theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Etienne Fouilloux

Des théologiens „officiels et mandatés“ dans la France de Vichy

Referat auf der Fachtagung „Theologie und Vergangenheitsbewältigung II. Französischer Katholizismus - deutscher Protestantismus 1930-1950“ vom 12. bis 14. Januar 2007 
(Deutsche Zusammenfassung von Werner Müller)

Gegenstand der Untersuchung sind theologische Rechtfertigungen der Haltung der französischen Bischöfe zum Regime von Vichy. Ausgangspunkt ist die so genannte Affäre der „anonymen Theologen ohne Mandat“: 1943 verbreiten anonyme Theologen – wie man später weiß: eine Gruppe von Jesuiten aus Lyon um die Zeitschrift Témoignage Chrétien – klandestine Schriften gegen die Legitimität des Vichy-Regimes, dem die Bischöfe im Juli 1941 „loyalisme sans inféodation“ (etwa: Loyalität ohne Unterwerfung) zugesagt und diese Haltung den Katholiken empfohlen hatten. Diese Loyalität stellen die anonymen Theologen mit theologischen Gründen in Frage. Die geballte bischöfliche Reaktion („tir groupé de déclarations épiscopales“) im Sommer 1943 spricht ihnen das Mandat dazu ab, jedoch ohne theologische Argumentation.

Die nahe liegende, aber bisher nicht beantwortete Frage lautet, ob die Bischöfe den geheimen Schriften – außer ihren eigenen Deklarationen – eine Argumentation von ‚offiziellen und beauftragen’ Theologen, von intellektuellen Autoritäten mit entsprechendem Ruf entgegenstellen konnten, die in der Lage waren, die These von der notwendigen Loyalität gegenüber Vichy zu stützen. Im Fokus des Vortrags steht also nicht die Position der Bischöfe als solche, sondern die intellektuellen Stützen ihrer Parteinahme für das Regime von Marschall Pétain.


Untersuchte Texte
Vor 1941 gibt es private Reaktionen von Theologen auf Vichy, die jedoch nicht theologisch argumentieren und recht gegensätzlich ausfallen: Nach YVES CONGAR (Tagebuch von 1940) ist die katastrophale französische Niederlage der Unfähigkeit der Regierenden und der Dekadenz des französischen Volkes geschuldet, während sein Generaloberer MARTIN-STANISLAS GILLET darin einen Fingerzeig des Vorsehung und Anlass für eine – von Vichy erhoffte - religiöse, moralische und soziale Erneuerung sieht.

Die Jesuiten der Action Populaire (P. GUSTAVE DESBUQUOIS) – keine Theologen im eigentlichen Sinne – plädieren für eine kirchliche Präsenz in Vichy, damit der Staat seine Richtung einer „christlichen Reform Frankreichs“ beibehalte – wie der bekannte Dominikaner R.-L. BRUCKBERGER im Oktober 1940 schreibt.

Diese und weitere Stellungnahmen sind theologisch recht dürftig; sie beschränken sich alle im Grunde mit Röm 13 auf den Hinweis, dass die staatliche Gewalt von Gott kommt und man ihr deshalb Gehorsam schuldet. In diesem Sinn äußert sich auch der bekannte Neothomist REGINALD GARRIGOU-LAGRANGE in seinem Buch „La sainte Vierge la France“ (Lyon 1941), lediglich mit der Besonderheit, dass seine Ausführungen „mit marianischer Soße“ übergossen („à la sauce mariale“) sind.

Argumentatives Niveau erreichen fünf Texte, die der Verfasser eingehender analysiert:

  • MAURICE LESAUNIER, La Conscience Catholique en face du devoir civique actuel, Paris 1941
  • ERZBISCHOF COLLET, De la Conscience chrétienne en face du pouvoir établi, Herbst 1943, unveröffentlicht, zum privaten Gebrauch bestimmt.
  • ANTONIN-DALMACE SERTILLANGES, La Vie francaise, Paris: Aubier Februar 1942
  • PAUL COULET, Les Catholiques et la Révolution nationale, September 1942
  • PAUL DONCOEUR, Péguy, la révolution et le sacré, Lyon 1942


Ergebnisse
Die meisten dieser Apologien sind Antworten auf Kritiken von Seiten der Résistance, die im Gegenüber zur kirchlichen rückhaltlosen Unterstützung des französischen Staats sowohl seiner Innenpolitik wie seiner Beziehungen zum Okkupator, immer zahlreicher werden. Die Antworten scheuen sich im Eifer der Polemik nicht, die institutionelle Kollaboration mit dem Vichy-Regime zu rechtfertigen, noch jede Form von „Dissidenz“ scharf zu verurteilen: Die Broschüre von LESAUNIER und der unveröffentlichte Text von COLLET lassen in diesen beiden Punkten keinen Zweifel. Von den drei klassischen Beweisgründen, der Schrift, der Tradition und der Vernunft, wird letztere am meisten bemüht. Allein LESAUNIER zieht sich in besonderer Weise hinter die neutestamentlichen Zeugnisse bezüglich des Gehorsams gegenüber Autoritäten oder die Enzykliken Leos XIII. zurück. Zu jener Zeit hat die Exegese, die seit der Modernismus-Krise unter kleinlicher Überwachung stand, in der katholischen Kultur nur einen bescheidenen Platz. Der Beweis durch die scholastische Vernunft hat einen weit höheren Platz, entsprechend der Rolle, die sie in der Ausbildung des Klerus hat. Größtenteils ist die Argumentation zur Qualifizierung der Autorität des Vichy-Regimes von juridisch-politischem Charakter. Im Wesentlichen bezieht sich diese Diskussion auf die Legalität seines Zustandekommens im Juli 1940, welche als unbestreitbar gilt. Von dieser Legalität schließt man, ohne mit der Wimper zu zucken, auf seine Legitimität; die beiden Begriffe sind in den untersuchten Texten quasi austauschbar. Überraschenderweis wird eine der scholastischen Hauptbedingungen, der Dienst am Gemeinwohl und dessen Verwirklichung, fast nie herangezogen. Da diese Bedingung unter fremder Okkupation schwierig, ja unmöglich auszumachen ist, dient sie etwa bei GASTON FESSARD als entscheidendes Argument a contrario: Als Sklave des Siegers ist Vichy unfähig, das Gemeinwohl zu erfüllen, und damit ohne die für Gehorsam erforderlichen Legitimität.

Die Apologien, die keine Antworten auf die Kritiken von Seiten der Résistance sind, lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen; und sie enthalten auch Argumente, die eher aus einer natürlichen Philosophie als aus der Offenbarung hervorgegangen sind. In dieser Hinsicht sind die beiden Bücher von SERTILLANGES und DONCOEUR unterschiedlich. Der Dominikaner (=Sertillanges) entwickelt sein Programm ausgehend von einer Sicht des Gemeinwohls, das untrennbar mit der christlichen Kultur verbunden ist, ohne sich viel auf die Schrift zu beziehen . Der Jesuit (=Doncoeur) übernimmt, mutiger, von RUDOLF OTTO den Begriff des Heiligen, einen Begriff, der aufgrund seiner Doppelseitigkeit mehr Verwirrung als Klarheit schafft: einerseits verleiht er der Macht Pétains jene mystische Weihe, die der vergangenen Republik fehlte, anderseits schlägt er eine Brücke zur Vollendung der nationalen Revolution in einer christlichen Revolution, mit dem Risiko, sie beide zu paganisieren. Ein solcher Versuch, das Vichy-Regime ins Zentrum des Christlichen aufzunehmen („assomption christique“), ist nichtsdestoweniger einzigartig.“

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