Was geschieht, wenn sich die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht nur auf gesellschaftlicher, sondern auch auf familiärer Ebene vollzieht? Uta Grundman hat diesen selten beschrittenen Weg der Aufarbeitung gewählt. In ihrem Buch Antisemitismus und Ambivalenz. Walter Grundmann und die „Entjudung“ des Christentums setzt sie sich mit der belasteten Vergangenheit ihres Großvaters auseinander, dem spiritus rector des Eisenacher „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“. Rezensent Michael Weise hebt zunächst die Einzigartigkeit des Buches hervor und würdigt die Originalität ihres Vorgehens, der psychoanalytische Zugänge mit kirchen- und theologiegeschichtlicher Recherche verbindet. Doch er betont auch die Kritikbedürftigkeit des Buches: Viele Thesen würden spekulativ bleiben, zentrale Annahmen über Grundmanns Psyche und Selbstbilder, wie seine angebliche Selbstidentifikation mit Jesus Christus, seien unbelegt. Die Forschungslage werde bloß selektiv verarbeitet, einschlägige Werke der Grundmann-Forschung und alternative Positionen seien ignoriert worden. Besonders problematisch aber findet Weise, dass die Autorin trotz ihrer erklärten Distanz zur antisemitischen Theologie Walter Grundmanns daran festhält, Christentum und Judentum als unüberbrückbare Gegensätze zu verstehen. Dies leitet sie besonders aus der Fähigkeit des Judentums ab, Traumata zu verarbeiten, der gegenübersteht, dass das dazu unfähige Christentum solche verklärt. Zudem kommt Grundman zu dem Schluss, dass die antisemitischen und misogynen Tendenzen ihres Großvaters nicht nur persönliche Gesinnungen waren, sondern bereits tief im strukturellen Gefüge des Christentums angelegt seien. Walter Grundmann erscheint so gelesen nicht als individueller Täter, sondern als fast zwangsläufiges Produkt eines gewaltgeneigten religiösen Systems. Indem die Autorin seine Haltung im Kontext eines grundsätzlich problematischen Christentums verortet, verschiebt sich die Verantwortung von der Person auf die Struktur. Genau darin liege allerdings eine apologetische Tendenz, die als problematisch zu werten sei. Die ideologische Verstrickung Walter Grundmanns im Nationalsozialismus wird relativiert, weil sie als Ausdruck einer allgemeinen religiösen Fehlprägung dargestellt wird und eben nicht als bewusste Entscheidung innerhalb historischer Spielräume. Lesen Sie mehr in der Rezension von Michael Weise: https://theologie-geschichte.de/ojs2/index.php/tg/article/view/1374/1739 |