Die, die auf dem Brandenburger Tor waren …

Von Julian Schirra

Etwas bekannter wurden sie erst am 11. Juli 2019, als das Bundesamt für Verfassungsschutz bekanntgab, die Gruppierung als gesichert rechtsextremistisch einzustufen und sie fortan nachrichtendienstlich zu überwachen; doch der ein oder andere erinnert sich eventuell noch an das Sommerloch 2017, als die „Aktivisten“ das Brandenburger Tor besetzten, um dort ihre Banner zu hissen und von dort oben auf sich durch die allgemeinen Medien aufmerksam zu machen. Die Rede ist von der Identitären Bewegung.

Sich zu wundern, wie man Rechtsextremismus und die Stürmung von Gebäuden mit nationaler Symbolkraft unter einen Hut bringen kann, ist durchaus berechtigt: wer an Rechtsextreme denkt, dem geraten eher Bilder von Fackelmärschen, gewaltbereiten Skinheads oder lauthals pöbelnden Demonstranten mit Deutschlandfahnen und Reichskriegsflaggen in den Sinn. Es handelt sich aber um keinen Zufall, dass die Identitären eher mit Aktionen auffallen, die man im linksextremistischen Spektrum ansiedeln würde, denn sie bedienen sich bewusst der Methoden linksextremistischer Gruppierungen. So stürmten etwa dreißig Mitglieder des österreichischen Ablegers der Bewegung 2016 beispielsweise eine Theateraufführung eines von Flüchtlingen handelnden Stückes von Jelinek an der Universität Wien, spritzten Kunstblut über das siebenhundertköpfige Publikum und warfen mit Flugblättern (mit der Aufschrift „Multikulti tötet“) um sich.

Die Ideologie, die darin schon anklingt, ist die des Ethnopluralismus: die Identitäre Bewegung steht offensiv für ethnisch homogene Völker ein, wobei sich ein Volk durch eine gemeinsame Kultur auszeichnet (also nicht mehr wie bei der „Alten Rechten“ durch gleiche Abstammung oder Rassenzugehörigkeit). Multikulturalismus untergräbt demnach diese Homogenität und führt dazu, dass der Versuch der Wahrung der Identität notfalls mit gewaltsamen Mitteln durchgeführt werden muss. Dementsprechend stehen die Identitären für die europäische Kultur ein, haben dabei aber kulturell unvermischte Völker, die in ihren Ländern bleiben, im Sinn.

Sieht man sich Videos dieser Vertreter der „Neuen Rechten“ an, so kann man eines feststellen: es handelt sich um durchweg junge Menschen, die sich zu Aktionen der Identitären Bewegung Deutschland sammeln und begleitet von dramatisierender Musik von Fremdenangst, von der Ideologie der „One-World-Globalisierer“ und von der Anerziehung von „Scham und Selbsthass“ (durch die Erinnerungskultur) sprechen, die sich gegen politische Korrektheit und gegen das demokratische Ringen um die besten Argumente wenden und die Begriffe wie Freiheit, Heimat und Tradition umdeuten, um sie für ihr Gedankengut ganz zu vereinnahmen.

Ihre Affinität dafür, bei Versammlungen „Flagge“ zu bekennen, haben sie dann aber wohl doch von der „Alten Rechten“ abgekupfert. Allerdings handelt es sich hier nicht um ein Aufgebot an Schwarz-Rot-Gold und Schwarz-Weiß-Rot; ihre knallgelben Fahnen ziert in Schwarz ein umkreistes Lambda, eine Reminiszenz an die Schilde der 300 spartanischen Hopliten in der Schlacht bei den Thermopylen. Dem kundigen Betrachter entgeht nicht die kompositorische Ähnlichkeit, die der (aus dem 2007 erschienenen Film „300“ entnommene) umkreiste Buchstabe zudem – ob zufällig oder auch nicht – mit dem Logo der paramilitärischen Sturmabteilung (SA) aufweist. Als Symbol steht das spartanische Schild bei ihnen wohl für die Verteidigung eines Europas der homogenen Völker.

Was die Wahl eines militärischen Zeichens bereits vermuten lässt, bestätigen letztendlich die Videos: hier ist von der Bereitschaft zur „Rückeroberung“ die Rede. An anderer Stelle werden Einblicke in die Kampfübungen der Anhänger gewährt. Man kann also nur hoffen, dass sie lediglich als seltsame Erklimmer des Brandenburger Tores in Erinnerung bleiben und nicht schon bald für neue Schlagzeilen sorgen, die von Gewalttaten berichten.