theologie.geschichte - Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte

James F. Tent, Im Schatten des Holocaust. Schicksale deutsch-jüdischer „Mischlinge” im Dritten Reich. Aus dem Englischen übersetzt von Karl-Heinz Siber, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2007, 352 Seiten, EUR 24,90, ISBN: 0 3-412-16306-6

Das Schicksal „jüdischer Mischlinge“ im Dritten Reich, das heißt von Personen, die ein bis zwei nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen als „jüdisch“ definierte Großeltern hatten, hat noch bis vor kurzem zu den von der Holocaustforschung wenig beachteten Gebieten gehört. Drei Gründe mögen dafür in erster Linie ausschlaggebend gewesen sein:

  • Sowohl nach NS-Begriffen als auch nach jüdischem Recht waren die „Mischlinge“ weder richtige „Arier“ noch richtige „Juden“. Sie saßen sozusagen „zwischen den Stühlen“ (mit Ausnahme der kleinen Minderheit, die sich zum Judentum bekannte und als „Geltungsjuden“ im Prinzip genau so wie die „Volljuden“ verfolgt wurde) und lagen somit außerhalb des Horizontes des primär am Schicksal der „Volljuden“ interessierten mainstreams der Holocaustforschung.
  • Die Diskriminierung und Entrechtung der „Mischlinge“ geschah langsamer und mit geringerer Intensität als die der „Volljuden“, nur wenige emigrierten daher zu Zeiten, als dies noch möglich war. Ihre Einweisung in Zwangsarbeitslager erfolgte erst ab Sommer 1944, zu einer Zeit, als auch mehr und mehr nicht zur Wehrmacht eingezogene „arische“ Deutsche zwangsweise dienstverpflichtet und in Lager eingewiesen wurden, und zur vermutlich geplanten Deportation der „Mischlinge“ in die Vernichtungslager im Osten kam es glücklicherweise durch das Kriegsende nicht mehr. Als Folge hiervon haben die meisten von ihnen, zwar mehr schlecht - wie Tent beispielhaft zeigt – als recht, das Dritte Reich überlebt, fallen also nicht unter den klassischen „Opfer“-Begriff, der mit dem Tod des Opfers eng assoziiert ist.
  • Die meisten der überlebenden „Mischlinge“ blieben nach Kriegsende in Deutschland. Sie waren Deutsche gewesen und wollten es bleiben, trotz allem Furchtbaren, das ihnen von Landsleuten widerfahren war. Sie bildeten nicht nur eine verhältnismäßig kleine (etwa 70 000 Personen) und dazu noch recht heterogene Gruppe, sondern hatten auch in zwölf Jahren NS-Verfolgung das Sich-Wegducken und Sich-Anpassen als Überlebensstrategie verinnerlicht. Es fiel ihnen schwer, sich zu organisieren und öffentlich zu artikulieren.

Zu ihrem Verfolgungsschicksal sind jedoch im letzten Jahrzehnt einige Bücher aus der Feder von Historikern und Historikerinnen diesseits und jenseits des Atlantik publiziert worden. 1996 erschien in den USA „Resistance of the Heart“ von Nathan Stoltzfus [1]. Es behandelt ein außergewöhnliches Ereignis in der Nazizeit: den öffentlichen Protest von „arischen“ Partnern so genannter „Mischehen“ sowie deren „Mischlings“-Kindern im Berlin des Jahres 1943 gegen die Deportation ihrer jüdischen Familienangehörigen. In diesem Kontext geht Stoltzfus auch ausführlich auf das Schicksal der deutschen „jüdischen Mischlinge“ bis etwa Frühjahr 1943 ein. Ein Jahr später erscheint Wolf Gruners „Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden“[2]. Hier wird die Endphase des Leidenswegs der „Mischlinge“ näher beschrieben: Zwangsarbeit ab Sommer 1944 in Lagern der „Organisation Todt“ unter Bedingungen, die sich nur in Nuancen von denen in einem KZ-Außenlager unterscheiden. 1999 folgt Beate Meyer mit „Jüdische Mischlinge“ [3], das bis heute noch als das Standardwerk zu diesem Thema gelten kann. In den Medien - seines reißerischen Titels wegen - viel diskutiert wird 2002 Bryan M. Riggs „Hitler’s Jewish Soldiers“ [4] (es handelt sich, mit kaum ins Gewicht fallenden Ausnahmen, um „Mischlinge“, die in der Wehrmacht dienten), und 2003 legt schließlich James F. Tent „In the Shadow of the Holocaust“ vor [5], das jetzt auch in deutscher Übersetzung als „Im Schatten des Holocaust“ zugänglich ist.

Als Einleitung bringt Tent in relativ knapper Form den Inhalt der wichtigsten die „Mischlinge“ betreffenden NS-Gesetze und Verordnungen. Er macht deutlich, dass es in der „Mischlings“-Frage eine Vielzahl von Akteuren gegeben hat, die teils miteinander, meist jedoch gegeneinander arbeiteten und dass die Richtung, in der die „Mischlings“-Politik des Dritten Reiches ging, und deren Intensität von der Resultante dieser unterschiedlichen Kräfte determiniert wurde.

Da sind einmal die hardliner in Partei und SS, auf Reichsebene im Reichssicherheitshauptamt, auf lokaler Ebene im Leiterkorps der NSDAP, vom Gau- bis zum Ortsgruppenleiter, und die Mitarbeiter der örtlichen Gestapobehörden. „Mischlinge“ sind für sie das sichtbare Zeichen von „Rassenschande“, Ziel ist ihre „Ausmerzung“. Gerade von der lokalen Ebene geht, wie Tent an mehreren Beispielen zeigt, oft die Initiative zu Verfolgungsmaßnahmen aus („dem Führer zuarbeiten“), die dann später auf dem Verordnungs- oder Erlasswege sanktioniert werden.

Auf der anderen Seite stehen Hitler und sein Reichspropagandaminister Goebbels. Zumal nach Kriegsausbruch ist beiden die Stabilisierung der „Heimatfront“ ein vorrangiges politisches Ziel, sehen doch beide – vor allem jedoch Hitler – den militärischen Zusammenbruch Deutschlands am Ende des Ersten Weltkrieges verursacht durch den „Dolchstoß in den Rücken“, den Zusammenbruch der Heimatfront durch Hungerproteste der Frauen, Streiks der Arbeiter und Meutereien der Soldaten in den Garnisonen. Das Regime braucht Loyalität, und so kann es sich zwar die Ausgrenzung und schlussendliche physische Vernichtung der jüdischen Deutschen „leisten“, nicht aber massive Konflikte mit der doch recht zahlreichen „arischen“ Verwandtschaft der „Mischlinge“. Hitler entscheidet immer wieder, die „Endlösung der Mischlingsfrage“ (ebenso wie die der „Mischehen“) auf die Zeit nach dem „Endsieg“ zu verschieben. Zwischen beiden Polen lavieren die – durchaus nicht weniger antisemitischen – Bürokraten im Reichsinnenministerium, Stuckart und Lösener. Gerade der letztere hat nach dem Krieg für sich in Anspruch genommen, der Retter der „Mischlinge“ gewesen zu sein – eine Apologie, die ihm Tent meiner Meinung nach zu leicht abgenommen hat.

Methodisch geht Tent von Biographien aus, die er meist durch direkte Befragung von Überlebenden erhoben hat. Er ergänzt sie durch Material aus Gestapoakten und solchen von „Wiedergutmachungs“-Verfahren und Prozessen gegen NS-Täter, und korrigiert und reflektiert sie auf der Folie der allgemeinen Geschichte des Dritten Reiches und der Nachkriegszeit. Der biographische Ansatz führt zu einer diachronen Gliederung des Buches. Tent zeigt in erschreckender Deutlichkeit, wie sich der unaufhaltsame gesellschaftliche Abstieg seiner in der Regel aus der oberen Mittelschicht stammenden Interviewpartner vollzieht: Schulzeit, Bewerbung um einen Arbeitsplatz, soziale Diskriminierung – unter anderem durch die Unmöglichkeit, legal eine Liebesbeziehung einzugehen, Zwangsarbeit unter entwürdigenden Umständen, drohende Deportation.

Das Kriegsende wird von allen als Befreiung empfunden. Die Nachkriegszeit ist jedoch alles andere als rosig für die Überlebenden. Sie leiden genau so wie ihre „arischen“ Landsleute unter Hunger, Kälte und Wohnungsmangel, und dazu kommt das in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Verfolgung internalisierte Misstrauen den „arischen“ Nachbarn gegenüber. Nur wenige gehen den mühseligen Gang durch die Institutionen der „Wiedergutmachungs“-Bürokratie, viele fallen durch deren Maschen, weil sie sich keinen guten Rechtsbeistand leisten können. Weder jüdische Organisationen noch die der politisch Verfolgten interessieren sich für sie und leisten Hilfe. Die eine oder andere Erfolgsgeschichte bietet zwar Lichtblicke, aber im Großen und Ganzen bleibt das Fazit deprimierend.

Tent hat ein Buch geschrieben, das man, einmal zu Lesen angefangen, kaum vor dem Ende aus der Hand legen wird. Dies ist auch ein Verdienst des Übersetzers, der sich um gutes und flüssiges Deutsch mit Erfolg bemüht hat. „Im Schatten des Holocaust“ steht in der Tradition einer amerikanischen Geschichtsschreibung, die im Erzählen von Geschichte die wichtigste Aufgabe des Historikers sieht. Tent erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auf die erschöpfende Wiedergabe aller juristischen und administrativen Regelungen, auf statistisch gesicherte Repräsentativität. Aber er erzählt Geschichten, die den Leser/die Leserin nicht unberührt lassen. Vor deren Augen lässt er ein bisher wenig bekanntes Kapitel des bisher größten Menschheitsverbrechens, des Holocausts, anschaulich werden. Hoffentlich erscheint bald eine preiswerte Taschenbuchausgabe. Dem Buch wäre gerade in Deutschland eine zahlreiche Leserschaft zu wünschen.

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Als Nachtrag seien hier noch drei Irrtümer und Missverständnisse angemerkt, die sich häufig auch in anderen Veröffentlichungen zum Thema „Verfolgung im Nationalsozialismus“ finden. Sie schmälern den Wert von Tents Buch in keiner Weise, seien ihrer weiten Verbreitung halber jedoch an dieser Stelle besprochen.

(1) Zitat: „Merkwürdigerweise verstanden die Nazis Homosexualität fast ausschließlich als eine männliche ‚Abirrung‘ und wendeten den Paragraphen 175 ihres Strafgesetzbuches nur ganz selten auf Frauen an“ (S. 181). So „merkwürdig“ ist die Sache jedoch nicht. Heinrich Himmler, oberster Sittenwächter des Dritten Reiches, hat mehrfach deutlich gemacht, dass allein männliche Homosexualität eine „Gefahr für das Deutschtum“ bilde, und er hat es auch stets abgelehnt, Frauen wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen polizeilich verfolgen zu lassen.
Rechtlich galt bis 31.8.1935 der § 175 des Reichsstrafgesetzbuches in der Fassung von 1871: „Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts . . . begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen . . . “ Ab 1.9.1935 galt die Neufassung: „(1) Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.“ Eine neu eingefügte Ziffer  2 betraf Minderjährige und „leichte Fälle“, und der ebenfalls neu eingefügte § 175 a listete qualifizierte Fälle von „Unzucht“ unter Männern auf. Von „Unzucht“ unter Frauen war nirgendwo und nirgendwann im Reichsstrafgesetzbuch die Rede. Weder die §§ 175 und 175 a noch irgend eine andere Vorschrift des Strafgesetzes konnten daher auf Frauen angewandt werden.
Die in Tents Quelle erwähnten Fälle von Urteilen „gegen homosexuelle Frauen“ habe ich nicht nachrecherchieren können, wohl aber die beiden einzigen aus NS-Konzentrationslagern bekannten [6]. Beide Male handelte es sich jedoch um jüdische Frauen, die als politische Häftlinge ins KZ eingewiesen wurden. Die Bemerkung „lesbisch“ in ihren KZ-Akten ist als Zusatzmerkmal zu werten, nicht als Haftgrund.
Der bei Tent beschriebene Fall der „Friedl. E.“ (S. 181 ff.) lässt sich ebenfalls nur schwer als nationalsozialistische Verfolgung einer Frau wegen lesbischer Neigungen interpretieren. Hier lag ein banaler Ehescheidungsfall vor. Ehen konnten noch lange bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts in Deutschland nur nach dem „Verschuldensprinzip“ geschieden werden. Sowohl „Untreue“ (außerehelicher Geschlechtsverkehr, mit wem auch immer) als auch Verweigerung des ehelichen Verkehrs („dass sie für mich nichts mehr übrig hat“; S. 182) waren handfeste Scheidungsgründe, und beides machte „Hans E.“ geltend. Dass die Gestapo von „Friedl E.“ allein die Verpflichtung verlangte, sich nicht mit „deutschblütigen“ Männern einzulassen, zeigt wiederum, dass lesbisches Verhalten allein kein Verfolgungsgrund war, nicht einmal für die Gestapo, wenn es gegen eine „Halbjüdin“ ging.
Der in den letzten Jahren in homosexuellen und politisch linken Kreisen zu beobachtende Trend, eine nationalsozialistische „Lesbenverfolgung“ nachzuweisen, dürfte im Zusammenhang damit zu sehen sein, dass seit etwa Anfang der 1970er Jahre die Zugehörigkeit zu einer traditionell gesellschaftlich diskriminierten Gruppe nicht mehr als Makel gilt, falls diese Gruppe (siehe etwa Juden, Zigeuner, Schwule, oder Sektenmitglieder) nachweislich von den Nationalsozialisten verfolgt wurde. Im Gegenteil: der Status als NS-Opfer „adelt“. Er erheischt gesellschaftliche Achtung und verbietet der Mehrheitsgesellschaft - mit Hinweis auf die Verfolgung der Gruppenmitglieder unter dem Nationalsozialismus und oft unter Androhung empfindlicher Strafen - Äußerungen und Handlungen, die von Mitgliedern dieser Gruppe als diskriminierend empfunden werden. Kann man es den organisierten „Lesben“ übel nehmen, wenn sie auch auf diesen Zug aufzuspringen versuchen?

(2) Zitat: „Nach Ende des deutschen Westfeldzuges machte die belgische Polizei auf Geheiß der deutschen Besatzer alle Ausländer dingfest und internierte sie in einem Schulkomplex außerhalb der belgischen Hauptstadt. Die Männer wurden dort von Frauen und Kindern getrennt und dann in Viehwaggons verladen, in denen sie eine qualvolle dreiwöchige Irrfahrt quer durch Frankreich absolvierten“ (S. 207). Die Sache hat sich jedoch ein wenig anders abgespielt, wie man bei Eggers, „Unerwünschte Ausländer“, im Detail nachlesen kann [7].
Unmittelbar nach Kriegsausbruch, in den ersten Septembertagen des Jahres 1939, verhafteten die Behörden in Frankreich alle Deutschen in überhasteten Aktionen und internierten sie in provisorisch eingerichteten Lagern im Süden Frankreichs, möglichst weit weg von Deutschland. Betroffen waren alle als Deutsche geltenden Personen, die aus dem Reich in den Grenzen bei Kriegsausbruch stammten (also auch Österreicher, deutschsprachige Tschechen etc.). Maßgebend war die Staatsangehörigkeit (bei Staatenlosen: die frühere), nicht „Rasse“, Nationalität oder politische Einstellung. (Ein ähnliches, aber weitaus „gnädigeres“, Internierungsschicksal hatten Deutsche, die sich bei Kriegsausbruch in Großbritannien - siehe S. 130 - oder den USA befanden.)
Systematisch ging man ein gutes halbes Jahr später in Belgien vor. An Hand von sorgfältig vorbereiteten Listen verhaftete die belgische Polizei am Tage des deutschen Angriffs (10. Mai 1940) alle deutschen Staatsangehörigen, unter anderem aus dem „Großdeutschen Reich“ geflohene Juden und Antifaschisten, neben anderen indésirables, zu Tausenden, steckte sie für ein bis zwei Tage in Sammellager und schob sie dann über die Grenze nach Frankreich ab, wo sie ebenfalls in Auffanglagern im Süden landeten. Dies geschah, wohlgemerkt, vor der deutschen Besetzung Belgiens. Bis auf Juden und Kommunisten durften die Internierten nach der Kapitulation Frankreichs ins Reich zurück kehren. Die anderen wurden, sofern sie nicht rechtzeitig fliehen konnten, in den nächsten Jahren in die KZs und Vernichtungslager deportiert.

(3) Zitat: „Dann kamen die Nürnberger Gesetze von 1935, zwei Verordnungswerke, mit denen den Volljuden die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt . . . wurde. Den so genannten Mischlingen wurde nur noch eine ‚vorläufige Staatsbürgerschaft‘ zuerkannt . . . “ (S. 49; siehe auch S. 37: „Mischlingen . . . gewährte das Gesetz den Status von Staatsbürgern auf Abruf . . . “). Dieser Satz enthält gleich zwei sachliche Irrtümer, die jedoch in der Literatur und in der öffentlichen Wahrnehmung so weit verbreitet sind, dass es fast schon aussichtslos erscheint, ihnen zu widersprechen.
Als erstes: Es stimmt nicht, dass durch die Nürnberger Gesetze den deutschen „Volljuden“ die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wurde. Das Staatsangehörigkeitsrecht des Dritten Reiches ist eine derart komplexe Materie, dass sie sich nicht in wenigen Sätzen wiedergeben lässt. Hier sei nur kurz erwähnt, dass das Dritte Reich (ebenso übrigens wie die DDR, aber nicht die Bundesrepublik Deutschland) die Möglichkeit der Aberkennung der Staatsangehörigkeit kannte. Dies regelte das Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 (Reichsgesetzblatt I 1933, S. 480). Es wurde angewandt gegen nach Ende des 1. Weltkriegs eingebürgerte Juden (so genannte „Ostjuden“) und Emigranten. Später kam noch, mit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941, der automatische Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für Juden bei Aufenthalt im Ausland hinzu, gleich ob freiwillig als Emigrant oder gezwungen als Deportierter.
Als zweites: Es hat juristisch nie so etwas wie eine deutsche Staatsbürgerschaft gegeben. Der Begriff kommt in den einschlägigen Gesetzes- und Verordnungstexten nirgendwo vor. Das eine der Nürnberger Gesetze, das Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, definierte den „Reichsbürger“ als Sonderfall des „Staatsangehörigen“. Es legte ferner fest, dass „das Reichsbürgerrecht . . . durch Verleihung des Reichsbürgerbriefes erworben“ wird, sowie dass allein der Reichsbürger „Träger der vollen politischen Rechte“ ist. Es teilte also die Staatsangehörigen in zwei Klassen ein: „Reichsbürger“ mit „vollen politischen Rechten“ (was auch immer das im Dritten Reich bedeutet haben mochte), und andere, die zwar die gleichen Pflichten (etwa Steuern zu zahlen) hatten wie die „Reichsbürger“, aber deutlich weniger Rechte besaßen.
Die 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 präzisierte: „§ 1 (1) Bis zum Erlaß weiterer Vorschriften über den Reichsbürgerbrief gelten vorläufig als Reichsbürger die Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes . . . . § 2 (1) Die Vorschriften des § 1 gelten auch für die staatsangehörigen jüdischen Mischlinge.“ Bis Kriegsende hat es keine „weiteren Vorschriften über den Reichsbürgerbrief“ gegeben, und es ist auch nie ein solcher verliehen worden. In einer Hinsicht waren sich also deutsche „Arier“ und „jüdische Mischlinge“ gleich: sie alle waren höchstens „vorläufige Reichsbürger“. Einen „endgültigen“ Reichsbürger hat es nie gegeben.


[1] Nathan Stoltzfus, Resistance of the Heart. Intermarriage and the Rosenstrasse Protest in Nazi Germany, New York and London 1996. Deutsche Übersetzung: Widerstand des Herzens. Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße – 1943, München /Wien 1999.

[2] Wolf Gruner, Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden. Zur Zwangsarbeit als Element der Verfolgung 1938-1937, Berlin 1997.

[3] Beate Meyer, „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945, Hamburg 1999.

[4] Bryan Mark Rigg, Hitler’s Jewish Soldiers. The Untold Story of Nazi Racial Laws and Men of Jewish Descent in the German Military, Lawrence, Kansas  2002. Deutsche Übersetzung: Hitlers „jüdische Soldaten“, Paderborn 2003.

[5] James F. Tent, In the Shadow of the Holocaust. Nazi Persecution of Jewish-Christian Germans, Lawrence, Kansas 2003.

[6] Joachim Neander, To My Comrades – From Karl . . . ; in: PRO MEMORIA, Oświęcim, Nr. 19, June 2003, pp. 80-83.

[7] Christian Eggers, Unerwünschte Ausländer. Juden aus Deutschland und Mitteleuropa in französischen Internierungslagern 1940-1942, Berlin 2002.


Rezensent:
Joachim Neander

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