Thomas Grotum (Hg.), Die Gestapo Trier. Beiträge zur Geschichte einer regionalen Verfolgungsbehörde

Thomas Grotum (Hg.), Die Gestapo Trier. Beiträge zur Geschichte einer regionalen Verfolgungsbehörde, Köln, Weimar, Wien 2018, Böhlau-Verlag, 365 S., 30.-€, ISBN 978-3-412-50914-9


Vor gut zehn Jahren kam eine intensive und noch immer andauernde Auseinandersetzung über die nationalsozialistische Vergangenheit von Behörden und Ministerien der Bundesrepublik in Gang, wobei es zum einen um Fragen der kulturellen und mentalen Nachwirkungen und zum anderen um das Problem der personellen Belastungen und Kontinuitäten geht. Anders als in früheren Jahren wurden die Debatte und ihre Ausweitung auf immer mehr Ämter und Instanzen nicht genuin von wissenschaftlicher Seite initiiert, sondern stark von staatlicher Seite angetrieben. Dabei kamen u.a. auch das Bundeskriminalamt, sein fachaufsichtführendes Bundesministerium des Innern und verschiedene Nachrichtendienste in den Blick.[1] Damit nicht intentional aber inhaltlich verbunden ist die Forderung nach der kritischen Befragung oder dem Erhalt von baulichen Überresten aus der NS-Zeit, um an die Verbrechen der Polizei im Nationalsozialismus zu erinnern. So wird beispielsweise nach einer öffentlich geführten Debatte, hier initiiert von einer Bürgerinitiative, das Gebäude, in dem die „Staatspolizeileitstelle“ Stuttgart untergebracht war, nicht abgerissen, sondern zu einem Museum ausgestaltet.[2]

In diese doppelte Entwicklung lässt sich die Genese des Forschungsprojektes zur Gestapo Trier einordnen: Ausgangspunkt war der Umzug der Staatsanwaltschaft in das ehemalige Reichsbahndirektionsgebäude in Trier, in der zwischen 1935 und 1944 die Geheime Staatspolizei residierte. Über diese Vorgeschichte des Gebäudes wollte der damalige Leitende Oberstaatsanwalt mehr erfahren. Aus diesen Anfängen im Jahr 2011 entwickelte sich eine Kooperation zwischen der Staatsanwaltschaft und der Universität Trier, die zu einem umfangreichen, von Dr. Thomas Grotum geleiteten Projekt „Die Gestapo Trier in der Christophstraße 1. Justiz und Polizei im regionalen Umfeld in der NS-Zeit“ führte. Ein Spezifikum des Projekts ist die innovative Verbindung von Forschung und Lehre: Sie zeigt sich zum einen darin, dass erste Rechercheergebnisse in einer Ausstellung präsentiert wurden, und zum anderen durch das partizipative Zustandekommen des hier rezensierten Sammelbandes – denn er präsentiert die Ergebnisse von studentischen Abschlussarbeiten. Mit dieser Orientierung am Wissenstransfer liegt das Projekt im Trend. Auch für das jüngere Forschungsprojekt zur „Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ ist es zentral, Wissenschaft und Geschichtsvermittlung miteinander zu verbinden, bis hin zur Konzeption von schulischen Lernmaterialien.[3]

Der Sammelband „Die Gestapo Trier“ ist klug konzipiert: Nach einer profunden Einleitung von Thomas Grotum bietet Lena Haase einen vorzüglichen Überblick, der die Forschungsgenese ebenso berücksichtigt, wie er kontextualisierende Informationen zur Gestapo-Entwicklung auf preußischer und Reichsebene liefert und somit den Rahmen schafft, in den die durchweg gut lesbaren Einzelstudien des Bandes eingehängt werden können. Die Einzelbeiträge folgen dann einer einheitlichen Struktur mit sprechenden Zwischenüberschriften, so dass der Sammelband wie eine Monografie gelesen werden kann. Das Buch bündelt dreizehn Einzelstudien sowie einen Beitrag von Thomas Grotum, der am Ende die Ergebnisse von weiteren sechs Arbeiten zusammenfasst. Die analytischen Tiefenbohrungen liefern einen bemerkenswerten Querschnitt über die Tätigkeitsfelder der Geheimen Staatspolizei: Sortiert man die Beiträge nach dem Kriterium der inhaltlich-thematischen Ausrichtung der Gestapo-Verfolgungstätigkeit, stößt man beispielsweise auf die Felder Kirche und kirchliches Milieu, Wirtschaft und Landwirtschaft, Judenverfolgung, „Rassenpolitik“ und Zwangsarbeit, Spionage- und Sabotageabwehr oder politische Gegnerbekämpfung; gliedert man nach Elementen des praktischen polizeilichen Handelns tauchen kriminalistische und geheimdienstliche Ermittlungen ebenso auf wie „rassenkundliche“ Gutachten, Pressezensur oder Vernehmungstaktiken mit Gewaltausübung; in struktureller Hinsicht, auf die Berührung oder Kooperation mit anderen Instanzen bezogen: Schnittstellen zur Justiz und deren Behörden (Staatsanwaltschaft, Sondergerichte), zu anderen staatlichen Instanzen wie dem Arbeitsamt oder Reichspresseamt sowie zu parteiintern-hybriden Bereichen, wie dem KZ-Lagersystem oder dem Rasse- und Siedlungshauptamt.

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Nach der „Machtergreifung“ wurde das Hören ausländischer Rundfunksender kriminalisiert, wobei das Reichsjustizministerium auf der einen und das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin auf der anderen Seite unterschiedliche Verfolgungsstrategien entwickelten. Die Justizbehörden trachteten danach, Tatbestände des Hochverrats abzuurteilen, während es der Geheimen Staatspolizei genügte, gemeinschaftliches Hören von Radio Moskau mit Konzentrationslagerhaft zu sanktionieren. Unmittelbar mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen stellte die Rundfunkverordnung vom 1. September 1939 das Hören ausländischer Radiosender grundsätzlich unter Strafe und definierte die Gestapo als verfahrensinitiierende Behörde. War die Staatsanwaltschaft damit zu einem reinen Hilfsorgan der Gestapo degradiert? Das fragt Matthias Klein anhand ausgewählter Trierer Beispiele und bemerkt, dass die Justiz zwar davon abhängig war, welche Fälle ihr von der Gestapo zugingen, sie dann aber durchaus Ermittlungs- und Ermessenspielraum hatte, der sich am Ende manchmal sogar positiv auf den Beschuldigten auswirken konnte. Das Destruktionspotential musste sich also nicht zwangsläufig erhöhen, wenn Justiz und Gestapo kooperierten; aber umgekehrt lässt sich mit Klein sagen, dass die Justiz – natürlich – kein Garant des Rechtsstaatlichen war, wie nicht zuletzt ein Blick auf andere Deliktfelder zeigt. Dem Plädoyer des Autors für eine differenzierte Darstellung des „Nebeneinander[s] von ‚Terror und Normalität‘“ ist beizupflichten; er hat sie auf mikrohistorischer Ebene selbst beispielhaft ausgeführt.

Das Wechselverhältnis zwischen Gestapo und staatlichen Instanzen berührt auch das Untersuchungsfeld von Sebastian Heuft. Er analysiert anhand des katholischen Paulinusblattes die Rolle der lokalen Gestapostelle als Zensurbehörde. Die Auflage der katholischen Wochenzeitung, seit 1934 Bistumsblatt, war im Jahr 1935 sprunghaft angestiegen – weite Teile des Trierer Bistums erstreckten sich auf das Saarland, das sich in jenem Jahr dem Deutschen Reich angeschlossen hatte – und die Höhe der Auflage wuchs bis 1938 weiter an, ehe das Organ nicht mehr erscheinen durfte - rin Schicksal, das es um 1938/39 mit anderen konfessionellen Blättern teilte.[4] Max Amann, Präsident der Reichspressekammer, hatte am 24. April 1935 in einer „Anordnung zur Wahrung der Unabhängigkeit des Zeitungsverlagswesens“ verfügt, dass die Leserschaft nicht mehr auf einen konfessionellen Personenkreis abgestimmt sein dürfe.[5] Bezeichnenderweise hat der Trierer Gestapoleiter just am 26. April 1935 entschieden, die Ausgabe Nr. 17 des Paulinusblattes vom gleichen Tag zu beschlagnahmen. Gleiches wurde für zwei weitere Folgen verfügt (Nr. 18, 20) und wiederholte sich am Anfang und in der Mitte des Jahres 1936. Ein kausaler Zusammenhang mit der Politik der Reichspressekammer liegt also nahe, wird in dem Beitrag von Sebastian Heuft jedoch nicht thematisiert; denn es geht ihm weniger um die Interdependenzen der Gestapo mit der Reichspressekammer oder dem Reichspropagandaministerium. Das an seinem Zugriff aber Spannende ist der Blick auf den (öffentlich unsichtbaren) Prozess der Lenkung und Kontrolle durch die Gestapo bei jenen Ausgaben, die in den Jahren bis 1938 erscheinen konnten. Die Trierer Gestapostelle hatte nach Darlegung des Verfassers zwischen 1935 und 1938 den Druck eines guten Dutzends der Ausgaben des Blattes erschwert oder beanstandet und zusätzlich drei Nummern ganz verboten. (Aber noch immerhin fünf Ausgaben wurden von der Reichpressekammer in den Jahren 1935/36 nach Veröffentlichung beanstandet.) Wichtig ist dieser Prozess der Vorzensur, weil er offenbart, wie die Redaktion um Selbstbehauptung rang, etwa mit Verweis auf das Reichskonkordat, zugleich aber auch Kompromisse einzugehen bereit war und Anpassungsbereitschaft zeigte. Eine Analyse dieser Gratwanderung ist für sich genommen schon ein wichtiges Erkenntnisziel; auf der anderen Seite liefert die Nahsicht auf diesen Prozess aber auch Informationen zur internen polizeilichen Kommunikation: Sebastian Heuft argumentiert, dass die Trierer Gestapo gegenüber der Berliner Zentrale den Eindruck der vollständigen Kontrolle vermittelte, auch wenn der Zensurprozess vor Ort (aus Sicht der Polizei) nicht immer reibungslos vonstattenging.

Mit den Beiträgen von Katharina Klasen und Felix Klormann kommen Verbindungslinien zwischen der Gestapostelle und dem „SS-Sonderlager/Konzentrationslager Hinzert“ in den Blick. Im Oktober 1939 als „Polizeihaftlager“ gegründet, unterstand es seit dem 1. Juli 1940 der „Inspektion der Konzentrationslager (IKL)“, war also Teil des SS-Imperiums. Insgesamt vermutlich 13.000 bis 14.000 Männer waren dort aus unterschiedlichen Gründen inhaftiert.[6] Ein Teil von ihnen, über 1.500 Menschen, stammte aus Luxemburg, das am 10. Mai 1940 von der Wehrmacht besetzt worden war. Diesen Männern, in mehreren Schüben von der Gestapo verhaftet und nach Hinzert deportiert, wurde vorgeworfen, Teil des Widerstandes gegen die deutschen Besatzer zu sein beziehungsweise der Streikbewegung anzugehören. Katharina Klasen führt nun eindrücklich das schreckliche Repertoire an Verhörmethoden der Gestapo vor Augen, das breit angelegt war und bis hin zur brutalen Gewaltanwendung mit Todesfolge reichte. Ziel war es, Geständnisse und vor allem Informationen über den Widerstand in Luxemburg zu erpressen. Solche Verhöre wurden von einem Vernehmungskommando der Gestapo durchgeführt, das nicht struktureller Teil der Lagerorganisation, sondern mit Beamten aus Trier und dem Luxemburger Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD (das dem Trierer Gestapo-Chef unterstand) zusammengesetzt war und etwa 20 Männer umfasste; wohl zwei oder drei von diesen waren jeweils im Lager anwesend. Noch auf andere Weisen war die Trierer Gestapo, wie Klasen zeigt, in die Verbrechen in Hinzert involviert: zum einen stellte die Gestapo das dortige Standgericht (mit dem Gestapo-Chef als Vorsitzenden), zum anderen verschleppte sie seit Oktober 1943 etwa 350 Menschen als Widerstandskämpfer aus Luxemburg ins Lager, von denen im Februar 1944 zwei Dutzend, von der Gestapo ausgewählt, von Angehörigen der SS-Wachmannschaften ermordet wurden.

Das Lager in Hinzert war zudem Haftort für kriminalisierte polnische Zwangsarbeiter, die wegen ihres „Vergehens“, einer intimen Beziehung zu einer Deutschen, jedoch nicht sogleich hingerichtet wurden, sondern hinsichtlich ihrer „Eindeutschungsfähigkeit“ überprüft werden sollten – damit dem NS-Staat Arbeitskraft und, so der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler, ‚gutes Blut‘ erhalten bliebe. An diesem Prozess waren unterschiedliche Akteure beteiligt, wie Felix Klormann zeigt: Die Stapostelle prüfte die Anträge auf „Wiedereindeutschung“, indem sie darüber befand, ob die „rassischen“ Voraussetzungen vorlagen. Traf das aus Sicht der Gestapo zu, folgte die Einweisung in das Lager. Das Rasse- und Siedlungshauptamt führte derweil – offiziell in einer Zeitspanne von sechs Monaten – eine „Sippenüberprüfung“ durch; über die „charakterliche Eignung“ urteilte der Lagerkommandant in Hinzert. Die abschließende Entscheidung oblag dem RuSHA-Rassenamt. Wir sind über diesen Komplex auf übergeordneter Ebene durch die maßgebliche Monografie von Isabel Heinemann informiert.[7] Es ist aber ein wichtiges Verdienst von Felix Klormann, den Prozess aus der Perspektive der Peripherie zu betrachten – denn er vermag dadurch frappierende Abweichungen vom vorgegebenen Verfahren in der Praxis aufzuzeigen. Die „Sippenüberprüfungen“ dauerten mitunter um ein Vielfaches länger als vorgesehen, oder die Betroffenen blieben über den Entscheid hinaus in Haft.

Rapporte der Gestapo an übergeordnete Stellen sind eine wesentliche Quellengrundlage der Beiträge von Martin Spira, Max Heumüller und Frederik Rollié, die sie aus ganz unterschiedlicher Perspektive in den Blick nehmen.

Martin Spira bietet einen verdienstvollen Beitrag zur quantitativen Dimensionierung des alltäglichen Gestapohandelns. Er hat die 270 erhaltenen Tagesrapporte der Dienststelle aus der Zeit von 1939 bis 1942 quellenkritisch informiert ausgewertet. Sie waren für das Reichssicherheitshauptamt in Berlin verfasst worden, aber darüber hinaus auch an andere Stellen wie die staatlichen Instanzen des Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten gegangen. Spira macht klar, dass die Berichte weder einen „objektiven Blick auf die Realität“ (S. 133) vermitteln, noch die Überwachungs- und Vermittlungstätigkeit des Verfolgungsorgans abbilden: Denn bei den darin enthaltenen 856 Einzelmeldungen ging es zuallererst um den Nachweis von Festnahmen (in 667 Meldungen der Fall); und selbst hier ist das Bild unvollständig – die Judendeportation wurde ausgeklammert (vgl. S. 134). Auch wenn diese Einschränkungen zur Vorsicht bei Rückschlüssen auf das quantitative Ausmaß gemahnen, können die Tagesrapporte mit Abstrichen zumindest Hinweise auf ein bestimmtes Segment (die Verhaftungen) liefern. Nach Spira war der Anteil der von der Gestapo wegen eines Vergehens gegen die „Arbeitsdisziplin“ Verhafteten in Trier besonders hoch (274). Alle anderen Verhaftungsgründe, so auch wegen „individueller Opposition“ (84) wurden von der Gestapo weitaus seltener benannt. Unter „Arbeitsvergehen“ konnte beispielsweise die Weigerung fallen, einer Dienstverpflichtung durch das Arbeitsamt nachzukommen; im Laufe der Zeit verschob sich die Zielgruppe weg von deutschen Arbeitskräften, hin zu ausländischen Zwangsarbeitern.

Das Reichssicherheitshauptamt (und staatliche Instanzen wie die Regierungspräsidenten) war auch der Adressat der monatlich gelieferten, geheimen Lageberichte, auf die sich Max Heumüller und Frederik Rollié beziehen. Am Beispiel der Überwachung und Verfolgung von tatsächlichen oder vermeintlichen Kommunisten in den Jahren 1934 bis 1936 zeigt Heumüller, wie sehr es in den Berichten offenbar darum ging, die eigene Ermittlungstätigkeit „in ein positives Licht zu rücken“ (S. 162). Eine Stärke seiner Argumentation liegt in der Rückkoppelung von Lagebericht und Einzelfallanalyse, wofür er zusätzliche (Prozess-)Akten hinzuzieht. Eine Stoßrichtung seiner Argumentation, die er mit anderen Beiträgen des Bandes teilt, richtet sich gegen die früher in Öffentlichkeit und Forschung verbreitete Auffassung, die Gestapo sei ‚allwissend‘ und ‚allmächtig‘ gewesen – ohne dass sich der Verfasser dabei auf das Interpretament kapriziert, die Behörde sei schwach und ohnmächtig gewesen. Wichtig sind ihm Verweise auf Denunzianten und V-Leute, aber auch auf die „institutionellen Zuträger[…] in Staat und Partei“ (S. 153). Rollié nimmt für diesen Zeitraum die Überwachung der Bauernschaft in den Blick und misst die berichteten Reaktionen anhand der Skala, die Detlef Peukert zur Bewertung von abweichendem Verhalten im „Dritten Reich“ entwickelt hat. Rollié begreift die Lageberichte in diesem Zusammenhang „als eine Art Echo der landwirtschaftlichen Bevölkerung auf die vom NS-Staat verfügten Maßnahmen“ (S. 183) und kommt zu dem Schluss, dass die NS-Herrschaft meist unhinterfragt angenommen worden ist. Das durchaus verbreitete Nörgeln und Meckern sei in der Regel allenfalls auf den privaten Raum bezogen gewesen und als nur partiell kritische Nonkonformität zu bewerten – was der untersten Stufe in der von Peukert festgelegten Skala abweichenden Verhaltens entspricht. Auch wenn es nicht primär die Gestapo ist, auf die sich die Fragen des Autors richten – ihm geht es hauptsächlich darum, mehr über die Haltung der Bevölkerung zu erfahren – liefert dieser Beitrag zugleich auch auf diesem Gebiet einen wichtigen Befund, indem er zeigt, wie breit abgesteckt das Überwachungsfeld der Gestapo war: sie war „auch ein Instrument der Wirtschaftssicherung“ (S. 183).

Aus dem umfangreichen Reservoir der „Personenakten“, von Gestapo-Beamten angelegte Vorgänge zu Personen, schöpfen Ksenia Stähle und Justus Jochmann, die sich inhaltlich beide mit Phänomenen beschäftigen, die Gestapo-intern im Bereich der „Abwehr“ angesiedelt waren. Bei den „Personenakten“ handelt es sich um einen ganz besonders bedeutenden Quellenkorpus: über 3.500 Ermittlungsakten der Gestapo, die sich seit 2014 im französischen Militärachiv Service historique de la Défense (SHD) in Vincennes befinden, wurden „entdeckt“ und werden jetzt, seit 2015, im Rahmen des Projekts erschlossen. Ksenia Stähle führt in ihrem Beitrag – auf zwei Fallstudien zum Umgang mit ehemaligen Fremdenlegionären bezogen – beispielhaft und eindrucksvoll vor, von welch großer Bedeutung dieser Quellenfund ist, der sicherlich noch von weiteren Studien in diesem Projektzusammenhang ausgeschöpft werden wird. Neben der Verortung in einer überwiegend katholischen Region war die Grenznähe ein weiteres Spezifikum der Gestapostelle in Trier. Die Abwehr von Spionage und Sabotage war eine ihrer Aufgaben, die von einer intensiven Kooperation mit anderen NS-staatlichen Stellen geprägt war, vor allem aber auch mit den benachbarten Stapostellen in Saarbrücken respektive dem Einsatzkommando Luxemburg. Justus Jochmann gelingt es, anhand der Ermittlungsakten ein tiefenscharfes Bild dieser polizeilichen Abwehrtätigkeit zu zeichnen, die vor allem auf Luxemburg bezogen war, wohin Frankreich seit Mitte der dreißiger Jahre sein Nachrichtennetz ausdehnte. Jochmanns Analyse ist dabei sinnvoll eingebettet in eine Darstellung der übergeordneten Entwicklung, auch des Feldes der unterschiedlichen Nachrichtendienste im Deutschen Reich.

Mit unterschiedlichen Aspekten der Judenverfolgung und Deportation befassen sich Hannes Brogmus, Benjamin Koerfer und Andreas Borsch. In einem vortrefflich komponierten Aufsatz schildert Brogmus sachkundig den Weg der Diskriminierung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden in Trier bis zum Novemberpogrom von 1938; das Handeln der Gestapo steht hier nicht im Mittelpunkt, aber dann ins Blickfeld ragt, wenn Brogmus Reaktionen auf die Judenpolitik aus den geheimen Lageberichten referiert. Die Analyse von Benjamin Koerfer schließt zeitlich unmittelbar an den vorangegangenen Beitrag an, indem er nun die Rolle der Gestapo im Kontext der Deportation vom 16. Oktober 1941 skizziert, einer der ersten aus dem „Altreich“. Die Gestapo organisierte nicht nur die Verschleppung der 189 Trierer Jüdinnen und Juden, die sich dem etwa 500 Personen fassenden Deportationszug aus Luxemburg anschließen mussten, sondern auch die bürokratische Vermögensfeststellung im Vorfeld als Grundlage für die spätere Enteignung. Koerfer erläutert, mit Zitaten aus der Literatur unterlegt, was die Jüdinnen und Juden aus Trier am Ankunftsziel, dem „Ghetto Litzmannstadt“ erwartete. Unter furchtbaren Bedingungen mussten sie zunächst in Massenunterkünften überleben, ehe sie Wohnungen des Gettos beziehen konnten. Viele starben deshalb bereits im ersten halben Jahr nach Ankunft, knapp 20 Prozent der Trierer, deren Schicksal der Autor ermitteln konnte. Ein großer Teil jener identifizierten Gruppe (fast 50 Prozent) wurde ab Mai 1942 schließlich in das Vernichtungslager Che?mno deportiert. Koerfer hat sich intensiv mit Unterlagen aus dem Archiwum Pa?stwowe w ?odzi beschäftigt, um das Schicksal der aus Trier verschleppten und ermordeten Jüdinnen und Juden aufzuklären. Das ist nicht nur sinnvoll, um Aussagen zu den erwähnten quantitativen Dimensionierungen treffen zu können – darin alleine erschöpft sich ihr Wert nicht, denn die quantitativen Angaben müssen aufgrund der Quellenlage zwangsweise lückenhaft und vorläufig bleiben; seine Quellenarbeit hat aber auch eine erinnerungskulturelle Dimension. Denn es ist nicht bedeutungslos zu ermitteln, wo Jüdinnen und Juden aus Trier im Getto genau leben mussten, was Koerfer zum Teil nämlich gelingt, wenn man sich das Ziel der Vernichtungspolitik, die Auslöschung des jüdischen Lebens, vor Augen führt. Dies gilt gerade auch für eine Anzahl bislang noch nicht bekannter Sterbedaten, die der Autor im Rahmen seiner Recherchen herausfinden konnte.

Danach greift der Sammelband noch einmal zurück in die dreißiger Jahre. Andreas Borsch untersucht die „wirtschaftliche Existenzvernichtung“ (andernorts „Arisierung“ genannt, ein Begriff, den der Autor als Analysekategorie aber als zu eng gefasst ablehnt) am Beispiel von 30 jüdischen Gewerbetreibenden in der agrarisch geprägten Vulkaneifel. Wie bei Brogmus geht es auch hier nicht um die Gestapo, sondern um das Zusammenwirken von Akteuren etwa aus der NSDAP, aber auch mit Zuschauern aus der Bevölkerung. Damit kann Borsch das „regionale[…] Verdrängungsgeschehen“ (S. 262) sinnfällig als „gesellschaftlichen Prozess“ (Frank Bajohr) beschreiben.

Mit der Betrachtung des Luxemburger „Gestapo-Prozesses“, eines von insgesamt vier Kriegsverbrecherprozessen im Großherzogtum nach Kriegsende, geht der Sammelband erstmals auch analytisch über die politische Zäsur von 1945 hinaus. Jill Steinmetz erläutert, dass von den 16 angeklagten (und elf anwesenden) Personen, vier zum Tode verurteilt und vier freigesprochen wurden; die übrigen hatten unterschiedliche hohe Strafen erhalten. Dabei fällt auf, wie schnell nach dem Urteil aus dem Jahr 1951 ein Prozess der ‚Normalisierung‘ einsetzte. Die Strafe des zum Tode verurteilen ehemaligen Trierer Gestapo-Chefs und Leiter des Einsatzkommandos in Luxemburg (1941 bis 1943), Fritz Hartmann, wurde nach der Urteilsverkündung mehrfach reduziert, ehe er im Jahr 1957 in die Bundesrepublik abgeschoben wurde, wo er schließlich als Rechtsanwalt tätig wurde. Jill Steinmetz nimmt nun besonders die Exkulpationsstrategien des Strafverteidigers Dr. Kurt Heim in den Blick, analysiert aber auch die anderen Prozessparteien und ordnet ihre Beobachtung gut in einen größeren zeithistorischen Zusammenhang ein.

Eine alle ereignisgeschichtlichen Zäsuren übergreifende Nahsicht auf die Biografie eines Gestapo-Beamten (Friedrich Schmidt) hat Viktoria Bach in ihrer Abschlussarbeit vorgenommen, die im Rahmen dieses Sammelbandes aber leider nur ganz knapp erwähnt werden kann. Warum das so ist, hat Thomas Grotum erläutert: manche Absolventinnen sind inzwischen in den Schuldienst getreten und konnten deshalb keinen umfänglichen Beitrag liefern. Die Ergebnisse der betreffenden Abschlussarbeiten hat Thomas Grotum deshalb am Ende prägnant zusammengefasst. Außer dem eben genannten Beitrag waren dies Ergebnisse aus den Studien von Gwendolyn Kloppenburg, Jana Nieuwenhuizen, Johanna Gouverneur, Anke Schwebach und Maike Vaas, die sich inhaltlich mit der Verfolgung der illegalen KPD (biografische Studie zur Familie Torgau, Einsatz von V-Leuten durch die Gestapo, und „Bekämpfung kommunistischer Propaganda“), mit der Jugend aus dem katholischen Milieu sowie mit den Massenhinrichtungen von 43 Luxemburgern als Streikteilnehmern und Widerstandkämpfern befasst haben.

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Der Sammelband bietet einen sehr guten, informativen Einblick in die praktischen Tätigkeitsfelder der Geheimen Staatspolizei am Beispiel Trier und bereichert unsere bisherigen Kenntnisse. Er lässt sich einordnen in eine neuere Auseinandersetzung mit der Gestapogeschichte, die das Bild von der ‚allmächtigen‘ und ‚allwissenden‘ Behörde hinter sich gelassen hat, aber auch einen Schritt über Robert Gelatellys wichtige Befunde zur Zuträgerschaft aus der Bevölkerung hinaus geht: immer wieder werden Schnittstellen und Kooperationen mit unterschiedlichen institutionellen Akteuren des NS-Staates beleuchtet.[8] Die Wendung gegen das überkommene Gestapo-Bild wird von den Beitragenden immer wieder expliziert, was auch aus der Genese der einzelnen Texte erklärbar ist – die Abschlussarbeiten müssen sich ja sinnvollerweise jeweils neu mit dem bisherigen Forschungstand auseinandersetzen – in weiteren Bänden aber vielleicht nicht immer wieder neu betont werden müsste.

Es ist ein nicht zu überschätzendes Verdienst des Projektzusammenhanges, gerade vor dem Hintergrund einer äußerst lückenhaften Quellenüberlieferung zur Gestapo, verstreute Dokumente für den Trierer Kontext zusammenzutragen und sogar bislang noch ungenutzte Quellenbestände zu erschließen. Unbeschadet dieses positiven Gesamteindruckes darf man sich – weil das Gesamtprojekt ja fortgeführt wird – weitere Erkenntnisse wünschen, die sich beispielsweise auf die Organisationsstruktur und Organisationskultur der Geheimen Staatspolizei in Trier als Ganze beziehen: Auch wenn womöglich keine allzu großen Unterschiede zu Dienststellen an anderen Orten zu erwarten sind, würde man gerne erfahren, wie sich die Trierer Stelle als Behörde entwickelt hat (stellenmäßig, mit welchen Abteilungen und Schwerpunkten) und, damit verbunden, aber auch, ob es eine spezifische, die Beamten prägende Mentalität oder Kultur gegeben hat. Dann würde interessieren, ob und wie sich solche Einstellungen über die unterschiedlichen politischen Zäsuren hinweg erhalten haben respektive wie sie transformiert worden sind. Dieser Aspekt wird von Lena Haase eingangs zwar thematisiert, kommt in dem Publizierten bislang aber nur ganz am Rande vor: Welche Prägekraft hatten beispielsweise Erfahrungen, die Gestapo-Beamte im „auswärtigen Einsatz“ während des Zweiten Weltkrieges gemacht haben, nach Kriegsende noch. Und wie haben sie sich, für den Fall, dass die Männer erneut in den Polizeidienst getreten sind, eventuell auf das praktische polizeiliche Handeln ausgewirkt? Lassen sich solche Fragen einzel- oder kollektivbiografisch operationalisieren? Womöglich finden sich künftig Ansätze, Fragestellungen und weitere Quellen, die in dieser Richtung Beiträge zur Täterforschung zwischen Korpsgeist und Cop Culture liefern.

Zum Rezensenten:
Dr. Imanuel Baumann, Jahrgang 1974, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Haus der Geschichte Baden-Württemberg, zuständig für die Geschichtsvermittlung am Erinnerungsort „Hotel Silber“.

Anmerkungen:
[1] Einen hervorragenden Überblick über die Projekte (Stand: Oktober 2015) bieten Christian Mentel und Niels Weise, Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus. Stand und Perspektiven der Forschung. Herausgegeben von Frank Bösch, Martin Sabrow und Andreas Wirsching, München/Potsdam 2016. URL: http://www.ifz-muenchen.de/fileadmin/user_upload/Neuigkeiten%202016/2016_02_13_ZZF_IfZ_PM_BKM-Studie_FINAL_Neu.pdf.
[] Vgl. für weitere Informationen die Websites des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, die das Museum betreiben wird (http://www.geschichtsort-hotel-silber.de/), sowie der Bürgerinitiative „Hotel Silber“ (http://hotel-silber.de/).
[3] Vgl. für weitere Informationen die Website des Projekts: http://ns-ministerien-bw.de/.
[4] Olaf Blaschke, Die Kirchen und der Nationalsozialismus, Stuttgart 2014, S. 147 f., 213 f.
[5] Vgl. August Brecher, Kirchenpresse unter NS-Diktatur. Die katholische Kirchenzeitung für das Bistum Aachen im Dritten Reich, Aachen 1988, S. 64.
[6] Beate Welter, Das SS-Sonderlager/KZ Hinzert und die Zwangsarbeit, Zugriff am: 15.12.2017. URL: https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/texte/aufsaetze/welter-sonderlager.html.
[7] Isabel Heinemann, „Rasse, Siedlung, deutsches Blut”: Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 22003.
[8] Carsten Dams/Michael Stolle, Die Gestapo. Herrschaft und Terror im Dritten Reich, München 2009 (2. Auflage), S. 9 f. Gegenwärtig wird zu diesem Thema auf unterschiedlichen Ebenen und an verschiedenen Orten geforscht. Vgl. zum Beispiel auch das Dissertationsprojekt von Christian Günther zur Gestapo in Aachen. URL: https://gestapoac.hypotheses.org/author/cguenther.

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