Widerstands-Biographien und die Gefahr der Emotionalisierung

In aktuellen Veröffentlichungen zu Personen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus kann folgendes Problem beobachtet werden: Einerseits macht die emotionale und nahbare Darstellung diese Menschen unmittelbar zugänglich, andererseits werden quellenmäßig nicht belegte oder belegbare Aussagen getroffen und damit häufig die Grenze zur Fiktion oder zum historischen Roman überschritten. Dies gilt insbesondere dann, wenn den Personen gewissermaßen in den Kopf oder ins Herz geschaut wird. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es ohne zureichende Quellen möglich sei, Inneneinsichten in das Denken und Fühlen der untersuchten Charaktere zu geben. Lesen Sie dazu drei kürzlich in theologie.geschichte erschienene Rezensionen von Publikationen zu Sophie Scholl, Paul Schneider und Alfred Delp:

Hannes Burkhardt stellt in seiner Rezension zum biographischen Essay Klaus-Rüdiger Mais ‚Ich würde Hitler erschiessen. Sophie Scholls Weg in den Widerstand‘ sowohl eine gelungene Darstellung der Wendung der Scholl-Geschwister von anfänglicher NS-Begeisterung zu Zweifeln, Ablehnung und Zerrissenheit sowie der auf sie einwirkenden literarischen und philosophischen Einflüsse fest. Jedoch sieht er auch eine Fortsetzung der hagiographischen Deutung Sophie Scholls als „heilige Johanna des Widerstands“ oder „säkulare Konsensheilige“. Zudem würden nicht ausreichend aus historischen Quellen belegte Aussagen über ihre Gefühle getroffen. Lesen Sie mehr: https://theologie-geschichte.de/ojs2/index.php/tg/article/view/1322/1684

Quellenmäßig nicht belegbare Interpretationen und Aussagen über Seelenleben und Gedanken der behandelten Persönlichkeiten kritisiert auch Helge-Fabien Hertz in seiner Rezension des Buches ‚Paul Schneider. Zweifler, Christ, Märtyrer‘ von Jochen Wagner. Jedoch mache dieses gut zu lesende und die Geschichte des Lebens von Paul Schneider und seiner Frau Margarete anschaulich darstellende Buch auch dessen Mitgliedschaft und Engagement für die Deutschen Christen als einen relevanten Aspekt seiner Persönlichkeit und Biographie sichtbar. Dies ging dem Einsatz für die Bekennende Kirche und Schneiders Tod in Buchenwald als erster Märtyrer unter den Pastoren im Dritten Reich voran. Lesen Sie mehr: https://theologie-geschichte.de/ojs2/index.php/tg/article/view/1323/1685

Nicht als Hagiographie oder Apologetik, sondern als gelungenes Buch bewertet Peter Kern das von ihm rezensierte Werk Christian Feldmanns ‚Alfred Delp. Leben gegen den Strom‘. Die innere Entwicklung und Überzeugung des Protagonisten werde nachgezeichnet, an der er auch in Haft festhielt und daher ein Angebot des NS-Regimes ausschlug, sein Leben durch Austritt aus dem Jesuitenorden zu retten. Dabei weise aber auch dieses Buch gelegentlich überzeichnete, vereinfachende und kontrastierende Gegenüberstellungen und Interpretationen auf. Diese dienten der Herausstellung einer Besonderheit und bis heute bestehenden Aktualität Delps. Lesen Sie mehr: https://theologie-geschichte.de/ojs2/index.php/tg/article/view/1329/1691