Die Wahrheitsmacher

Dass eine Gruppierung von katholischen Historikern nicht einfach den Standards guter wissenschaftlicher Praxis folgend forschte, sondern sich zum Ziel setzte, explizit in einem katholischen Interesse zu forschen und das, was sie von vornherein für die „historische Wahrheit“ über die Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus hielt, mit allen Mitteln durchzusetzen, ist in der deutschen Wissenschaftsgeschichte bemerkenswert. Dass diese Gruppe, die sich den Namen Kommission für Zeitgeschichte gab und von der Deutschen Bischofskonferenz finanziert wurde, mit ihrer Zielsetzung nachhaltigen Erfolg hatte und zudem nach und nach einflussreiche Positionen im deutschen Wissenschaftsbetreib besetzte, ist ein Vorgang, der bis heute zu wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.

Dank der Möglichkeit, den Nachlass eines der wichtigsten Mitarbeiter dieser Kommission umfassend auswerten zu können, war es Antonia Leugers, August H. Leugers-Scherzberg und Lucia Scherzberg möglich, das Agieren dieses Historikerzirkels für die Zeit von 1962 bis 1984 in ihrem neuen Beiheft von theologie.geschichte minutiös nachzuzeichnen. Das Buch „Die Wahrheitsmacher“ beschreibt, wie es dem Historikerkreis in diesen Jahren gelang, stets umfassend über das Feld der Katholizismusforschung informiert zu sein und die öffentliche Diskussion über das Thema Katholische Kirche und Nationalsozialismus zu kontrollieren. Die finanzielle, ideelle und personelle Verbindung zur Deutschen Bischofskonferenz und der Zugang zum Vatikan sicherte der Kommission die programmatisch gewollte abhängige Arbeitsmöglichkeit als außeruniversitäre, kirchlich gebundene Forschungsinstitution. Das Bewusstsein, Verteidigerin von Kirche und Katholizismus zu sein, korrelierte mit der Vorstellung, sich permanent vermeintlicher Gegner erwehren zu müssen. Die Gegner mussten frühzeitig erkannt und Gegenaktionen umgehend gestartet werden, um diese in ihrer Arbeit zu behindern. Als probates Mittel diente, potenziellen Kontrahenten, aber auch unsicheren Kantonisten aus den eigenen Reihen den Quellenzugang zu sperren. Waren den Gegnern aus Sicht der Kommission „gefährliche“ Quellen in die Hände gefallen, musste man der von ihnen zu erwartenden Interpretation durch eine kommissionseigene Auslegung zuvorkommen. Um das Gefahrenpotenzial zu minimieren, wurden aber auch neu entdeckte Quellen verheimlicht und ihre Herkunft verschleiert, wenn sie dennoch in wissenschaftlichen Werken benutzt werden mussten. Die permanente „Frontstellung“ der Kommission führte zu einem paranoid anmutenden Verhalten. Nicht nur die direkten wissenschaftlichen Kontrahenten wurden perhorresziert. Auch die tonangebenden Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland wurde allesamt auf Seiten der Gegner verortet. Von der Ausstrahlung der Holocaust-Serie im Winter 1978/79 wurde selbstverständlich erwartet, dass sie wiederum zu einem „Feldzug“ gegen die katholische Kirche führen würde – und dann war man ziemlich überrascht, dass das nicht der Fall war.

In den 1970er Jahren machte sich ein Legitimationsverlust der Kommission im katholischen Milieu bemerkbar, wenn etwa der Kommissionsvorsitzende in einem Vortrag vor Generalvikaren mit seinen Thesen zur Haltung des Vatikans gegenüber dem Nationalsozialismus auf Skepsis stieß und das Auditorium hoher katholischer Geistlicher offenbar die kritische Darstellung des evangelischen Kirchenhistorikers Klaus Scholder für plausibler hielt. Ebenfalls häuften sich Erfahrungen, dass kirchliche Repräsentanten und die Katholische Nachrichtenagentur Positionen vertraten, die die Kommission als „gegnerisch“, „kirchenkritisch“ oder „kirchenfeindlich“ wahrnahm. So bemühte sich die Kommission erfolgreich, sich seit Beginn der 1980er Jahre bei der Beratung der Bischöfe über Beschlussvorlagen mit zeithistorischem Bezug frühzeitig einzuschalten, die Erklärung der Deutschen Bischöfe zum fünfzigsten Jahrestag der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1983 komplett vorzuformulieren und damit ihre Sichtweise auf die „historische Wahrheit“ quasi lehramtlich approbieren zu lassen. https://theologie-geschichte.de/ojs2/index.php/tg_beihefte/issue/view/49