Nicht Glaube, sondern politische Einsicht als Ursache für den Widerstand bei Willi Graf

In seinem neuesten Beitrag für theologie.geschichte geht August H. Leugers-Scherzberg der Frage nach, welche Motive Willi Graf zu seinem aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus bewegt haben. In diesem Preprint analysiert der Autor die Motive, die in der Literatur für den Entschluss des Saarbrücker Studenten zum aktiven Widerstand angeführt werden, im Licht der Zeugnisse, die durch die Primärquellen gegeben werden. Eingegangen wird dabei auf seine familiäre und religiöse Sozialisation, sein Engagement in der katholischen Jugendbewegung, sein Kriegserlebnis und sein Verhältnis zu Hans Scholl, dem führenden Kopf der Weißen Rose. Leugers-Scherzberg kommt zu dem Ergebnis, dass Grafs katholische Sozialisation, seine Sehnsucht nach Kameradschaft, wie er sie in der katholischen Jugendbewegung erlebt hatte, seine literarische, geistes­wissenschaftliche und insbesondere theologische Wissbegierde und schließlich die Kriegslage im Winter 1942/42 zu seinem Entschluss, sich dem Widerstand der Weißen Rose anzuschließen, beigetragen haben. Keiner dieser Faktoren einzeln oder auch alle zusammen hätten jedoch ausgereicht, um aus ihm einen Widerstandskämpfer zu machen. Auf der Suche nach theologischer Deutung und glaubensmäßiger Durchdringung der nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft stieß Graf vielmehr in der Auseinandersetzung mit Hans Scholl auf die Notwendigkeit, die politische und wirt­schaftliche Lage in sein Streben nach intellektueller Sinnsuche zu integrieren, um zu einem vertieften Verständnis der Gesamtlage zu gelangen. Seine bisherige Haltung war davon geprägt, hinter allem ihm Unverständlichen einen geheimen Plan Gottes und einen ihm bisher verborgenen gebliebenen Sinn zu vermuten. Diese Glaubenshaltung zerbrach in der Auseinandersetzung mit Hans Scholl. Der Sinn, oder besser gesagt, der Unsinn des Krieges wurde ihm im Lichte politischer Reflexion bewusst und führte ihn zu der Erkenntnis, dass er sich dem aktiv entgegenstellen musste. Der entscheidende Anstoß resultierte somit nach Leugers-Scherzberg aus der Erkenntnis, dass ihn seine Suche nach theologischen Antworten zu der Einsicht brachte, dass die gesuchten Antworten nicht in der Theologie, sondern in einer politisch-ökonomischen Analyse der Gesellschaft zu finden waren. https://theologie-geschichte.de/ojs2/index.php/tg/article/view/1218/1508