Roger Moorhouse, Das Dritte Reich in 100 Objekten. Darmstadt 2017

Roger Moorhouse, Das Dritte Reich in 100 Objekten, Darmstadt 2017, Konrad Theiss Verlag, 271 S., 29,95 - €, ISBN: 978-3-8062-3552-4

Der britische Historiker Roger Moorhouse hat im Jahr 2017 ein Buch mit dem Titel The Third Reich in 100 Objects veröffentlicht, das von Birgt Lamerz-Beckschäfer ins Deutsche übersetzt wurde und im Theiss Verlag erschienen ist. Roger Moorhouse ist bekannt als Spezialist der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, besonders des Dritten Reichs und des Lebens von Adolf Hitler. 2006 erschien Moorhouses erstes Buch mit dem Titel Killing Hitler, 2010 folgte Berlin at War über die Geschichte Berlins während des Zweiten Weltkriegs. Das neue Buch von Moorhouse lässt sich im Rahmen dieses Forschungsschwerpunkts gut verorten. 100 Objekte aus dem Kontext von Hitler, der SS und der NSDAP werden abgebildet und besprochen.

Der Titel Das Dritte Reich in 100 Objekten verspricht aber erst einmal mehr. Und so werden die LeserInnen, die Moorhouses Forschung bislang nicht kannten, schnell enttäuscht. Man erwartet zunächst eine Alltagsgeschichte des Dritten Reichs, erzählt aus der Perspektive der materiellen Kultur. Man möchte erfahren, wie weit der Nationalsozialismus in den Alltag eingedrungen war (z. B. sah ich im Stadtmuseum Dresden mit Hakenkreuzen bestickte Kinder-Unterwäsche). Man will etwas über die Kinderspiele der Zeit erfahren, über Frisuren, über Spazierstöcke, über Faschingskostüme ... Wenn man das Buch aufschlägt und hineinblättert, merkt man aber schnell, dass es hauptsächlich die materielle Kultur Hitlers und des NS abbildet.

In einem zweiseitigen Vorwort berichtet Richard Overy, dass Adolf Hitler und sein Regime sich ganz gezielt für die Produktion von Objekten, Bildern, Symbolen und Propagandaparolen einsetzten – angefangen beim Hakenkreuz, das von einem uralten hinduistischen Glückssymbol weiterentwickelt wurde, bis zum Hitlergruß oder Uniformen der SS, den Flaggen, Emblemen und anderen Inszenierungen. Diese verschiedenen Utensilien und Strategien des Regimes werden exemplarisch an 100 Objekten beschrieben und kommentiert. In dieser Hinsicht bietet das Buch ein interessantes Konvolut, um über die Designstrategien des Nationalsozialismus zu reflektieren.

Die 100 Objekte sind weder alphabetisch noch thematisch geordnet. Außer dem zweiseitigen Vorwort von Richard Overy bekommen die LeserInnen keine Anweisung, wie dieses Konvolut an Gegenständen gelesen werden soll. Richard Overy schreibt, dass diese Objekte „das komplexe Geschehen dieser Epoche anhand von Bildern, die der Geschichte eine handfeste, greifbare Stofflichkeit verleihen“ (S. 9), präsentieren. Er ergänzt, dass durch diese Objekte deutlich wird, dass das Dritte Reich „gewöhnlich und außergewöhnlich“ zugleich war – „Alltag und Tragödie“ (ebd.). Die 100 Objekte sollen „einen Eindruck von diesen Gegensätzen“ (ebd.) vermitteln.

Wir könnten also versuchen, anhand einiger Beispiele „gewöhnliche“ und „außergewöhnliche“ Objekte zu sortieren: Das erste vorgestellte Objekt ist Hitlers Aquarell-Malkasten. Wir könnten uns gleich fragen: gewöhnlich oder außergewöhnlich? Schwierig zu beantworten. Der Malkasten wird geöffnet fotografiert, so dass man die Nutzungsspuren sehen kann. Man merkt, dass Hitler ihn intensiv benutzte. Das Objekt erzählt von Hitlers frustrierenden künstlerischen Ambitionen. In dem Kommentar zum abgebildeten Objekt wird berichtet, dass Hitler von seinem Maltalent überzeugt war. Er bewarb sich zweimal an der Kunstakademie Wien und war sich sicher, angenommen zu werden, bestand aber die Prüfung nicht. Im Anschluss malte er, wie wir wissen, weiter und verkaufte seine Bildchen für fünf Mark auf der Straße. Heute werden sie bei Auktionen für über 100 000 Euro verkauft. Das Buch zeigt auch ein Beispiel, ein Aquarellbild, das Hitler im Dezember 1914 als Soldat an der Front malte. Es wäre sehr interessant gewesen, mehrere dieser Bilder zu sehen, besonders auch solche aus der Zeit Hitlers als selbsternannter „Führer“ des Deutschen Reichs. Der Malkasten ist ein „gewöhnliches Ding“ für jemanden, der gerne malt. Er kann aber auch als ein „ungewöhnliches Ding“ betrachtet werden, wenn man bedenkt, dass Adolf Hitler ihn benutzte. Hatte er Zeit, fortwährend zu malen? Wann hat er diese Tätigkeit ausgeübt? Was hat er dann gemalt? Diese Fragen bleiben unbeantwortet. Vielleicht gehörte der Malkasten zu Hitlers Vergangenheit und hatte mit der Zeit des Dritten Reichs nicht unmittelbar zu tun – dann hätte Moorhouse dieses Objekt nicht abbilden sollen.

Auf Malkasten und Aquarelle folgen eher „gewöhnliche Dinge“ aus der Geschichte der Partei: Hitlers Partei-Mitgliedskarte, die Blutfahne, das Buch Mein Kampf, Emaille-Schilder mit der Anweisung zum Hitlergruß, Büsten, Plakate, Parteiabzeichen, Uniformen, Helme, Stiefel, Erinnerungsfiguren, Kataloge, Dienstmarken, Souvenirarmband, Tarnjacke, Armbinde, Ehrentempel, Hakenkreuzflagge … Es handelt sich also um „gewöhnliche Dinge“ für eine „politische Religion“ (S. 16), wie an manchen Stellen des Buchs das Dritte Reich bezeichnet wird. Der Begriff „politische Religion“ wird leider nicht erläutert. Normalerweise wird er benutzt, um totalitäre Systeme, wie den Nationalsozialismus oder den Stalinismus, zu bezeichnen, in denen bestimmte politische Figuren wie Propheten oder Heilsbringer behandelt werden. Ein diese politischen Regime mit Religionen verbindender Aspekt ist, dass besonderer Wert auf kultische Rituale und Reliquien gelegt wird. Der Apparat ist sich bewusst, dass es wichtig ist, Präsenz gegenüber den BürgerInnen zu zeigen und den Führer wie einen Auserwählten des Volks zu inszenieren. Deswegen tendiert eine „politische Religion“ zu einer Art ästhetischer Hervorhebung aller Auftritte des Anführers und des Apparats, was oft in Zusammenhang mit einer Sakralisierung der Politik gebracht wird, wenngleich es sich eigentlich um eine Ästhetisierung der Politik, um eine bewusste Nutzung der Macht der Ästhetik handelt.

Diese Objekte des Dritten Reichs verdeutlichen, wie viel Wert Hitler und das Regime auf Design und Ästhetik legten. Das Aufsehen um Hitler war präzise kalkuliert, wie u. a. Hitlers Bartbüste dokumentiert, welche die Funktion hatte, den Bart perfekt zu frisieren. Der Fotograf Heinrich Hoffmann, dessen Fotoapparat auch im Buch abgebildet ist, hatte die Aufgabe, Hitlers Stil fotografisch perfekt zu erfassen. Moorhouse berichtet, dass Hitler gemeinsam mit Hoffmann an diesem öffentlichen Image arbeitete, indem sie Posen einstudierten und Kleidung gezielt auswählten (S. 68).

Auch viele andere Objekte geben aufschlussreiche Einblicke in die Designgeschichte des Dritten Reichs: Das Reichsadler-Symbol des alten Deutschen Reichs, das auch die Weimarer Republik beibehielt, wurde von Hitler ganz neu entworfen: „Erst Hitler gab dem Adler nach 1933 ein gänzlich anderes Aussehen“ (S. 141). In dem Buch erfahren wir aber nichts über die Geschichte dieser Neugestaltung. Es wird berichtet, dass der Bildhauer Kurt Schmid-Ehmen eine Serie monumentaler Adler für NS-Gebäude entwarf und dass diese skulpturalen Übertragungen ebenso monumental waren. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, wie Hitler seine künstlerischen Ambitionen kanalisierte, um ein Symbol neu zu gestalten. Im Unterschied zum Reichsadler der Weimarer Republik, der von Karl-Tobias Schwab 1926 entworfen wurde und heute immer noch als deutsches Bundeswappen verwendet wird, ist beim NS-Reichsadler mit geschlossenem Schnabel weder Zunge noch irgendeine Bewegung zu erkennen – als hätte Hitler die Stärke und Entschiedenheit des Dritten Reichs damit ausdrücken wollen. Der Adler hält einen Eichenkranz mit einem Hakenkreuz ganz fest in seinen Fängen und wirkt wie ein Symbol der Ewigkeit.

Ein anderes interessantes Objekt ist eine Sammelpostkarte von 1939 mit einer Porträtzeichnung des Künstlers Wolfgang Willrich. In dem Buch erfahren wir, dass die Partei bei dem Künstler eine Serie von Zeichnungen „von NS-Größen, ‚deutschem Blutadel‘ im Ausland und deutschen Bauern“ bestellte (S. 138). Diese Karten wurden gesammelt und Kinder spielten damit auf Schulhöfen. Auch mit diesem Beispiel zeigt Moorhouse, dass es ihm darum geht zu zeigen, dass diese Objekte des Dritten Reichs vielleicht künstlerisch keinen Wert haben, aber als Instrumente der Macht von großer Bedeutung waren: „Mag der künstlerische Wert seiner Bilder auch umstritten sein – für die Propagandamaschinerie waren sie von unschätzbarem Wert“ (S. 139).

Auch das Radio war ein zentrales Objekt dieser Propagandamaschinerie. Nicht so sehr, weil Radiogeräte und Lautsprecher mit nationalsozialistischen Zeichen gestaltet wurden, sondern weil die Stimmen, die aus den Lautsprechern kamen, die ganze Umgebung zum Erstarren bringen sollten. Der sogenannte Volksempfänger war in sehr vielen Wohnzimmern präsent und machte die Menschen, die sich im Privaten befanden, zu TeilnehmerInnen einer Massenveranstaltung. In dieser Hinsicht gehörte die ausgestrahlte Stimme zu einem wichtigen Medium, um Menschen in allen Räumen zu einer Masse von AnhängerInnen zu verwandeln. Im Buch wird diese Macht der Stimmen nicht thematisiert, sondern die Macht der Objekte. Abgebildet sind ein Radiogerät, ein kleines braunes Bakelit-Gehäuse mit einem Adler-Stempel, und das Propagandaplakat aus dem Jahr 1936 mit dem Titel „Ganz Deutschland hört den Führer mit dem Volksempfänger“, auf dem das gleiche Gerät abgebildet ist, umgeben von zahlreichen Menschen, die ihre Augen und Ohren darauf richten, als wäre es ein Monument. Die NS-Radiogeräte waren sehr günstig, damit sie von allen BürgerInnen gekauft werden konnten. Es wird erzählt, dass der Volksempfänger im Unterschied zu herkömmlichen Rundfunkgeräten nur für den Empfang deutscher und österreichischer Sender ausgelegt war, sodass er perfekt als Organ der NS-Propaganda dienen konnte.

Ein anderes Objekt hatte auch die Funktion, die Menschen zu einer Volksgemeinschaft zu verbinden. Es handelt sich um die Sammelbüchse des Winterhilfswerks. Abgebildet ist eine rote Sammeldose, produziert in Wien, mit einer Öffnung im Deckel, in die man Geld einwerfen konnte. Im Kommentar wird erzählt, dass die Spende eigentlich freiwillig sein sollte, die Menschen aber in Wirklichkeit zum Spenden genötigt wurden. Als Belohnung für die Spende bekam man unter anderem Anstecknadeln mit verschiedenen Tieren oder Stadtwappen, um die Spende-Tätigkeit öffentlich zeigen zu können. Leider sind diese Anstecknadel-Motive nicht abgebildet.

Wenige Objekte im Buch zeigen das, was nicht für die Öffentlichkeit gedacht war, aber trotzdem zur Geschichte des Dritten Reichs gehört. Ein Beispiel ist der Malkasten. Ein anderes Beispiel ist Eva Brauns Lippenstiftetui. Es handelt sich um ein Geschenk Hitlers mit den eingravierten Initialen „EB“. Der Architekt Albert Speer hatte ein Monogramm in Form eines Glückklees für sie entworfen. Dieses Monogramm schmückte viele der Objekte, die Eva Braun besaß, auch dieses Lippenstiftetui. In dem Buch wird erzählt, dass Hitler Make-up bei Frauen nicht besonders mochte. Als er einmal auf Eva Brauns Serviette Abdrücke ihres Lippenstifts bemerkte, äußerte er einen vernichtenden Kommentar: Er erzählte der Tischrunde von dem Gerücht, in Frankreich stelle man Lippenstifte aus dem Fett der Pariser Abwässer her.

Diese und andere Kommentare, welche die Objekte in dem Buch begleiten, veranschaulichen, dass diese Sammlung ein interessantes Forschungskonvolut präsentiert, das sich mit konkreten Fragestellungen gezielter analysieren ließe. Interessant finde ich die Frage, inwieweit zwischen öffentlichen und privaten Objekten und zwischen „gewöhnlichen“ und „außergewöhnlichen“ Objekten des Dritten Reichs unterschieden werden könnte. Vielleicht werden wir in der nächsten Veröffentlichung von Moorhouse mehr über die Sammlung und deren Bedeutung erfahren. In Das Dritte Reich in 100 Objekten haben wir erst einmal die Möglichkeit, viel Interessantes über die materielle Kultur von Hitler, der SS und der Nationalsozialisten zu entdecken, und man stellt sich viele Fragen. Der Autor selbst zeigt sich hinsichtlich der Fragestellungen, die das Buch leiten, eher bedeckt und liefert hauptsächlich Anekdoten. Es ist also ein Buch, in das man immer wieder hineinschauen kann, als würde es sich um ein Rezeptbuch handeln. Interessant ist, dass das Cover des Buchs auch dem Stil eines Rezeptbuchs folgt: Ein illustriertes Rezeptbuch der Propaganda und Machtmaschinerie des NS, das vielleicht bald entziffert wird, um eine Geschichte des Designs oder der „gewöhnlichen“ und „außergewöhnlichen“ Dinge des Dritten Reichs zu entwerfen.


Zur Rezensentin:
Dr. Amalia Barboza, Juniorprofessorin für Theorien und Methoden der Kulturwissenschaften, Universität des Saarlandes.

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