Walter Lesch (Hg.), Christentum und Populismus. Klare Fronten?

Walter Lesch (Hg.), Christentum und Populismus. Klare Fronten?, Freiburg, Basel, Wien 2017, Herder-Verlag, 232 S., 24.- € (eBook 24.- €),  ISBN: 978-3-451-37973-4


Der Blick auf die gegenwärtige politische Szenerie offenbart eine auffällige Renaissance des Populismus. Trump, Orbán, Erdogan, AfD und FPÖ, die Liste kann fortgeführt werden, vermitteln den Eindruck einer mächtigen Bewegung, die weite Teile der Welt mehr und mehr erfasst.

Der von Walter Lesch herausgegebene Band macht es sich nicht leicht, dieses Phänomen in den Griff zu bekommen, insbesondere im Hinblick auf Konvergenzen und Divergenzen im Verhältnis von Populismus und Christentum. Der mit einem Fragezeichen versehene Untertitel „Klare Fronten?“ wirft die intuitive These einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Christentum und Populismus auf unsicheren Boden zurück. Angesichts des komplexen Verhältnisses vermeidet es der Band daher, mit der Geste des erhobenen Zeigefingers aufzutreten. Es wird jedoch rasch deutlich, dass bei intensiver theologisch-wissenschaftlicher Reflexion sehr wohl klare Grenzen zu ziehen sind und fundierte Kritik am fundamentalistischen Populismus zu äußern ist.

Walter Lesch, dessen pointierte und informierte Rahmung die Beiträge hervorragend abrundet, hebt den Werkstattcharakter des Bandes hervor und identifiziert Baustellen (S. 23), derer sich die Autorinnen und Autoren annehmen. Angesichts des hohen Reflexionsniveaus stapelt er damit freilich tief. Verschiedene Sichtachsen werden Sektionen zugeordnet: Problemanzeigen (Lesch, Schelkshorn, Kruip), Demokratie (Bogner, Palaver, Mandry), Gemeinschaft (Heimbach-Steins, Lesch, Lob-Hüdepohl),  Exklusion und Gewalt (Baumgarnter, Becka, Haker) Differenzen kommunizieren (Staffa, Ammicht-Quinn, Hoelzl), Ausblick (Lesch). Es kommen Entstehungsbedingungen des Populismus, mögliche Defizite in der Architektur der demokratischen Repräsentation und Entscheidungsfindung selbst, mediale und politische Stilmittel des Populismus und Auswirkungen populistischer Politik z.B. auf Minderheiten in den Blick.

Was die Charakterisierung des Phänomens angeht, so schließt sich nicht nur Wolfgang Palaver (S. 63) der durchaus hilfreichen Auffassung des Politikwissenschaftlers Jan-Werner Müller an, der Populismus u. a. als antielitär und antipluralistisch identifiziert. Gerade das letzte Attribut verweist auf die Dringlichkeit, kirchliche und theologische Altlasten zu entsorgen und unheilige Allianzen aufzuklären (so der Buchdeckeltext), um eine klare Haltung gegenüber dem Populismus glaubwürdig vertreten zu können. Tatsächlich ist es so, dass sich z. B. die Nivellierung von Genderfragen nicht nur unter konservativen Populisten, sondern auch unter geistesverwandten Christen beobachten lässt (Ammicht-Quinn, S. 179-181). Zudem kommt die antiliberale Grundierung populistischer Politiken in Europa (Schelkshorn) und USA (Haker) einigen geneigten evangelikalen und katholischen Kreisen entgegen. Von dort ist es bis zu inhumanen Ausgrenzungen nicht weit, denen sich kritische Theologinnen und Theologen, etwa durch die Tradition der Sozialverkündigung informiert (Heimbach-Steins), selbstbewusst entgegenstellen können.

Aufschlussreich ist der internationale Fokus des Bandes. So erfährt man von Hille Haker, die seit langem Theologische Ethik in Chicago lehrt, viel über die Hintergründe der Popularität Donald Trumps in einigen Bevölkerungsschichten. Konservative christliche Gruppierungen haben zum Sieg Trumps maßgeblich beigetragen (S. 148). Zudem äußert sich im Erfolg Trumps der gefühlte Niedergang einer patriarchalischen Kultur, die von weißen Männern getragen wurde und nun subjektiv als Identitäts- und Statusverlust erlebt wird (S. 150-153). Eine groteske Blüte treibt der Populismus mit der Religionsfreiheit, die von populistischen Kreisen, wie etwa der Tea-Party-Bewegung, nicht als Garant individueller Freiheit, sondern im Sinne einer gesamtgesellschaftlich anzustrebenden Rückkehr zu traditionellen christlichen Werten in Stellung gebracht wird (S. 154). Wie aktuell dieses Phänomen ist, zeigt ein Urteil des Obersten Gerichtshofes in den USA vom 4. Juni 2018, in welchem einem Bäcker Recht gegeben wurde, die Lieferung einer Hochzeitstorte für ein homosexuelles Ehepaar aus religiösen Gründen, also im Sinne der Religionsfreiheit, zu verweigern.[1] Für Ungarn illustriert Hans Schelkshorn am Beispiel Victor Orbáns, wie durch Simplifizierung und Umdeutung, christliches Gedankengut populistisch instrumentalisiert werden kann, um etwa Abgrenzungsstrategien gegenüber Flüchtenden zu untermauern (S. 30-36). Eine weitere wichtige Facette greift Michael Hoelzl mit seinen Überlegungen zur normativen Kraft des Kontrafaktischen auf, die er als komplementäres Gegenstück zu Georg Jellineks Vorstellung von der normativen Kraft des Faktischen begreift (S. 193). Populistische Lügen und Ideale erhalten ihre Wirksamkeit aus der Kraft der Kontrafaktizität ihrer Behauptungen, so Hoelzl[P1]. Dies vermag den Erfolg und die sublime Gefährlichkeit des populistischen Instrumentenrepertoires zu verdeutlichen.

Die Autorinnen und Autoren belassen es nicht nur bei kritischen Analysen, sondern bemühen sich um Strategien, Populismus wirksam zu begegnen. Andreas Lob-Hüdepohl erinnert aus der Sicht Sozialer Arbeit daran, dass als Adressaten sozialprofessionellen Handelns nicht nur die Opfer rechtspopulistischer Politik und Praxis in den Blick kommen dürfen, sondern auch die, die für eine solche Politik und Praxis besonders ansprechbar sind. Hier geht es um Tatprophylaxe (S.118). Lob-Hüdepohl ist aber Realist genug, auch die Limitierung präventiver Arbeit zu erkennen.

Als kleine Kritik am Sammelband mag man die gelegentlich auftretende Unschärfe im Gebrauch der Begriffe: Christentum, Kirchen, Religion usw. anführen, die zuweilen undifferenziert und parallel Verwendung finden.

Wenn am Anfang der Lektüre die selbstkritische Infragestellung klarer Fronten zwischen Christentum und Populismus den Ausgangspunkt bildete, so ist man als Leserin und Leser am Ende des Sammelbandes gut informiert, in der Auseinandersetzung mit dem Populismus theologisch und kirchlich klare Kante zu zeigen.

Zum Rezensenten:
Dr. Udo Lehmann ist Professor für Sozialethik und Praktische Theologie an der Universität des Saarlandes.

Anmerkung:
[1] Vgl. https://www.supremecourt.gov/opinions/17pdf/16-111_j4el.pdf, aufgerufen am 19.08.2018.

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