Rainer Eckert, Revolution in Potsdam. Eine Stadt zwischen Lethargie, Revolte und Freiheit (1989/1990)

Rainer Eckert, Revolution in Potsdam. Eine Stadt zwischen Lethargie, Revolte und Freiheit (1989/1990), Leipzig 2017: Evangelische Verlagsanstalt, 456 S., 25.- €,  ISBN 978-3-374-05022-2


Im Jahr 1989 standen Gründung und Zerfall der Deutschen Demokratischen Republik sehr nah beieinander: Die pompösen Jubiläumsfeierlichkeiten zum 40-jährigen Bestehen der DDR wurden von einer rasch wachsenden Opposition flankiert, die ursprünglich auf Erneuerung, letztlich aber auf das Ende der DDR hinwirkte. Besonders in Städten und Ballungsräumen sammelten sich kritische Stimmen, nutzten urbane Netzwerke und verbreiteten ihre Ideen in der Öffentlichkeit. Die Friedliche Revolution und deren historische Entwicklung bilden das Kernthema von Rainer Eckerts Monographie, das er exemplarisch an der Stadt Potsdam entfaltet.

Eckert eröffnet seine umfassend recherchierte Arbeit mit einem Überblick über Potsdam während der SED-Diktatur. Er stellt Potsdams Rolle als Verwaltungs- und Bildungsstadt dar, als Sitz militärischer Einheiten sowohl der sowjetischen Besatzungsmacht wie auch der NVA, als sozialistisches Städteprojekt mit neuem Gesicht. Letzteres war in einer so traditionsreichen, preußisch geprägten Stadt wie Potsdam durch den Abriss wichtiger Stadtbauten vorangetrieben worden – allerdings ging das nicht ohne Protest vonstatten, wie die Sprengung der Garnisonkirche im Jahr 1968 zeigt. Auch der geplante Abriss von barocken Wohnhäusern der Altstadt war bis in das Revolutionsjahr 1989 Thema in der Öffentlichkeit. Mit Blick auf die Bevölkerungsstruktur Potsdams hält Eckert fest, dass es in den 1980er Jahren immer mehr Einwohner mit immer weniger Bezug zur Stadt gab – seien dies Mitglieder der SED und Staatssicherheit oder Grenzsoldaten. Dass es dennoch in dieser Zeit zu einer starken Opposition kommen konnte, mag nicht zuletzt an Potsdams Funktion als Bezirkshauptstadt und den von einzelnen Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen gewährten Treffpunkten für diverse oppositionelle Gruppen liegen.

Der thematischen Einführung folgt ein Kapitel zur Forschungslage und Archivsituation, in dem Eckert Mängel und Möglichkeiten der Forschung zur DDR und speziell Potsdams unter dem SED-Regime erläutert. Dabei betont der Zeitzeuge und gebürtige Potsdamer den eigenen Impuls, als erster Historiker eine „umfassende monographische Darstellung von widerständigem Verhalten und Friedlicher Revolution in der Großstadt Potsdam“ (35) zu verfassen. Das Thema der Archivalien wird am Ende des Buchs erneut aufgenommen, wenn der Autor die forcierte Zerstörung von Archivbeständen und Aktenaufzeichnungen nach dem Mauerfall beschreibt, die trotz strenger externer Kontrollen von Mitarbeitern der Staatssicherheit vorangetrieben werden konnte.

Im dritten Kapitel geht Eckert auf Aktivitäten und Berichte der Potsdamer SED und Staatssicherheit im Jahr 1989 ein und stellt den staatlichen Einschätzungen die reale Stimmung der Potsdamer Bevölkerung gegenüber. In akribischer Quellenarbeit arbeitet er interne Lageberichte, Analysen und andere Dokumente der SED und des Ministeriums für Staatssicherheit durch und macht deutlich, dass die SED zwar oppositionelle und reformerische Tendenzen in der Bevölkerung erkannte, diese jedoch größtenteils falsch einordnete, als von außen gesteuert abtat und nicht ernst nahm. Zu den größten Problemen, die sich für die SED und das Ministerium für Staatssicherheit im Jahr 1989 ergaben, gehörten die bevorstehenden Kommunalwahlen am 7. Mai, die steigenden Zahlen der Grenzübertritte und Ausreiseanträge (die auch zunehmend bewilligt wurden) sowie die „Entwicklungen in anderen sozialistischen Staaten, die zunehmend sorgenvoll betrachtet wurden“ (57). Das Problem der Ausreisewilligen war in Potsdam als Grenzstadt besonders brisant, was dazu führte, dass 1989 die höchste Ausreiserate in der ganzen DDR mit durchschnittlich 3,7 Personen pro 1.000 Einwohner verzeichnet wurde. Auch die gewalttätige Niederschlagung der Demonstration auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking am 4. Juni sorgte für Gesprächsstoff und Kritik in der Potsdamer Bevölkerung, wenngleich die Potsdamer SED-Führung beschönigend festhielt, die Bevölkerung Potsdams stünde hinter dem gewalttätigen Einsatz. Allgemeine Sorgen über die Versorgungslage und das mangelnde Warenangebot der DDR reihten sich ein in lokale Ereignisse wie das Verbot des Theaterstücks „Der Revisor oder die Katze aus dem Sack“, was auf heftige Kritik stieß. Die SED-Bezirksleitung unter Günter Jahn hatte Ende Mai beschlossen, das Stück mit der Begründung abzusetzen, es sei eine Provokation der Konterrevolution, die umgehend zu beseitigen wäre. Die wachsende Empörung, die nicht zuletzt durch die gefälschten Kommunalwahlen am 7. Mai bestätigt wurde, schlug sich in der Neugründung vieler Initiativen und Basisgruppen nieder. In den Quellen und Lageberichten der Staatssicherheit, die Eckert anführt, spiegelt sich nun eine immer intensivere Auseinandersetzung mit diesen oppositionellen Strömungen, Gruppen und Gesprächsformaten, die sich insbesondere im kirchlichen, künstlerischen und umweltbewussten Umfeld ansiedelten. Auffällig ist dabei, dass die Potsdamer SED-Führung und die Staatssicherheit „trotz Kenntnis der sich häufenden Krisensymptome keinerlei Bewusstsein über die sich zuspitzende Krise“ hatten (78). Erst sehr allmählich stellt sich die Einsicht eines nötigen Dialogs mit den wachsenden kritischen Gruppierungen ein, kommt aber im Moment der Absetzung Erich Honeckers und der Wahl von Egon Krenz am 18. Oktober schon reichlich zu spät: „Eine weitere Phase des Machtverlustes der Diktatoren hatte begonnen“ (119), die „zunehmend von Hilflosigkeit und geradezu von Verzweiflung gekennzeichnet“ war (130).

Diesen drei ersten Kapiteln folgt eine detaillierte Beschreibung der oppositionellen Gruppen in Potsdam, zu deren wichtigsten die Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz und Stadtgestaltung „ARGUS“, die überkonfessionelle Basisgruppe „Arche“, die „Evangelische Ausbildungsstätte für Gemeindepädagogik“ und das noch im revolutionären Herbst gegründete „Neue Forum“ gehörten. Gemeinsam sind den von Eckert beschriebenen Gruppierungen eine stark reformerische, weniger anti-sozialistische Prägung sowie die starke personelle Vernetzung zwischen Vertretern verschiedener Initiativen. Neben den größeren reformerischen bzw. bald schon oppositionellen Gruppen widmet sich Eckert aber auch u.a. den neonazistischen Skinheads, den Punks und dem Treffpunkt für Oppositionelle „Café Heider“.

Nun erst kommt der Autor zum eigentlichen Kern des Buches: der detaillierten, chronologischen Darstellung der Friedlichen Revolution in Potsdam. Nachdem Eckert auf die Entwicklung des „Neuen Forums“, der sozialdemokratischen Partei in der DDR und die anwachsenden Demonstrationen im Herbst 1989 eingegangen ist, wendet er sich insbesondere den Kommunalwahlen am 7. Mai zu. Die Wahl und deren nachgewiesene Fälschung werden ihm zum maßgeblichen Auslöser vieler oppositioneller Aktionen in Potsdam. Das offizielle Ergebnis von 98,50 Ja-Stimmen stand in scharfem Kontrast zu den Zählungen, die „überwiegend Amtsträger und Angestellte der evangelischen Kirche sowie Angehörige von Basisgruppen“ (231) vorgenommen hatten. Die scharfe Kritik an der offensichtlichen Wahlfälschung, die Eingaben u.a. an die Wahlkommission der DDR und an den Generalstaatsanwalt blieben ohne Erfolg, was letztlich eine immer stärkere Abgrenzung der Oppositionellen vom Regime zur Folge hatte und auch Amtsträger der Kirchen in eine immer aktivere Rolle drängte. Die Ausweitung der Opposition durch das am 13. September gegründete „Neue Forum“ sowie die nun massiv zunehmenden Demonstrationen waren ein weiterer Schritt auf dem Weg der Friedlichen Revolution, die rasant an Fahrt gewann. Mitte Oktober hatte sich auch in den Reihen der SED und Staatssicherheit die Ansicht durchgesetzt, dass die oppositionellen Bewegungen große Teile der Bevölkerung durchdrangen, wobei die evangelische Kirche und das Neue Forum Dreh- und Angelpunkt der Opposition blieben. Eckert konstatiert, dass nun „auch in Potsdam klar [wurde], dass die SED-Diktatur zumindest in ihrer bisherigen Form nicht mehr weiter existieren konnte“ (341). Dieser Einschätzung entsprach, dass Erich Mielke am 6. November, kurz vor seinem Rücktritt als Minister für Staatssicherheit, die „Vorbereitung der Vernichtung von Aktenbeständen auf allen Ebenen“ (359) anordnete. Wie bereits erwähnt, beschreibt Eckert im Folgenden die nur teilweise geglückte Sicherstellung der Akten nach Öffnung der Mauer am 9. November 1989 und die nun beginnende Arbeit an den Runden Tischen.

Mit einer großen Fülle an Archivalien und deren teilweise minutiöser Darstellung gelingt es Rainer Eckert tiefe Einblicke in die Potsdamer Stadtgeschichte zur Zeit der Friedlichen Revolution zu geben. Die detailreichen Informationen wirken jedoch oft unstrukturiert und teilweise zusammenhanglos, gerade wenn über lange Strecken die Lageberichte und Analysen des Ministeriums für Sicherheit referiert werden und keine Unterüberschriften das systematische oder chronologische Lesen erleichtern. Auch die grobe Gliederung des Buches überzeugt nur teilweise, da gerade zwischen den ersten drei und letzten drei Kapiteln auffällig viele Redundanzen zu finden sind. Vor allem zu Beginn des Buches erschweren zudem eine fehlerhafte Orthographie und Syntax das Lesen, ausschweifende Zitate und ein protokollarischer Schreibstil bereiten auf formaler Ebene leider kein Lesevergnügen. Dennoch vermittelt die Informationsfülle aus einer Vielzahl an Perspektiven und die intensive Recherchearbeit des Autors ein gutes Bild von der Revolution in Potsdam.

Zur Rezensentin:
Anna Luise Klafs, geb. 1986, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Universität Leipzig.

Refbacks

  • Im Moment gibt es keine Refbacks




Tübingen Open Journals - Datenschutz