlerwein ist
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kultur- und Mediengeschichte an
der Universität des Saarlandes.
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