František Steiner, Fußball unterm gelben Stern. Die Liga im Ghetto Theresienstadt 1943–44, hg. von Stefan Zwicker, Paderborn 2017, Ferdinand Schöningh, 195 S., 26.90 €, ISBN: 978-3-506-78626-5

Als einen „Augenblick der Menschlichkeit“ beschreibt der Zeitzeuge Jiří Pavel (1926–2011) den von der jüdischen Selbstverwaltung organisierten Fußball im Ghetto Theresienstadt. Beinahe unvorstellbar erscheint aus heutiger Perspektive, dass es in dem dortigen Lager, inmitten der unmenschlichen Bedingungen, zwischen Frühjahr 1943 und dem Spätsommer 1944 tatsächlich eine aus zwei Klassen bestehende Fußball-Liga mit Aufstiegs- und Abstiegsrunde, einen Pokalwettbewerb und einer Jugendliga gab. Die Mannschaften bestanden aus jeweils sieben Spielern, trugen Namen wie „Elektriker“, „Köche“ oder „Kleiderkammer“ und traten sogar in eigenen Trikots an. Allerdings war jene Theresienstädter Fußball-Liga weitaus mehr als nur ein Teil einer von der NS-Propaganda inszenierten Vorzeigekulisse, welche gegenüber dem internationalen Roten Kreuz und den ausländischen Beobachtern die scheinbare Normalität in dem nach außen als „jüdisches Siedlungsgebiet“ dargestellten Lager dokumentieren sollte: In der Liga spielten neben früheren Amateurspielern nämlich auch ehemalige Profis aus der tschechoslowakischen und österreichischen Liga bis hin zu einigen früheren Nationalspielern. Der Spielbetrieb hatte dementsprechend ein sehr hohes Niveau, und die Zahl der Zuschauer war bei vielen Spielen vierstellig. Somit war die „Ghetto-Liga“ auch ein Stück der Selbstbehauptung, welche die jüdische Lagerverwaltung mithilfe von Konzerten, Theateraufführungen und Literaturlesungen beispielsweise auch im kulturellen Bereich an den Tag legte. In diesem Sinn war der Fußball für den oben zitierten Zeitzeugen Pavel tatsächlich ein „Augenblick der Menschlichkeit, weil wir ansonsten nicht[s] als Nummern waren. [...] wir spielten mit Begeisterung, es war für eine Weile ein absolutes Sich-Ausleben. Einfach eine Droge, mit der man ins Leben zurückkehrte!“ So gab der Fußball, wie es der deutsch-tschechische Verleger Tomaš Kosta (1925–2001) als ehemaliger Spieler in der Theresienstädter Liga rückblickend konstatierte, „wenigstens für eine Weile ein Stück Freiheit zurück. Man vergaß, wo man sich befand, man vergaß die Transporte, von denen wir damals nicht wussten, dass sie in den Tod führten.“ Ähnliche Gefühle konnte der Fußball, wie sich Arnošt Schlesinger (1928–2015) erinnerte, auch unter den Zuschauern freisetzen: „Das Spiel machte mir gute Laune. Das war ein schönes Erlebnis und gab mir das Gefühl, dass wir überleben würden.“ Dementsprechend resümierte der Historiker und Zeitzeuge Toman Brod (* 1929): „Was hat der Fußball für uns im Ghetto bedeutet? Zusammen mit der Kultur war das eine riesige Injektion. Wir freuten uns auf ihn, er gab uns Freude, stärkte unser Selbstvertrauen. Es waren Zeiten, die uns daraus wegführten, worin wir lebten. Fußball und Kultur waren ein geistiger Rückhalt, der beinahe einer Rüstung glich.“

In dem Buch lassen sich viele derartige Aussagen von Zeitzeugen finden, mit denen der bekannte tschechische Sportjournalist František Steiner (1925–2013), der als sogenannter „Halbjude“ selbst ein Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung und später Mitarbeiter des deutschen Fachmagazins „Kicker“ und des „Sport-Informations-Dienstes“ sowie Pressesprecher des Tschechischen Fußballverbandes war, ausführliche Interviews geführt hat. Diese Gespräche mit Überlebenden aus dem Lager Theresienstadt bildeten die Basis des 2009 in der tschechischen Originalausgabe erschienenen Bandes „Fußball unterm gelben Stern“, mit welchem die Existenz der Liga im Ghetto Theresienstadt erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde. Für die deutsche Ausgabe hat der Historiker Stefan Zwicker Steiners Text nicht nur übersetzt, sondern diesen auch behutsam um eine die Theresienstädter Fußball-Liga in die historischen Zusammenhänge einordnende Einleitung sowie um einen abschließenden Beitrag zum jüdischen Fußball und dem Fußball in Konzentrationslagern im allgemeinen ergänzt.

In dem Band kommen viele bekannte und weniger bekannte Zeitzeugen zu Wort, die über mitreißende Spiele, großartige Spieler und Momente der Menschlichkeit in einem entmenschlichten Umfeld berichten. Die berührenden Geschichten der Überlebenden aus dem Ghetto, aber auch die sachliche, unprätentiöse Sprache des Autors, die von Stefan Zwicker gekonnt ins Deutsche übertragen wurde, geben dem Leser einen ungewöhnlichen Einblick in die beklemmende Welt des Theresienstädter Ghettos und in das alltägliche Leben und Überleben seiner Bewohner. Damit kommt dem Buch zweifelsohne das Verdienst zu, einen bislang weitgehend unbekannten Aspekt des Lagerlebens in Theresienstadt zu beleuchten und jenen dem Leser dank der beklemmenden Schilderungen der Zeitzeugen auf besonders eindrückliche Weise zu vermitteln.
Während die kulturellen Aktivitäten der jüdischen Selbstverwaltung, zu welchen beispielsweise die sechzehnmalige Aufführung von Verdis Requiem unter Rafael Schächter (1905–1945) gehörte, in der historiographischen Forschung der letzten Jahre immer wieder thematisiert wurden, war das Wissen über den Organisationsgrad des im Ghetto gespielten Fußballs und über dessen Bedeutung für die in dem Sammellager eingepferchten Personen auch unter Fachleuten eher gering. Die historische Kontextualisierung von Stefan Zwicker ist daher durchaus hilfreich; allerdings irritieren, dies sei kritisch angemerkt, angesichts der Tatsache, dass sich der Herausgeber in der Einleitung darüber beklagt, dass „die Originalausgabe offensichtlich wenig lektoriert“ wurde (S. 11), einige etwas holprig übersetzte Aussagen der Zeitzeugen, wie zum Beispiel das zweimal erwähnte Zitat von Jiří Pavel (S. 9, 46) oder auch die falschen Namens- und Altersangaben zu Arnošt Schlesinger (S. 58).

Nichtsdestotrotz ist die Lektüre des Buches nicht nur Historikern und Fußballbegeisterten zu empfehlen. Steiners Text ist nämlich nicht zuletzt auch eine Hymne auf das Leben im Angesicht des Todes – dementsprechend endet jener mit einem Zitat des früheren Verteidigers der Mannschaft „Jugendfürsorge“, Peter Erben (1921–2017): „Der Fußball war das Leben.“

Zum Rezensenten: Dr. Ansbert Baumann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Europäische Zeitgeschichte der Universität des Saarlandes und lehrt außerdem an der Universität Tübingen und an der Sciences Po Paris, Collège universitaire à Nancy

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