Kaiser, Eva Maria, Hitlers Jünger und Gottes Hirten. Der Einsatz der katholischen Bischöfe Österreichs für ehemalige Nationalsozialisten nach 1945

Kaiser, Eva Maria, Hitlers Jünger und Gottes Hirten. Der Einsatz der katholischen Bischöfe Österreichs für ehemalige Nationalsozialisten nach 1945 (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek Salzburg, Bd. 63), Wien-Köln-Weimar 2017, Böhlau-Verlag, 422 S., 30.- €, ISBN 978-3-205-20628-6


Vorliegendem Werk liegt die 2015 abgeschlossene Dissertation der Autorin am Institut für Kirchengeschichte der Universität Wien zugrunde. Es beschäftigt sich auf breiter Basis gedruckter und ungedruckter Quellen mit der Haltung der katholischen Bischöfe Österreichs gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten, aber auch gegenüber den katholischen Klerikern, die selbst Opfer des NS-Regimes geworden waren.

Das Buch gliedert sich in fünf Abschnitte. Der erste Abschnitt (S. 18-83) beschäftigt sich mit der grundsätzlichen Haltung des österreichischen Episkopats gegenüber dem Nationalsozialismus und dessen Selbstwahrnehmung nach 1945. Die Autorin skizziert hierbei das Wirken der sieben Diözesanbischöfe Österreichs im Einzelnen und betrachtet die lehramtlichen Äußerungen, die Weisungen an den Klerus und insbesondere den Nachkriegshirtenbrief der österreichischen Bischofskonferenz vom Oktober 1945. In letzterem entfalteten die Bischöfe auf 12 Absätzen ein breites Panorama der Kirchenverfolgung und stilisierten damit die katholische Kirche Österreichs zum zentralen Opfer Hitlers, wohingegen sie auf die eigentlichen Opfergruppen mit keinem Wort eingingen und im Übrigen jegliche Form von Verantwortung an den Geschehnissen der letzten sieben Jahre weit von sich wiesen. Zugleich klang hier jedoch bereits der Grundtenor an, der den weiteren Umgang der Bischöfe mit den ehemaligen Nationalsozialisten bestimmte: „Wir wissen aber auch, daß (...) viele Anhänger dieses gott- und kirchenfeindlichen Systems nur dem Zwang und Druck einer verblendeten Propaganda erlegen sind und daher im Geiste peinlicher Gerechtigkeit nicht gleich behandelt oder gar gleich bestraft werden dürfen wie Rädelsführer, verbissene Anhänger und gewalttätige Verfechter ihrer Ideen.“ (zit. nach Kaiser, S. 69f.) Die Bischöfe wandten sich damit explizit gegen die Entnazifizierungsmaßnahmen der Alliierten, die bereits aufgrund formaler Kriterien wie der Parteimitgliedschaft griffen. Für die österreichischen Bischöfe war die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung nicht schuldig an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Bischöfe bewegten sich mit dieser Deutung nach Kaiser jedoch vollkommen im gesellschaftlichen Mainstream der Nachkriegszeit, sie unterstützten „den Grundkonsens der jungen Republik und aller Parteien, Österreich als Opfer des Nationalsozialismus zu sehen.“ (S. 71). Selbstkritik gegenüber ihrem eigenen Verhalten im Nationalsozialismus blieb vollkommen aus (S. 66). Einzelne, wie der Salzburger Erzbischof Andreas Rohracher, gingen soweit, die Entnazifizierungsmaßnahmen argumentativ den NS-Verbrechen gleichzustellen und damit die NS-Täter zu den eigentlichen Opfern zu stilisieren.

Im zweiten Abschnitt (S. 84-157) untersucht Kaiser den Umgang mit den aus der Kirche Ausgetretenen. Kaiser blickt dazu zunächst auf die verschiedenen Austrittsbewegungen seit der Los-von-Rom-Bewegung Schönerers zurück und betrachtet dann die Entwicklung während des Nationalsozialismus in einzelnen österreichischen Diözesen. Dem Austritt von insgesamt rund 300.000 österreichischen Katholikinnen und Katholiken in den Jahren 1938-1945 folgte spätestens 1945 (in Wien bereits ab 1943) eine starke Wiedereintrittsbewegung. Bereits ab 1943 beschäftigte man sich folglich in Wien mit der Frage, wie mit den Menschen umzugehen sei, die ihren Kirchenaustritt bereuten und wieder in die Kirche aufgenommen werden wollten. Hierbei sind zwei Phasen zu unterscheiden. Bis zum Ende der NS-Herrschaft wurde es den Ausgetretenen ermöglicht in foro interno d.h. im Beichtstuhl den Austritt zu bereuen und durch den Priester mittels der Lossprechung von der Apostasie wieder aufgenommen zu werden. (S. 98f). Dies geschah vor allem um den Reumütigen Repressalien durch das NS-Regime zu ersparen. Nach dem Ende der NS-Herrschaft kehrte man zur bewährten Praxis zurück, nach der die Wiederaufnahme öffentlich (in foro externo) d.h. in Gegenwart der Gemeinde vollzogen werden musste. Zusätzlich beschloss die Bischofskonferenz angesichts der großen Zahl an Rückkehrwilligen, unter denen man (zurecht) viele Konjunkturritter vermutete, eine mindestens dreimonatige Bewährungsfrist. Kaiser untersucht Motive für Aus- und Wiedereintritt am Beispiel der Diözese Gurk (S.101-112) und beschäftigt sich in der Folge noch einmal gesondert mit den NS-Belasteten unter den dortigen Rückkehrwilligen (S.113-126), um sich anschließend mit zwei unterschiedlichen pastoralen Strategien zur Wiedergewinnung Ausgetretener zu beschäftigen, nämlich der Heimkehraktion der Diözese Wien im Jahr 1950 (S. 126-141) und den Volksmissionen im Burgenland ab 1947 (S. 126-152). Diese für sich interessanten Detailstudien stehen bedauerlicherweise etwas unverbunden nebeneinander.

Im dritten Hauptabschnitt (S. 158-275), dem eigentlichen Kern der Arbeit, untersucht die Autorin den Umgang der Kirchenobrigkeit mit den ehemaligen Nationalsozialisten und fokussiert sich dabei auf die Betrachtung von vier Komplexen: Die Seelsorge in den Internierungslagern für ehemalige NS-Funktionäre und Kriegsverbrecher in Ebensee, Wolfersberg, Weißenstein und Glasenbach (S. 175-203), kirchlichen Interventionen zugunsten politisch Belasteter (S. 203-252), dem sog. Sozialen Friedenswerk des Salzburger Erzbischofs Rohracher – faktisch eine Hilfsorganisation für ehemalige Nationalsozialisten (S. 253-261) – und zeitgenössischen Konflikten um einzelne Interventionen von Bischöfen zugunsten von ehemaligen Funktionären (S. 261-275).

Kaisers Detailauswertungen von Material aus den Diözesen Gurk und Salzburg zeigt hierbei ein durchaus differenziertes Bild. Teilweise betrieben die Ordinariate erheblichen Aufwand, um Erkundigungen über die Bittsteller einzuziehen und es wurde keineswegs wahllos jeder Bitte nach politischer Entlastung entsprochen. Im Gegenzug hatte aber auch nur ein Bruchteil der Interventionen den gewünschten Erfolg. Während man in Gurk eher zurückhaltend agierte, exponierte sich der Salzburger Erzbischof Rohracher mit zeitlich größer werdendem Abstand zum Kriegsende immer stärker auch für erheblich belastete Kriegsverbrecher, wie etwa den KZ-Arzt Sigbert Ramsauer (S. 246-250) und arbeitete eng mit hochrangigen Nationalsozialisten, wie dem ehemaligen NS-Oberbürgermeister von Linz und SS-Brigadeführer, Franz Langoth, zusammen. Rohracher übernahm ziemlich ungeschminkt die Sichtweise des Verbands der Unabhängigen (Vorläuferpartei der FPÖ) und provozierte einen veritablen Skandal, als er im Dezember 1952 in einem Brief an Bundespräsident Theodor Körner eine Amnestie für die letzten 130 Kriegsverbrecher forderte, Österreich den Charakter eines Rechtsstaats absprach und auf der Flucht erschossene KZ-Häftlinge als „schwerbewaffnete kriminelle Verbrecher“ (S. 261) bezeichnete. Der Bischof sah sich in der Folge offensiver Medienkritik ausgesetzt und war schließlich sogar gezwungen, dem unruhig gewordenen Diözesanklerus unter erheblichen Windungen sein ungewöhnliches Engagement für die Kriegsverbrecher zu erklären.

Bereits die Zeitgenossen empfanden den Einsatz der Kirche für die Ehemaligen vielfach grenzwertig. Kaiser arbeitet dies gut heraus. Sie betont andererseits die Überzeugung der Bischöfe, an einem gesellschaftlichen Versöhnungsprozess mitwirken zu müssen. Gerade weil es sich bei Klerikern um berufliche Experten für Versöhnung und Vergebung handelt, hätte ihnen aber klar sein müssen, dass es an den Opfern vorbei keine Versöhnung geben kann und zudem Reue und Schuldeinsicht auf Seiten der Täter hierfür eine wesentliche Voraussetzung sind, wie Kaiser betont (S. 375). Stattdessen wurden befremdlicherweise Straf- und Sühnemaßnahmen und die Forderungen nach Wiedergutmachung vom Episkopat vielfach als nicht statthafte Rache angesehen (S. 67).

Der vierte Abschnitt beschäftigt sich mit den braunen Priestern, also jenen Klerikern, die (zeitweise) eine Verbindung zum Nationalsozialismus eingingen (S. 276-340). Kaiser betrachtet hier vor allem Einzelschicksale: Franz Prem, Gregor Weeser-Krell, Alois Nikolussi, Johannes Hollnsteiner u.a. Auch das prominente Beispiel des aus Graz stammenden Rektors des römischen Priesterkollegs Santa Maria dell Anima, Alois Hudal, und das peinliche Lavieren der österreichischen Bischofskonferenz zwischen „Heuchelei und Scheinheiligkeit“ (S. 320) ihm gegenüber wird – etwas zu ausführlich – abgehandelt. Die Unterscheidungskriterien zwischen den einzelnen Gruppen brauner Priester bleiben bei Kaiser leider undeutlich. Auf wichtige Spezialliteratur zum Thema und die Forschungsdiskussion geht sie bedauerlicherweise nicht ein. Sie kann jedoch zeigen, dass die Selbstentnazifizierung der Kirchen im Kern funktionierte. Wer sich nur vorübergehend für den Nationalsozialismus begeisterte oder versuchte Brücken zwischen Katholizismus und NS-Ideologie zu bauen, konnte wie die NS-Mitläufer in der Bevölkerung seine Karriere nach 1945 meist ungehindert fortsetzen. Hingegen wurden die wenigen tatsächlichen NS-Ideologen unter den Priestern nach 1945 auf unbedeutende Außenposten abgeschoben und mussten einen dauerhaften Karriereknick hinnehmen (vgl. S. 373f.) Ein abschließender Teil des Kapitels befasst sich noch mit der „Bekehrung“ ehemaliger Nationalsozialisten zum Priesterberuf (S. 328-340).

Im kürzesten Abschnitt (S. 341-369) der Arbeit geht Kaiser schließlich auf das Nachkriegsschicksal derjenigen Priester ein, die selbst Opfer des NS-Regimes wurden. Die Autorin kommt herbei zu einem für Nichtkenner der Materie überraschenden Befund: „Die österreichischen Bischöfe scheinen durchgängig ein Problem mit den ehemaligen KZ-Priestern gehabt zu haben.“ (S. 341) Gerade für die Bischöfe, die sich während der NS-Zeit um einen Modus vivendi mit dem Regime bemüht hatten, stellten die ehemaligen KZ-Priester eine Provokation dar. (S. 375). Anerkennung fanden sie deshalb bis in die 1980er Jahre kaum. Ihr Martyrium wurde „zu einem Privatschicksal, das sie aus Übereifer oder Dummheit selbst verschuldet hatten.“ (S. 369) Wiedergutmachung gab es nicht, in der Diözese Linz zog die Bischöfliche Finanzkammer den KZ-Priestern die staatliche Entschädigungszahlung sogar vom kirchlichen Lohn ab (S. 347). Die Folgen auf Seiten der Betroffenen – die heute als Aushängeschilder für den angeblichen Widerstand der Kirche gegen den Nationalsozialismus herhalten müssen – war nicht selten Resignation, Rückzug und tiefe Verbitterung.

In Summe handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um ein engagiert und gut lesbar geschriebenes, verdienstvolles Werk, dem eine weitere Überarbeitung vor Drucklegung jedoch gut getan hätte. Kaiser liefert eine Fülle an interessantem und bisher unbekanntem Material. Hierin liegt ohne Zweifel ein großes Verdienst der Autorin. Leider steht dies jedoch allzu oft ohne Verbindung nebeneinander, es fehlen übergreifende Linien und methodische Überlegungen zum Vorgehen werden nicht sichtbar. Warum diese oder jene Herangehensweise gewählt wurde, erschließt sich ohne weiteres nicht und hätte einer Erläuterung bedurft. Der Rezensent vermisste ferner ein einführendes Kapitel zu den verwendeten Quellen und zur Quellenkritik, gerade weil die Arbeit sehr stark quellengesättigt ist. So wirkt vieles leider eher zufällig und eklektizistisch.


Zum Rezensenten:
Dr. Thomas Forstner studierte Geschichte, Philosophie und Provinzialrömische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und wurde mit einer Arbeit zur Kultur- und Mentalitätsgeschichte des katholischen Klerus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts promoviert. Aktuell leitet er die Berliner Niederlassung von Deutschlands größter Public History Agentur.

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