Gutachten zum Diskussionspapier Dominik Bertrand-Pfaff, Der Status der Erfahrung in einer theologischen Ethik der Institutionengenese
Daniel Bogner
Der vom Autor gewählte perspektivische Zuschnitt der Fragestellung ist höchst interessant und notwendig, denn es werden zwei bislang unverbundene Forschungsstränge zusammengebracht: die eher sozialwissenschaftlich gestellte Frage nach der Genese von Institutionen sowie die mehr im theologisch-philosophischen Feld aufgegriffene Frage nach den Potentialen und Ressourcen von Erinnerung für ein gelingendes Modell von Gemeinschaftlichkeit und Gesellschaft. Die Kategorie der Erfahrung wird als eine Klammer vorgeschlagen, um beide Perspektiven miteinander zu verbinden. Ziel soll es sein, theologische Möglichkeiten für eine umfassende Institutionentheorie zu erschließen.
Dieser Ansatz ist herausfordernd, aussichtsreich, aber dementsprechend auch komplex. Das zeigt sich schon an der vom Autor zugrunde gelegten Literatur – gleich mehrere anspruchsvolle Theoriekomplexe, die gegenwärtig in Moraltheorie und Sozialphilosophie erörtert werden, kommen zur Sprache.
Aus dieser Beobachtung lässt sich der generelle Verbesserungsbedarf formulieren: Es erschiene ratsam, dem Text an Dichte (der Referenzen, Autoren und teilweise nur allusorisch eingespielten Theoriekomplexe) zu nehmen, sich auf einige ausgewählte argumentative Strecken zu fokussieren, diese dafür vertiefter auszuführen und dem Beitrag dadurch insgesamt eine größere Prägnanz zu verleihen. Konkret zeigt sich das u.a. an folgenden Stellen: Unter (1) wirkt der Verweis auf die Politische Theologie eines J.B. Metz und dessen Plädoyer für eine anamnetische Kultur arg reduziert. Hier wäre eine ausführlichere Entfaltung hilfreich, um deutlich zu machen, weshalb damit die kriteriologische Basis für eine theologische Institutionentheorie gegeben ist. Kapitel (2) mündet in eine Skizze, in der die drei konstitutiven Elemente der Genese von Institutionen kenntlich gemacht werden. Diese Skizze wirkt gegenüber den vorangegangenen Textabschnitten, die sehr dicht argumentiert sind, beinahe grobkörnig und wird nachfolgend kaum erläutert. Hier wäre eine flüssigere Einbindung der Skizze in die Argumentation des Textes wünschenswert. An vielen Stellen ist deutlich mehr inhaltliche Aufschlüsselung des stark begrifflich und referentiell argumentierenden Textes erforderlich, weil die bemühten Sachverhalte und Theoriefiguren einfach nicht immer vor Augen stehen, geschweige denn bekannt sind. Vieles bleibt dann zwangsläufig vage oder gar unverständlich. Auch vermeintliche Gegensätzlichkeiten tauchen auf, etwa wenn am Ende zusammenfassend zunächst gesagt wird, dass Institutionen als dauerhafte Einrichtungen anamnetische Solidarität „aufrecht erhalten“ (ist das wirklich zwingend so?) und wenige Zeilen später davon die Rede ist, dass Institutionengenese vor allem als „Normfindungsprozess“ zu verstehen sei. Man fragt sich, in welchem Verhältnis beides steht: Normenbewahrung und Normenfindung sind doch unterschiedliche Prozesse und es ist zumindest erklärungsbedürftig, wenn das Gefäß der Institution einmal in prozessualer, einmal in statuarischer Hinsicht herangezogen wird.
Insgesamt kommt man zum Schluss, dass hier weniger mehr gewesen wäre. Ein Vorschlag sei gemacht: Der zentrale Punkt für einen theologischen Beitrag findet sich unter (3): Hier wird die „theologisch-ethische Grammatik“ für eine erfahrungsbasierte Institutionengenese entwickelt. Wäre es möglich, die hier versammelten, äußerst inspirierenden Überlegungen zu entfalten und zu veranschaulichen? Von daher wird sich ergeben, welche Stellen des langen Anwegs entfallen können. Angemerkt sei auch, dass die Publikation bereits in französischer Sprache erschienen ist (Dominik BERTRAND-PFAFF, « Une lecture de la genèse des institutions à partir d’une éthique expérientielle », Revue d’éthique et de théologie morale, 2014/2, n° 279, p. 57-86.) und dies vom Autor angegeben werden sollte.
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