Thomas Bohrmann / Werner Veith / Stephan Zöller (Hg.), Handbuch Theologie und populärer Film, Band 1, Paderborn u.a.: Ferdinand Schöningh, 2007, 376 Seiten, EUR 39,90, ISBN 3-506-72963-7
Seit etwa 20 Jahren nehmen auch die deutschsprachigen evangelischen und katholischen Theologien das Phänomen Popkultur wissenschaftlich wahr, ohne es durch hochkulturelle Vorurteile als Niederungen der Masse oder der Praxis links bzw. zumeist rechts liegen zu lassen. Seit dem Jahrtausendwechsel mehren sich nun Bücher, die den ersten Ertrag dieser Forschungen in renommierten Verlagen sammeln, z.B. das bei Kohlhammer 2005 erschienene Handbuch Religion und populäre Kultur oder das hier nun anzuzeigende Handbuch Theologie und populärer Film, das 2007 bei Schöningh erschienen ist und von den drei Münchner katholischen Theologen Thomas Bohrmann, Werner Veith und Stephan Zöller herausgegeben wurde.
Auch wenn die Beurteilungen popkultureller Phänomene theologischerseits immer noch sehr umstritten sind, so hat sich doch dieser Diskurs mittlerweile wissenschaftlich etabliert. Viel hängt an dem jeweiligen Religionsbegriff sowie dem sich daraus konturierenden Verständnis von Kirche. Die Herausgeber des vorliegenden Handbuchs haben einen weiten Religionsbegriff, der allererst die Breite der hier versammelten Wahrnehmungen ermöglicht, auch wenn dieser Religionsbegriff so nicht immer von allen Autorinnen und Autoren geteilt wird. Nach diesem breiten Religionsbegriff ist eben nicht nur das Religion, wo auch explizit Religion drauf steht, sondern "Religiosität [kommt] in der populären Filmkultur zumeist viel subtiler zur Sprache. Oft geht es dort auch um eine spirituelle Dimension, die allerdings dem Rezipienten auf den ersten Blick nicht immer ins Auge springt. Indem das Kino Geschichten von Leid, Krankheit und Tod, von Freundschaft, Hass und Liebe, von Moral und Unmoral, von Verbrechen, Schuld und Sühne, von Unterdrückung und Sehnsucht nach Erlösung mit Hilfe audio-visueller Mittel erzählt, spricht es zugleich auch grundlegende Fragen der menschlichen Existenz an, die schließlich von jeder Religion zu beantworten sind." (9f.)
Bei dem von Bohrmann, Veith und Zöller gewählten Religionsbegriff ist nicht schon ausgemacht, ob er auch religionskritisch sein kann und darf und ob er in der Lage ist, auch so etwas wie profane Religionspädagogik zu befördern, wie sie etwa von Bernd Beuscher und Dietrich Zilleßen in den religionspädagogischen Diskurs eingebracht wurde. Das Handbuch führt Theologie im Titel und nicht Religion, ohne dass dies weiter reflektiert würde. Meinen die Herausgeber mit Theologie eine größere Nähe zur Kirche zu signalisieren? Dadurch wäre man aber dennoch nicht des Religionsbegriffs und seiner Probleme einfach schon entledigt, denn für Theologie als Reflexion gelebter Religion wiederholen sich die Probleme eben auf der Reflexionsebene. Es wäre sicherlich eine spannende Kontroverse wert, wenn ich hier meine radikal protestantische Position zu dieser Hermeneutik mit ins Spiel bringen würde, die ich anhand aktueller Beispiele zu Beginn eines Seminars über Film und Religion im Sommersemester 2004 als Bonmot so formuliert habe: "Es gibt Filme, die haben nichts mit Religion zu tun, und es gibt Filme, die haben etwas mit Religion zu tun. Ein Film, der nichts mit Religion zu tun hat, ist Mel Gibsons Die Passion Christi. Ein Film, der etwas mit Religion zu tun hat, ist Quentin Tarantinos Kill Bill 1 und 2. Weil wir in diesem Seminar nur Filme besprechen, die etwas mit Religion zu tun haben, schauen wir uns in diesem Seminar Kill Bill 1 und 2 an, nicht aber Die Passion Christi."
So oder so, das Handbuch erweist sich als sehr hilfreich, nicht nur durch die systematische Bündelung vieler relevanter Fragestellungen, sondern auch durch die genaue, wenn auch z.T. kontroverse Wahrnehmung und Diskussion vieler Filme aus dem Unterhaltungskino. Warum aber, so mag man fragen, soll sich Theologie überhaupt mit diesem Genre beschäftigen? Weil der Film "das herausragendste zeitgenössischste Medium" (10) ist mit der leichtesten Verbeitung, Konsumierung und Rezeption, mit der größten weltweiten Prägung, z.B. durch umfassende Merchandisierung auch in anderen Medien, und weil der Unterhaltungsfilm so zu derjenigen Geschichten- und Mythenerzählerinstanz wird, die weltweit die Herzen und Köpfe prägt und in Beschlag nimmt. Keine Welt-Religion kommt heute noch an diesem globalen Phänomen vorbei. Bei der systematischen Zusammenstellung des Wissens zu diesem Phänomen und seiner theologischen Deutung können die Verfasser allerdings auf vielfache Bemühungen beider Groß-Kirchen in Deutschland zurückgreifen. Auch wenn das Handbuch in ethischer Hinsicht den katholischen Hintergrund der meisten Autoren zu erkennen gibt, so ist es dennoch ökumenisch, sind doch mit Andrea Bieler, Jochen Bohn, Inge Kirsner, Thomas vom Scheidt und Werner Schneider-Quindeau wichtige evangelische Film-Theologinnen und -Theologen vertreten.
Dieser erste Band beginnt mit einer Grundlegung und widmet sich dann ausführlich theologischen Filmanalysen, geordnet nach den vier filmischen Fragestellungen Genres, Figuren, Regisseure und Themen. Ein ausführlicher Anhang mit Bibliografie, Filmografie und kommentierten Internetadressen (sehr informativ und umfassend!) runden dieses Handbuch ab. Leider wird in der Filmografie nicht verzeichnet, wo der jeweilige Film im Handbuch Gegenstand der Reflexion ist. Dieses gravierende Manko sollte mit dem zweiten. Band behoben werden.
Schon die Grundlegung argumentiert vom Film her und gibt Impulse zu dessen religiöser Wahrnehmung und gibt damit die theologische Richtung vor: vom Phänomen her auf Religion zu. Mit Syd Field werden zunächst die Gesetzmäßigkeiten einer guten Filmdramaturgie erhoben. Joseph Campbells Modell der Reise des Helden mit ihren 12 Stadien fehlt selbstverständlich nicht. Auch gibt es ausführliche Hinweise zur narrativen, visuellen und auditiven Ebene der Filmanalyse. Schließlich wird Thomas Hausmanningers Unterhaltungsethik rezipiert, der sich wiederum auf die vierfache delectatio bei Thomas von Aquin stützt. Leider wird dies nicht diskutiert mit anderen Unterhaltungstheorien, z.B. in meiner Habilitationsschrift "Unterhaltung - Praktisch-theologische Exkursionen zum honiletischen und kulturellen Bibelgebrauch im 19. und 20. Jh. anhand der Figur Elia", Frankfurt/M. u.a. 2000.
Sechs Filmgenres des Hollywoodkinos werden mit großer Offenheit dezidiert theologisch wahrgenommen: der Liebesfilm, der Science-Fiction-Film, der Horrorfilm, der Kriegsfilm und der Fantasy-Film. Das sind z.T. für die Theologie nicht einfache Film-Genres, wie z.B. der Kriegsfilm. Andere Genres harren noch einer theologischen Wahrnehmung: die Komödie, der Action- oder der Zeichentrickfilm.
Fünf Figurentypen werden ausführlich analysiert: Erlöserinnen und Erlöser, Engel, Märtyrer, Teuflische bzw. böse Figuren sowie Priesterfiguren. Fünf Werkanalysen wichtiger Film-Regisseure werden präsentiert: Steven Spielberg, David Fincher, John Woo, Peter Weir sowie die Wachowski-Brüder mit ihrer Matrix-Trilogie, die zu den meistzitierten Filmwerken zählt. Fünf Themenstellungen mit religiösen Bezügen schließen das Handbuch ab: Künstliche Intelligenz als 2. Schöpfung, die Darstellung des Todes, Körperbilder des Horrorfilms, Aufklärungsprozesse in der Matrix-Trilogie sowie Selbstentfremdung als Thema des Spielfilms.
Das Handbuch führt die Lesenden von einer Entdeckung zur anderen. Wenn einmal einsichtig geworden ist, dass und wie Filme religiös wahrgenommen werden können, dann bleibt erst einmal nur das Staunen darüber, wie voll von Religion das Unterhaltungskino ist. Doch je mehr ich mich in dieser Entdeckungslandschaft verliere, desto erstaunter bin ich über das Christentum als eine Form von Popkultur, das jener eben auch immer widerspricht. Inge Kirsner hat dies als Fragen in ihrem Beitrag zu Aliens, Cyborgs und Amazonen als Erlöserinnen und Erlöser formuliert. Sie beginnt mit einem signifikanten Zitat aus Akte X : "Die Wahrheit ist irgendwo da draußen!" (115) Und sie endet in Bezug auf die christliche Religion mit tiefgreifenden Fragen, die offen bleiben und m.E. auch bleiben müssen: "Warum funktioniert diese Religion, wo sie doch gegen Konventionen und Erwartungshaltungen der damaligen (wie der heutigen) Zeit fortdauernd verstößt? Was ist die kreative Leistung des Christentums, dessen Erlöserfigur eben kein Held ist und der alle gewonnen Erkenntnisse und Bekenntnisse immer wieder umstürzt?" (127f) Und um es auf die Spitze zu treiben, lautet die letzte Fußnote Kirsners: "Die Botschaft vom Kreuz verstößt ebenfalls gegen die herrschenden Erlösungs-Regeln." (128) Das Christentum als größte Religion der Menschheit boomt z.Zt. wieder weltweit. Aber es sind nicht dessen historische Denominationen, sondern freie Gruppierungen, die sich zumeist ihrem Selbstverständnis nach einer direkten Nähe zum Heiligen Geist erfreuen. Der Erfolg dieser Christentümer hat nach meiner Wahrnehmung auch damit zu tun, dass sie die biblischen Traditionen viel stärker von den Wahrnehmungsmustern des weltweit prägenden Unterhaltungskinos her rezipieren als z.B. von einer theologia crucis, wie sie bei Kirsner angedeutet ist.
Insgesamt hält das Handbuch, was es verspricht. Es bietet einen gelungenen Überblick über diese popkulturelle Sparte aus religiöser und theologischer Sicht. Für alle, die in der kirchlichen bzw. religiösen Bildung mit Filmen arbeiten, ist dieses Handbuch eine große Bereicherung. Für alle, die sich für Film interessieren, ist es ein Muss. Ich bin gespannt auf den für 2008 angekündigten zweiten Band.
Rezensent:
Harald Schroeter-Wittke
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