Lang verleugnete Opfer und die überfällige Sichtbarkeit für „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“

Wer in der Debatte um Erinnerungskultur und die Opfergruppen nationalsozialistischer Verfolgung genauer hinschaut, wird feststellen, dass die Gruppe der als „asozial“ oder als „Berufsverbrecher“ stigmatisierten Menschen bislang fast vollständig fehlte. Die offizielle Anerkennung der heterogenen Gruppe der als „Asoziale“ verfolgten NS-Opfer erfolgte erst im Jahr 2020. Der von Frank Nonnenmacher herausgegebene Band „Die Nazis nannten sie ‚Asoziale‘ und ‚Berufsverbrecher‘. Verfolgungsgeschichten im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik“ will genau diese Lücke schließen.

Laut Rezensent Sebastian Wenger verknüpfe der Band kontextualisierende Analysen mit zwanzig persönlichen Verfolgungsgeschichten, die zum Teil erstmals öffentlich erzählt werden. Gerade die Perspektiven der Angehörigen würden einen tiefergehenden Einblick in die „sozialrassistische Verfolgung und Diskriminierung von sozialen Randgruppen in der Zeit des Nationalsozialismus sowie in der Bundesrepublik“ geben. Die Stärke des Bandes liege demnach darin, dass er sichtbar mache, wie sich die Diskriminierung nicht mit dem Ende des Nationalsozialismus auflöste, sondern in der frühen Bundesrepublik, z.B. durch das Bundesentschädigungsgesetz oder familiäres Schweigen fortsetzte und bis heute nachwirkt.

Die juristische und sozialhistorische Analyse von Julia Hörath rahme die historischen Strukturen der Verfolgung. Besonders deutlich werde, dass der Begriff „asozial“ nicht nur aus nationalsozialistischen Sprachregelungen stamme, sondern tiefer in der deutschen Sozialgeschichte verwurzelt und noch immer im Sprachgebrauch der Gesellschaft verankert ist. Das Bewusstsein für die Herkunft und den Hintergrund der Begrifflichkeit fehle allerdings häufig.

Wenger sieht in diesem Band einen wichtigen Beitrag für die historische Forschung und Vernetzung von Forschenden. Die Geschichten der lang vergessenen Opfer fordern uns dazu auf, bestehende moralische und politische Urteile kritisch zu hinterfragen und das Schweigen um die vernachlässigte Opfergruppe zu brechen.

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