Die stille Gewalt in der Kirche - Wie spiritueller Missbrauch zerstört und warum wir endlich hinsehen müssen

Wenn Maßnahmen der seelsorglichen Begleitung zur Quelle von Angst und Selbstverlust werden und nicht aufbauend, sondern kontrollierend wirken, spricht man von spirituellem Missbrauch. Beleuchtet wird dies durch die beiden Bände Selbstverlust und Gottentfremdung. Spiritueller Missbrauch an Frauen in der katholischen Kirche und Spirituellen Missbrauch verstehen. Wissenschaftliche Essays zu Selbstverlust und Gottentfremdung. Mit alarmierender Erkenntnis: Spiritueller Missbrauch ist real und keine Seltenheit – und er geschieht mitten in kirchlichen Kontexten, wenn auch sehr subtil und oft nicht sichtbar für Außenstehende. Lucia Scherzberg hat die beiden Bände für theologie.geschichte rezensiert.

Durch die erschütternden Erfahrungsberichte betroffener Frauen, die im ersten von Barbara Haslbeck, Ute Leimgruber, Regina Nagel und Philippa Rath herausgegebenen Band zu lesen sind, würde erst klar werden, wie tiefgreifend die Wunden sind, die durch religiös motivierte Manipulation, Kontrolle und Entmündigung entstehen. Sie berichten von Isolation, emotionalem Missbrauch, Machtspielchen im frommen Gewand und der schleichenden Zerstörung ihres Selbstwerts. Die zu Wort gekommenen Frauen kämen aus geschlossenen Gemeinschaften oder Ordenskontexten. „Man muss sie einfach lesen“, schreibt Rezensentin Lucia Scherzberg – ihre Worte ließen sich kaum zusammenfassen, so eindrücklich seien sie.

Der zweite Band, herausgegeben von Ute Leimgruber und Barbara Haslbeck, liefert die dringend notwendige wissenschaftliche Einordnung der Berichte aus dem ersten Band. Besonders gut gelungen sei der theoretische Zugang zur Thematik über den Begriff der „epistemischen Unterdrückung“ im Beitrag von Magdalena Hürten oder auch die von Barbara Haslbeck aufgezeigten Parallelen zu sektenartigen Gemeinschaften. Herauszustellen sei hier aber insbesondere auch die begriffliche Unterscheidung eines sach- und eines personenbezogenen Missbrauchsbegriffs durch Doris Reisinger, mit der besonderen Definition von spirituellem Missbrauch als Verletzung der eigenen spirituellen Selbstbestimmung.

Scherzberg lobt vor allem die thematische Breite der Bände, die von wichtigen Anregungen für die wissenschaftliche Rezeption bis hin zu konkreten Maßnahmen zur Prävention und Aufarbeitung von spirituellem Missbrauch reichen würden. Besonders lobenswert sei jedoch, dass die Herausgeberinnen den von spirituellem Missbrauch Betroffenen Gehör verleihen.

Die beiden Bücher legen nahe, dass spiritueller Missbrauch kein Randphänomen, sondern strukturell möglich und oft systemisch gedeckt sei. Die Bände sind gewinnbringende Lektüre für alle, die Verantwortung in Kirche und Theologie tragen und eine wichtige Hilfe für Betroffene und Angehörige. Grundsätzlich ist wohl zu sagen: Wer wissen will, wie Glaube und Missbrauch zusammenhängen können, sollte sie lesen.

Lesen Sie mehr in der Rezension von Lucia Scherzberg, die die Bände rezensiert hat: https://theologie-geschichte.de/ojs2/index.php/tg/article/view/1375/1740