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Diskussionspapier:

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René Buchholz

Gegendiskurse. Jüdische Antworten auf das Christentum in der frühen Moderne



„Vorurtheile sind eine Klippe, an der schon mancher kräftige Geist gescheitert ist, nicht blos in deren Bekämpfung gegen Andere, sondern auch in dem Versuche, sie in der eignen Brust niederzudrücken.“

Abraham Geiger [1]


Assimilation oder Widerstand?

Bis zur Neubestimmung des christlich-jüdischen Verhältnisses auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil standen für christliche Theologen und Religionshistoriker nicht nur dogmatische Differenzen zur Diskussion, sondern mehr noch die Legitimität und Aktualität des Judentums; galt es ihnen doch als eine heils- und religionsgeschichtlich überholte, versteinerte Religion, die durch leere Riten, kleinliche Vorschriften, Selbstgerechtigkeit und einen dem christlichen Universalismus scharf kontrastierenden nationalen Partikularismus gekennzeichnet war. So gab das Judentum die dunkle Folie ab, vor der sich die Verkündigung Jesu und das frühe Christentum umso leuchtender abhoben. Die theologischen Diskurse, die der jüdischen Religion souverän ihren minderen Platz zuwiesen, waren jedoch nicht streng von den politischen zu unterscheiden. Die mit großem publizistischem Aufwand keineswegs nur von traditionalistischen katholischen Kreisen betriebene Agitation gegen die uneingeschränkte rechtliche Gleichstellung von Juden und Nichtjuden schöpfte im 19. Jahrhundert aus älteren religiösen Vorurteilen und verband diese mit dezidiert antiliberalen und antimodernen Programmen. In der antisemitischen Propaganda seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts traten religiöse Argumente zurück oder wurden überlagert von einem ethnisch-kulturellen Essentialismus, der Juden als ?Fremdkörper’ innerhalb der ?Nation’ oder des ?Volkes’ betrachtete; Motive, die bereits im Berliner Antisemitismusstreit (1879/80) eine Rolle spielten. Der Antisemitismus konnte sich seit den letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts als „kultureller Code“ durchsetzen, weil er unterschiedlichen Gruppen – von religiösen Traditionalisten bis zu Anhängern eines aggressiven ?völkischen’ Nationalismus – einen schon von der christlichen Tradition her bekannten Gegner bot, auf den sich das Unbehagen in der modernen Kultur projizieren ließ. [2]

Aber auch für liberale Zeitgenossen war die Kompatibilität jüdischer Traditionen mit Freiheit und Fortschritt keineswegs ausgemacht. Die Stellungnahmen zum Judentum waren zwar meist weniger aggressiv formuliert, aber keineswegs frei von starken Reserven. Wie konnten Angehörige einer als rückständig und in nationalen Interessen befangen bewerteten Religion mündige und loyale Bürger werden? Mussten nicht Juden von einem bestimmten Bildungsstand an und im Genuss der bürgerlichen Gleichberechtigung, wie Wilhelm von Humboldt versichert, „gewahr werden, dass sie nur ein Cärimonial-Gesetz und eigentlich keine Religion hatten“? Dann aber werden sie, getrieben von dem angeborenen menschlichen Bedürfniss nach einem höheren Glauben, sich von selbst zu der christlichen wenden“.[3] Humboldts These konnte auch in säkularisierter Form aufgegriffen werden: Die Integration der Juden in die moderne Gesellschaft bewirkt gleichsam von selbst, dass die als rückständig eingestufte Religion durch vollständige Assimilation ihrer sozialen Träger verschwindet. Man kann idealtypisch drei Formen unterscheiden, in denen Juden auf diese Situation im sich modernisierenden Europa reagieren konnten und auch reagiert haben:

  1. Sie unterwarfen sich dem Urteil und den Regeln des jeweiligen Leitdiskurses, anerkannten den Superioritätsanspruch der christlich geprägten Kultur und gaben ihr Judentum auf. Eigen- und Fremdurteil, was die Integration in die Mehrheitsgesellschaft betraf, differierten meist erheblich.

  2. Sie anerkannten zwar die Regeln des Leitdiskurses, wiesen aber dessen Urteil über das Judentum zurück, d.h. sie versuchten im Rahmen der geltenden Diskursregeln nachzuweisen, dass gerade das Judentum diesen Regeln in besonderer Weise genügte, die Dominanzkultur sogar wesentliche Errungenschaften dem Judentum verdankte und mithin das überlieferte Negativbild des Judentums nur in Vorurteilen gründete.

  3. Sie problematisierten die bisherige Ordnung des Diskurses und verweigerten die kritiklose Unterwerfung unter die Dominanzkultur. Damit wird wenigstens einem Teil der jüdischen Traditionen die Kraft zugetraut, entweder eine gültige und aktuelle Alternative zu den bisherigen Diskursregeln darzustellen oder diese zu verändern.

Die unter dem ersten Punkt genannte Reaktion wird meist mit Assimilation gleichgesetzt; aber Assimilation konnte und kann sehr Unterschiedliches bedeuten: die völlige Angleichung an die Mehrheitskultur bis hin zur Taufe oder der eher Akkulturation zu nennende Versuch, einen mehr oder weniger tragbaren Kompromiss zwischen den eigenen Traditionen und der Mehrheitskultur zu erzielen, wobei die Differenz zwischen öffentlichem und privatem Verhalten mit seinen genderspezifischen Ausprägungen nicht übersehen werden sollte.[4] Schließlich ist Assimilation ein polemischer Begriff derer, denen die bisherige Anpassung zu weit geht und die Hoffnung auf Integration und Anerkennung angesichts des wachsenden Antisemitismus als illusorisch erscheint. Eine breite Schicht „und ihre geistigen und politischen Repräsentanten“ so rückblickend Gershom Scholem, „wollten glauben an die Assimilation, an die Verschmelzung mit einer Umgebung, die ihnen im Großen und Ganzen gleichmütig bis wenig wohlwollend gegenüberstand”.[5] Scholems Kritik ist nicht neu: Schon Moses Hess erklärte die Assimilation für gescheitert und entwickelte einige Jahrzehnte vor Theodor Herzls Der Judenstaat (1896) in seiner Schrift Rom und Jerusalem (1862) die Idee einer Renaissance des Judentums in Eretz Jisra’el: „Nur aus der nationalen Wiedergeburt wird das religiöse Genie der Juden, gleich dem Riesen, der die Muttererde berührt, neue Kräfte ziehen und vom heiligen Geiste der Propheten wieder beseelt werden.“[6] Ein staatsgründender Zionismus wird hier mit kulturzionistischen Motiven und Elementen der religiösen Tradition verbunden. Hess stellt die Forderung nach einer umfassenden Erneuerung des Judentums in den größeren Zusammenhang der revolutionären Umbrüche seit 1789 und der europäischen Unabhängigkeitsbewegungen. Eine breite Wirkung blieb Hess versagt: Seine sozialkritischen Motive standen im Schatten der marxschen Theorie, seine zionistischen Ideen wurden von denjenigen Herzls verdrängt und seine terminologischen Anleihen beim ‚Rasse-Diskurs’ provozierten mit Grund Widerspruch.

Der Zionismus war nicht die einzige Alternative zur Assimilation. Die jüdische Reform, bei deren Vertretern Moses Hess auf wenig Sympathie stieß, und die Neoorthodoxie entwickelten bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unterschiedliche Antworten auf die Moderne. Die Neoorthodoxie rezipierte die Moderne eher selektiv: Zwar wurde die formale bürgerliche Gleichstellung begrüßt und ihre Vorkämpfer waren bereit, sich an Politik, Wirtschaft und – mit Vorsicht – Kultur zu beteiligen, doch distanzierten sie sich scharf von Haskalah und Reform. Die von der Reform und Wissenschaft des Judentums erhobene Forderung, die historische Genese der biblischen Quellen und der rabbinischen Literatur zu erforschen, die überlieferte Halakhah zu prüfen und fortzuentwickeln wurde von Samson Raphael Hirsch als vorschnelle „Nivellierung der Thauroh nach der Zeit“ und „Abtragung des Gipfels zu der Flachheit unseres Lebens“[7] polemisch abgewiesen. Den Vorwurf, nicht „zeitgemäß“ zu sein, nimmt Hirsch in Kauf und wiederholt seine Position achtzehn Jahre später unverändert: Erst dann, „wenn die Zeiten gottgemäß geworden, wird auch das Judenthum zeitgemäß sein“.[8] Was prima facie als Widerstand gegen die Assimilation und den Ausverkauf des Judentums an den Zeitgeist erscheint, hat freilich seinen Preis: Die Abstraktion von der historischen Genese der Thora und der nachbiblischen Traditionen verwandelt beides in einen Fetisch. Aus der naiven Gewissheit vergangener Generationen, dass nämlich „ganz Jissroel, an drittehalb Millionen Seelen“ am Horeb versammelt waren „und hörten unmittelbar die Stimme des Herrn, als Er in Aufregung der Allnatur sein Lebensgesetz zu offenbaren begann“[9], verwandelt sich angesichts historischer und philosophischer Kritik in einen Glaubenssatz, der in dieser Form, wie Hirsch ihn vorträgt, anders als durch das Opfer der Vernunft schwerlich affirmiert werden kann.

Das Reformjudentum schlug bewusst einen anderen Weg ein. Historische Kritik, Naturwissenschaft, bürgerliche Emanzipation, die Wende zum Subjekt seit Descartes und Kant mussten auch Auswirkungen auf die Rezeption und Weitergabe der Überlieferung haben. Forschung, Unterricht, Gemeindeverfassung und nicht zuletzt die bisherige Gestalt des Gottesdienstes konnten nicht einfach unverändert fortgeführt werden. Allerdings musste sich auch ein Judentum, das die eigenen Überlieferungen weder in einen von Aufklärung und Kritik geschützten Bereich bergen, noch vorschnell opfern wollte, in mehrfacher Hinsicht legitimieren: nach innen als zugleich innovative und assimilationsresistente Fortschreibung der Tradition, nach außen als zeitgemäße, den Ideen von Freiheit und Fortschritt gegenüber offene, national loyale und dem Christentum mindestens ebenbürtige Religion. Entsprechend nehmen Auseinandersetzungen mit christlichen Stellungnahmen zum Judentum hier breiteren Raum ein; sie sind zu begreifen als eine historisch und philosophisch argumentierende apologia ad intra et ad extra. Wer die Entwicklung des Reformjudentums im 19. Jahrhundert, der jüdischen Religionsphilosophie, der Theologie und der Judaistik (Wissenschaft des Judentums) untersucht, kann von diesem apologetischen Moment nicht abstrahieren. Das Spektrum reicht von Versuchen, die Geschichte und Religion des Judentums in den Kategorien des nachkantischen Idealismus zu begründen und zu beschreiben bis hin zur Infragestellung der das Judentum exkludierenden Ordnung des philosophischen, politischen und theologischen Diskurses; ein subversiver Versuch, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts Konturen gewann.

Gelang das Experiment? Für die Orthodoxie stand außer Zweifel, dass die Reformbemühungen eines Israel Jacobsohn, Abraham Geiger oder Salomon Formstecher die Tradition verlassen und sich weitgehend der Mehrheitskultur assimiliert hatten. Dies vermag freilich nur dann zu überzeugen, wenn man erstens unter Tradition etwas Statisches, von jeher Gegebenes versteht und zweitens von der kritischen Situation abstrahiert, in der sich das Judentum seit dem Ende des 18. Jahrhunderts befand. In den Augen vieler intellektuell ambitionierter, liberaler, der Emanzipation auf allen Gebieten aufgeschlossener Juden hatte die traditionelle Religion abgewirtschaftet. Die Konversion zum Christentum bot nicht nur neue Karriereaussichten, sie schien für viele Juden auch intellektuell attraktiv. Die Reform mit ihrer Forderung nach Öffnung für die Wissenschaft, nach Erneuerung der Liturgie und nicht zuletzt nach Überprüfung der Tradition, die sich vor der historischen Kritik als ein Gewordenes erweist, bot eine Alternative zum Traditionalismus einerseits und zur Konversion andererseits. Wie Deborah Hertz zeigte, sank die Zahl der Übertritte zum Christentum dort, wo sich Reformgemeinden etablieren konnten. Die an einer Stabilisierung des Judentums kaum interessierte preußische Verwaltung beargwöhnte darum die Reform und versuchte zunächst, sie soweit wie möglich zurückzudrängen.[10] Die Reformbewegung leistete also einen beachtlichen Beitrag zur Regeneration des Judentums und konnte auf bemerkenswerte Erfolge verweisen. Aber auch die in der Programmatik unabhängig von theologischen Vorgaben arbeitende Wissenschaft des Judentums erschloss weite Bereiche der jüdischen Kultur- und Religionsgeschichte neu. Für Gershom Scholem haftete ihr jedoch, bei allen wissenschaftlichen Leistungen, „ein Hauch des Begräbnishaften“ an, auch wenn sich gegen die „ursprünglich liquidatorische, spiritualisierende, das Judentum entwirklichende Absicht“ doch noch die „romantische Begeisterung durchsetzte“. Eingeschlossen in diese Kritik sind die an Hegel, Schelling und Kant orientierten theologischen Argumentationen seit Beginn des 19. Jahrhunderts mit ihrer Tendenz „das Judentum auf eine rein geistige, ideale Erscheinung zu reduzieren“[11] und es damit seiner lebendigen Kraft zu berauben. In der Auseinandersetzung mit dem Christentum und seinem vergeistigten, verinnerlichten Verständnis von Erlösung[12] waren jene Teile des Judentums, die sich in die europäische Kultur integriert wähnten, zu defensiv. Die allzu weitgehenden Konzessionen jüdischer Historiker, Theologen, Politiker und Verbände an die nach wie vor stark vom Christentum geprägte europäische Kultur rückten für Scholem auch Reform und Wissenschaft des Judentums in die Nähe der Assimilation.


Wissenschaft des Judentums als „Counterhistory“

Scholems Urteil war keineswegs unumstritten und wird von neueren Untersuchungen in seiner generalisierenden Tendenz nicht bestätigt. Haskalah, Reform und Wissenschaft des Judentums leisteten der theologischen, historischen und politischen Delegitimierung des Judentums durchaus Widerstand; mehr noch: Die frühe Judaistik hatte keineswegs die Absicht, dem „Judentum ein anständiges Begräbnis zu verschaffen“[13], sondern sie trat gerade mit dem Anspruch auf, ihm seine ursprüngliche Lebenskraft und schöpferische Potenz zurückzugeben. Das Studium der jüdischen Geschichte und ihrer unterschiedlichen Entwicklungen sollte die ungebrochene Vitalität des Judentums erweisen und zugleich neue Quellen erschließen. So versichert Abraham Geiger (1810-1874) zu Beginn seiner Studie Urschrift und Uebersetzungen der Bibel:

„Wenn der Boden der Geschichte aufgelockert wird und die Mächte aufgewiesen werden, die unablässig  an ihm gearbeitet haben: so muss auch weiter der geschichtliche Trieb wieder lebendig werden und der Lebenssaft weiter den Stamm durchströmen, um in neuer Frische geistige Früchte zu erzeugen. Die Erstarrung, der Tod eines jeden wahren religiösen Lebens, sich stützend auf die angebliche Abgeschlossenheit, welche einmüthig bezeugt werde, muss der Erkenntniss der geschichtlichen Bewegung weichen.“[14]

Die Wissenschaft des Judentums entstand wie Susannah Heschel zeigte, nicht in einem neutralen Raum, sondern in kritischer Auseinandersetzung mit der christlich geprägten Mehrheitskultur. Diese beeinflusste entscheidend auch die angeblich vorurteilsfreie Historiographie mit ihrer „Manier, das Judenthum ins Grab zu legen, der jüdischen Geschichte den Todtenschein auszustellen“.[15] Heinrich Graetz’ Feststellung zielt auf den Antijudaismus Friedrich Schleiermachers; für ihn ist das Judentum „schon lange eine tote Religion, und diejenigen, welche jetzt noch seine Farbe tragen, sitzen eigentlich klagend bei der unverweslichen Mumie und weinen über sein Hinscheiden und seine traurige Verlassenschaft.“[16] Dies aber taten weder die Begründer der modernen Judaistik seit Zunz noch die Verfechter einer an der nachkantischen Diskussion orientierten jüdischen Religionsphilosophie. Sie begnügten sich auch nicht mit bloßer Apologetik, sondern gingen noch einen Schritt weiter, indem sie die christliche Konstruktion der nachexilischen jüdischen Geschichte umkehrten. An die Stelle des Bildes einer in starren Regeln verfestigten, religiös und intellektuell erloschenen Religion trat die historisch besser begründete Einsicht in die außerordentlich produktiven Tendenzen des frühen Judentums. Die tendenziöse Darstellung christlicher Historiker greift Geiger in scharfen Worten an. Er spricht von „der Ungründlichkeit. mit welcher die Wissenschaft, und namentlich die deutsche, verfährt, wenn es die Erkenntniß des Judenthums gilt“.[17] Während man im Christentum den Höhepunkt der religionsgeschichtlichen Entwicklung erblickt, „geht man bei der Betrachtung des Judenthums ganz tief herab, folgt man allen unscheinbaren, unzugänglichen Winkeln, eben weil man – Koth finden will“, heißt es schon 1835. Das Alte Testament „wird gelästert und verhöhnt“, der „Gott des alten Testaments, so sprechen oft die christlichen Theologen, ist ein Gott der Rache und muß sich vor dem Gott des neuen Testaments schämen, wie er da ist ganz Barmherzigkeit und Liebe“. [18] Die Strömungen des Frühjudentums – insbesondere der Pharisäismus – bilden vor allem „Stoff zum Tadel“. [19] Für Geiger war der Pharisäismus gerade nicht Inbegriff einer leeren, äußerlichen Kasuistik, sondern eine produktive, die Thora fortentwickelnde und den veränderten Lebensbedingungen anpassende Bewegung. Ihr erster herausragender Lehrer, Hillel der Ältere, „stellt das Bild dar eines … echten Reformators“. [20]

Die Rehabilitierung des Pharisäismus tritt aber nicht nur verbreiteten christlichen Vorurteilen entgegen, sondern dient auch der apologia ad intra: Den von orthodoxer Seite erhobenen Verdacht, das Reformjudentum sei eine Neuauflage des Sadduzäismus und des Karäismus weist Geiger energisch zurück. Wohl ist für die Reform die Tradition nichts Geronnenes, sie wird mit der modernen historischen Forschung im scheinbaren Faktum der biblischen und talmudischen Texte „das Gewordene erkennen“ [21] und sie auf „die innere Entwickelung des Judenthums“ beziehen; [22] darin betont sie gerade das Recht der schöpferischen Tradition gegenüber einer orthodoxen Fixierung auf den Wortlaut der Texte. Das Moment subjektiver und intersubjektiver Vermittlung der allen kodifizierten Formen vorausgehenden Offenbarung ist ihrer Schriftwerdung wesentlich. Bereits der „Pharisäismus liess den Buchstaben der Bibel sagen, was die Zeit sagte, der Sadducäismus hielt den Buchstaben der Schrift fest und wollte die Zeit sagen lassen, was dieser sagte. Der Pharisäismus war daher völlig zeitgemäss.“ [23] Es ist unübersehbar, dass in die Beschreibung der historischen Parteien des Frühjudentums auch Geigers aktuelle Konflikte mit der Orthodoxie in seiner Breslauer Zeit einfließen. [24] In der späteren Studie Urschrift und Übersetzungen der Bibel (1857) fällt die Darstellung der Differenzen zwischen beiden Richtungen weniger schematisch aus. [25] In den polemischen Schriften jedoch, die Geiger vor allem zu Beginn der vierziger Jahre verfasste, erscheinen Traditionalisten wie Salomon Tiktin als die wahren Nachfolger der Sadduzäer, welche an einem statischen Verständnis der Überlieferung festhalten und sie ihrer innovativen Potenziale berauben.

Das Prinzip der Tradition hingegen, „dem die ganze thalmudische und rabbinische Litteratur ihr Entstehen verdankt, ist nichts Anderes als das Princip der beständigen Fortbildung und zeitgemässen Entwickelung, als das Princip, nicht Sklaven des Buchstabens der Bibel zu sein, sondern nach ihrem Geiste und nach dem ächten Glaubensbewusstsein, das die Synagoge durchdringt, fort und fort zu zeugen. Daher erkennt das Judenthum ganz wohl das Amt einer mündlichen Lehre an, die nach dem Geiste und nach der Zeit das geschriebene Wort, das bei beständiger Stagnation des Todes verbleichen müsste, stets neu mit dem eigenthümlichen Geiste zu beleben, zu restaurieren und zu regenerieren wisse.“ [26]

Dieses Selbstzitat Geigers stand ursprünglich – was die doppelte Ausrichtung seiner Apologetik belegt – im Kontext einer Verteidigung der rabbinischen Literatur gegen christliche Theologen. Christliche wie orthodoxe Deutungen sehen die jüdische Tradition als in sich abgeschlossen und unveränderbar an. Was für erstere Zeichen des Verfalls und der Sterilität ist, verbürgt für letztere Treue und Zuverlässigkeit. Beide Sichtweisen aber verfehlen ihren Gegenstand: Christliche Historiker sind zugunsten ihrer eigenen Religion und auf Kosten einer seriösen Forschung darauf bedacht, dem Judentum jede Lebendigkeit und Fortentwicklung abzusprechen. Die Orthodoxie aber verrät in Wahrheit, was zu bewahren sie vorgibt. Geiger spart hier nicht mit Polemik: Die mit den ultramontanen Tendenzen des Katholizismus ‚fraternisierende’ Orthodoxie begnüge sich mit der „Herrschaft des Alten ohne Nöthigung, seine Berechtigung nachzuweisen, nackte Annahme ohne Begründung“. Hierzu „bedurfte und bedarf es wahrlich keines Geistes und die Borniertheit feierte glänzende Triumphe“. [27] Gegenüber einem starren, verdinglichten Begriff der Überlieferung erkennt die kritische Forschung gerade das produktive Potenzial im Prozess der Tradition: Die mündliche Lehre reproduziert nicht einfach den kanonisch fixierten Text, sondern schreibt ihn auf schöpferische Weise fort. Hier wirkte seit den Anfängen „ein lebendiger Geist“ und eine „Kraft der Entwickelung“, [28] welche verhindern, dass das Überlieferte in seiner jeweiligen Gestalt versteinert; ist doch „die historische Religion nicht ein bei dem einmal Gegebenen Stillstehendes, sondern ein aus dem gegebenen Kern sich Entwickelndes“, [29] ein Gedanke, den das liberale Judentum zum Begriff der ‚progressiven Offenbarung‘ fortbildete. [30]

Bei aller Distanz Geigers zum Katholizismus ist in der Frage der Tradition doch eine sachliche Nähe zur Tübinger Schule nicht zu übersehen. So erinnerte gegenüber einer abstrakten Antithese von Schrift und Tradition Johann Adam Möhler mit Recht daran, dass „die Schrift das erste Glied in der geschriebenen Tradition“ ist und ihrerseits „aus der lebendigen Tradition geschöpft“ wurde. „Die Schrift allein, und abgesehen von unserer Auffassung ist gar nichts, ist ein toter Buchstabe “. [31] Geigers Traditionsbegriff ebenso wie derjenige Möhlers, hat unverkennbar seinen Ursprung in der Romantik und ihrer Idee einer organischen Entwicklung. Deren Träger oder ‚Subjekt’ ist eine bestimmte Gemeinschaft und deren Organon das gemeinsame „Glaubensbewusstsein“ oder der ‚Glaubenssinn’. Stärker als Geiger legte einige Jahrzehnte später Solomon Schechter den Nachdruck auf die Bedeutung der sozialen Gruppe, die er in der ‚universalen Synagoge’ geradezu verkörpert sah: „This living body, however, is not represented by any section of the nation, or any corporate priesthood, or Rabbihood, but by the collective conscience of Catholic Israel as embodied in the Universal Synagogue.” [32] Der lebendige Leib der weltweiten jüdischen Gemeinschaft – ‚the Catholic Israel’ – ist Subjekt der Traditionsbildung und –entwicklung. Es bedarf hierzu nicht notwendig einer priesterlichen oder rabbinischen Autorität, das Glaubensbewusstsein der Gemeinschaft genügt durchaus. Deutlicher als Möhler auf katholischer und Schechter auf jüdischer Seite war sich Geiger allerdings des von keiner innerjüdischen Instanz entschärften konfliktreichen Charakters der Tradition bewusst. Nicht immer kam der erzielte Konsens zustande und so bleiben, wie im Talmud, die unterschiedlichen Meinungen nebeneinander stehen. Konflikte sind mitunter notwendig und treiben die Entwicklung gegen den zähen Widerstand des Überkommenen voran. [33]

Zu der keineswegs homogenen jüdischen Tradition rechnete Geiger auch die Gestalt Jesu. Während die christliche Historiographie Jesus aus dem Zusammenhang seiner Religion löste, situierte ihn Abraham Geiger im Judentum seiner Zeit: „Er war ein Jude, ein galiläischer Jude mit pharisäischer Färbung, ein Mann, der die Hoffnungen seiner Zeit theilte und diese Hoffnungen in sich erfüllt glaubte.“ Der Gedanke einer Aufhebung der Thora blieb Jesus, der „in den Wegen Hillel’s ging, nicht auf jedes einzelne Aeußerliche den entschiedensten Werth legte“, völlig fremd. Differenzen zu pharisäischen Lehren waren nicht prinzipieller Art; sie erklären sich aus dem Glauben „an die erfüllten messianischen Hoffnungen“, d.h. aus der Frage, ob die Gegenwart als messianischer Kairos anzusehen sei oder nicht. Die ersten Anhänger Jesu übernahmen seine Lehre und bildeten nicht etwa eine neue Religion, sondern eine Gruppierung innerhalb des damaligen Judentums, d.h. es entstand „auf dem Boden des pharisäischen Judenthums eine neue Richtung: die des erfüllten Messianismus“. <4a>[34] Als eine vom Judentum getrennte Religion gewann das Christentum erst Jahrhunderte später Gestalt. [35] Insofern es sich als „Erfüllung der im Judenthum verheißenen Hoffnungen“ verstand, war seine Beziehung zu dieser, ihm so nahen Religion von besonderen Spannungen geprägt. „Je gemeinsamer der Boden, um so hartnäckiger der Kampf um den Besitztitel“. Anstatt die historische Bühne zu verlassen, lebte das Judentum fort, und bot eine schöpferische Alternative zum Anspruch des Christentums. „Die zähe Dauer des Judenthums war ihm ein niederschmetternder Schlag, eine Verleugnung seiner Berechtigung; ein jeder einzelner Jude erschien als ein Zeuge, der gegen die Wahrheit des Christenthums auftrat, eine jede jüdische nachchristliche Schrift wie eine Schmähung gegen dessen inneres Wesen gerichtet“. [36] Geigers mit modernen wissenschaftlichen Methoden betriebene Erforschung der jüdischen Geschichte und des Frühchristentums stellte das bisherige christliche Deutungsmonopol infrage; Susannah Heschel nennt dieses Vorgehen „counterhistory“. „Telling the story of Christian origins from a Jewish perspective”, konstatiert Heschel, „was an act of Jewish self-empowerment.” [37]


Die Inversion des religionsphilosophischen Diskurses

In seinem Plädoyer für die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät (1836) und in seiner Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie  (1849) hatte Abraham Geiger auch der Religionsphilosophie einen legitimen Platz zuerkannt. Allerdings sollte diese sich von den christlichen Vorgaben emanzipieren, denen sie trotz ihrer angeblichen Voraussetzungslosigkeit oft noch verhaftet geblieben sei. [38] Dessen war sich die Religionsphilosophie von Saul Ascher über Salomon Formstecher bis Hermann Cohen durchaus bewusst und entsprechend um eine veränderte Blickrichtung bemüht: Sofern Religion mit dem Bewusstsein von Freiheit und der Emanzipation von einem schicksalhaften Naturzusammenhang eng verbunden ist, repräsentiert die jüdische (und nicht erst die christliche) Religionsgeschichte monadologisch, wozu die Menschheit als Ganze berufen ist und wohin sie sich erst noch emporarbeiten muss. Das Judentum als „Religion des Geistes“ oder „der Vernunft“ nachzuweisen bedeutet, seine Stellung innerhalb des religionsphilosophischen Diskurses von Kant bis Schleiermacher grundlegend neu zu bestimmen. [39] So müsste man hier eher von Gegendiskursen reden; der Begriff ist umfassender und schließt, wie Susannah Heschel es in ihrer Arbeit über Abraham Geiger ausführt, die Gegen-Geschichte ein. Gegendiskurse stehen auf historischem, philosophischem und theologischem Gebiet in einem latenten oder offenen Konflikt mit der Dominanzkultur und der von ihr beanspruchten Interpretationshoheit. Sie bestreiten diese nicht nur, sondern bieten zugleich ein alternatives Modell. Wie Geigers historische Arbeiten über das erste nachchristliche Jahrhundert, so zielen auch die Schriften Salomon Formstechers (1808-1889) und Samuel Hirschs (1815-1889) „nicht auf eine Christianisierung des Judentums, sondern auf eine Judaisierung des Christentums“. Beide Autoren begriffen das Judentum als eine Religion, in der bereits erreicht war, was das Christentum als seine eigene Errungenschaft pries und von ihm in die Völkerwelt getragen wird; eine Sicht, die auf die „Umkehrung des anerkannten europäischen Selbstverständnisses“ hinausläuft. [40] Mit einem Teil der christlichen Theologen wenden sie sich von einem instruktionstheoretischen Offenbarungsmodell ab, [41] verbinden diese Erkenntnis aber mit einem anderen Blick auf die jüdische Religionsgeschichte. Sie ist weder nach dem babylonischen Exil Verfallsgeschichte noch defizitärer Vorläufer des Christentums, sondern geschichtlicher Kulminationspunkt der universalen, an alle Menschen sich richtenden Offenbarung Gottes.

Der Mensch als vernünftiges Individuum hat teil am geistigen Grund der Welt und ist zugleich freier Empfänger der Offenbarung: Ihm teilt Gott die Idee des Guten als ein zu realisierendes Ideal mit, wobei für Formstecher Offenbarung keine äußerliche Einwirkung auf den Geist ist und darum auch keine Mitteilung von Sätzen, die ihm anderenfalls verborgen geblieben wären (87). Dementsprechend ist das ‘Ideal’ keine oktroyierte Maxime, sondern in der Freiheit des Geistes selbst begründet. Seine fortschreitende Realisierung, nicht aber ein Corpus von Glaubenssätzen, ist nach Formstecher Religion, die in ihrer geschichtlichen Entwicklung zu betrachten ist. Dem Judentum kommt in der Religionsgeschichte eine ausgezeichnete Bedeutung zu. Die Propheten waren die wichtigsten Träger eines Bewusstseins des Geistigen, auch wenn sie ihm auf früheren Stufen nur im Zustand der Ekstase Ausdruck verleihen konnten. Bei aller Bedingtheit und mancher Fragwürdigkeit der historischen Formen, in denen das Judentum seine Wirklichkeit hat, bleibt die Differenz zum Heidentum doch grundlegend. Das Heidentum bezeichnet bei allem Reichtum seiner Erscheinungen doch nur die Naturverfallenheit des Geistes, der um seine Bestimmung nicht weiß. Im Judentum hingegen gewinnt die Religion des Geistes Gestalt, objektiviert sich die universale Offenbarung in fortschreitend angemessener Weise. Hier ist auch der Punkt, an dem sich Formstecher vom Pantheismus absetzt. Die Naturreligion vermag selbst in ihrer höchsten Erhebung Welt und Mensch nur als Emanation des Absoluten zu denken, als organischen Hervorgang, so dass alles, was geschieht, schicksalhaft von diesem Prozess geprägt bleibt. Die Religion des Geistes hingegen ist ihrem Wesen nach ethisch und negiert die schicksalhafte Verfallenheit an Natur und Weltprozess (32f, 100-132).

Die Religion des Geistes, deren Entwicklung sich über die ganze Menschheitsgeschichte erstreckt, ist im Judentum zu sich selbst gebracht worden als Bewusstsein der Universalität und Freiheit des Geistes in historischer Partikularität. Anders als das Christentum kennt nach Formstecher das Judentum „keine religiöse Glaubenspflicht“ und „keinen Autoritätsglauben“ (10). Es ist, wie nicht wenige Autoren von Mendelssohn bis Leo Baeck betonten, eine dogmenlose Religion; ihm muss „eine jede Religionswahrheit zugleich eine Vernunftwahrheit sein“ (10). Eben darin ist es dem Christentum mit seiner komplexen, seit der Frühaufklärung verdächtig gewordenen Dogmatik überlegen und einem emphatischen Vernunftbegriff, wie er im nachkantischen Idealismus formuliert wurde, angemessener. Allerdings entstand nach dem Ende der staatlichen Selbstständigkeit seit 70 die Notwendigkeit, das einmal errungene Bewusstsein vor der Assimilation an die Umwelt zu schützen; Schranken, die in der von Vernunft, Freiheit und Universalität bestimmten bürgerlichen Ära fallen können. Die universale Dynamik des Geistes ist aber auch in der vorbürgerlichen Epoche nicht zum Stillstand gekommen. „Christenthum und Islam, diese nordische und südliche Mission des Judenthums an die heidnische Menschheit, sind die Mittel in der Hand der Vorsehung, die Naturvergötterung zu stürzen und das Menschengeschlecht bis zum Gipfelpunkt seiner Vollkommenheit zu führen.“ (411) Das Christentum hat im Zuge seiner Ausbreitung in der Völkerwelt freilich manche Konzession an das Heidentum gemacht, weil es nicht bloß äußerlich, sondern auch nach der subjektiven Seite die Welt durchdringen und angenommen sein will. Der Islam bewahrte zwar sein jüdisches Erbe reiner, breitete sich aber mit Gewalt unter den Völkern des Südens aus und negierte damit ein zentrales Element der Religion des Geistes: die menschliche Freiheit. Trotz dieser Einschränkung wirkt Formstechers Verständnis des Islam für seine Zeit überraschend frei von Vorbehalten und Vorurteilen. Schon 1833 hatte Abraham Geiger den Koran im Zusammenhang einer Rezeptionsgeschichte des Judentums interpretiert und der modernen Islamwissenschaft wichtige Anregungen gegeben. [42] Formstecher geht nicht wie Geiger historisch-kritisch vor, sondern ordnet den Islam in seine spekulative Geschichtsphilosophie ein. Christentum und Islam als jene Kräfte, welche das Heidentum zum Judentum umbilden, verhalten sich in ihren spezifischen Leistungen und Grenzen komplementär, treten aber „gegenseitig in die strengste Opposition, weil eine jede Mission doch nur das ihr angewiesene bearbeiten kann“ (411f). Die Mission des Christentums aber ist erst dann erfüllt, wenn

„es erkannt hat, daß es den Menschen erlösen soll, nicht von einem göttlich mächtigen Satan, sondern von einer dem Menschengeiste untergeordneten Naturmacht; daß es den Menschen versöhnen soll, nicht mit Gott, mit dem er wegen dessen Allgüte stets versöhnt ist, sondern mit seinem eigenen Geiste, mit dem er sich wegen seiner Naturvergötterung entzweit hat; daß diese Erlösung und diese Versöhnung im Judenthume in diesem Gegensatze längst gegeben ist, daß somit das Christenthum nur als eine Mission des Judenthums an das Heidenthum, in keiner Hinsicht aber an das Judenthum selbst, betrachtet werden muß, nur dann, wenn das Christenthum dieses erkannt hat, diese Erkenntniß lehrt und in allen Richtungen und Verhältnissen des Lebens manifestirt, nur dann hat es das heidnische Element in sich organisch zum jüdischen umgeschaffen, nur dann hat es in qualitativer Hinsicht die Aufgabe seiner Mission gelöst, ein Himmelreich auf Erden realisirt.“ (394f)

Der Begriff der Mission wird von Formstecher mit Bedacht gewählt. Nicht nur jüdische Leser dürften ihn zunächst mit der christlichen Mission, insbesondere mit der Judenmission verbunden haben, die den Rabbinern und Gemeinden zunehmend Probleme bereitete und bis heute erheblichen Konfliktstoff bietet. Hat aber das Entscheidende im Judentum längst Gestalt angenommen, ist hier – wenn auch noch in partikularer Form – die Versöhnung des Menschen mit sich selbst und seine Erlösung von der heteronomen Naturmacht (und nicht von einer Erbschuld) geschichtlich greifbar geworden, so wendet sich die christliche Judenmission an die falsche Adresse und verfehlt zudem die wahre Aufgabe des Christentums: [43] Es soll nach Formstecher das, was im Judentum Realität wurde, in die Völkerwelt tragen; insofern hat das Christentum teil an der priesterlichen Berufung Israels. Seine Mission ist also zugleich eine jüdische und universale, wobei das Christentum im Laufe dieses Prozesses eine Katharsis durchlaufen muss. Aber auch hier sollte die Bedeutung der aktiven Mission nicht überschätzt werden: Die göttliche Offenbarung erging nicht exklusiv an Judentum und Christentum, sondern an die ganze Menschheit; etwas in ihr muss also der welthistorischen Aufgabe des Judentums entgegen kommen. Der Gegensatz von Geist und Natur, Freiheit und Schicksal spielt im gesamten Weltprozess eine Rolle, muss aber ins Bewusstsein gehoben, zu seinem Ziele geführt und in einem geradezu eschatologischen Idealzustand versöhnt sein. Hier erst „lebt die Menschheit in ihrer Vollkommenheit und feiert ihren Weltfrieden“ (413).

Auch für Samuel Hirsch (1815-1889) ist der „Gedanke, daß der Mensch an sich Ebenbild Gottes, d.h. frei sey, und daß er auf Erden sey, um sich zu dem zu machen, was er an sich ist“, nicht erst mit Christus in die Welt gekommen, sondern „der Grundgedanke der ganzen jüdischen Geschichte“ (832 [44]). Insofern kann das Judentum für sich beanspruchen, im Hegelschen Sinne „absolute Religion“ zu sein und muss sich nicht von der christlichen Religionsphilosophie zu einer vorläufigen überholten Religion degradieren lassen. Nach Hegel hatte das Judentum erkannt, „daß Gott nicht ein Naturwesen, nicht das Sichtbare, Sinnliche ist“ und steht damit für den Umschlag „von der Natur zum Geist“ [45] und den entscheidenden Fortschritt über das morgenländische Bewusstsein hinaus. Für Hegel war jedoch der im Judentum repräsentierte Stand des Bewusstseins überholt worden von der christlich-germanischen Welt, eine These, die Hirsch zurückweist und zwar auch unter Rekurs auf die von christlichen Autoren wenig geschätzte rabbinische Literatur. Auf der breiten Grundlage biblischer wie rabbinischer Texte entfaltet Hirsch seine These, dass die Verwirklichung der sittlichen Idee sich bereits im Judentum vollzogen habe und das Christentum eher ein sekundäres Phänomen darstelle. „Das Ziel der Offenbarung ist allerdings (nach Jerem. 31,31-35), daß der Inhalt der Offenbarung die Gewissensstimme der Menschheit werde, daß er ins Herz geschrieben sei, sich also in ihr Blut und Fleisch verwandle…“ (480) Die Selbstmitteilung Gottes muss von den Subjekten angenommen, ihre ‚zweite Natur‘ werden können und sich in der Welt bewahrheiten. In Abraham und schließlich im Judentum und seiner Geschichte wird bewusst, wozu die Menschheit als Ganze berufen ist. Die Formulierung. dass sich die Offenbarung ‚in Blut und Fleisch’ verwandle, ist kaum zufällig gewählt. Sie erinnert an die christliche Inkarnationslehre (mit Anklängen an die Eucharistie), die von Hirsch nicht abstrakt negiert, sondern in seinem Sinne gleichsam ‚entmythologisiert‘ wird. Nicht, wie das Christentum lehrt, in einem Menschen und schon gar nicht um den Preis seines Opfers, das bei Hirsch wie die Erbsündenlehre unter dem Verdacht eines Rückfalls in das Heidentum steht, sondern im Bewusstsein und in der Praxis einer sozialen Gruppe ist der entscheidende und zugleich irreversible Stand der Entwicklung erreicht.

Welche Rolle spielen dann aber die Person Jesu und das Christentum? „Das große Verdienst Jesu besteht in Etwas, das viel mehr ist als eine Idee; es besteht in seiner großen Persönlichkeit. Daß er die Idee des Judenthums in seiner innersten Tiefe und Wahrheit gefaßt, erfüllte und verwirklichte, das war das Große an Jesu[s].“ (688) Der Gegensatz zum Judentum entwickelte sich erst mit der Paulinischen Lehre. Sowohl deren antinomistische Tendenzen als auch die von ihr in den Mittelpunkt gerückte Erbsündenlehre stehen in Widerspruch zu den Lehren des Judentums und zur menschlichen Vernunft (750, 861-864). Die Gefahr einer vorschnellen Assimilation an die Völker und eines Rückfalls in die mythische Abhängigkeit von der Natur besteht auch nach Hirsch für das Christentum. So gelangt über die Kirche nur eine depravierte Lehre in die Völkerwelt und ist das, was im Judentum erreicht wurde, nicht unverfälscht weitergegeben worden. Die weitere Geschichte kann darum nur eine fortschreitende Purgierung des Christentums sein, die Rückkehr zur Botschaft Jesu, die, anders als die Paulinische, mit dem Judentum in völliger Übereinstimmung stand und das Kommen des Gottesreichs zum Gegenstand hatte. Die absolute Religion ist zwar geschichtlich im Judentum erschienen, aber ihre vollkommene Verbreitung und reine Ausprägung in der Menschheit steht noch aus. Deren Vollendung wäre zugleich die Erfüllung der Berufung Israels und der auf die messianische Zeit bezogenen prophetischen Verheißungen. Der wahre, die ganze Menschheit umfassende Kultus des einzigen Gottes und die universale Freiheit der Menschen sind dann manifeste Realität (879ff).

Für Formstecher ebenso wie für Hirsch erhält das Christentum seine welthistorische Bedeutung vom Judentum her. Die christliche Substitutionsthese, der gemäß die Kirche das Judentum heilsgeschichtlich ablöst, ließ sich zwar nicht einfach umkehren, wohl aber konnte die vom Christentum beanspruchte Position einer „absoluten Religion“ auf das Judentum übertragen werden. Insofern es jenseits aller unerhellten Autorität und einer der Vernunft widerstrebenden Dogmatik in (noch) partikularer Gestalt die universale Wahrheit für jedes vernünftige Wesen einsehbar entfaltet, ist es in den Kategorien von Freiheit, Sittlichkeit und Fortschritt rekonstruierbar. Es gibt also keinen Grund, der jüdischen Religion die volle Anerkennung und den Juden die bürgerliche Gleichberechtigung länger zu verweigern. Entsprechend fordert Hirsch – wie vor ihm schon Saul Ascher [46] –, dass der Staat „unsere Religion nicht länger dulde, sondern anerkenne“ (VI). Dies ist kaum von einem Staat zu erwarten, der sich entweder noch im Sinne der Restauration nach 1815 als ein christlicher definiert oder nach dem Willen deutschtümelnder Romantiker „Deutschheit und Christentum“ miteinander „verquickt“. [47] Was hier im Vorfeld der Revolution von 1848 gefordert wird, ist eine säkulare und pluralistische Gesellschaft, der einzig ein weltanschaulich neutraler, demokratischer Staat entsprechen kann. Das Judentum ist von seinen eigenen religiösen und kulturellen Überlieferungen her für eine solche Transformation der traditionellen Gesellschaft in eine moderne vorbereitet – besser sogar als das Christentum, das nur widerstrebend von alten Vorurteilen und seiner privilegierten Stellung Abschied nimmt. Mehr noch: „Die Juden haben Vieles, ja, sagen wir kühn, das Meiste beigetragen zur Gestaltung des jetzigen Weltbewusstseins, obgleich dieses Moment von Seiten der Christen immer mit Stillschweigen übergangen wird.“ (876)

Aber welches Judentum meinten Judaistik, Religionsphilosophie und Reform im 19. Jahrhundert? Auch die kühne Umkehrung des bisherigen religionsphilosophischen Diskurses bleibt noch dem idealistischen Paradigma der Gegner verhaftet und trägt die problematische Antithese von Natur und Geist, Sinnlichkeit und Verstand in die biblische und rabbinische Literatur hinein. Entsprechend wird für das Judentum vorschnell die fortschreitende Vergeistigung des religiösen Bewusstseins reklamiert; [48] ein Problem, das Susannah Heschels verdienstvolle Arbeit leider nicht analysiert. Zionismus und Reconstructionist Judaism in Amerika sind auch als kritische Antworten auf die Spiritualisierung des Judentums im 19. Jahrhundert zu verstehen. „Reformism” merkt Mordecai Kaplan 1934 kritisch an, „has etherealized Israel, the nation into Israel, the religious community, it has sublimated the Torah, the all-embracing system of concrete guidance, into Torah, the vague abstraction known as moral law“. [49] Im Grunde sei die Reformbewegung am protestantischen Begriff der Religion orientiert, d.h. Religion werde zwar nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie als eine verinnerlichte, rein spirituelle Größe gesehen, während das Judentum, darin strukturell dem Katholizismus verwandt, als civilization die Gesamtheit auch des ‚äußeren Lebens‘ umfasse. Entsprechend ihrer mehr spiritualisierenden Auffassung des Judentums könne die Reform auch nur einen bestimmten Teil der jüdischen Bevölkerung erreichen, sie bleibt „confined to one stratum of society – the so called upper middle class“. Eine Neuorientierung der Reform, die auch eine Hinwendung zu den Problemen sozialer Gerechtigkeit und eine Auseinandersetzung mit dem Zionismus umfasste, setzte in Amerika erst seit den zwanziger Jahren ein und gewann nach dem Zweiten Weltkrieg deutliche Konturen. [50]


Steinheims anti-idealistischer Gegendiskurs

Die erste nicht-orthodoxe Alternative zur idealistischen Religionsphilosophie bildete Salomon Ludwig Steinheims (1789-1866) umfangreiches Werk Die Offenbarung nach dem Lehrbegriffe der Synagoge, das zwischen 1835 und 1865 in vier Bänden erschien. Es begleitete kritisch die in dieser Zeit publizierten religionsphilosophischen Modelle Formstechers und Hirschs, die versuchten, „unseren Glauben zu philosophiren“ und so die Offenbarung der Philosophie ein- oder unterzuordnen (II, 36 [51]). Dagegen ist nach Steinheim, dem es an polemischer Energie nicht mangelte, daran festzuhalten, dass die Mitteilung Gottes nicht als die Bestätigung, sondern als die „Correctur unseres geistigen Lebens“ zu begreifen ist (II, 206). Wenn Gott uns etwas Neues mitteilen will und nicht bloß bestätigt, „was er schon ursprünglich in unseren Geist gelegt hat“, so besteht „das Schiboleth einer göttlichen Offenbarung“ gerade darin, „dass sie nicht mit unserm religiösen Bewusstsein übereinstimme, sondern solche Lehren und Gebote enthalte, die diesem theils fremd sind, theils sogar widersprechen“ (I, 10f). Gegen die nachkantische Religionsphilosophie Hegels und Schellings macht Steinheim die Ergebnisse der Kantischen Antinomienlehre geltend: In den Fragen nach der Existenz Gottes und dem Ursprung der Welt, der menschlichen Freiheit und der Unsterblichkeit der Seele gelangt die Vernunft über Widersprüche nicht hinaus, da sie die Grenzen der Erfahrung, auf die sie verwiesen ist, überschreitet (II, 45ff). Weder die verabsolutierte Vernunft Hegels noch das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit im Sinne Schleiermachers sind mithin für die Grundlegung und Entfaltung des Offenbarungsbegriffs von Bedeutung. Die Frage nach einer subjektiven Disposition für den Empfang von Offenbarung ist hier im Ansatz abgewiesen. Die Offenbarung erhält ihre Überzeugungskraft nicht durch ihre Kompatibilität mit dem jeweiligen Stand der Vernunft, sondern aus ihrer inneren Stimmigkeit: sie bietet sich in „vollkommener Evidenz“ dar (I, 11 u. 95).

Was die Bewertung des Christentums angeht, so unterscheidet sich Steinheim nicht grundsätzlich von seinen Antipoden: Während die Verkündigung Jesu vom Gottesreich und die Urgemeinde sich vom Judentum nicht entfernen, öffnet sich die Mission des Paulus seiner heidnischen 'Zielgruppe’ auf bedenkliche Weise. Die Assimilation an das Heidentum dokumentiert sich in der Paulinischen Literatur und im Johannesevangelium, das stark von der alexandrinischen Schule geprägt ist (III, 63-76). Zum Heidenchristentum gehört nicht nur die Öffnung zu Mythos und Philosophie, sondern auch der antinomistische und antijüdische Affekt, von dem noch die moderne christliche Theologie beherrscht ist. In seiner temperamentvollen Auseinandersetzung mit Friedrich Schleiermacher, dem er Markionismus vorwirft, legt Steinheim dies ausführlicher dar (I, 183-201).

Bedeutsamer als Steinheims Verständnis des Christentums ist seine Kritik der zentripetalen Tendenzen des idealistischen Vernunftbegriffs und der von ihm konstituierten Totalität. In Hegels Philosophie triumphiert zum letzten Male der christliche Überlegenheitsanspruch – freilich um einen hohen Preis: Die idealistische Identifizierung von Vernunft und Wirklichkeit, Offenbarung und Geschichte mediatisiert das Wort Gottes vollständig in den Prozess der sich selbst entfaltenden Vernunft und absorbiert damit das Widerständige, Nichtidentische der Offenbarung. Diesem totalitären Vernunftbegriff muss die prinzipiell unableitbare Mitteilung Gottes, wie Steinheim selbst schrieb, als „ein Meteorstein“ erscheinen (II, 39f); ein impact aus fremden Regionen des Kosmos. Was sich im Werk Steinheims – nur wenige Jahre nach Hegels Tod – vorbereitet, ist eine neue Ordnung des religionsphilosophischen Diskurses (Modell 3), freilich in der problematischen Form einer phänomenologischen Immunisierung des Offenbarungsbegriffs. Das Werk dieses ‚jüdischen Tertullian’ (Max Wiener) fand im 19. Jahrhundert wenig Anerkennung und wurde erst von Hans-Joachim Schoeps im 20. Jahrhundert zu Ehren gebracht. [52] Der jede philosophisch vermittelte Begründung ablehnende Supranaturalismus Steinheims, der strukturell manche Parallele zum Offenbarungsbegriff Karl Barths, aber auch zur theologischen Ästhetik Hans Urs von Balthasars aufweist, war mit dem Interesse der Reform kaum vereinbar und provozierte den Verdacht des Irrationalismus. Zudem steht der Titel des Werks – einmal vorausgesetzt, es gebe den Lehrbegriff der Synagoge – in einem merkwürdigen Widerspruch zu dem Befund, dass Belegstellen aus der rabbinischen Literatur rar sind. Die kühnen Diskurse der Rabbinen, die an den fixierten Wortlaut der Schrift, wie Geiger zeigte, keineswegs sklavisch gebunden sind, dürften sich mit Steinheims Offenbarungspositivismus nur schwer vereinbaren lassen. Im Prozess der Tradition entfaltet sich das subjektive, spontane Moment, das Steinheim aus dem Offenbarungsbegriff zu eskamotieren versuchte und ohne das es eine menschliche Rezeption der Selbstmitteilung Gottes, die sie fortschreibt und immer neue Aspekte an ihr aufdeckt, nicht gibt.


Ein „Schrei ins Leere“?

Sowohl die Thesen Geigers, als auch diejenigen Formstechers, Hirschs und Steinheims mussten auf die zeitgenössische christliche Theologie provozierend wirken, wurden doch die Grundlagen des bisherigen christlichen Selbstverständnisses und die mit ihm zusammenhängende Konstruktion des Judentums infrage gestellt. Zu erwarten wäre eine breite Kontroverse – aber sie blieb aus. Geigers Ausführungen zur Gestalt Jesu und zum Frühjudentum wurden von protestantischen und katholischen Theologen nur vereinzelt rezipiert und stießen meist auf Ablehnung. Aber auch David Friedrich Strauß und Ernest Renan, die beanspruchten, ihr Jesusbild frei von allen dogmatischen Vorgaben zu entwickeln, kommen über den konstruierten Gegensatz zwischen der Lehre Jesu und dem Judentum seiner Zeit nicht hinaus. Renan, der Geiger wohlwollend im Vorwort zu seinem Leben Jesu erwähnt, bleibt in seinem „Urtheil über den Pharisäismus hart und ungerecht, und je weiter er in die Geschichte kommt, je mehr er das Bedürfniß fühlt, seinem des Wunderbaren entkleideten, ja in sich schwankenden und unklaren Stifter des Christenthums zum Halbgotte zu erheben, um so tiefer sucht er das Judenthum hinabzudrücken“. [53] Geiger durchschaute Renans Jesus als Projektion des spätromantischen Geniekults – freilich ohne einen positiven Widerhall selbst bei Renans Kritikern zu finden.

Wissenschaft des Judentums und jüdische Religionsphilosophie führten noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein unfreiwilliges Selbstgespräch. Auch hier ist Scholems Rede vom „Schrei ins Leere“ kaum übertrieben. [54]Weder christliche Bibelwissenschaftler noch Kirchenhistoriker gingen auf jüdische Autoren ausführlich ein oder sahen sich durch deren Befunde zu Korrekturen ihrer eigenen Urteile genötigt. Die Darstellung der Gestalt Jesu und der frühjüdischen (in damaliger Terminologie: spätjüdischen) Gruppen, insbesondere der Pharisäer etwa in Harnacks Wesen des Christentums (1. Aufl. 1900), belegt dies deutlich. Was hier frappiert, ist nicht allein das längst bekannte Urteil über das Frühjudentum, sondern mehr noch die Beharrlichkeit, mit der Einwände jüdischer Forscher ignoriert wurden. Dass in Harnacks Vorlesungen der Apologet über den Historiker siegt, entging Rezensenten wie Leo Baeck und Josef Eschelbacher nicht. Wie seine Ausführungen über die Pharisäer nur ein gängiges Vorurteil wissenschaftlich drapieren, so ist auch die Darstellung Jesu weit entfernt von einem wissenschaftlich begründeten Urteil. [55] In Harnacks Ausführungen, so Josef Eschelbacher, „wird uns Jesus wie ein Meteorstein vorgeführt, der vom Himmel gefallen ist, zufällig gerade unter den Juden, als ein Geist, der souverän über ihren geistigen Besitz schaltet und die geschichtlich gegebenen Verhältnisse verwerthet, aber unendlich hoch darüber steht“. [56] Es fällt die von Steinheim bekannte Metapher des Meteorsteins auf; sie bezeichnet hier aber nicht die Offenbarung, sondern die völlige Dekontextualisierung der Person Jesu. Während Harnack beansprucht, hinter der Christologie die historische Gestalt Jesu sichtbar werden zu lassen, löst er sie aus seinen frühjüdischen Zusammenhängen. Schroff kontrastiert er die von allen innerweltlichen Bezügen gereinigte Verkündigung des Gottesreiches und die Botschaft der Liebe dem Pharisäismus. Wo der Historiker Harnack nicht umhinkommt, bei Jesus und der Urgemeinde jüdische Traditionen festzustellen, war es für den Apologeten Harnack das besondere Verdienst des Paulus, die Idee des Gottesreiches von allen jüdischen „Schalen“ gründlich zu befreien und in eine universale Religion zu verwandeln. [57] Auch Leo Baecks Resumé ist bei allem Respekt vor der wissenschaftlichen Reputation Harnacks wenig schmeichelhaft:

„Nicht die Vergangenheit wird so vor uns hingestellt, sondern nur die Projection eines vorher gefassten Bildes in die Vergangenheit hinein. … Es ist Herrn Harnacks religiöses Bekenntnis, das uns dargestellt wird, und jedermann wird ihn dessenthalben achten. Aber deshalb Herrn Harnacks Religion auch für die Religion Jesu erklären zu wollen, das ist geschichtlich jedenfalls nicht.“ [58]

Leo Baeck begnügte sich nicht mit der Rezension; sein 1905 erstmals publiziertes Buch Das Wesen des Judentums ist auch als eine ausführliche Antwort auf Harnacks Wesen des Christentums zu verstehen. Harnack hat es wohl nie gelesen, man fand es später unaufgeschnitten in seiner Bibliothek. [59] Allerdings ist aus heutiger Perspektive die im 19. Jahrhundert vielfach gestellte Frage nach dem Wesen des Christentums oder des Judentums problematisch. Sie legt, was in der Geschichte auf unterschiedliche Weise Gestalt gewann, auf eine zeitlose Identität fest. „What it meant to be a Jew in biblical Canaan, Hellenistic Alexandria, sixteenth-century Poland, or nineteenth-century Marocco”, konstatiert David Biale, “was certainly not the same as what it is today, nor were the questions we pose necessarily their questions.” [60]

Erst in den zwanziger Jahren kam es zu einer sehr vorsichtigen Annäherung zwischen (protestantischer) Bibelwissenschaft und Wissenschaft des Judentums. In der zweiten Auflage der RGG übertrug der Herausgeber Hermann Gunkel Artikel über das nachbiblische Judentum an jüdische Wissenschaftler wie Leo Baeck, Ismar Elbogen und Julius Guttmann, die alle an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin lehrten. Der Alttestamentler Hugo Greßmann hatte die von ihm herausgegebene Sammlung Entwicklungsstufen der jüdischen Religion (1927) auch als Selbstdarstellung des Judentums verstanden. [61] Darum sollten vor allem jüdische Gelehrte mitwirken, die einen anderen Zugang zur Thematik hätten als christliche. Im gleichen Jahr erschien ein Sonderheft der Zeitschrift Der Jude zum Thema Judentum und Christentum. Neben Max Wiener, Max Dienemann und Nathan Birnbaum verfasste auch der evangelische Neutestamentler Martin Dibelius einen Beitrag zu diesem Heft. Aber die christlichen Gesprächspartner waren rar, und die bescheidenen Anfänge fanden in Deutschland nach 1933 ein abruptes Ende, wie nicht nur Gerhard Kittels Buch Die Judenfrage, sondern auch die 'Arisierung’ der Gestalt Jesu durch Walter Grundmann deutlich belegen. [62]

Was die jüdische Religionsphilosophie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrifft, so blieb sie außerhalb des Judentums wirkungslos und auch heute ist sie nur Judaisten und Philosophiehistorikern näher bekannt. Schon die antike und mittelalterliche Geschichte der jüdischen Philosophie wurde, wie die Untersuchung von Esther Seidel zeigte, in der nichtjüdischen Philosophiegeschichtsschreibung nur knapp und oberflächlich abgehandelt. [63] Ausnahmen bilden lediglich die katholischen Mediävisten Clemens Bäumker, der eine kritische Ausgabe von Salomon ibn Gabirols Fons vitae erstellte und Etienne Gilson. Beide rezipierten die wichtigen Forschungen von Salomon Munk, Manuel Joël und Jacob Guttmann. Aber auch innerjüdisch erhielt die Religionsphilosophie von Hirsch und Formstecher nur eine schwache Resonanz. [64] Autoren der historisch arbeitenden Wissenschaft des Judentums waren die Modelle der an Schelling und Hegel orientierten spekulativen Religionsphilosophie suspekt; allzu schematisch ordneten sie den historischen Stoff ihren philosophischen Konstrukten ein. Die zunehmende Distanz der deutschen Universitätsphilosophie von Hegel, der mit seinem Namen verbundene Pantheismusverdacht der Restauration nach 1848 und der Aufstieg des Neukantianismus seit Otto Liebmann, Friedrich Albert Lange und dessen Schüler, Hermann Cohen, ließen die Theorien Formstechers und Hirschs bald schon als veraltet erscheinen. Cohens Abhandlung Der Begriff der Religion im System der Philosophie (1915) und sein postum erschienenes religionsphilosophisches Hauptwerk Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums (1. Aufl. 1919 / 2. Aufl. 1929) verstehen sich denn auch keineswegs als Fortsetzung der Überlegungen Formstechers und Hirschs.


Ausblick: Eine neue Ordnung des Diskurses

Die epochale Krise und das Ende des langen 19. Jahrhunderts wird durch den Ersten Weltkrieg markiert. Die schon vor dem Krieg von Vertretern der jüngeren Generation artikulierten Zweifel an dem von weiten Teilen des Reformjudentums vertretenen Fortschrittsoptimismus [65] und an der Fähigkeit der bürgerlichen Gesellschaft, ihre Versprechen einzulösen, findet im Untergang der alten Strukturen seine Bestätigung. Cohens späte Religionsphilosophie steht an der Grenze zu einer neuen Zeit: Sein Modell einer gott-menschlichen Korrelation ebenso wie seine tiefe Skepsis gegenüber einer spekulativ entfalteten Totalität im Hegelschen Sinne, die „ein Fallstrick“ und „eine tiefe Gefahr der reinen Ethik, für den Radikalismus ihrer Prinzipien und ihrer Tendenzen“ ist, [66] antizipieren Elemente der Dialog- und Alteritätsphilosophie. Demgegenüber bleibt die erkenntnistheoretische Reduzierung des Mannigfaltigen auf die subjektive Spontaneität dem transzendentalen Idealismus verhaftet. Aber auch Cohens Hoffnung, dem Judentum einen selbstverständlichen Ort in der europäischen Kultur zu erobern, ohne sich selbst preiszugeben, erfüllte sich nicht. Cohen erschien nicht nur aus zionistischer Sicht als respektheischender Zeuge eines vergangenen Zeitalters. „Indem wir an der Bahre des Juden Hermann Cohen stehen“, schrieb Jakob Klatzkin in seinem Nachruf, „stehen wir an der Bahre eines ganzen Zeitalters.“ [67]

Einen anderen Weg beschritt Franz Rosenzweig, der der zionistischen Idee gegenüber reserviert blieb. Sein Bruch mit der identitätsphilosophischen Erbschaft „von Jonien bis Jena“, die auch das religionsphilosophische Denken von Mendelssohn bis Cohen bestimmte, gelangt im Stern der Erlösung zu verbindlichem Ausdruck. [68] Dem Volk Israel (nicht dem Individuum) nach 70 attestiert Rosenzweig eine geradezu liturgische Existenz: Anders als das Christentum ist es schon ‚beim Vater’ und „blickt starr über Welt und Geschichte hinüber auf jenen letzten fernsten Punkt, wo dieser sein Vater …der eine und Einzige – ‚Alles in Allem’! – sein wird.“ [69] für die in der Kirche verbundenen Völker hingegen ist Christus der Weg durch die Geschichte. Rosenzweigs Verhältnisbestimmung von Christentum und Judentum als „Arbeiter am gleichen Werk“ [70] ist gegenüber Formstecher und Hirsch keineswegs originell. Die angebliche Geschichtslosigkeit des Judentums, das im Stande der antizipierten Erlösung existiert, ist mindestens ebenso problematisch wie die geschichtsphilosophischen Konstruktionen des 19. Jahrhunderts. Demgegenüber bahnt seine antiidealistisch pointierte Philosophie eine neue Ordnung des Diskurses an, die sich jedem metaphysischen und erkenntnistheoretischen Reduktionismus widersetzt. Gegen die identitätsphilosophische „Zurückführung oder ‚Begründung’ der Welt- und Gotteserfahrung auf das Ich“ hält Rosenzweig an der Irreduzibilität der drei Größen Gott, Mensch und Welt fest, und nimmt den Vorwurf des Dogmatismus in Kauf. [71] Dieses – auch den Schöpfungs- und Offenbarungsbegriff streng relational bestimmende – ‚neue Denken’ bildet die von Formstecher, Hirsch und Cohen differierende Grundlage des Sterns der Erlösung.

Die Wissenschaft des Judentums erfuhr durch die Forschungsarbeit Gershom Scholems neue Impulse. Seine Studien erschlossen die messianisch-apokalyptischen Traditionen und vor allem die Kabbala neu, die der frühen Judaistik suspekt war. Obwohl Scholem mit Polemik gegen Geiger nicht sparte, war auch für ihn die historische Arbeit kein Selbstzweck, sondern ebenfalls mit der Erwartung einer Erneuerung des Judentums verbunden. Die „harte und strenge Arbeit der Erkenntnis“ heißt es 1921 (und Geiger hätte hier kaum widersprochen), „ist allein das Medium, durch das hindurch die Trümmer unseres heiligen Besitzes zu neuem Leben erweckt und umgestaltet werden können“. [72] Die historische Arbeit aber sollte im Wortsinne ihren Ort wechseln: weg von den apologetischen Zwängen in einer dem Judentum wenig freundlich gesonnenen Mehrheitskultur in das Zentrum der jüdischen Erneuerung, nach Eretz Jisrael. Scholem hoffte, dass von der historischen Forschung erschlossene bislang unbekannte oder verschüttete Traditionen zu einem neuen, anderen Leben erwachten und die Gestalt der Überlieferung veränderten. Die notwendig desillusionierende, aufklärende Seite der historischen Kritik enthält also zugleich ein im Benjaminischen Sinne rettendes Moment. Nicht Repristination (orthodox), sondern Transformation der Überlieferung und des Judentums war das Ziel. Aber die Auslöschung der europäischen Diaspora zwischen 1939 und 1945 wirkte (und wirkt bis heute) auch traumatisch auf das Zentrum der angestrebten Erneuerung. Den Raum, in den sie hätte hineinwirken können, wie Scholem und vor ihm Achad Ha’am hofften [73], gab es nicht mehr, und die selbstbewusste amerikanische Diaspora, die einst wichtige Impulse von Europa empfangen hatte, wurde von Scholem unterschätzt.

Während in Deutschland nach der Shoah, vor allem aber seit dem II. Vatikanischen Konzil in der christlichen Theologie sich eine grundlegende Änderung des Diskurses abzuzeichnen begann, fehlte eine größere Zahl jüdischer Gesprächspartner. Sie standen rund 150 Jahre zur Verfügung und warteten darauf, gehört zu werden, ohne auf ein genuines Interesse auf christlicher Seite zu stoßen. Was zwischen 1783, als Mendelssohns Jerusalem erschien, bis zur Schließung der 1872 gegründeten Hochschule für die Wissenschaft des Judentums im Jahr 1942 aufgebaut worden war, existierte in Europa nicht mehr; die Zentren der Judaistik hatten sich in die Vereinigten Staaten und nach Israel verlagert. Die zunächst zaghaft und unter Vorbehalt in Deutschland entstehenden jüdischen Einrichtungen waren nicht die Fortsetzung einer vorübergehend unterbrochenen Kontinuität, sondern etwas Neues. Heute, da die unterschiedlichen Richtungen des Judentums in Europa wieder deutlicher Gestalt annehmen, neue Ausbildungsstätten für RabbinerInnen und Forschungszentren für Judaistik ihre Arbeit aufnehmen, kommt auch die stupende Forschungsarbeit der frühen Judaistik und Religionsphilosophie wieder in den Blick – zum Teil, wie nicht nur die Arbeit von Susanah Heschel belegt, als ‚Reimport’ aus dem angelsächsischen Raum. Diese Entwicklung sollte an der christlichen Theologie nicht spurlos vorübergehen. Die Beschäftigung mit jüdischen Autoren im ‚langen 19. Jahrhundert’ (E. Hobsbawm) zeigt, dass man den christlichen Überlegenheitsanspruch nachdrücklich mit guten Argumenten zurückwies und das Judentum sich keineswegs mit einer passiven Rolle innerhalb der Mehrheits- oder Leitkultur begnügte. Inzwischen haben die religionsphilosophischen und -theologischen ‚Großerzählungen’, die souverän den übrigen Religionen ihren Platz in der Welt- und Offenbarungsgeschichte zuweisen, ihre Plausibilität verloren. Fragen nach einer ‚absoluten Religion’ (Hegel, Formstecher, Hirsch) oder einem zeitlosen Wesen von Judentum und Christentum (Harnack, Baeck) erweisen sich als unbeantwortbar, weil sie von den historischen Besonderheiten abstrahieren und jenem Reduktionismus verfallen, den Rosenzweig kritisierte.

Zudem hat sich der Stand historischer Forschung verändert: Sprach etwa Kaufmann Kohler in seinem Grundriss noch ganz im Sinne der frühen Judaistik von Christentum und Islam als „Tochterreligionen“, so weisen die neueren Studien von Jacob Neusner über Israel Yuval bis Peter Schäfer in eine andere Richtung: rabbinisches Judentum und Christentum sind (rivalisierende) Geschwisterreligionen. [74] Sie gewannen ihr spezifisches Profil nicht unabhängig voneinander. War Abraham Geigers Rekonstruktion des Urchristentums als frühjüdische messianische Bewegung und seine Situierung der Person Jesu im Kontext des Pharisäismus für die christliche Theologie eine Provokation, so wurde umgekehrt von jüdischen Religionshistorikern bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ein christlicher Einfluss auf das rabbinische Judentum und dessen weitere Geschichte bis in Mittelalter und Neuzeit kaum ernsthaft erwogen. Die jüdische Geschichte schien das Ergebnis eines schöpferischen ‚Volksgeistes’ zu sein, und so bedurfte es nicht des Rekurses auf außerjüdische Quellen. Auf jüdischer wie christlicher Seite war das, was der amerikanische Literaturwissenschaftler Harold Bloom „the anxiety of influence“ nennt, sehr ausgeprägt. „’Influence’ is a metaphor, one that implicates a matrix of relationships – imagistic, temporal, spiritual, psychological – all of them ultimately defensive in their nature. What matters most ... is that the anxiety of influence comes out of a complex act of strong misreading, a creative interpretation that I call ‘poetic misprision’.“ [75] Damit ist nicht jede Willkür der Interpretation gerechtfertigt, “but correct readings are not possible if a literary work is sublime enough. A correct reading merely would repeat the text, while asserting that it speaks for itself. It does not.“ [76] Peter Schäfer hat mit Recht darauf hingewiesen, dass Blooms “dynamische Interpretation des Einflusses weit über die Grenzen der poetischen Theorie hinaus von Bedeutung ist” [77]. Die Rezeption der Bibel (AT und TaNakh) in Christentum und rabbinischem Judentum ebenso wie die gegenseitige literarische Beeinflussung beider religiöser Gruppen in der formativen Phase und in späteren Jahrhunderten gehören möglicherweise zu den ‚strong misreadings’ im Sinne Blooms. Diese Überlegungen könnten sich auch für eine komparative Theologie der Religionen, die auf generalisierende Erklärungen und vorschnelle Apologetik verzichtet, als fruchtbar erweisen und eine größere Freiheit zum Objekt gewährleisten. So kommen die wechselseitigen Einflüsse, die historischen Entstehungsbedingungen und unterschiedlichen Ausprägungen von Traditionen in den Blick, können auch als problematisch empfundene Tendenzen ebenso wie die konservativen und explosiven Gehalte der Überlieferungen wahrgenommen, verglichen und beurteilt werden.[78] Dies bedeutet aber auch die Verflüssigung von scheinbar statischen religiösen und kulturellen Identitäten; ein Prozess, der noch manche Irritationen und Überraschungen bereit halten dürfte, wenn er nicht ängstlich zensiert oder abgebrochen wird.

Am Ende bleibt noch eine eher unakademische Frage: Wie wird wohl ein Christentum beschaffen sein, welches nach vielen Jahrhunderten endlich sans rancune auf ein Judentum blickt, das nach wie vor den christlichen Jubel dämpft, indem es auf die Unerlöstheit der Geschichte deutet, die Lesart des Alten Testaments auf Christus hin bestenfalls ‚as an act of strong misreading’ bewertet und an verdrängte christliche Zweifel erinnert? Die Antwort auf diese Frage steht auch 50 Jahre nach Beginn des II. Vatikanischen Konzils noch aus und kann nicht allein von der Theologie gegeben werden.




[1] Abraham Geiger, Der Kampf christlicher Theologen gegen die bürgerliche Gleichstellung der Juden, in: Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie (WZjTh), 1 (1835), S. 52-67, 340-357; 2 (1836), S. 78-92, 446-473, hier: 1 (1835), S. 52.
[2] Vgl. Peter Pulzer, Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschaland und Österreich 1867-1914 (Neuausgabe), Göttingen 2004, S. 92-94, 261-287; Thomas Brechenmacher, Der Vatikan und die Juden. Geschichte einer unheiligen Beziehung, München 2005, S. 91-142; Olaf Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1997; Shulamit Volkov, Antisemitismus als kultureller Code. Zehn Essays, München 2000, S. 13-36; Der Berliner Antisemitismusstreit. Hrsg. von Walter Boehlich, Frankfurt/M 1965.
[3] Wilhelm von Humboldt, Über den Entwurf zu einer neuen Konstitution über die Juden, in: ders., Werke in fünf Bänden, hrsg. von Andreas Flitner und Klaus Giel, Band IV, Darmstadt 31982, S. 95-112, hier: S. 104.
[4] Vgl. hierzu Marion Kaplan, Jüdisches Bürgertum. Frau Familie und Identität im Kaiserreich. Übersetzt von Ingrid Strobl, Hamburg 1997, S. 24-28.
[5] Gershom Scholem, Von Berlin nach Jerusalem. Erweiterte Fassung, übers. von Michael Brocke und Andrea Schatz, Frankfurt/M. 1994, S. 31; vgl. auch die Studie von Deborah Hertz, How Jews Became Germans. The History of Conversions and Assimilation in Berlin, New Haven-London 2007.
[6] Moses Hess, Rom und Jerusalem, die letzte Nationalitätsfrage, in: ders., Ausgewählte Schriften, Köln 1962, S. 221-329, hier: S. 244; zu Hess vgl. Shlomo Avineri, Moses Hess. Prophet of Communism and Zionism, New York 1987; David Biale, Not in the Heavens. The Tradition of Jewish Secular Thought, Princeton-Oxford, 2011, S. 104-110.
[7] Samson Raphael Hirsch (Ben Usiel), 19 Briefe über Judentum (1836), Neudruck Zürich 1987, S. 92; kritisch dazu Abraham Geiger, Recension Neunzehn Briefe über Judenthum, in: Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 3 (1837), S. 74-91; vgl. auch Mordechai Breuer, Jüdische Orthodoxie im Deutschen Reich 1871-1918, Frankfurt/M. 1986, S. 160-170.
[8] Samson Raphael Hirsch, Der Jude und seine Zeit, in: Jeschurun 1 (1854/55), S. 14-25, hier: S. 24.
[9] Samson Raphael Hirsch, חורב – Versuche über Jissroels Pflichten in der Zerstreuung, Frankfurt/M. 4. Aufl. 1909, S. 19, § 34; vgl. auch Leora Batnitzky, How Judaism Became a Religion. An Introduction to Modern Jewish Thought, Princeton-Oxford 2011, S. 40-43.
[10] Vgl. Hertz, How Jews Became Germans (Anm. 5), S. 191f.
[11] Beide Zitate: Gershom Scholem, Wissenschaft vom Judentum einst und jetzt (1959), in: ders., Judaica 1, Frankfurt/M. 1963, S. 147-164. hier: S. 153 und 149; vgl. auch ders., Judaica 6. Übersetzt von Peter Schäfer, Frankfurt/M. 1997, S. 7-52.
[12] Vgl. Peter Schäfer, Gershom Scholem und das Christentum, in: Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hrsg.), Christliche Kabbala (Pforzheimer Reuchlinschriften, Band 10), Ostfildern 2003, S. 257-274; René Buchholz, „Der abscheuliche Geruch der Innerlichkeit“. Zu Gershom Scholems Verständnis des Christentums, in: Reinhold Boschki / Albert Gerhards (Hrsg.), Erinnerungskultur in der pluralen Gesellschaft, Paderborn u.a. 2010, S. 333-346.
[13] Scholem, Wissenschaft vom Judentum (Anm. 11), S. 155f, der hier Moritz Steinschneider zitiert.
[14] Abraham Geiger, Urschrift und Uebersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der innern Entwickelung des Judenthums, Breslau 1857, IV, vgl. auch ders., n GKritische Behandlung der biblischen Schriften namentlich ihres historischen Theiles, in: Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 7 (1869), S. 96-111. – Der ‚aufgelockerte Boden der Geschichte‘ war auch wichtig für die Reform des Gottesdienstes, vgl. Abraham Geiger, Grundzüge zu einem neueebetbuche, in: ders., Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Band 1, Berlin 1875, S. 203-246.
[15] Heinrich Graetz, Die Construction der jüdischen Geschichte, in: Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judenthums 3 (1846), S. 81-97, 121-132, 361-381, 413-421. hier: S. 361 = Neudruck, hrsg. von Nils Römer, Düsseldorf 2000, 42. Zu Graetz vgl. auch Marcus Pyka, Jüdische Identität bei Heinrich Graetz, Göttingen 2008.
[16] Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799) hrsg. von Rudolf Otto, Göttingen 82002, S. 191. Zu den politischen Implikationen von Schleiermachers antijüdischen Stellungnahmen vgl. Batnitzky, How Judaism Became a Religion (Anm. 9), S. 25-27.
[17] Abraham Geiger, Christliche Gelehrsamkeit in Beziehung auf Judenthum, in: Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 2 (1863), S. 292-297, hier: S. 296f.
[18] Geiger, Der Kampf christlicher Theologen (Anm. 1), 1 (1835), S. 343.
[19] Ebd., 61; vgl. auch ebd., S. 349 und ders., Christliche Gelehrsamkeit in Beziehung auf Judenthum (Anm. 17), S. 293-295.
[20] Vgl. Abraham Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte in zwölf Vorlesungen, Breslau 1864, S. 74-102. hier: S. 99.
[21] Geiger, Recension Neunzehn Briefe (Anm. 7), S. 77.
[22] Geiger, Urschrift und Uebersetzungen (Anm. 14), S. 19.
[23] Abraham Geiger, Ansprache an meine Gemeinde, in: ders., Nachgelassene Schriften, Band I (Anm. 14), S. 52-112, hier: S. 91.
[24] Zu den Konflikten mit der Orthodoxie in Breslau vgl. Ludwig Geiger u.a., Abraham Geiger. Leben und Werk, Berlin 1910 (Nachdruck Berlin 2001), S. 50-95; Cäsar Seligmann, Geschichte der jüdischen Reformbewegung von Mendelssohn bis zur Gegenwart, Frankfurt/M. 1922, S. 99-104; Hartmut Bomhoff, Abraham Geiger. Durch Wissen zum Glauben, Teetz-Berlin 2006, S. 17-21. Zu Geigers Verständnis des Judentums vgl. Batnitzky, How Judaism Became a Religion (Anm. 9), S. 36-40.
[25] Vgl. Geiger, Urschrift und Uebersetzungen der Bibel (Anm. 14) S. 100ff und ders., Das Judenthum und seine Geschichte, (Anm. 20), S. 85-102.
[26] Geiger, Ansprache an meine Gemeinde (Anm. 23), S. 93 = ders., Der Kampf christlicher Theologen (Anm. 1), 1 (1835), S. 349; vgl. auch Ludwig Geiger, Abraham Geiger (Anm. 24), 79ff. Zu Geigers Traditionsbegriff: Johannes Sabel, Die Geburt der Literatur aus der Aggada. Formationen eines deutsch-jüdischen Literaturparadigmas (Schriftenreihe wissenschaftliche Abhandlungen des Leo Baeck Instituts, Band 74), Tübingen 2010, S. 114-118.
[27] Abraham Geiger, Alte Romantik, neue Reaction, in: Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 1 (1862), S. 245-252, hier: S. 251f.
[28] Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte (Anm. 20), S. 71-73, hier: S. 71.
[29] Abraham Geiger, Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie, in: ders., Nachgelassene Schriften, hrsg. von Ludwig Geiger, Band II, Berlin 1875, S. 1-32, hier: S. 6. Es war dieser dynamische Begriff von Offenbarung, Tradition und Judentum, der Geiger einen Ausweg aus jener Krise bahnte, die sich im Briefwechsel mit Joseph Dérenbourg niedergeschlagen hat: vgl. Abraham Geiger / Joseph Dérenbourg, Briefwechsel, hrsg. von Ludwig Geiger, in: Allgemeine Zeitung des Judenthums 60 (1896), Hefte 6-12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 27, 29, 31, 32; siehe auch L. Geiger, Abraham Geiger (Anm. 24), S. 28-30, Max Wiener, Jüdische Religion im Zeitalter der Emanzipation, Berlin 1933 (Nachdruck Berlin 2002), S. 48-56.
[30] Vgl. Kaufmann Kohler, Grundriss einer systematischen Theologie des Judentums auf geschichtlicher Grundlage, Leipzig 1910 (Nachdruck Hildesheim-New York 1979), S. 25-40; Jonathan A. Romain / Walter Homolka, Progressives Judentum. Leben und Lehre, München 1999, S. 20-35; Moshe Zemer, Evolving Halakhah. A Progressive Approach to Traditional Jewish Law, Woodstock, Vermont 1998, S. 1-57; Pauline Bebe, Qu’est-ce que le judaïsme libéral? Paris 2006, S. 26-40.
[31] Johann Adam Möhler, Die Einheit in der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus (1825), hrsg. von Josef Rupert Geiselmann, Köln-Olten 1957, S. 51; vgl. ders., Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten, hrsg., eingeleitet und kommentiert von Josef Rupert Geiselmann, Köln-Olten 1960, S. 412-448.
[32] Solomon Schechter, Studies in Judaism (vol I), London 1896, S. XXI.
[33] Vgl. Abraham Geiger, Ist der Streit in der Synagoge ein Zeichen von ihrem Zerfalle oder von neuerwachtem Leben? In: Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 5 (1844), S. 139-152. Zu Voraussetzungen der frühen Judaistik in Romantik und Idealismus vgl. Richard Schaeffler, Die Wissenschaft des Judentums in ihrer Beziehung zur allgemeinen Geistesgeschichte im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: Julius Carlebach (Hrsg.), Wissenschaft des Judentums. Anfänge der Judaistik in Europa, Darmstadt 1992, S. 113-131.
[34] Zitate: Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte (Anm. 20), 111-117; vgl. auch Susannah Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie. Übersetzt von Christian Wiese, Berlin 2001, S. 213-264; Wolfgang Stegemann, Jesus und seine Zeit (Biblische Enzyklopädie, Band 10), Stuttgart 2010, S. 166-170; siehe auch Görge Hasselhoff (Hrsg.), Die Entdeckung des Christentums in der Wissenschaft des Judentums (Studia Judaica, Band 54), Berlin-New York 2010.
[35] Vgl. Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte (Anm. 20), S. 121-141.
[36] Zitate: Abraham Geiger: Stellung des Judenthums zum Christenthum im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert. Offenes Sendschreiben an den evangelischen Ober-Kirchenrath in Berlin, Breslau 1871, S. 9.
[37] Susannah Heschel, Jewish Studies as Counterhistory, in: David Biale / Michael Galchinsky / Susannah Heschel (eds), Insider/Outsider. American Jews and Multiculturalism, Berkeley-Los Angeles-London 1998, S. 101-115, hier: S. 108f. Den Terminus Counterhistory führte David Biale in die wissenschaftliche Diskussion ein; vgl. ders., Gershom Scholem – Kabbalah and Counter-History, Cambridge (Mass.)-London 2. Aufl. 1982, S. 7; ders., Not in the Heavens (Anm. 6), S. 154-157.
[38] Vgl. Abraham Geiger, Die Gründung einer jüdisch-theologischen Facultät, ein dringendes Bedürfniß unserer Zeit, in: Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 2 (1836), S. 1-21, hier: S. 3f; vgl. auch ders., Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie (Anm. 29), S. 7f.
[39] Vgl. Saul Ascher, Leviathan oder Über die Religion in Rücksicht des Judenthums, Berlin 1792 (Neudruck für 2012 in der von André Thiele herausgegebenen Werkausgabe vorgesehen); Eisenmenger der Zweite, in: ders., Werkausgabe, Abt. I, Band 1, hrsg. von André Thiele, Mainz 2011, S. 9-60; Salomon Formstecher, Religion des Geistes. Eine wissenschaftliche Darstellung des Judenthums nach seinem Charakter, Entwicklungsgange und Berufe in der Menschheit, Frankfurt/M. 1841 (im durchlaufenden Text mit Seitenzahl belegt); Hermann Cohen, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums (1. Aufl. 1919), Frankfurt M. 2. Aufl. 1929 = 1966, S. 27f; zur Deutung der Religionsphilosophie Cohens als Antwort auf Kant und den modernen Protestantismus vgl. auch Batnitzky, How Judaism Became a Religion (Anm. 9), S. 53-59.
[40] Beide Zitate: Heschel, Der jüdische Jesus (Anm. 34), S. 29. Zu Formstecher bzw. Hirsch vgl. Julius Guttmann, Die Philosophie des Judentums, München 1933, S. 317-337; Wiener, Jüdische Religion (Anm. 29), S. 120-147; Bettina Kratz-Ritter, Salomon Formstecher – Ein deutscher Reformrabbiner, Hildesheim-Zürich-New York 1991.
[41] Zum Begriff vgl. Walter Kern / Hermann Josef Pottmeyer / Max Seckler (Hrsg.), Handbuch der Fundamentaltheologie, 4 Bände, Tübingen-Basel 2. Aufl. 2000, Band 2, S. 60-83 (Max Seckler).
[42] Vgl. Abraham Geiger, Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen? Eine von der Königlich Preußischen Rheinakademie gekrönte Preisschrift (1. Aufl. 1833), Leipzig 2. Aufl. 1902, Nachdruck der 2. Aufl. Berlin 2005.
[43] Zu Formstechers Kritik der christlichen Judenmission vgl. Kratz-Ritter, Salomon Formstecher (Anm. 40), S. 31-37. In seinen Vorlesungen Die Entwickelung der religiösen Idee in Judenthum, Christenthum und Islam (1846/47, zweite Aufl. Leipzig 1874) trug Ludwig Philippson einem breiteren Publikum ähnliche Gedanken vor; vgl. ebd., S. 97-125.
[44] Samuel Hirsch, Die Religionsphilosophie der Juden oder das Prinzip der jüdischen Religionsanschauung und sein Verhältniß zum Heidenthum, Christenthum und zur absoluten Philosophie, Leipzig 1842 (Nachdruck Hildesheim-Zürich-New York 1986; nach dieser Ausgabe im durchlaufenden Text mit Seitenzahl belegt).
[45] Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Band 12: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, hrsg. von Karl Heinz Ilting u.a., Hamburg 1996, S. 267.
[46] Vgl. Ascher, Eisenmenger der Zweite (Anm. 39), S. 25. Ascher betont gegenüber Fichte, es erfordere die Billigkeit längst schon, „daß der Jude nicht bloß toleriert, sondern aller Rechte eines Staatsbürgers teilhaftig werde“.
[47] Vgl. Saul Ascher, Die Germanomanie, in: ders. Werkausgabe, Band I/1 (Anm. 39), S. 141-171, hier: S. 147.
[48] Vgl. hierzu die schon erwähnten kritischen Anmerkungen Scholems, Wissenschaft vom Judentum (Anm. 11), S. 149-157.
[49] Mordecai Kaplan, Judaism as a Civilization. Toward a Reconstruction of American-Jewish Life (1. Aufl. 1934), Philadelphia 2010, S. 108-125, hier: S. 121; siehe auch ebd., S. 249-251; ferner Biale, Not in the Heavens (Anm. 6), S. 172-175, Batnitzky, How Judaism Became a Religion (Anm. 9), S. 169-173. Unverkennbar führt Kaplan auf die Überlegungen Solomon Schechters (‚Catholic Israel’, s. Anm. 32) fort, verschiebt aber den Akzent auf die Idee der Zivilisation und ihre Lebensvollzüge.
[50]    Kaplan, Judaism as a Civilization (Anm. 49), S. 111. – Zur Neuorientierung des Reformjudentums vgl. Michael A. Meyer, Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum. Übersetzt von Marie-Theres Pitner und Susanne Grabmayr, Wien-Köln-Weimar 2000, S. 441-475.
[51]Salomon Ludwig Steinheim, Die Offenbarung nach dem Lehrbegriffe der Synagoge, 4 Bände, Frankfurt/M.-Leipzig-Altona 1835-1865 (Reprint Hildesheim-Zürich-New York 1986; im durchlaufenden Text nach dieser Ausgabe mit Band- und Seitenzahl belegt); siehe auch Yoshua O. Haberman, Philosopher of Revelation. Life and Thought of S.L. Steinheim, Philadelphia 1990.
[52]Vgl. Wiener, Jüdische Religion (Anm. 29), S. 147f; Hans Joachim Schoeps, Jüdischer Glaube in dieser Zeit. Prolegomena zur Grundlegung einer systematischen Theologie des Judentums, Berlin 1932, S. 45-50; ders., Salomon Ludwig Steinheim zum Gedenken, Leiden 1966; Julius H. Schoeps u.a. (Hrsg.), „Philo des 19. Jahrhunderts“. Studien zu Salomon Ludwig Steinheim, Hildesheim-Zürich-New York 1993; Micha Brumlik, Offenbarung bei Steinheim und Schelling, in: ders., Vernunft und Offenbarung. Religionsphilosophische Versuche, Berlin-Wien 2001, S. 29-42.
[53]Geiger, Christliche Gelehrsamkeit (Anm. 17), S. 295; zu Strauß vgl. ebd. 296; vgl. auch Ernest Renan, Das Leben Jesu. Autorisirte deutsche Ausgabe, Leipzig 4. Aufl. 1880, S. 10, 313-316. Zu Geigers Auseinandersetzung mit David Friedrich Strauß und Ernest Renan vgl. ausführlicher Geiger, Das Judenthum und seine Geschichte (Anm. 20), S. 159-181 (Anhang); siehe ferner Heschel, Der jüdische Jesus (Anm. 35), S. 252-259.
[54]Vgl. Gershom Scholem, Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch, in: ders., Judaica 2, Frankfurt/M. 1970, S. 7-11, hier: S. 8.
[55]Vgl. Leo Baeck, Harnacks Vorlesungen über das Wesen des Christenthums, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums 45 (1901), S. 97-120; Josef Eschelbacher, Die Vorlesungen Ad. Harnacks über das Wesen des Christenthums, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums 46 (1902), S. 119-141, 229-239, 407-427, 47 (1903), S. 53-68, 136-149, 249-263, 434-446, 514-534; vgl. Frank Surall, Juden und Christen – Toleranz in neuer Perspektive. Der Denkweg Franz Rosenzweigs in seinen Bezügen zu Lessing, Harnack, Baeck und Rosenstock-Huessy, Gütersloh 2003, S. 73-158; René Buchholz, „Zu diesem Kanon darf das AT nicht gestellt werden.“ Marginalien zu einer These Harnacks, in: Zeitschrift für Katholische Theologie 131 (2009), S. 26-46.
[56]Eschelbacher, Die Vorlesungen Ad. von Harnacks (Anm. 55), S. 140.
[57]Vgl. Adolf Harnack, Das Wesen des Christenthums, Leipzig 1900; Neuausgabe, hrsg. von Claus-Dieter Osthövener, Tübingen 2005, S. 40 und 113.
[58]Baeck, Harnack’s Vorlesungen (Anm. 55), S. 100 und 103. – Eine ähnliche Kritik an Harnacks Darstellung, der Verkündigung Jesu, der Evangelien und des frühen Christentums trug Alfred Loisy vor: „Cèst sa propre religion, non celle de l’Évangile, que M. Harnack expose et défend“ (Alfred F. Loisy, L’évangile et l’église, Bellevue 3. Aufl. 1904, S. 94). Es ist zu bedauern, dass Loisy Baecks und Eschelbachers Einwände nicht rezipierte. Die sprachlichen Grenzen und die Fixierung auf die heftig geführten innerkatholischen Debatten mögen dazu beigetragen haben.
[59]Vgl. Christian Wiese, Ein unerhörtes Gesprächsangebot. Leo Baeck, die Wissenschaft des Judentums und das Judentumsbild des liberalen Protestantismus, in: Georg Heuberger / Fritz Backhaus (Hrsg.), Leo Baeck 1873 –1956. Aus dem Stamme von Rabbinen, Frankfurt/M. 2001, S. 147-171, hier: S. 168, Anm. 33; siehe auch ders., Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im Wilhelminischen Deutschland. Ein „Schrei ins Leere“?, Tübingen 1999.
[60]David Biale (ed.), Cultures of the Jews. A New History, New York 2002, S. XXXI; vgl. auch Uriel Tal, Theologische Debatte um das „Wesen“ des Judentums, in: Werner E. Mosse / Arnold Paucker (Hrsg.), Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890-1914, Tübingen 2. Aufl. 1998, S. 599-632; Gershom Scholem, What is Judaism? (1974), in: ders., On the Possibility of Jewish Mysticism in Our Time and Other Essays, ed. by Avraham Shapira, Philadelphia 1997, S. 114-117; französische Übersetzung in: Gershom Scholem, Le Prix d’Israel. Écrits politiques 1916-1974, Paris-Tel Aviv 2003, S. 155-160.
[61]Vgl. Leonore Siegele-Wenschkewitz, Das Verhältnis von protestantischer Theologie und Wissenschaft des Judentums während der Weimarer Republik, in: Walter Grab / Julius H. Schoeps (Hrsg.), Juden in der Weimarer Republik. Skizzen und Portraits, Darmstadt 2. Aufl. 1998, S. 153-178, hier: S. 166-171.
[62]Vgl. Gerhard Kittel, Die Judenfrage, Stuttgart 1/2. Aufl. 1933; dazu Martin Bubers Erwiderung: Offener Brief an Gerhard Kittel und Zu Gerhard Kittels ‚Antwort’, in: ders., Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, eingeleitet von Robert Weltsch, Gerlingen 1992, S. 607-613; siehe ferner die Studie von Susannah Heschel, The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany, Princeton-Oxford 2008, S. 88-92, 152-161, 184f.
[63]Esther Seidel, Jüdische Philosophie“ in nichtjüdischer und jüdischer Philosophiegeschichtsschreibung, Frankfurt/M. 1984, zusammenfassend S. 149-158.
[64]Zur Formstecher-Rezeption vgl. Kratz-Ritter, Salomon Formstecher (Anm. 40), S. 86-89.
[65]Vgl. etwa Kaufmann Kohler, Das Reformjudentum und die deutsche Judenheit, in: Liberales Judentum 9 (1909), S. 193-197; Hermann Cohen, Die Bedeutung des Judentums für den religiösen Fortschritt der Menschheit, Berlin 1910.
[66]Hermann Cohen, Ethik des reinen Willens (System der Philosophie II), Berlin 2. Aufl. 1907, S. 459f.
[67]Jakob Klatzkin, Hermann Cohen, in: Der Jude 3 (1918/19), S. 33-41, hier: S. 35.
[68]Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, hrsg. von Reinhold Mayer, Frankfurt/M. 1988, S. 13
[69]Franz Rosenzweig, Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Edith Rosenzweig, Berlin 1935, S. 73.
[70]Rosenzweig, Der Stern der Erlösung (Anm. 68), S. 462; vgl. auch Surall, Juden und Christen (Anm. 55), S. 159-325.
[71]Franz Rosenzweig, Das neue Denken, in: ders., Zweistromland. Kleine Schriften zur Religion und Philosophie (1926). Mit einem Nachwort von Gesine Palmer, Berlin-Wien 2001, S. 210-234, hier: S. 214.
[72]Gershom Scholem, Tagebücher nebst Aufsätzen und Entwürfen bis 1923, 2. Halbbände, hrsg. von Karlfried Gründer und Friedrich Niewöhner, Frankfurt/M. 1995/2000, 2. Halbband, S. 650.
[73]Vgl. Biale, Not in the Heavens (Anm. 6), S. 144f. Biale bezieht sich auf Achad Ha’am, der Gedanke kann aber auch für Scholem, der nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine religiöse Erneuerung des Judentums anstrebte, Geltung beanspruchen.
[74]Vgl. Kohler, Grundriss (Anm. 31), S. 313-325; zu den neueren Arbeiten siehe Jacob Neusner, Judaism and Christianity in the Age of Constantine, Chicago-London 1987; Michael Hilton, “Wie es sich christelt so jüdelt es sich”. 2000 Jahre christlicher Einfluss auf das jüdische Leben. Übersetzt von Annette Böckler, Berlin 2000. Daniel Boyarin, Border Lines. The Partition of Judaeo-Christianity, Philadelphia 2004; Israel Yuval, Zwei Völker in deinem Leib. Gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen in Spätantike und Mittelalter. Übersetzt von Dafna Mach, Göttingen 2007; Peter Schäfer, Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums. Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums, Tübingen 2010.
[75]Harold Bloom, The Anxiety of Influence. A Theory of Poetry, Oxford-New York 2. Aufl. 1997, S. XXIII; vgl. auch Harold Bloom, Die Notwendigkeit des Fehllesens, in: ders., Kabbala – Poesie und Kritik. Übersetzt von Angelika Schweikhart, Frankfurt/M. 2. Aufl., 1997, S. 93-126.
[76]Harold Bloom, The Anatomy of Influence. Literature as a Way of Life, New Haven-London 2011, S. 3-15, hier: S. 14.
[77]Peter Schäfer, Weibliche Gottesbilder im Judentum und Christentum. Übersetzt von Christian Wiese und Claus-Jürgen Thornton, Frankfurt/M. –Leipzig 2008, S. 294-301, hier: 297: deutsche Übersetzung des Bloom-Zitates ebd., S. 296f.
[78]Vgl. Reinhold Bernhardt / Klaus von Stosch (Hrsg), Komparative Theologie: Interreligiöse Vergleiche als Weg der Religionstheologie, Zürich 2009, bes. S. 15-33 (von Stosch); Klaus von Stosch, Offenbarung (Grundwissen Theologie), Paderborn u.a. 2010, S. 82-95.


Zum Author:
René Buchholz ist apl. Professor für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.

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