Jens Oboth, Pax Christi Deutschland im kalten Krieg 1945-1957. Gründung, Selbstverständnis und «Vergangenheitsbewältigung« (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte Reihe B: Forschungen Bd. 131)

Jens Oboth, Pax Christi Deutschland im kalten Krieg 1945-1957. Gründung, Selbstverständnis und «Vergangenheitsbewältigung« (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte Reihe B: Forschungen Bd. 131), Paderborn 2017, Ferdinand Schöningh Verlag, 502 S. mit 40 z. T. farbigen Abb., 89 € ISBN 978-3-506-78273-1


„Betende Hände lösen Weltkonflikt“, so zu lesen auf einem Banner vor dem 1952 aufgestellten Friedenskreuz auf dem Foto des Schutzumschlags. Das in Bühl installierte Kreuz war eine Initiative von Pax Christi. Sie war das Resultat eines Gelöbnisses für die Freilassung eines in Frankreich zum Tode verurteilten mutmaßlichen Kriegsverbrechers und SS-Manns und für die Abschaffung des französischen Kollektivschuldgesetzes. Obwohl die Ereignisse zeitlich nicht zusammen passen (S. 398), stellte der Kapuziner P. Manfred Hörhammer sie immer als seinen ganz persönlichen Erfolg und den des Gebetes dar. All das war möglich durch die für Pax Christi zentrale Rolle der Theologie vom mystischen Leib Christi (vgl. Pius XII., Enzyklika „Mystici Corporis“ vom 29. Juni 1943). Aus der Sicht von Pax Christi war dies ein weiterer Schritt der Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.

Gegenstand der Bochumer theologischen Dissertation von Jens Oboth sind die ersten zwölf Jahre des deutschen Zweigs der internationalen katholischen Friedensbewegung Pax Christi. Dargestellt wird die Entwicklung der deutschen Sektion der ursprünglich in Frankreich beheimateten Bewegung, die am 3. April 1948 im niederrheinischen Marienwallfahrtsort Kevelaer – dem deutschen Lourdes - gegründet wurde. Oboth stützt sich in seiner Fragestellung grundlegend auf einen Aufsatz von Benjamin Ziemann: „Säkularisierung und Neuformierung des Religiösen. Religion und Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts [Archiv für Sozialgeschichte 51 (2011)].

Bei der Darlegung des Forschungsstandes konstatiert Oboth wenig bis kein Interesse an der katholischen deutschen Friedensbewegung seit 1945 innerhalb der historischen Friedensforschung, muss diesen Befund aber zugleich einschränken, wie neuere Arbeiten zeigen, die allerdings erst vertieft in den 1960er Jahren einsteigen. Daraus resultiert der in der Arbeit gewählte Zeitraum von 1946 bis 1957. Methodisch orientiert sich die Untersuchung an einer kulturgeschichtlichen Perspektive. Oboth stellt – in Anlehnung an Achim Landwehr - Fragen nach Sinnmustern und Bedeutungskontexten, mit denen Gesellschaften der Vergangenheit zu einer sinnvollen Wirklichkeit gefunden haben.

Das Buch ist neben Einleitung (S. 19-46) und Zusammenfassung (S. 449-461) in vier Hauptkapitel gegliedert, die jeweils durch ein Zwischenfazit abgeschlossen werden. Zuerst geht es um die Anfänge der Pax-Christi-Bewegung in Frankreich (S.47-116), dann ausführlichst um Gründung und Organisation des deutschen Zweiges (S.125-320), das Friedens- und Versöhnungsverständnis von Pax Christi (S. 331-361) und abschließend um die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus (S. 365-443).

Zum Einsatz kommt nur Archivmaterial aus deutschen Archiven sowie zahlreiche gedruckte Quellen (überwiegend Publikationen von Pax Christi), zu denen auch Lied- und Andachtshefte gehören. Eine verwertbare Quellenüberlieferung setzt in Deutschland erst ab 1947 ein. Ab 1948 existierte in Aachen eine Hauptgeschäftsstelle. Zentral für die Arbeit sind indes die Nachlässe von P. Manfred Hörhammer im Diözesanarchiv Aachen und von Bischof Joseph Schröffer, dem zweiten deutschen Pax-Christi-Präsidenten, im Diözesanarchiv Eichstätt. Dazu kommen zwei noch in Privatbesitz befindliche Nachlässe von Josef Probst und Heinrich Heinen (Geschäftsführer von Pax Christi).

Der organisatorische Aufbau des deutschen Zweiges zwischen 1945/6 und 1952 war eine mühselige Angelegenheit. Pax Christi wurde zwar von Laien gegründet, doch Bischöfe übernahmen immer mehr die Leitung. Oboth analysiert überzeugend die theologischen Leitbegriffe der Pax-Christi-Bewegung, wie „Kreuzzug“ (gemeint ist ein Gebetskreuzzug für Christus den König zur Rechristianisierung Europas), „Abendland“ und „Christkönig“. Außerdem untersucht er in aller Breite, wo die geistigen Wurzeln der katholisch-pazifistischen Akteure lagen, die sich in der Pax-Christi-Bewegung organisierten und engagierten. Erwähnt werden eine Reihe von, wie Oboth meint, bislang unbekannten Gruppierungen, aus denen sich Personal für Pax Christi rekrutierte. Anfänglich gab es Kontakte zu dem wiedergegründeten Friedensbund Deutscher Katholiken (FDK) und dem Dominikaner Franziskus Stratmann, denn Pax Christi profitierte u. a. von der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder neu aufgebauten Bewegung. Es gibt viele personelle, organisatorische und ideelle Überschneidungen sowie Kooperationen. Leider ist die Quellenlage dazu recht dürftig (S. 148). Fakt sind Verbindungen zwischen Franziskus Stratmann, Josef Probst und dem Kapuziner Manfred Hörhammer. Eine Rolle spielt auch das Christkönigs-Institut der ökumenischen Una-Sancta-Bewegung in Meitingen sowie die Deutsche Volkschaft (DV) mit ihrem Bund der Kreuzfahrer und die im Bistum Aachen gegründete Katholische Männerbewegung (KMB), die die für Pax Christi bis heute wichtige Kreuztracht mit dem Aachener Friedenskreuz 1947 begründete. Alle Protagonisten von Pax Christi - sie umfassten die Jahrgänge 1890-1910 - gehörten mindestens einer katholischen Jugendvereinigung der Weimarer Republik an (S. 172 f.). Zur Verdeutlichung dieses Netzwerks wäre eine graphische Darstellung wesentlich aussagekräftiger gewesen als ein Namedropping, was gerade für P. Manfred Hörhammers Netzwerk gilt (S. 173-182).

Der deutsche Pax Christi-Zweig war ein Sammelbecken disparater katholischer Friedensvorstellungen. Die Anfänge der Pax-Christi-Bewegung, die sich organisatorisch an der Katholischen Aktion orientierte, lagen 1944 in Frankreich. Katholiken waren im Grunde für die Versöhnung prädestiniert, weil sie als vom Nationalsozialismus nicht belastet galten. Ihre Organisation war weitgehend intakt und mit dem Papst gab es eine zentrale Führungsfigur. Hinzu kam, dass eine Heilung des deutsch-französischen Verhältnisses auch politisch gewollt war. So war Pax Christi ab 1946 auch in Deutschland präsent. Bischof Pierre-Marie Théas hatte im September 1945 Kontakt mit dem deutschen Episkopat aufgenommen. Übergeordnetes Entscheidungsgremium war der internationale Pax-Christi-Rat in Paris. Die Ebene der in Deutschland entstehenden vielen lokalen Gruppen war für Oboth aufgrund der schlechten Quellenlage kaum zu erfassen. Die Gruppen waren oft kurzlebig, und in den Pfarrarchiven ist, mit einer Ausnahme, nichts vorhanden. Es gibt daneben viele kurzzeitig stark engagierte Einzelakteure der Bewegung, die persönlich scheiterten.

Die nationale und diözesane Leitungsebene lassen sich quellenmäßig besser fassen. Auch zeichenhafte Kommunikationsformen spielen eine Rolle. So greift Pax Christi auf liturgische Praktiken zurück, wie feierliche Pontifikalämter und internationale Wallfahrten. Die bewusste Internationalität der Pilgerfahrten knüpfte an die mittelalterlichen Kreuzfahrerheere an und hatte den Effekt, dass die Teilnehmenden die Mitglieder anderer Nationen nicht als Feinde, sondern als Mitstreiter für die gemeinsame Sache sahen, also in diesem Fall für die Ausbreitung des katholischen Friedensgedankens mit einem Kreuzzug für die Königsherrschaft Christi. Die deutsche Ausgabe der Zeitschrift hieß bis Ende der 1950er Jahre „Pax Christi. Kreuzzug für den Frieden“ bis der Titel geändert wurde in „Pax Christi. Zeitschrift der internationalen katholischen Friedensbewegung“. Während in Frankreich das Christkönigsmotiv bzw. das Christkönigsfest eine lange Konstante bei Pax Christi war, wurde dies in Deutschland durch eine Marienfrömmigkeit ersetzt, die Maria, als Königin des Friedens (Regina pacis) ins Zentrum rückte (S. 99), was zunächst viel zur Popularität von Pax Christi beitrug, aber Ende der 1950er Jahre wieder abebbte.

Die Wallfahrten und damit das internationale Reisen waren durchaus ein Grund, Mitglied bei Pax Christi zu werden. Der deutsche Zweig hatte 1950 - die Quellenlage ist unsicher -  ca. 10.000 Mitglieder. Der unvermittelte Rücktritt von Bischof Pierre-Marie Théas von seinem Amt als internationaler Pax-Christi-Bischof – Grund war ein Zerwürfnis mit dem Gründerehepaar Dortel-Claudot - und die schlecht organisierte Lourdes-Wallfahrt von 1949 stürzten den deutschen Zweig für zwei Jahre in eine Krise, obwohl erstmals fast alle Bistumsstellen ehrenamtlich besetzt waren. Josef Probst und andere der ersten Stunde wurden zum Rücktritt gezwungen, wobei die Quellen die genaueren Umstände leider offen lassen. In Frankreich und Deutschland musste sich Pax Christi reorganisieren, was ab 1951 zu einem „Verkirchlichungsprozess“ (S. 310) der Bewegung führte. Allerdings bewirkte die Klerikalisierung auch eine Professionalisierung, nicht zuletzt durch die Schaffung von Rechtssicherheit durch Statuten. In Deutschland wurde aus Pax Christi Ende 1952 ein eingetragener Verein mit Satzung. Nach wie vor verstand sich Pax Christi in erster Linie als internationale Gebetsbewegung, die auf eine politische Aktivität verzichtete.


Eine erste Bewährungsprobe für den deutschen Zweig von Pax Christi war die Haltung zur Wiederbewaffnung/Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland und damit die Frage der Wehrdienstverweigerung. Für letzteres bot die traditionelle Lehre vom Gerechten Krieg, wie sie die amtlich verfasste Kirche vertrat, keine Grundlage. Innerhalb von Pax Christi wurde kein Protest formuliert. Ihre Kritik an Wehrpflicht und Wiederbewaffnung äußerten Pax-Christi-Mitglieder zunächst über andere Kanäle der profanen Friedensbewegung. (S. 348). Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen wurde in späteren Jahren aber doch zum wichtigen Thema für Pax Christi.

Das letzte von vier Kapiteln des Buches widmet sich der Auseinandersetzung des deutschen Pax-Christi-Zweiges mit den nationalsozialistischen Verbrechen. Schuld und Vergebung fanden von Anfang an ihren Ausdruck in der Liturgie. Die französischen Pax-Christi-Gründer gingen davon aus, dass die deutschen Katholiken alle Gegner des Nationalsozialismus waren, die sich gegenüber französischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen solidarisch gezeigt hatten (S. 366). Die Notwendigkeit einer Konfrontation mit der deutschen Schuld wurde nicht in Frage gestellt, aber den Deutschen selbst überlassen. Die deutschen Katholiken wurden als NS-Opfer angesehen, und aus der selbst erfahrenen Gewalt sollte ein aktiver Einsatz für den Frieden resultieren. Pax Christi schaute weniger auf die Vergangenheit, als auf die Zukunft. Pax Christi machte quasi ein Versöhnungsangebot. Völkerverständigung und Versöhnung fand vor allem in einer „Neucodierung von Lourdes“ (S. 369) ihren Ausdruck, der Hauptstadt der deutsch-französischen Aussöhnung.

Die Aufbauphase des deutschen Zweiges der Pax-Christi-Bewegung war 1952 abgeschlossen. Von 1948 bis 1954 war der Aachener Bischof Johannes Joseph van der Velden der erste Vorsitzende des deutschen Zweiges. Ab 1955 wandte sich Pax Christi auch den Begegnungen zwischen Deutschen und NS-Opfern zu, also der Versöhnung zwischen Tätern und Opfern und ergriff früher als andere Versöhnungsinitiativen an Orten des NS-Terrors wie Oradour-sur-Glane, dem KZ Mauthausen und Ascq. Der Begriff „Symbolorte“ (S. 446) ist vom Autor für diese realen Orte des Terrors unglücklich gewählt.

Oboths ganze Studie ist durchzogen von längeren Quellenzitaten, die jeweils interpretiert werden. Vielfach stützt sich Oboth auf Einzelaussagen seiner Akteure zu verschiedenen Themen – wie beispielsweise beim Motiv Maria, Königin des Friedens (S. 101-108) oder zur deutschen Schuldfrage (S. 416-420) und erläutert diese ausführlich. Er schreibt dezidiert eine Geschichte der Bewegung und keine Personengeschichte, was die Schwierigkeit mit sich brachte, Biographien wichtiger Akteure an der richtigen Stelle einzuspielen. Dennoch ist der Kapuziner Manfred Hörhammer mit seinem Engagement mehr als wichtig für die Bewegung, weil er viele Fäden in der Hand hielt und ein Netzwerker war sowie natürlich der vor allem im Saarland aktive Josef Probst als Leiter der Deutsch-Französischen Verbindungsstelle. Probst hielt auch den Kontakt zur Pax-Christi-Gründerin Marie-Marthe Dortel-Claudot. Aus der Option für eine Bewegungsgeschichte resultiert zwangsläufig eine gewisse Unorganisiertheit in der Darstellung. Damit ist gemeint, dass Personen, Begebenheiten und Themen in den verschiedenen Kapiteln unter jeweils anderer Sichtweise wiederholt vorkommen. In der Darstellung werden oft Details minutiös hervorgehoben, wie z. B. beim Streit um den Sitz der Geschäftsstelle (S. 238-242), die, weil zum Teil wiederholt oder schon vorher angedeutet, für den Leser kaum gewinnbringend sind. Vielleicht wäre Oboth zu strukturierteren Aussagen gekommen, wenn er viel stärker mit theoretischen Ansätzen zur Untersuchung sozialer Bewegungen gearbeitet hätte (ist es für eine entstehende Bewegung normal, dass die Gründergeneration ausgetauscht wird?). Die Untersuchung ist auf die westlichen Besatzungszonen beschränkt, geht aber nicht, wie der Titel vermuten lässt, intensiv auf die Systemkonfrontation zwischen Kapitalismus und Kommunismus ein. Der Bau der Friedenskirche (Pax-Christi-Kirche) in Speyer 1953/54 wird lediglich in einem Satz auf S. 52 und in einer Fußnote (S. 411) erwähnt. Hervorzuheben sind die 40 beigefügten Abbildungen und ihre vorzügliche Beschriftung, die eine Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte des Buches bieten.

Der Aufbauprozess des deutschen Zweiges von Pax Christi verlief in wenig geordneten Bahnen. Persönliche Konflikte, wechselndes Personal – auch auf der internationalen Ebene - und organisatorische Unsicherheiten prägten die Anfänge. Mit der Verkirchlichung von Pax Christi war der Verzicht auf eine politische Positionierung und eine Zusammenarbeit mit nichtkirchlichen Friedensorganisationen und unbequemen Pazifisten festgezurrt. Gebet und Wallfahrt ist das, was Katholiken können. Der Kurs der Bundesregierung musste faktisch geduldet werden. Bundeskanzler Konrad Adenauer wurde 1954 Mitglied bei Pax Christi.. Der Wandel von Pax Christi von einer Gebetsbewegung zu einer politisch argumentierenden und agierenden Bewegung vollzog sich erst in den 1960er Jahren. Dies kann Oboth in seinem Buch lediglich noch andeuten, als Pax Christi 1956 begann, sich mit Spendenaktionen für die Bekämpfung des Hungers zu engagieren und so zu den Mitinitiatoren des Bischöflichen Hilfswerks Misereor wurde. Die eigentlich spannende Geschichte von Pax Christi beginnt erst nach 1957 und damit erklärt sich auch, warum bisherige Darstellungen die Anfänge nicht isoliert bearbeitet haben. Oboth bleibt das Verdienst, eine Fülle von Details für einen sehr schmalen Untersuchungszeitraum aus sehr unterschiedlichen Quellen in eine lesbare Form gebracht zu haben. Nachhaltig sein wird seine Analyse der verschiedenen katholischen Vereinigungen in der Frühphase von Pax Christi.


Zur Rezensentin:
Dr. Gisela Fleckenstein, geb. 1962, Historikerin und Archivarin, beschäftigt beim Historischen Archiv der Stadt Köln

Refbacks

  • Im Moment gibt es keine Refbacks




Tübingen Open Journals - Datenschutz