Jörg Ernesti / Leonhard Hell / Günter Kruck (Hg.), Selbstbesinnung und Öffnung für die Moderne. 50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil, Paderborn u.a. 2013, Schöningh-Verlag, 143 S.,19,90 EUR (D), ISBN: 978-3-506-77664-8
In dem anzuzeigenden Band sind die Beiträge einer Fachtagung
zusammengefasst, die am 21. und 22. September 2012 in der Katholischen
Akademie Rabanus Maurus im „Haus am Dom“ in Frankfurt am Main aus
Anlass des 50. Jahrestags der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen
Konzils stattgefunden hat. Beleuchtet werden die wichtigen Dokumente
und damit die großen Themen dieser Kirchenversammlung.
Einleitend wendet sich Jörg
Ernesti den beiden Konzilspäpsten, d. h. Johannes XXIII.
und Paul VI., und ihrem Verhältnis zur Moderne zu. Werdegang und
Prägung von Johannes XXIII., von dem die entscheidende Initiative
zur Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgegangen ist,
werden skizziert, wobei der Papst als „kein Mann der Organisation“ (14)
gesehen und der Römischen Kurie in der Vorbereitungsphase des
Konzils ein starkes Übergewicht zuerkannt wird. Erinnert wird an
die Kritik, die Giovanni Battista Montini, seinerzeit Erzbischof von
Mailand, am Konzilsverlauf erhoben hat, und daran, dass sich der
spätere Paul VI. nicht nur zuarbeiten ließ, „sondern sich
auch selbst in die für die Synode wichtigen Themen einlas“ (18).
Fortführung und Beendigung des Konzils sowie die Umsetzung der
Konzilsbeschlüsse werden als die wesentlichen Anliegen des Papstes
herausgestellt. Interessant ist der Blick auf die neue und bisher nicht
bekannte Reisetätigkeit Pauls VI. als „‘Begleitmusik‘ des Konzils“
und die Erörterung der Frage „Aufbruch in die Moderne oder
Anknüpfung an die Tradition?“ in Auseinandersetzung mit einer
Ansprache Benedikts XVI..
Alexander Zerfass wendet sich
der Liturgiekonstitution Sacrosanctum
Concilium und der darauf aufbauenden Liturgiereform zu. Die
Liturgie erscheint als Bereich, „in dem die Akzentsetzungen des Konzils
sich am greifbarsten ausgewirkt haben“ (27). Zerfass sieht „die
Verabschiedung der Konstitution mit ihrem unmissverständlichen
Auftrag zu einer grundlegenden Generalrevision der liturgischen
Bücher“ als wichtigen „Bestandteil des Emanzipationsprozesses des
Konzils gegenüber den Vorgaben der Kurie, die noch im
unmittelbaren Vorfeld der Kirchenversammlung versucht hatte, den
liturgischen Status quo zu zementieren“ (28). Dass Letzteres „von einer
breitesten Mehrheit“ (2147 Ja-Stimmen und nur vier Nein-Stimmen) nicht
gewünscht wurde, sieht der Autor als „Ertrag der liturgischen
Erneuerungsbewegung“ (28), deren Anliegen und Entwicklung detailliert
dargelegt werden.
Die Konzilsdokumente Lumen gentium,
Unitatis redintegratio und Dei Verbum, die ein neues
Kirchenbild, einen neuen Zugang zur Ökumene und das
Offenbarungsverständnis zum Inhalt haben, werden unter der
Überschrift „Der Ausweg aus den Sackgassen der Apologetik“ von Leonhard Hell und Benjamin Dahlke aufgegriffen. Die
Autoren können anhand der Texte aufzeigen, „dass und wie mit dem
Zweiten Vatikanischen Konzil der Weg apologetischer Abschottung
verlassen wurde, der für die Neuscholastik kennzeichnend gewesen
ist“ (60). Sie verweisen darauf, dass ohne Berücksichtigung des
theologiegeschichtlichen Vor- und Umfelds des Konzils die drei
Dokumente „schwerlich verstanden werden“ können, und ein
„bloß systematischer Zugriff“ daher unzureichend sei (60).
Deutlich wird der Wunsch nach Etablierung einer historischen
Konzilsforschung im deutschsprachigen Raum geäußert.
Günter Kruck stellt
ausgehend von konkreten Fragen zur Religionsfreiheit in der
Bundesrepublik Deutschland und der damit verbundenen
Auseinandersetzung, z.B. um Kreuz, Kopftuch und Beschneidung von
Jungen, philosophisch-theologische Reflexionen zu Dignitatis humanae und Nostra aetate an. Dabei will der
Autor vor allem zeigen, „inwiefern von den Dokumenten her die
grundsätzliche Kritik von Marx an Staat und Religion bzw. deren
Verhältnis ausgehebelt und damit ein bestimmtes Zueinander von
Staat und Religion wieder hergestellt werden kann, das nicht als
Ausdruck der Unfreiheit interpretierbar ist“ (69). „Das Maß der
Nächstenliebe“ wird als Kriterium gesehen, „nach dem die
monotheistischen Religionen zueinander in ein Verhältnis gesetzt
werden können“ (72). Anhand der Dokumente wird aufgezeigt, dass
die Freiheit, die dem Menschen aufgrund seiner Gottebenbildlichkeit
zukomme, weder durch die Religion noch durch einen Staat Zwang zulasse.
Maria Neubrand kann in ihrem
Beitrag „Die Kirche und ihr Verhältnis zum jüdischen Volk“
den zentralen Art. 4 von Nostra
aetate als „Anstoß zu einer neuen Israeltheologie der
Kirche“ (75), die jeden Antisemitismus und Antijudaismus
ausschließe, aufzeigen. Näherhin werden, ausgehend von zwei
jüdischen und zwei katholischen Stellungnahmen, der Text und seine
Entstehungsgeschichte beleuchtet. Kritisch merkt die Autorin an, dass
die vom Konzil entfalteten Grundlagen Auswirkungen auf alle
theologischen Disziplinen haben, die „aber – leider – noch längst
nicht eingelöst sind“ (75).
Martin M. Lintner wendet sich
der Morallehre des Konzils zu und zeigt dabei „Kontinuität und
Diskontinuität am Beispiel der Lehre über Ehe und Familie“
auf (95). Die Lehre des Konzils zum Gewissen, die „ein tief verankertes
Erbe der Kirche neu aufgegriffen“ (99) habe, und deren nachkonziliare
Rezeption wird entfaltet. Für die inhaltliche Ausrichtung der
Lehre über Ehe und Familie sieht Lintner die „Überwindung der
Ehezwecklehre“, „die Neubewertung der Sexualität“, die sich in
einer neuen Sprache, die das Konzil spreche, zeige, ferner die Sicht
der „Ehe als personaler Bund sowie als Lebens- und Liebesgemeinschaft“
und die sittliche „Bewertung der ehelichen Akte“ als entscheidend.
Neben diesen „Aspekten des Wandels und der Diskontinuität“ (111)
skizziert der Autor auch Elemente der Kontinuität, wie die „Lehre
der Ehegüter“, „die Sakramentalität der Ehe und die Einheit
von Schöpfungs- und Erlösungsordnung“ sowie „die
Fruchtbarkeit der Ehe“. Lintner setzt sich mit dem „Ringen der
Konzilsväter um die richtigen und angemessenen Formulierungen“
(114) und der Rezeption der Art. 47-52 von Gaudium et Spes in den
nachkonziliaren lehramtlichen Texten auseinander, so insbesondere in
der Enzyklika Pauls VI. Humanae vitae
und dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Johannes Pauls II. Familiaris Consortio.
Den Abschluss des Bandes bildet der Beitrag von Franz-Peter Tebartz-van Elst „Nicht
von der Welt, sondern für die Welt“, in dem die
Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die
Kirche in der Welt von heute als „Orientierung für ein
sakramentales Kirchenverständnis“ (123) aufgezeigt wird. Das
erneuerte Kirchenverständnis des Konzils wird als Grundlage
für das Verhältnis der Kirche zur Welt gesehen, wobei auch
eine Klärung der Begriffe „Geist des Konzils“ und „‘pastorales’
Konzil“ erfolgt.
Der Band erweist sich als eine fundierte und inhaltsreiche, jedoch leicht verständliche und gut lesbare Auseinandersetzung mit wesentlichen Neuansätzen des Zweiten Vatikanischen Konzils in Richtung Dialog mit der modernen Gesellschaft und Öffnung für deren Anliegen. Textgeschichte, inhaltliche Akzentsetzungen und die Rezeption der behandelten Konzilsdokumente werden von AutorInnen unterschiedlicher theologischer Disziplinen, die bislang weithin nicht zum Thema Konzil publiziert haben, aufgezeigt. Der Band wird neben akademisch-theologisch Interessierten vor allem Priester und Laien sowie LehrerInnen und Personen, die in der Erwachsenenbildung tätig sind, ansprechen, indem er sie an „ein zentrales Thema der jüngeren Theologie- und Kirchengeschichte unter aktuellem Bezug“ (vgl. Einführung) heranführt. Er füllt eine Lücke in der bisher überschaubaren Aufarbeitung des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Lehren aus Anlass des 50-Jahr-Jubiläums.
Zum Rezensenten:
Dr. Wilhelm Rees, geb. 1955, ist Professor für Kirchenrecht an der
Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck.
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