Gregor Buß, Katholische Priester und Staatssicherheit. Historischer Hintergrund und ethische Reflexion, Münster 2017, Aschendorff-Verlag, 356 S., 44.- €, ISBN: 978-3-402-13206-7
Der langjährige Erfurter Kirchenhistoriker Josef Pilvousek stellte
vor einigen Jahren in einem Aufsatz fest: Es steht fest, dass es
Zuträger der „Stasi“ sowohl unter Priestern als auch Laien gegeben
hat. Wie viel Schaden sie anrichteten, wie viel Vertrauen sie
zerstörten und warum sie es taten, wird noch lange erforscht und
diskutiert werden…. So manche Überraschung dürfte
diese Thematik noch bereithalten. [1]
Gregor Buß hat sich nun mit seinem Buch daran gemacht, einen Beitrag zu diesem Thema zu leisten. Wie schon auf dem Buchcover vermerkt, ist das Werk in zwei große Bereiche unterteilt, nämlich: A – Historischer Hintergrund und B – Ethische Reflexion. Zu Beginn stellt Buß relativ ausführlich Arbeitsweise, Ideologie und Ziele des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR vor. Während er dem Leser das MfS relativ detailliert nahebringt, unterlaufen dem Autor bei der Beschreibung der Gebietsverhältnisse der Bistümer und Jurisdiktionsbezirke in der DDR einige kleinere Fehler. So lag zwar das Bistum (Dresden-) Meißen fast vollständig auf dem Gebiet der DDR, umfasste aber – de iure – bis 1972 mehre Pfarreien jenseits der Oder-Neiße-Linie. Zum Bistum Berlin gehörten nicht nur Ost- und Westberlin und Brandenburg, sondern auch Vorpommern (und formal bis 1972 noch das polnisch gewordene Hinterpommern). Und schließlich ist auch die Aussage, dass Görlitz „unter das polnische Bistum Breslau fiel“ (Seite 38, Anmerkung 88) zumindest missverständlich.
In seinen Ausführungen zu Priestern als Inoffiziellen Mitarbeitern des MfS schildert Buß auf der Grundlage von Gesprächen mit Zeitzeugen zwei Fälle, in denen Priester mit der Staatsicherheit Gespräche führten. Am Beispiel des ehemaligen Dresdner und späteren Leipziger Propstes Günther Hanisch, der 1993 durch den Journalisten Heribert Schwan in der ARD wegen seiner Gesprächskontakte zur Stasi an den Pranger gestellt wurde, nimmt er die offiziellen kirchlichen Gesprächskontakte ins Visier. Diese Ausführungen zu den kirchlichen Gesprächsbeauftragten sind sehr erhellend. Denn diese sogenannten Politprälaten – wie Sie oft leicht abwertend unter den DDR-Katholiken bezeichnet wurden – standen ja auch innerkirchlich vor und nach der Wende oftmals in der Kritik. Buß schlägt vor, besser von halboffiziellen Kontakten zu sprechen, da nur ein kleiner eingeweihter Kreis um diese Gesprächskanäle wusste. Als Maßstab für die Bewertung des Tuns der einzelnen Gesprächsbeauftragten nennt er vor allem die Frage, ob sich dieser an seinen Auftrag hielt, seinen Bischof über die Gespräche also genau in Kenntnis setzte, oder ob er sein Mandat verletzte, was – wie auch Buß klarstellt – bei Hanisch nicht der Fall war. Einleuchtend ist die Feststellung, dass diese Verhandlungen wohl auch zentral in Berlin hätten geführt werden können, zumal einige regionale Gesprächskontakte eher zufällig entstanden und mehrere Jurisdiktionsbezirke es nicht für nötig hielten, einen eigenen Gesprächskontakt mit der Staatssicherheit zu etablieren. Allerdings wäre bei der angeführten Äußerung des Prälaten Hanisch, dass er durch seine Gesprächskontakte fast nichts bewirkt habe, außer dass ein paar Priester ihre Angehörigen hätten besuchen können, eine kritische Betrachtung durch den Autor angemessen gewesen.
Sehr anschaulich wird der „Fall Rosner“ geschildert: Der Leipziger Studentenpfarrer und Oratorianer Clemens Rosner betrieb mit Hilfe seines in Westdeutschland lebenden Vaters einen Autohandel über den Genex-Katalog, welcher diverse Waren anbot, die man gegen Devisen bestellen konnte. Aus Geldern des gesamtdeutschen Ministeriums wurden die Autos finanziert, und Rosner erhielt von den Empfängern Beträge in DDR-Mark und verteilte das Geld an die Studentengemeinden in der DDR. Als ein solches über Genex erstandenes Fahrzeug für einen Diebstahl verwendet wurde, bekam das MfS Kenntnis von dieser Angelegenheit und setzte den Studentenpfarrer unter Druck. Infolgedessen traf sich Rosner ca. ein Jahr lang zu Gesprächen mit einem Offizier des MfS, bis er sich in einem Brief an einen westdeutschen Seelsorger outete und damit dekonspirierte. Nun liest sich die Darstellung dieser Episode - der Autohandel und seine Folgen - wie eine „Räuberpistole“. Auch wenn Pfarrer Rosner Leiter der Ostdeutschen Studentenpfarrerkonferenz war, ist es doch unwahrscheinlich, dass die Studentengemeinden auf diesen obskuren Finanzierungsweg angewiesen waren. Im B-Teil wird der Fall Rosner nochmals aufgegriffen und als Kompromisshandlung dargestellt, da Rosner – so der Autor – fürchten musste, dass der Fortbestand der Studentengemeinden gefährdet war. Sicherlich entspricht das der subjektiven Motivation des Pfarrers Rosner, doch ist objektiv sehr anzufragen, ob es das DDR-Regime im Jahr 1969 gewagt hätte, wegen eines Devisenvergehens die Studentengemeinden zu verbieten.
Sehr erhellend ist das 4. Kapitel des A-Teils, in dem Buß der Frage nachgeht, warum die Priester inoffizielle Mitarbeiter wurden. Gemäß seinem in der Einleitung formulierten Leitsatz, Kriterien zur Bewertung von Einzelfällen zu erarbeiten, erstellt er hier eine Typologie des Priesters als IM. Dem gleichen Anliegen dient auch die statistische Auswertung bezüglich der Priester als IM. Diese Typologie gehört zu den aussagekräftigsten Stellen des Buches, denn der Leser erfährt, dass die Gründe, warum Priester sich mit der Staatssicherheit einließen, sehr verschieden waren und von guter Absicht und Pflichterfüllung – Letzteres war bei den Gesprächsbeauftragten der Fall – über Erpressung und Täuschung bis zu Geltungsdrang und Rache – ein Priester IM war nach dem babylonischen Rachegott Marduk benannt [2]– reichten. Zugleich macht dieses Kapitel betroffen, wenn man das Zitat liest, wie die Staatssicherheit einen wohl nicht ganz unbedeutenden Priester des Bistums Berlin beim gemeinsamen Baden und anschließendem Geschlechtsverkehr mit einer Schülerin an einem Waldsee beobachtete, was natürlich einen Erpressungsgrund lieferte. Ebenso ist es verstörend zu erfahren, dass gerade manche Priester, die krank oder in einer Lebenskrise waren, die Gespräche mit ihrem Führungsoffizier – vom Autor das „menschliche Antlitz“ der Stasi genannt – regelrecht herbeisehnten. Um die objektiven und subjektiven Belastungsmomente zu illustrieren, greift Buß auf eine Studie über den Umgang der evangelischen Landeskirchen mit ihren geistlichen IM zurück, von denen jeder sich vor einem kirchlichen Disziplinargericht verantworten musste und mit abgestuften Strafmaßnahmen belegt wurde. Aus diesem Vergleich wird deutlich, wie milde die ostdeutschen Bischöfe mit ihren Priestern umgegangen sind, die sich in den Fängen der Staatssicherheit verstrickt hatten.
In einem breiten B-Teil entwirft Gregor Buß die ethische Perspektive zu seinem Forschungsgegenstand, hierzu bedient er sich sehr grundlegender moraltheologischer Ausführungen und einer Reihe weiterführender Zitate. Im Zuge seiner Darstellung der Dimensionen menschlichen Handelns ordnet er eine IM-Tätigkeit als „moralisch verwerflich“ (S. 180) ein, wenn diese auf einem Mangel an Wollen oder Können beruht. Sehr nachvollziehbar werden die Fälle wegen Zölibatsvergehen analysiert, so sieht Buß in der Zusammenarbeit eines derart erpressten Priesters mit dem MfS nicht das kleinere Übel, sondern die mit dem geringeren Aufwand verbundene Handlungsoption. Er fragt berechtigterweise, warum sich ein solcher Priester nicht seinem Bischof offenbarte. Auch stellt er fest, dass die Aufdeckung einer Zölibatsverletzung nicht die Kirche in ihren Grundfesten erschüttert hätte (S. 243). Allerdings differenziert Buß an dieser Stelle nicht, dass unter Zölibatsvergehen eben auch Fälle des sexuellen Missbrauchs zu rechnen sind. Im oben genannten Beispiel des erpressten Berliner Priesters geht aus dem Zitat auch hervor, dass derartige Sexualdelikte in der DDR strafbar waren und mit bis zu 3 Jahren Gefängnis geahndet wurden (S. 145). Schließlich klassifiziert er diese Fälle im Gegensatz zum Fall Rosner als verschuldetes Dilemma. Kritisch zu bewerten ist das Bild von der katholischen Nische, denn außer den Hauptamtlichen waren ja die katholischen Laien auch durch ihre Berufstätigkeit u. a. Teil der sozialistischen Gesellschaft und zumeist Mitglied mindestens einer Massenorganisation und in nicht wenigen Fällen auch der Blockparteien. Buß rekurriert darauf, dass sich die Katholische Kirche in der DDR in der doppelten Diaspora befand, weshalb sie weniger im Blick der Staatssicherheit gewesen sei als die evangelischen Mitchristen. Es wäre an dieser Stelle wünschenswert gewesen, wenn der Autor untersucht hätte, ob sich das MfS in den drei kleineren Gebieten, in denen sich die Katholiken in der Mehrheit befanden – Eichsfeld, Rhön, sorbische Gebiete in der Oberlausitz – anders gegenüber der Katholischen Kirche verhielten, zumal ja 2016 eine Studie über die Sorben im Blick der Staatssicherheit erschienen ist.[3] In der Schlussbetrachtung hebt der Autor hervor, dass auch Priester sündige Menschen seien und, gemäß dem 1. Korintherbrief, die kirchliche Gemeinschaft das Verhalten ihrer sündigen Glieder mittragen müsse. Diese Deutung offenbart geistlichen Tiefgang, trotzdem muss die Aussage über die institutionelle Schuld der Kirche durch ihre Gesprächskontakte angefragt werden. Sein Buch, so erklärt der Autor, verstehe er als Schmerztherapie, die dazu beitragen möchte, offene Wunden zu heilen.
Mit seinem Werk hat Gregor Buß einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des DDR- Katholizismus geleistet und Anstöße für weitere Forschung gegeben.
Zum Rezensenten:
Markus Ruhs, geb. 1985 in Werdau, ist katholischer Priester
(derzeit
Kaplan in Chemnitz) und arbeitet an einer kirchengeschichtlichen
Dissertation zum Thema „Akademikerseelsorge in der DDR unter besonderer
Berücksichtigung des Bistums Dresden-Meißen“.
[1] Vgl. Josef Pilvousek, Zehn Jahre danach – Reflexionen zur historischen Aufarbeitung der DDR-Kirchengeschichte. In: Anzeiger für die Seelsorge 10(2000) 455- 459;Nachdruck in: W. Schluchter (Hg.): Kolloquien des Max Weber – Kollegs XV – XXIII (2001), Erfurt 2001, 193 – 208.
[2] Vgl. Bernd Schäfer, Priester in zwei deutschen Diktaturen. Die antifaschistische Legende des Karl Fischer (1900 – 1972), in: Historisch politische Mitteilungen (HPM), Heft 7/2000. S. 71.
[3] Timo Meskank, Sorben im Blick der Staatssicherheit. Die Akten der K5 und des MfS der DDR 1949 – 1989. Bautzen 2016.
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