Michael Butter, „Nichts ist wie es scheint.“ Über Verschwörungstheorien, Berlin 2018, Suhrkamp, 270 S., 18.- €, ISBN: 3518073605


Der Autor fragt danach, was Verschwörungstheorien sind, wie diese in Argumentationszusammenhängen verwendet werden, warum Menschen daran glauben und ob sie einflussreicher und populärer geworden sind. Er erläutert die historische Entwicklung solcher Fantasiegebilde, solcher Mythen und Denkkonstrukte, die durch das Erstarken populistischer Bewegungen, so Butter zu Recht, eine „Renaissance“ erfahren (S. 17) und fragt danach, wie stark das Internet die jüngsten Entwicklungen beeinflusst hat. Schließlich geht es in diesem Band auch um die Gefährlichkeit eines solchen Denkens und was dagegen getan werden kann. Der Autor problematisiert zu Recht den Begriff Verschwörungstheorien, im Hinblick darauf, dass es sich eigentlich um Verschwörungsdenken oder Verschwörungsfantasien bzw. -mythen handelt, die keinen theoretischen Unterbau haben.

Butter verweist bereits zu Beginn seiner Ausführungen auf den immer noch grundlegenden Aufsatz des Historikers Richard Hofstadter über den „paranoiden Stil in der amerikanischen Politik“ (S. 14 f.) und bezeichnet dessen Essay als wegweisend (S. 61), wobei er Hofstadters Thesen meines Erachtens zu eng interpretiert und sie auf eine Pathologisierung von Verschwörungstheoretikern als paranoid reduziert (S. 15, S. 103). Denn der „paranoide Stil“ steht nach Hofstadter nicht für eine Paranoia im klinischen Sinne, sondern für Verschwörungsvorstellungen, die sich gegen eine andere Gruppe, eine Nation, eine Kultur richten.

Die Mythen der Eva Herman

Eva Herman, die ehemalige Tagesschausprecherin, die sich längst von einer seriösen Berichterstattung verabschiedet hat und in diversen rechtslastigen Medien präsent ist, dient Butter in vielen Teilen des Buches als anschauliches Beispiel. Allerdings wird Herman durch den ständigen Bezug auf sie eine Wichtigkeit zugeschrieben, die sie weder im Netz noch in Kreisen der Verschwörungsfantasten hat. Trotz der vielen Nennungen ihrer Person, verweist der Autor nicht darauf, dass Herman immer wieder antisemitische Klischees in ihrem Verschwörungsdenken bedient, wenn sie z.B. über „Strippenzieher“ oder „Machtmenschen des globalen Finanzsystems“ schwafelt und dabei Codes nutzt, die in der Szene durchaus als die Zuschreibung zu einer vermeintlich jüdisch dominierten Finanzwelt gelesen werden können (S. 24). Dies gilt ebenso für Hermans krude Ideen, die Geflüchteten seien gezielt rekrutiert worden (S. 25). Es passt in den Kanon der Schuldzuweisungen an George Soros, den jüdisch-ungarischen Philanthropen und Hedgefonds-Manager, den der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán als sein Feindbild auserkoren hat und mit antisemitischen Bildern verbindet. Der Autor nennt diese Zusammenhänge nicht, auch dann nicht, wenn Herman von „amerikanischen Organisatoren“ spricht – Soros lebt in den USA und ist in den letzten Jahren immer wieder zum Ziel antisemitischer Verunglimpfungen geworden (S. 28). Obwohl Hermans Thesen wiederholt im Mittelpunkt seiner Ausführungen stehen, verweist der Autor erst auf Seite 36 auf die „lange antisemitische Tradition“ der von Herman insinuierten Krake. Der Name George Soros fällt schließlich wieder im Zusammenhang mit Eva Herman und der Flüchtlingskrise, aber auch hier wird nicht auf mögliche antisemitische Konnotationen eingegangen (S. 109). Selbst beim Begriff „Bankiers“ und dem Verweis von Herman auf eine kleine Gruppe dieser Menschen, denkt der Autor nicht an das Naheliegende – die tradierten antisemitischen Stereotypen im Zusammenhang mit Geld, Bankiers und Finanzwelt (S. 111). Der Name Soros und die Orbán-Kampagne gegen ihn greift Butter später erneut auf, erwähnt aber auch hier die antisemitische Konnotation nicht. Der Gedanke, dass die Wortwahl „ethnische Minderheit“ auf genau solche Zusammenhänge hindeuten könnte, ist für den Autor offensichtlich nicht von Relevanz (S. 174).

Antisemitismus

Der Autor widmet sich den bekannten Verschwörungsmythen um John F. Kennedys Tod, 9/11, die Mondlandung und die Chemtrails, also die Kondensstreifen, die Flugzeuge hinterlassen und die angeblich dazu dienten, Gift zu versprühen. Bei der Aufzählung der zahlreichen Verschwörungstheorien vermisst man den einen oder anderen Hinweis auf solche mit antisemitischem Hintergrund, obwohl diese heute - mehr denn je - ein zentrales Thema sind. Obgleich die Anschläge des 11. September 2001 und die sich darum rankenden Verschwörungstheorien in diesem Band häufig Thema sind, findet sich kein Hinweis auf die antisemitische Variante, die unterstellt, dass die „jüdischen Mitarbeiter“, die im World Trade Center arbeiteten, an diesem Tag nicht zur Arbeit erschienen seien, weil der CIA oder der Mossad sie gewarnt habe.

Die Grundlage vieler antisemitischer Verschwörungsfantasien, die „Protokolle der Weisen von Zion“, wird erst verhältnismäßig spät erwähnt (S. 68). Explizit geht der Autor auf antisemitisches Verschwörungsdenken erst im Unterkapitel „Der Mythos von der Jüdischen Weltverschwörung“ (Fallstudie) ein. Allerdings spricht Butter im Zusammenhang mit „Juden“, die das Ziel derartiger Verschwörungstheorien seien, von „angeblichen Missetätern“. Auch wenn An- und Abführungszeichen gesetzt sind, ist diese Wortwahl doch mehr als zweifelhaft (S. 160). Die Behauptung des Autors, es gebe „keine Kontinuitätslinien von den antijüdischen Vorwürfen des Mittelalters zu den antisemitischen Weltverschwörungstheorien der Moderne, in dem Sinne, dass ein religiöses Muster nach und nach säkularisiert worden wäre“, lässt sich nicht halten. Ritualmordlegenden und Brunnenvergiftungsvorwürfe haben bis heute Konjunktur und werden den Zeitläuften angepasst. Die Unterstellung der angeblichen Brunnenvergiftung findet sich heute im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt, wenn behauptet wird, Israelis würden die Brunnen der Palästinenser vergiften, um sie zu töten. Die Ritualmordlegende tauchte in einer 29-teiligen syrischen Fernsehserie (Al-Shatat/Diaspora) auf, als ein Kind mit drastischen Mitteln von verzerrt dargestellten Rabbinern ermordet wird, um sein Blut für das ungesäuerte Brot zu Pessach zu gewinnen. Nach Hall in Tirol pilgern Gläubige bis heute, um dem angeblich von Juden im 15. Jahrhundert ermordeten Anderl von Rinn zu huldigen.

Ebenso ist Butters Schlussfolgerung, dass die „Protokolle“ während der NS-Zeit eine Stimmung schufen, „in der es schließlich zum Genozid an den europäischen Juden kam“ eine ahistorische Verkürzung und Simplifizierung (S. 166). Etliche Seiten später verkürzt der Autor erneut die Ermordung der europäischen Juden auf die These, der „Mythos von der jüdischen Weltverschwörung“ habe „den Weg zum Holocaust geebnet“ (S. 221).

Zu Recht allerdings verweist der Autor auf die Präsenz der „Protokolle“ in der arabischen Populärkultur, erweckt aber den Anschein, dass sie nur in dieser Region der Welt Aktualitätswert besäßen. Sie seien zwar in der westlichen Welt nicht völlig verschwunden, existierten aber im Wesentlichen in Gegenöffentlichkeit und Subkulturen (S. 168). Betrachtet man die Verbreitung der „Protokolle“ im Internet nicht nur auf rechtsextremen und islamistischen Seiten, sondern auch auf globalisierungskritischen, esoterischen und fundamentalistisch religiösen Seiten bzw. in den Sozialen Medien, dann geht deren Präsenz weit über ein Nischendasein hinaus.

Butter beruft sich – wie übrigens seinerzeit auch der damalige CDU Abgeordnete Martin Hohmann, den dies seine Parteimitgliedschaft kostete - u.a. auf den Historiker Johannes Rogalla von Bieberstein, dessen Thesen über einen angeblich „jüdischen Bolschewismus“ zu Recht stark kritisiert wurden und der inzwischen im rechtspopulistischen Antaios-Verlag eines Götz Kubitschek publiziert.

Für Butter sind „Verschwörungstheorien, die sich gegen Minderheiten oder stigmatisierte Gruppen wie Juden oder Geflüchtete, also gegen angebliche Komplotte ‚von unten‘“ richten, zu Recht problematisch. Allerdings verkennt der Autor im Folgenden die Unterschiede zwischen rassistischem und antisemitischem Verschwörungsdenken. Juden werden als mächtig insinuiert, das unterscheidet solche Stereotypenmuster von rassistischen, die anderen Minderheiten zuschreiben, minderwertig zu sein und am unteren Ende der Gesellschaft zu stehen (S. 224). Es würde sich lohnen, den Verweis auf „Strippenzieher“, die Butter bei den „einheimischen Eliten“ ausmacht, auf antisemitische Bilder zu überprüfen (S. 225), denn der „Strippenzieher“ ist ein klassischer Code antisemitischer Zuschreibungen.

Die Schlussfolgerungen und Handlungsstrategien des Autors bleiben viel zu sehr im Allgemeinen verhaftet und präsentieren leider keinerlei neue Erkenntnisse.


Zur Rezensentin:

Dr. Juliane Wetzel, Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung, Berlin

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