Markwart Herzog (Hg.), Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im nationalsozialistischen Deutschland

Markwart Herzog (Hg.), Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im nationalsozialistischen Deutschland, Stuttgart 2016, Kohlhammer Verlag, 468 S. u. 36 Abb., 30.- €, ISBN: 978-3-17-030957-9


Sportgeschichte wird hierzulande kontrovers diskutiert. Die Konflikte sind so groß, dass gar von einem „Fußballhistorikerstreit“ die Rede war.[1] Es stritten Sportjournalisten und -wissenschaftler, Vertreter anderer Disziplinen, Archivare, bisweilen „fans with typewriters“, wie in ähnlichem Kontext einmal ein britischer Sporthistoriker anmerkte. Historiker beteiligten sich kaum. Die Geschichtswissenschaft erkennt das Potential einer Sportgeschichte, die gerade in Deutschland von den Kontinuitäten und Brüchen des 20. Jahrhunderts geprägt wurde, nur langsam.[2] Vor diesem Hintergrund veranstaltet die Schwabenakademie Bad Irsee Tagungen zum Fußball im Nationalsozialismus unter der Leitung von Markwart Herzog. Dabei vertritt der Theologe Thesen, die den Rezensenten erstaunen: Er behauptet, dem NS-Regime sei 1933 die „Gleichschaltung“ des Sports (S. 16) misslungen. Er spricht explizit vom „gescheiterten Projekt“ (S. 17). Er reklamiert, dieses Buch böte „auf breiter Quellenbasis den ersten monographischen Überblick zu diesem Themengebiet“ (S. 17). Doch liegt ein Sammelband vor, keine Monographie. Die Forschungslage ist nicht so schlecht, wie er meint.[3] Auch passt die Behauptung einer „gescheiterten Gleichschaltung“ nicht zu den Ergebnissen der Einzelstudien. Wie kommt der Herausgeber zu seiner These?

Herzog bewegt vor allem der „bürgerliche“ Fußball. Für die deutsche Sportgeschichte ist jedoch konstitutiv, dass ihre Organisationslandschaft schon vor 1914 von sozialen und politischen Bruchlinien zerklüftet wurde. Der bei weitem größte Organisationszweig nannte sich selbst „bürgerlich“ und „unpolitisch“, war aber tatsächlich staatstragend-antisozialdemokratisch und daher öffentlich gefördert. Wegen seiner Mitwirkung an der staatlichen vormilitärischen Jugendpflegepolitik separierte sich ein an der oppositionellen SPD orientierter Arbeitersport. Weiter gab es kleinere konfessionelle Vereine und Verbände, protestantische, katholische, jüdische. Die Sportpraxis war – bis auf die Militärpropädeutik – überall gleich. Fußball war Fußball, Tennis Tennis usw. Die Weimarer Demokratie löste zwar die politische Kooperation mit den bürgerlichen Verbänden, doch blieb die Segregation nach sozialmoralischen Milieus erhalten. Es kam gar zu weiterer Spaltung zwischen dem SPD-orientierten und dem kommunistischen Arbeitersport. 1932 griff ein nur noch von Präsidialkabinetten regierter Staat mit Schaffung des Reichskuratoriums für Jugendertüchtigung das Konzept vom Sport als militärpolitischer Ressource in Kooperation mit den bürgerlichen Verbänden erneut auf. Hatten also schon verschiedene Akteure politische Sportkonzepte entwickelt, verfügten 1933 ausgerechnet weder die NSDAP noch der hastig errichtete NS-Herrschaftsapparat über eigenständige Ideen zum Sport.

Zwei Faktoren charakterisierten die NS-Sportpolitik: Planlosigkeit und die Bekämpfung echter oder vermeintlicher Gegner. Wie auf anderen Politikfeldern stützten sich die Machthaber aus Mangel an Expertise auf Kooperationen mit erfahrenen Akteuren. Den Rahmen setzte das Regime: Alle Parteien, Gewerkschaften, Verbände, Vereine, denen es Opposition zutraute, wurden zerschlagen und von NS-Organisationen ersetzt. Politische Gegner wurden terrorisiert, vertrieben, verfolgt, inhaftiert, getötet, dazu alle als „Juden“ markierten Menschen. Zugleich appellierte das Regime an Interessenkonvergenzen mit geduldeten Organisationen, in denen NS-Aktivisten oder Sympathisanten die Initiative ergriffen. Aus vorauseilendem Gehorsam kam es auch zu Prozessen mehr oder weniger konsequenter „Selbstgleichschaltung“. Die „Gleichschaltung“ von Politik und Gesellschaft wurde so 1933 schnell erreicht. Die Durchdringung staatlicher Institutionen durch NS-Eliten brauchte länger und dauerte bis 1945 fort.

Die Sportpolitik fügte sich in diese Muster. Der Arbeiterfußball wurde zerschlagen. Die christlichen Sportorganisationen, obwohl unter Druck, blieben bestehen, bis sie 1936 aufgelöst wurden. Die jüdischen Verbände, obwohl schikaniert, wuchsen zunächst, da sie die aus den bürgerlichen Verbänden als „jüdisch“ verstoßenen Sportlerinnen und Sportler aufnahmen. Mit den Pogromen 1938 wurde der jüdische Sport liquidiert. Der bürgerliche Vereinssport aber wurde zur Basis einer NS-Einheitssportorganisation, des Deutschen, ab 1938 Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen (NSRL), einer „betreuten Organisation“ der Partei. Ein „Reichssportführer“ wurde 1933 installiert, 1934 die „Reichssportführung“. Diese Institutionen stützten sich vornehmlich auf die Expertise bürgerlicher Funktionäre. Der Berliner Olympiade 1936 wegen war außenpolitische Rücksicht geboten, dann zog die HJ den Jugendsport an sich. Das Innenministerium schuf ein „Reichssportamt“. 1940 wurden die NSRL-Verbände in „Fachämter“ überführt, wieder wurde personelle Kontinuität gewahrt. Zugleich strebten weitere NS-Organisationen (DAF, SA, SS) nach der Sporthoheit. Radikale Kräfte wollten das traditionelle Vereinswesen durch NS-Ortssportgemeinschaften ersetzen. 1933 kam die „Gleichschaltung“ des Sports zu keinem Ende – die polykratische Dynamik des  Regimes erzwang weitere Entwicklungen. Das Chaos ließ aber temporäre und lokale Spielräume. Selbst die Exklusion der Juden verlief nicht überall gleich. Doch schnell funktionierte Sport nur noch in Konformität zum Regime. Die Detailstudien stellen daher unterschiedliche Ereignisverläufe vor.

Die „Aus-“, nicht „Gleichschaltung“ des kommunistischen Arbeitersportvereins Ueberau in Hessen-Darmstadt untersucht Stefan Hebenstreit. Zusammenstöße zwischen SA und Kommunisten vor den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 beantwortete die SA mit Übergriffen. Polizeiliche Maßnahmen gegen den Verein, Durchsuchungen, Verhaftungen und die Auflösung folgten; die Bespitzelung der Mitglieder verhinderte die Neugründung (S. 243-262). Hermann Queckenstedt vom Diözesanmuseum Oldenburg analysiert die Auflösung der katholischen Sportvereine. Ihr Dachverband „Deutsche Jugendkraft“ zog sich vor 1933 den Unmut der radikalen Rechten zu, als er das Reichskuratorium für Jugendertüchtigung kritisierte und die Mitgliedschaft in NS-Verbänden oder im republikfeindlichen Veteranenverband „Stahlhelm“ mit katholischer Jugendarbeit für unvereinbar erklärte. 1933 wurden DJK-Vereine mit politischen Attacken, behördlichen Schikanen und temporären Verboten überzogen, obwohl sie nun Wehrsport trieben. Im Zuge der Übernahme des Jugendsports durch die HJ 1936 wurden sie aufgelöst (S. 263-295). Die jüdischen Organisationen, Sportlerinnen und Sportler werden leider nicht mit einem Beitrag gewürdigt. Immerhin berichtet Berno Bahro über „Arierparagrafen“ in Turn- und Sportvereinen in Berlin und Brandenburg (S. 115-136).

Zu ergänzen wäre freilich, dass es Unvereinbarkeitsbeschlüsse, wie in der DJK, im angeblich neutralen bürgerlichen Fußball nicht gab. Im Westdeutschen Spielverband etwa, einem Landesverband des Deutschen Fußballbundes (DFB), traten NS-Aktivisten schon vor 1933 hervor. Konvergenzen zu NS-Positionen zeigte der DFB im Konzept des Sports als Medium zur Herstellung körperlicher Leistungsfähigkeit in Krieg und Frieden, vom Sportverein als Instanz der „Volksgemeinschaft“, von Sporterfolgen als Ressource nationaler Repräsentation sowie in der Ablehnung des Profisports, die auch manche DFB-Funktionäre antisemitisch codierten. Bald bewegte sich der bürgerliche Fußball auf NS-Linie, akzeptierte wegen virulenter antidemokratischer Affekte das „Führerprinzip“ und schloss „jüdische“ Mitglieder aus. Nils Havemann aber akzentuiert vor allem die pragmatisch-ökonomischen Motive des DFB 1933, dazu die weitere Anpassung der Sportstrukturen ab 1936, die er als „zweite Gleichschaltung“ begreift (S. 27-36). Die  Vereinsebene wird dagegen intensiver beleuchtet: Andreas Mau behandelt die Spielvereinigung Fürth (S. 35-50), Anton Löffelmeyer den Münchner Fußball (S. 51-75), Markwart Herzog Kaiserslautern, die Pfalz und Bayern München (S. 75-113; 137-208). In allen Regionen und Vereinen agierten überzeugte Nazis neben NS-Sympathisanten, Karrieristen neben Anpassern, vorsichtigen, gleichgültigen oder furchtsamen Mitgliedern, Partei- neben Sportfunktionären. Zu Kompetenzgerangel kamen persönliche Konkurrenzen, Strategie- und Zielkonflikte, alte Feindschaften zu neuen Projekten. Die „Gleichschaltung“ verlief 1933 nirgends harmonisch. Echten Widerstand aber gab es nicht.

Positiv ist, dass bisher nur wenig untersuchte annektierte Gebiete Beachtung finden: Stefan Zwicker untersucht den Fußball im 1935 rückgegliederten Saargebiet, 1940 mit dem eroberten Lothringen im „Gau Westmark“ zusammengefasst (S. 341-362). Den steirischen Fußball im „Ständestaat“ des Austrofaschismus ab 1934 und nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 analysiert Walter Iber (S. 363-382), Bernd Reichelt den deutsch-böhmischen Fußball nach Zerschlagung der Tschechoslowakei im März 1939 (S. 317-340), Thomas Urban die diffizilen Verhältnisse in Ostoberschlesien nach dem Polenfeldzug (S. 299-316). Überall dort geschah „Gleichschaltung“ in einer gefestigten, ja expandierenden NS-Herrschaft, die sich im Zeichen von Nationalismus, Rassismus und einer im Krieg drastisch ausgeweiteten Vernichtungspolitik weiter radikalisierte und  gewissermaßen im Zeitraffer verlief, wie Urban eindrucksvoll belegt:

Angesichts der aus Deutschen, Schlonsaken (Schlesier mit eigener Regionalsprache), Polen und Juden (in allen Sprachgruppen) heterogen zusammengesetzten Bevölkerung Ostoberschlesiens wies der NSRL dem Sport die Steigerung des „Deutschbewusstseins“, die Ausschaltung allen „Fremden und Undeutschen“ sowie „politische Wachsamkeit“ als Aufgaben zu. In der Sprache des NS-Rassismus wurde „Vermischung“ mit Polen und Juden verboten: „Halte dein Blut rein!“ „Eugenische“ Belehrungen zur „Vermehrung der Erbtüchtigen“ folgten: „Leibesübungen vermitteln ?ein? züchterisches Hochbild menschlicher Schönheit, fördern artgerechte Gattenwahl.“ So belehrt sollten sich die Ostoberschlesier „in die große deutsche Volksgemeinschaft einreihen“. Da diese Krieg führte, sollten „die Leibesübungen ?...? unsere Landsleute auf die schwierigen Aufgaben des Soldatenberufs“ vorbereiten (S. 237). Während der letzten Fußballspiele verlief die Front in Hörweite. Bis zuletzt wirkte Sport systemstabilisierend.

Herzog bestreitet die politischen Konvergenzen zwischen Fußballvereinen und NS-Regime grundsätzlich. „Schließlich standen die Traditionen des bürgerlichen Sports in vielfältiger Hinsicht im diametralen Gegensatz zur dezidiert antibürgerlichen Politik der NSDAP.“ (S. 16) Es habe in den „Vorständen relativ wenige Veränderungen“ gegeben; in den Vereinen habe „sich nach der Machtübernahme der NSDAP nicht so viel geändert, wie pathetische Deklarationen der Parteipropaganda vermuten lassen“ (S. 139). Doch waren  ihre Ergebenheitsadressen 1933 weder Formsache noch Propagandafiktion, sondern politische Hilfe für die Nationalsozialisten in der kritischen Phase ihrer Machtdurchsetzung. Auch die Aufnahme der Arbeiterfußballer war eine politische Dienstleistung der bürgerlichen Vereine. Die organisierte Arbeiterbewegung galt als Feind, nicht der einzelne Arbeiter – er sollte in die „Volksgemeinschaft“ eingereiht werden. Indem im April 1933 siebzehn große Clubs Juden öffentlich die Eignung zu Führungspositionen absprachen und ihre jüdischen Mitglieder verjagten, nahmen sie an nationalsozialistischer Hetze teil. Nach dem antijüdischen Boykott beteuerten bürgerliche Fußballfunktionäre dem empörten Ausland, in Deutschland herrsche Ordnung. So leisteten sie ihren Beitrag auch zur außenpolitischen Konsolidierung. Das Regime konnte sich auf den bürgerlichen Sport, seine Verbände, Vereine, Funktionäre, verlassen. Dass die NS-Sportpolitik 1933 zu keinem Abschluss kam, ist bekannt, rechtfertigt aber nicht Herzogs Behauptung einer „gescheiterten Gleichschaltung“. Einen „diametralen Gegensatz“ von bürgerlichem Sport und NS-Regime hat es nicht gegeben.

Herzog kennt die Fakten, nicht aber die moderne, vom cultural turn inspirierte NS-Forschung. Nationalsozialistische Herrschaft und Propaganda sieht er als monolithische Gegebenheit. Er verkennt, dass es im Nationalsozialismus konkurrierende Strömungen und Konzepte gab. Darum missdeutet er (sport-)politische Konflikte als Ausdruck grundsätzlicher Distanz zum Regime. Er übersieht dessen partizipative Potentiale, die viele bürgerliche Funktionäre wahrnahmen: „Volksgemeinschaft“ wurde nicht nur „von oben“ befohlen, sondern auch „von unten“ inszeniert. Mit seinen diskursiven und praktischen Konstruktionen von „Volksgemeinschaft“ trug der bürgerliche Sport zur Stabilisierung der NS-Gesellschaft bei. Er bot alltägliche Integrationsmomente: politisch aufgeladene Gemeinschaftserlebnisse, Körperkult, Leistungs- und Siegesswillen in Frieden und Krieg. Er profitierte von der Beseitigung konkurrierender Verbände und wandte nationalsozialistische Exklusionspraktiken an.

Für Herzog aber war Fußball „weniger anfällig für den Rassismus der NSDAP“ (S. 98) als andere Sportarten. Er sieht einen „Konkurrenzantisemitismus“ am Werk, der „nicht rassistisch motiviert“ gewesen sei, sondern in Ängsten vor der „angeblichen Dominanz der Juden in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen“ (S. 182) gewurzelt habe. Er will die in bürgerlichen Fußballvereinen virulente Judenfeindschaft vom NS-Vernichtungsantisemitismus abgrenzen. Doch trug diese 1933 entscheidend zur Akzeptanz des NS-Antisemitismus bei: Sport war der erste gesellschaftliche Teilbereich, in dem Juden öffentlich vom alltäglichen Miteinander ausgeschlossen wurden.

Herzog sieht im Engagement des bürgerlichen Fußballs für das NS-Regime nur eine „unpolitische Mobilisierung“ (S. 98). Nur diese Perspektive schütze „vor der Versuchung, ?...? Goebbels’ Blick auf die Welt für bare Münze zu nehmen“ (S. 138). Der Theologe offenbart sich als erbitterter Kombattant im „Fußballhistorikerstreit“ (S. 20). Das mag zur Überspitzung seiner Thesen beigetragen haben. Die meisten Autoren aber argumentieren zurückhaltender. So konnte der Herausgeber viele lesenswerte Detailstudien versammeln. Sie belegen, wie schnell sich der bürgerliche Fußball 1933 in den Rahmen des NS-Regimes einpasste.

Zum Rezensenten:
Dr. Ralf Schäfer, Historiker und Lateinischer Philologe, promovierte am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. Er forscht unter anderem zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, des Antisemitismus und zur Gesellschaftsgeschichte des Sports.

Anmerkungen:
[1] Andreas Rosenfelder, Taktiktisch. Der deutsche Fußball wiederholt den Historikerstreit, in: FAZ v. 20.02.2006.
[2] Frank Becker/Ralf Schäfer (Hg.), Sport und Nationalsozialismus (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus Bd. 32), Göttingen 2016, Einleitung, S. 9–23.
[3] Genannt seien nur Dietrich Schulze-Marmeling/Lorenz Peiffer (Hg.), Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball im Nationalsozialismus, Göttingen 2008; Rudolf Oswald, „Fußball-Volksgemeinschaft“: Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball 1919-1964, Frankfurt a. M./New York 2008; Nils Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt a. M. 2005.

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