theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

Lucia Scherzberg

Katholische Reformtheologen in Deutschland und Frankreich

(Abstract des Referats auf der Fachtagung „Theologie und Vergangenheitsbewältigung II. Französischer Katholizismus - deutscher Protestantismus 1930-1950“ vom 12. bis 14. Januar 2007)

Deutsche Reformtheologen betrachteten den Nationalsozialismus als ein ungeheures Innovationspotential, das sie sich für Reformen in Theologie und Kirche nutzbar machen wollten. Diese Reformen betrafen die Kirchenstruktur, die Liturgie, eine zeitgemäße Theologie und die Wiedervereinigung der getrennten Kirchen. Die katholische Kirche sollte weiterhin autoritär verfasst, die deutschen Bischöfe jedoch entmachtet und das Laienelement gestärkt werden. Die Liturgie sollte im deutschen Volkstum verwurzelt und die Ökumene auf der Grundlage der gemeinsamen Volkszugehörigkeit und der nationalsozialistischen Ideologie verwirklicht werden.

Ein prominenter Theologe wie Karl Adam arbeitete nicht nur theoretisch an diesem Projekt, sondern auch praktisch, indem er sich einer konspirativen Gruppe nationalsozialistischer Priester anschloss.

Theologische Argumentationen, die eine Disposition für die Annäherung an den Nationalsozialismus schufen bzw. die die Vereinbarkeit von Katholizismus und Nationalsozialismus begründen sollten, befassten sich mit dem Verhältnis von Natur und Gnade, der Kirche als Gemeinschaft, der Begründung des Glaubens im Erlebnis und der Propagierung eines heldischen, männlichen Christus.

Natur und Gnade wurden entgegen dem neuscholastischen Konzept als Einheit betrachtet und der ursprünglich rein philosophische Begriff der „Natur“ biologisiert und rassistisch aufgeladen. Die Betonung von „Gemeinschaft“ und „Erlebnis“ richtete sich gegen den Heilsindividualismus der Neuscholastik und deren Auffassung von der Kirche als Heils-Anstalt. Damit verbunden war eine Ablehnung der Vernunft als Weg, Gott zu erkennen und den Glauben zu verantworten.

Die neuscholastische Theologie orientierte sich dagegen an Ratio und Naturrecht und enthielt dadurch ein universalistisches Potential. Neuscholastisch denkende Theologen in Deutschland waren aber keineswegs resistent gegen den Nationalsozialismus. Allerdings sympathisierten sie eher mit den antiliberalen, autoritären und traditionalistischen Elementen der NS-Ideologie und –Praxis, als mit dessen Innovationspotential.

Wie sah die Situation in Frankreich aus?

Auf den ersten Blick scheint es genau umgekehrt zu sein: Neuscholastische Theologen sympathisierten mit faschistischen Bewegungen, rechtfertigten z.B. mit dem neuscholastischen Verständnis von Natur und Gnade die Unterstützung der action française. Sie schätzten allerdings auch vor allem die traditionalistische Attitüde des Vichy-Regimes und der „nationalen Revolution“ als eine Rückkehr zur großen Tradition Frankreichs.

Der Reformtheologe Henri de Lubac beispielsweise unterschied sich in seiner Theologie hinsichtlich des Verhältnisses von Natur und Gnade, der Kirche als Gemeinschaft und der Begründung des Glaubens nicht von seinen deutschen Kollegen. Er erscheint aber in der einschlägigen Literatur als geistiger/spiritueller Aktivposten der résistance.

War also die gleiche Theologie, die in Deutschland eine Disposition für den Nationalsozialismus schuf bzw. die ihn aktiv legitimierte, in Frankreich eine Quelle des Widerstands? Führte die unterschiedliche politische und militärische Situation dazu, dass die gleiche Theologie eine ganz andere Anwendung fand? Oder gibt es bei den französischen Reformtheologen ähnliche „Anwendungen“ wie bei den deutschen?

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