Teuchert

Integration und Religion. Theologische und historische Überlegungen zur Integration der Ostvertriebenen in die evangelischen Kirchen


Von Felix Teuchert

I. Einleitung[1]

65 Millionen Menschen befinden sich gegenwärtig weltweit auf der Flucht. Migrationsbewegungen solchen Ausmaßes lassen auch die bundesrepublikanische Gesellschaft, obwohl in verhältnismäßig komfortabler Lage, nicht unberührt. Spätestens seit dem Sommer 2015 wird auch in Deutschland kontrovers über das Thema Flucht, Migration und Zuwanderung diskutiert. Religiöse Fragen gewinnen in diesem Zusammenhang an Aktualität, wie die Debatten über eine „Islamisierung des Abendlandes“, über die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland oder das Selbstverständnis als christliche oder säkular-aufgeklärte Gesellschaft zeigen. Angesichts dieser Migrationsbewegungen und der höchst kontroversen, bisweilen polarisierenden Debatten über Zuwanderung und Integration stellt sich die Frage nach der eigenen Migrations- und Integrationsgeschichte, der Rolle von Religion und Kirche und der theologischen Reflexion und Verarbeitung von Migrationsprozessen.

Zunächst mag es überraschen, den Blick ausgerechnet auf die Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge der Nachkriegszeit zu lenken. Die gegenwärtige Situation und die historische Situation der unmittelbaren Nachkriegszeit sind zweifellos schwer vergleichbar. Mein Verweis auf die Flucht-, Migrations- und Integrationserscheinungen der Gegenwart zielt daher weniger darauf, einen unmittelbaren Lerneffekt aus der Geschichte für die Gegenwart abzuleiten, sondern auf den evidenten und methodisch zu reflektierenden Umstand, dass der Blick auf die Vergangenheit immer auch vom eigenen Erfahrungsraum, von der erlebten Gegenwart und damit vom Standpunkt des Beobachtenden geprägt ist. Mit dem Hinweis auf die Gegenwart lege ich den eigenen Standort und damit die eigene Prägung offen. Gegenwärtige Ereignisse und Erfahrungen tragen in vielen Fällen zur Entdeckung paralleler oder strukturell ähnlicher Phänomene in der Geschichte bei und beeinflussen unsere Blickrichtung. So ist die Integration der Ostvertriebenen für das Verständnis der gegenwärtigen Integrationsdebatten und vor allem der jeweiligen Diskursdynamiken durchaus aufschlussreich.

Obwohl die staatsbürgerliche Integration und Gleichstellung der deutschen Vertriebenen nie zur Debatte stand und sich die Vertriebenen im Gegensatz zu anderen Zuwanderergruppen in einer privilegierten Einwanderersituation befanden, trug die Aufnahme der Vertriebenen die „Züge eines echten Einwanderungsprozesses innerhalb des gleichen Nationalverbandes.“[2] Darauf deuten die heftigen Interessen- und Verteilungskonflikte, das System aus Vorurteilen und Xenophobien, die insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu beobachten sind. Der Historiker Michael Schwartz macht darauf aufmerksam, dass die vom nationalsozialistischen Regime propagierte krasse Abwertung Osteuropas und seiner Bewohner nach 1945 auf die ostdeutschen Flüchtlinge und Vertriebenen übertragen wurde; die Ostvertriebenen rückten an die Stelle der überwiegend aus Osteuropa stammenden Zwangsarbeiter, wobei diese antiöstlichen Ressentiments bis weit ins deutsche Kaiserreich zurückreichten und, propagiert von deutschnationalen und völkischen Verbänden, tief in der deutschen Gesellschaft verankert waren.[3]

Die Vertreibung von 14 Millionen Deutschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße betraf den deutschen Protestantismus in besonderem Maße. Allein die Altpreußische Union verlor ein Drittel ihres Territoriums.[4] Da ein Großteil der Vertriebenen evangelischer Konfession war,[5] war die Evangelische Kirche in Deutschland unmittelbar und mittelbar vom Vertreibungsgeschehen betroffen und für die kirchliche Versorgung der evangelischen Vertriebenen verantwortlich.[6] Die lokalen Kirchengemeinden blieben von den „weltlichen“ Integrationskonflikten nicht unberührt. Denn der Großteil der Vertriebenen wurde infolge des Zusammenbruchs der städtischen Infrastrukturen in den einigermaßen intakten Dorfgemeinden in den ländlichen Regionen untergebracht,[7] die in der Regel identisch mit den lokalen Kirchengemeinden waren. Die sich gerade neu formierende Evangelische Kirche in Deutschland war aber nicht nur als Konfliktmoderatorin in den eigenen Kirchengemeinden gefragt, sondern sah sich im Umgang mit anderen Frömmigkeitskulturen, Traditionsbeständen und kulturellen Differenzen in verschärfter Weise mit der eigenen Identität konfrontiert.[8] Die größtenteils unierten, aber lutherisch geprägten Christen aus der Altpreußischen Union und die lutherischen Christen aus Schlesien stellten insbesondere die reformiert geprägten Landeskirchen und Gemeinden vor große Herausforderungen. Die innerprotestantische konfessionelle Differenz zwischen uniertem, reformiertem und lutherischem Bekenntnis warf das innerprotestantische Bekenntnisproblem neu auf. Diese Grundannahmen berechtigen zur Frage, inwieweit sich die Auseinandersetzung mit der bis dahin neuartigen kulturellen und konfessionellen Heterogenität, mit unterschiedlichen Frömmigkeitskulturen und Traditionsbeständen vollzog und wie das Spannungsverhältnis zwischen der konfessionellen Einheit der einzelnen Landeskirchen und der konfessionell-kulturellen Differenz bearbeitet wurde.[9] In diesem Aufsatz möchte ich nach der Rolle von Kirche, Religion und Theologie fragen und den Fokus auf die innerkirchlichen Integrationsdebatten, -praktiken und -verläufe legen.[10] Dabei möchte ich zeigen, dass der Zuzug von Millionen überwiegend evangelischen Vertriebenen als theologisches Problem wahrgenommen, reflektiert und verarbeitet wurde. Die Integrationsdebatten in der evangelischen Kirche wurden dabei im Modus ekklesiologischer Selbstverständigungsdebatten geführt. Angesichts der hohen Identität von Gesellschaft und Kirche und angesichts des Vorverständnisses, dass beide Kirchen als „größte intermediäre Organisation[en] der Gesellschaft“ zu betrachten sind, die „zwischen der Privatsphäre des Einzelnen und den Makroinstitutionen der modernen Gesellschaft“ vermittel[n] und damit gesellschaftliche Integrationsfunktionen erfüllen[11], kommt den innerkirchlichen Integrationskonflikten, -konzepten und -debatten eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung und Funktion zu.

Schließlich scheinen noch einige methodische Vorüberlegungen notwendig. Zu den Grundprämissen historischen Arbeitens gehört es, den eigenen Standpunkt und die sich daraus ergebende Perspektive, die die Historikerin oder der Historiker auf den Gegenstand wirft, transparent zu machen und zu reflektieren. Diese Prämisse gilt umso mehr für die Untersuchung der Zeitgeschichte, die die Historikerin Barbara Tuchmann einmal als die Geschichte bestimmte, die noch „qualmt“[12]. Zeithistorikerinnen und Zeithistoriker beobachten das Zeitgeschehen nicht nur aus der Distanz, sondern sie sind häufig selbst Zeitgenossen. Die Theologin Lydia Koelle unterscheidet mit Blick auf die Vertriebenenfrage zwischen einem außen- und innengeleiteten Zugang zu  diesem Themenkomplex und problematisiert in einem online veröffentlichten Diskussionsbeitrag außengeleitete Perspektiven, die aus einer „Nützlichkeitserwägung“ heraus motiviert seien und das „funktionale“ Ziel verfolgten, „aus dem Damals für das heute zu lernen.“[13] Im Rekurs auf die katholischen Kirchenhistoriker Joachim Köhler und Rainer Bendel stellt sie fest, „dass diese `Nützlichkeitserwägung´ nicht das Hauptmotiv solcher Untersuchungen sein sollte, `vielmehr erscheint die Vertriebenenseelsorge als ein kardinales Thema für die kirchliche Zeitgeschichte in Deutschland […].´“[14] Zweifellos ist Koelle zuzustimmen, wenn sie einen Mangel an Empathie gegenüber den Vertriebenen seitens der Aufnahmegesellschaft sowie eine fehlende Würdigung der Vertriebenen kritisiert, was sich auch in der (Kirchen-)geschichtsschreibung niederschlage – ein Kritikpunkt, der schon von vielen Kirchenhistorikerinnen und Kirchenhistorikern erhoben wurde.[15] Andererseits ist, und das ist wohl nicht gerade eine neue Erkenntnis, auch eine sogenannte – aus meiner Sicht per se legitime – innengeleitete Perspektive eines selbst Betroffenen zu problematisieren, da sie den Gegenstand in spezifischer, interessen- und standpunktgeleiteter Weise perspektiviert und damit die Ergebnisse präfiguriert. Für Historikerinnen und Historiker, die das alte Objektivitätsideal durchaus problematisieren,[16] aber dennoch den Anspruch erheben, ihren Gegenstand sine ira et studio in den Blick zu nehmen und zu vorurteilsfreien, über- oder intersubjektiven Ergebnissen zu gelangen, ist das durchaus problematisch. Ein gewisses Maß an innerer Distanz und Nüchternheit, also das, was  man als „Außenperspektive“ bezeichnen kann, ist demnach eine Grundbedingung historischer Erkenntnis.

 Anstatt Innen- und Außenperspektiven gegeneinander auszuspielen, möchte ich die Komplementarität unterschiedlicher Perspektiven betonen. Die Auseinandersetzung mit der Vertriebenenthematik ist nicht zuletzt dann besonders fruchtbar, wenn sich sowohl Betroffene als auch Nicht-Betroffene, die unter Umständen andere Intentionen leiten als Betroffene, mit ihr auseinandersetzen und es gelingt, verschiedene, jeweils legitime und sich gegenseitig ergänzende Perspektiven miteinander ins Gespräch zu bringen. Als Beitrag zu einem solchen Dialog möchte ich diesen Artikel verstanden wissen. Zudem wirke ich dem vielfach, auch von Vertriebenen kritisierten Defizit entgegen, dass die Beschäftigung mit den Vertriebenen in erster Linie den Betroffenen selbst überlassen werde, während sich die allgemeine Kirchengeschichte nicht für sie interessiere.[17]

Materialiter werde ich im Folgenden die Aushandlungsprozesse und Debatten auf EKD-Ebene analysieren und anschließend die Integrationskonflikte in der lokalen Kirchengemeinde an einem Beispiel herausarbeiten. Auf den substantiellen, aber auch gut erforschten integrativen Beitrag, den der Protestantismus in Form des Hilfswerks, seiner karitativen Einrichtungen und seines sozialpolitischen und sozialethischen Gestaltungsanspruches leistete, kann hier nicht weiter eingegangen werden.[18] Auch die komplizierten Auseinandersetzungen über die Oder-Neiße-Grenze, das Recht auf Heimat bis hin zur Ost- und Vertriebenendenkschrift der EKD von 1965 müssen hier ausgespart werden.[19]

II. Flüchtlingsgemeinde oder Eingliederung? Die Integrationsdebatten zwischen westdeutschen Landeskirchen und Ostkirchenausschuss

Das Kirchenrecht war auf den Fall der massenhaften Zwangsumsiedlung und die Verpflanzung ganzer Kirchen nicht vorbereitet. Rein kirchenrechtlich konnte die Aufnahme der Vertriebenen, die unterschiedlichen protestantischen Bekenntnissen angehörten, nicht anders behandelt werden als die „Summe individueller Wohnortwechsel.“[20] Damit kam der auf dem Territorialprinzip beruhende Parochialzwang zum Zuge, dem zufolge bei einem Wohnortwechsel in eine bekenntnisverschiedene Landeskirche automatisch und ohne ausdrückliche Willenserklärung der Zuziehenden auch die Konfession gewechselt wurde. Die Bildung eigener Flüchtlingskirchen war dem Territorialprinzip zufolge, das die Einheit von Territorium und Bekenntnis postulierte, kirchenrechtlich ausgeschlossen.[21] In diesem innerprotestantischen Konfessionsproblem liegt ein Spezifikum des deutschen Protestantismus begründet, das der Katholizismus in dieser Form nicht kannte.[22] Neben diesen rechtlichen Schwierigkeiten standen der Bildung von eigenen Flüchtlingskirchen auch faktische Gründe entgegen: Die Vertriebenen wurden ja willkürlich über die gesamten westlichen Besatzungszonen verteilt, ohne Rücksicht auf Konfessionszugehörigkeit und landsmannschaftliche Bindungen.[23] Die Alliierten legten gerade Wert darauf, dass sich keine landsmannschaftlichen Minderheiten konstituierten, sondern die Vertriebenen möglichst rasch in die Aufnahmegesellschaft assimiliert würden und nicht mehr als eigene Gruppe erkennbar seien.[24] Schließlich waren die Landeskirchen die einzigen Institutionen mit intakten Strukturen, die überhaupt über die organisatorischen und institutionellen Ressourcen und Kapazitäten für die kirchliche und karitative Versorgung der Vertriebenen verfügten.[25] Die evangelischen Landeskirchen hatten schließlich wenig Interesse daran, die Einheit von landeskirchlichem Territorium und Bekenntnis und damit ihre eigene Machtgrundlage infrage zu stellen und hielten am Prinzip „cuius regio eius religio“ fest.[26] Damit war der integrationspolitische Weg vorgezeichnet: Sie bestanden auf einer Assimilation der bekenntnisverschiedenen Vertriebenen, die das Bekenntnis und die Sitte der aufnehmenden Landeskirchen anzunehmen hatten.[27]

Diese Assimilationspolitik rief allerdings den Widerspruch der evangelischen Vertriebenen und vor allem der vertriebenen ostdeutschen Kirchenleitungen hervor. Die ehemaligen Kirchenleitungen der vertriebenen ostdeutschen Landeskirchen versammelten sich im sogenannten Ostkirchenausschuss, der sich als Vertretungs- und Repräsentationsorgan der evangelischen Vertriebenen sowie in der Nachfolge der ehemaligen ostdeutschen Kirchen sah.[28] Der Ostkirchenausschuss, dessen Gründung der deutschbaltische Theologe Herbert Girgensohn forcierte, strebte eine kirchenrechtliche Aufwertung an – allerdings mit begrenztem Erfolg: „Aus einem Gremium, das die Flüchtlingskirchen zur Vertretung ihrer Anliegen gegenüber oder vor dem Rat bilden sollten, wird im Ratsbeschluß ein Ausschuß der ehemaligen deutschen Ostkirchen, der dem Rat subordiniert ist und ihm bei den Eingliederungsaufgaben zur Verfügung stehen soll.“[29] Mit diesem Fragenkomplex hing nicht zuletzt die grundsätzliche Frage zusammen, ob die östlichen Landeskirchen prinzipiell fortbestanden oder bereits erloschen waren. Der Ostkirchenausschuss protestierte gegen die vom Rat gebrauchte Formulierung „ehemalige deutsche Ostkirchen“, was ja den Fortbestand der Ostkirchen negierte, konnte aber eine Revision des Ratsbeschlusses nicht durchsetzen.[30] Der Jurist Ulrich Scheuner verfasste im Auftrag des Ostkirchenausschusses ein kirchenrechtliches Gutachten zur „Rechtsstellung der Ostkirchen.“[31], in dem er die „Theorie der doppelten Kirchenmitgliedschaft“ der Vertriebenen entwickelte. Die Vertriebenen seien gleichermaßen als Glieder der westdeutschen Landeskirchen und als Mitglieder der Ostkirchen anzusehen, wobei die Mitgliedschaft in den Ostkirchen ruhe.[32] Die evangelisch-lutherische Landeskirche Bayern, die evangelisch-lutherische Landeskirche Hannover sowie der Berliner Bischof und erste Ratsvorsitzende Otto Dibelius verwehrten jedoch eine Ausstattung des Ostkirchenausschusses mit „kirchenregimentlichen Befugnissen“[33] und damit eine Aufwertung der im Ostkirchenausschuss zusammengefassten Hilfskomitees zu einem gleichberechtigtem Gegenüber der westdeutschen Landeskirchen.

Die Integration griff weit über die kirchenrechtlichen Fragen hinaus. Jede Vertriebenengruppe brachte ihr geistliches, kirchliches und kulturelles Erbe, ihr Kirchenverständnis und ihre Kirchlichkeit, ihre Erfahrungen als „zerstreute Kirche“, ihre spezifischen Frömmigkeitskulturen, Liturgien und Glaubenstraditionen mit in die neue Heimat im Westen. Die Hilfskomitees kultivierten zudem die Erinnerung an die alte Heimat und schufen in Form von Ostlandkreuzen und Heimatkalendern eine Erinnerungskultur, um die alte Heimat wenigstens partiell zu konservieren.[34] Diese Erinnerungskultur deutet auch auf die Existenz eines Exilbewusstseins, das zumindest bis Mitte der 50er Jahre bei vielen Vertriebenengruppen noch vorhanden war. Welcher Platz sollte dem kulturellen und religiösen Erbe zugebilligt werden? Was bedeutete die Zerstreuung ganzer Landeskirchen für die Gestalt der Kirche neben den kirchenrechtlichen und kirchenorganisatorischen Fragen auch im theologisch-ekklesiologischen Sinne? Welche Bedeutung konnte dem Bekenntnis überhaupt zugesprochen werden, wenn daraus lediglich ein formalrechtliches Prinzip wurde? Existierten die Ostkirchen auch ohne territoriale Grundlage, also als Bekenntnisgemeinschaften weiter? Zwar erkannten auch die Repräsentanten der Vertriebenen grundsätzlich das Landeskirchenprinzip samt Bindung an Konfession und Territorium an, aber beispielsweise der vertriebene Theologe Herbert Girgensohn, der Gründungsvorsitzende des Ostkirchenausschusses, äußerte in einem Memorandum zur Eingliederung der Ostvertriebenen theologische Kritik an einem Denken, das sich vornehmlich auf Rechtsstandpunkte zurückziehe: Dieses führe zu einem „Zwiespalt […] zwischen einer rein formalen Lösung, wonach die Flüchtlinge in den Gemeinden des Westens aufgehen, […] und der sachlichen Wirklichkeit, wonach sie außerhalb der Gemeinden bleiben.“[35] Girgensohn kritisierte, dass die Verengung der Problematik auf kirchenrechtliche Fragen die Integrationsproblematik unweigerlich zu einer Machtfrage zwischen ohnmächtigen Vertriebenen und mächtigen Landeskirchen mache.[36] Dem stellte der Theologe ein Kirchenverständnis gegenüber, das vor allem den Dienstgedanken und die Idee der Brüderlichkeit akzentuierte.[37] Für Girgensohn stellte sich nicht so sehr die Frage nach dem Fortbestand oder Nichtfortbestand der Ostkirchen, sondern vielmehr sah er die Landeskirchen selbst durch die Kirchen in der Zerstreuung, der „Kirche unter dem Kreuz“, die sich als „echte Lebensgemeinschaft“ erwiesen habe, infrage gestellt.[38] Demnach müsse sich die „gesamte Kirche“, die sich ja ohnehin in einem Institutionalisierungs- und Konstituierungsprozess befand, vom Vertreibungsgeschehen angesprochen fühlen. Damit hing die weitere, über das Kirchenrecht hinausgehende Frage zusammen, ob die Ostkirchen auch als Bekenntnisgemeinschaft weiter existierten oder mit dem Verlust des Territoriums „untergegangen“ waren. Der Ostkirchenausschuss verwies darauf, „daß die Ortsgebundenheit lediglich ein kirchenrechtlich entscheidendes Kriterium der Kirche ist, andererseits aber die Kirche als Bekenntnis trotz der Evakuierung“ weiterbestehe.[39] Deshalb vertrat der Ostkirchenausschuss das Integrationskonzept einer „gliedhaften Einfügung“, d.h. die Vertriebenen sollten als „Glieder ihrer Heimatkirche“ aufgenommen werden.[40] Auf den von manchen westlichen Landeskirchen vorgebrachten Vorwurf des Traditionschristentums - ein pejorativer Begriff, der das „lebendige Christentum“ in den Mittelpunkt rückte und sich zugleich gegen eine Berücksichtigung des Brauchtums der Vertriebenen in der neuen Heimatkirche richtete - antwortete Girgensohn, dass der Glaube der Sitte und anderer Überlieferungsformen bedürfe: „Christliches Leben in der Gemeinde“ könne „nie ohne Sitte“ bestehen.“[41] Die aufnehmenden Landeskirchen nahmen die Vertreibung ganzer Landeskirchen jedoch nicht als Frage an die Existenz der westlichen Kirchen im Sinne Girgensohns wahr und zogen aus dem Vertreibungsgeschehen keine Konsequenzen für den gleichzeitigen Verfassungsprozess.[42] Stattdessen bestanden sämtliche Landeskirchenleitungen auf der Durchsetzung des Territorialprinzips und damit auf der „völlige[n] Eingliederung“ in die Landeskirchen, also der „Assimilierung der Vertriebenen“ und der „Aufrechterhaltung der Ordnung.“[43] Ernüchtert bilanzierte Girgensohn auf einer Tagung für Flüchtlingsseelsorge:

„Sie müssen sich eben gewöhnen! Das bedeutet in Wirklichkeit: die Landeskirche fährt im alten Geleise und kümmert sich nicht um das, was um sie hervorgeht. Wer sich damit nicht abfinden kann, der geht eben zugrunde. In zahlreichen Gesprächen mit Kirchenleitungen ist immer der eine Gesichtspunkt in die vorderste Linie gerückt worden: die Aufrechterhaltung der Ordnung. Und es geht in der Kirche um eine Abwehrhaltung, wo die Ordnung irgendwie gefährdet erscheint. [...] Die Kirche befindet sich im Zustand einer mühsamen Selbstverteidigung und Selbstbehauptung, den Flüchtlingen gegenüber nicht als Kirche Jesu Christi.“[44]

Drei Jahre später beauftragte der Ostkirchenausschuss die drei Theologieprofessoren Peter Brunner, Emil Weber und Ernst Wolf mit einem „Theologischen Gutachten zur Frage der kirchlichen Eingliederung der Ostvertriebenen und Flüchtlinge.“[45] Dieses Gutachten plädierte für einen Kompromiss, indem es zwar einerseits die landeskirchliche Ordnung bekräftigte, andererseits aber auch zur brüderlichen und verständnisvollen Aufnahme ermahnte und Freiheiten zubilligte. Demnach seien das heimatliche Liedgut zu berücksichtigen und von Zeit zu Zeit besondere Gottesdienste nach heimatlicher Liturgie abzuhalten, auch zur Zeit des sonntäglichen Hauptgottesdienstes.[46] Das mitgebrachte Erbe enthalte „Bestandteile, auf die zu verzichten den Vertriebenen weder jetzt noch auf absehbare Zukunft zugemutet werden kann.“[47] In gewissen Fällen könne sogar die Bildung von eigenständigen Flüchtlingsgemeinden zugelassen werden, vor allem, wenn Lutheraner in reformierte Landeskirchen aufgenommen würden.[48] Grundsätzlich sprachen sich die Theologen gegen kirchenregimentlichen Druck aus, empfahlen den freien Umgang mit den landeskirchlichen Ordnungen, befürworteten die Mitarbeit der Vertriebenen in kirchlichen Organen, erinnerten an die seelsorgerliche Verantwortung und betonten den dienstbaren Charakter der Kirchenordnungen:

„Diese Erwägungen gingen von der Not der Vertriebene[n] als unsere Brüder aus. Das damit sich erhebende Problem sollte der Prüfstein dafür sein, ob wir innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland imstande sind, uns gegenseitig brüderlich zu achten, zu tragen und zu helfen. Die Lösung des weiter greifenden Problems der Konfessionen in der EKiD sollte in keinem Fall auf dem Rücken der Vertriebenen ausgetragen werden. […] Sie [gemeint sind die Erwägungen des Theologischen Gutachtens, Anm. FT] wollen deren Bekenntnisstand und Ordnung nicht antasten, sind aber von der Überzeugung getragen, daß alle kirchliche Ordnung dienstbaren Charakter hat. Die landeskirchliche Ordnung kann daher ihrem Wesen nach nicht zu einem Hemmnis werden, durch das den Flüchtlingen und Ostvertriebenen der offene Zugang zu Wortverkündigung, Taufe und Abendmahl erschwert würde.“[49]

Während also die kirchenrechtlichen, ekklesiologischen und konfessionellen Fragen grundsätzlich im Sinne einer Assimilation der Vertriebenen entschieden wurden, billigte dieses Gutachten, das grundsätzlich von den Landeskirchen anerkannt wurde,[50] dem Erbe der Vertriebenen einen zu erhaltenden Wert zu. Das vom Ostkirchenausschuss bemühte Narrativ einer landeskirchlichen Assimilationspolitik, die auch der interessengeleiteten Selbstdeutung beteiligter und betroffener Akteure entsprach, ist insofern auch partiell zu hinterfragen, als durchaus Kompromisse gefunden wurden, die von Landeskirche zu Landeskirche höchst unterschiedlich ausfielen. Immerhin existierten – im Gegensatz zum Katholizismus - nach heimatkirchlichen Gesichtspunkten organisierte Repräsentationsorgane der evangelischen Vertriebenen, die karitative und seelsorgerliche Aufgaben übernahmen, auch wenn diese mit geringen Machtkompetenzen ausgestattet waren. Vielfach reaktivierten die Pfarrer aus den alten Ostgebieten die Beziehungen zu ihren alten Gemeinden, verschickten Rundbriefe, organisierten Besuchsdienste und veranstalteten Flüchtlingsgottesdienste in der heimatkirchlichen Liturgie. Hier kommt die in der migrationshistorischen und religionssoziologischen Forschung betonte Vernetzungs- und Vergemeinschaftungsfunktion von Religion zum Ausdruck.[51] Die Ostpfarrer befanden sich in einer spannungsvollen Position und bildeten gewissermaßen einen Puffer zwischen den Eingliederungsvorstellungen der Vertriebenen und den Interessen der Landeskirchen.

Jenseits dieser grundsätzlichen Auseinandersetzungen in den Gremien der EKD sind die schwierigen Aushandlungsprozesse in den einzelnen Gemeinden zu nennen. Letztlich konnten die Landeskirchen trotz der Machtasymmetrien kaum verhindern, dass die Vertriebenen ihre eigenen Liturgien und Praktiken ins Gemeindeleben einbrachten und in komplizierten Aushandlungsprozessen Kompromisse erzwangen. Ab Mitte der 50er Jahre kam es auf der Ebene der EKD zu einer Traditionsförderung und -bewahrung, deren institutioneller Ausdruck das Ostkircheninstitut in Münster wurde. Vorher hatten die Hilfskomitees und lokale Initiativen die Erinnerung an die alte Heimat, beispielsweise in Form von Ostlandkreuzen oder Heimatkalendern, kultiviert.[52] Die Institutionalisierung ist weniger auf einen Paradigmenwechsel als vielmehr darauf zurückzuführen, dass eine primär dokumentarisch-konservierende Erbe-Förderung und Traditionspolitik nicht mehr, wie noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als Angriff auf die landeskirchliche Ordnung empfunden wurde. Zudem war die landeskirchliche Deutungshoheit über primär religiöse Fragen nicht mehr berührt.

III. Integrationskonflikte in der Gemeinde

Grundsätzlich stellt sich aber die Frage nach Konvergenzen und Divergenzen zwischen Konzepten und Debatten der leitenden Gremien und der Praxis vor Ort. Den folgenden Ausführungen liegt die These zugrunde, dass Integrationskonflikte neben ihrer gesamtgesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Dimension gerade auf einer lokalen Ebene, und das heißt auf der Ebene der einzelnen Gemeinde und der ländlichen Dorfgemeinschaft, ihre besondere Schärfe gewannen,[53] d.h. dort, wo Traditionen und Identitäten, aber auch materielle Ansprüche zur Disposition standen. Hier wirkten sich materielle Verteilungskämpfe und Xenophobien im zwischenmenschlichen Miteinander aus. Jeder einzelne Flüchtlingsgottesdienst konnte dabei zum Politikum avancieren. Dies soll am Beispiel des sogenannten Kerzenstreits in der Kirchengemeinde Rheydt in der Rheinischen Landeskirche illustriert werden, der paradigmatisch für die innerkirchlichen Integrationskonflikte auf Gemeindeebene und das protestantische Bekenntnisproblem steht.[54] Ähnliche Konflikte dürften sich dutzendhaft zugetragen haben.[55] Ca. 3800 lutherische Vertriebene aus Schlesien wurden der reformierten Kirchengemeinde Rheydt zugewiesen und brachten ihrer Sitte gemäß den Wunsch mit, Kerzen auf dem Altar aufzustellen, was die aufnehmende reformierte Kirchengemeinde mit dem theologischen Argument, dass allein Gottes Wort gelte, ablehnte. Der reformierte Theologe Wilhelm Niesel erblickte in den von den Vertriebenen gewünschten Altarkerzen ein „Relikt aus Heiligenverehrung und Heidentum“.[56] Das Presbyterium der Gemeinde Rheydt weigerte sich, Kerzen auf dem Altar, eine Unterweisung der vertriebenen Kinder in Luthers Katechismus und eine lutherische Abendmahlsfeier zuzulassen.[57] Daraufhin beschwerte sich eine vertriebene lutherische Familie bei der Vereinigung Evangelisch-Lutherischer Kirchen (VELKD):

„In unserer Heimat sind wir in einer evangelischen Kirche groß geworden und erzogen, die ganz lutherisches Gepräge trug und Luthers Katechismus und die lutherische Gottesdienstordnung für unser kirchliches Leben maßgebend sein ließ. Jetzt sind wir hier in eine reformierte Gemeinde geraten, die rücksichtslos und schroff alle hierher gekommenen Evangelischen unter das Joch ihrer kalvinistischen Ordnungen und des Heidelberger Katechismus zwingen will. Das geht so weit, daß kürzlich bei der Trauerfeier für meinen Vater, die ein uns befreundeter lutherischer Geistlicher abhielt, das Anzünden von zwei Altarkerzen verboten und verhindert wurde in unserer Friedhofskapelle, die nüchtern und kahl nicht einmal ein Kreuz enthält. Auch das Spiel eines Harmoniums zur Begleitung der Choräle wurde verboten.“[58]

Die Vertriebenen wollten diese „Assimilation durch kirchliche Machtpolitik“ und das „inquisitorische“ Verhalten des Presbyteriums nicht hinnehmen und schlossen sich zu einer Abspaltung, einer lutherischen Bekenntnisgemeinschaft zusammen, die sich der VELKD anschließen wollte.[59] Letztlich kam, nachdem der Konflikt überregional Wellen geschlagen und sich der Landesbischof der bayerischen Landeskirche zugunsten der Lutheraner eingeschaltet hatte,[60] ein mühsamer Kompromiss zustande: Die Lutheraner verzichteten auf eine Abspaltung. Ihnen wurden eine größere Eigenständigkeit und eine eigene Minderheitenbetreuung gewährt. Ein von der rheinischen Synode in Auftrag gegebenes Gutachten des Kirchenjuristen Rudolf Smend, der gegen das Recht die Liebe setzte, eine kirchenrechtliche Notlage erklärte, die historische Relativität des Territorialprinzips begründete und die Unübertragbarkeit des Konfessionszwanges aus dem 19. Jahrhundert auf die Situation der massenhaften Zwangswanderung postulierte, blieb unbeachtet.[61] Der Konflikt war zwar, wie der Theologe Stephan Bitter bilanziert, letztlich auf pragmatische, die theologischen Fragen ausblendende Weise gelöst, mittelfristig etablierte sich jedoch ein Modus vivendi, der die dogmatischen Unterschiede ausblendete.[62] Es scheint allerdings nicht unwahrscheinlich anzunehmen, dass diese Differenzerfahrungen und der pragmatische Umgang mit der eigenen Tradition in der langfristigen Perspektive zu einem Relevanzverlust dogmatischer Lehrinhalte beitrug, die Verbindlichkeit kirchenleitenden Handelns beeinträchtigte und einen Effekt auf das religiöse Feld insgesamt hatte.[63] Dass die Vertriebenen auch kulturelle Praktiken und Gewohnheiten in das neue Gemeindeleben einbrachten und das Gemeindeleben insgesamt veränderten, ließ sich, trotz aller entgegensetzten Bemühungen aufnehmender Kirchenleitungen und Gemeindeleitungen, gar nicht verhindern. Man denke nur an die Veränderungen des kirchlichen Alltags, die durch den massiven Anstieg gemischtkonfessioneller Eheschließungen bewirkt wurden – und die von den Kirchenleitungen mit großem Misstrauen, aber letztlich ohne Einfluss- und Sanktionsmöglichkeiten beobachtet wurden.[64] Umgekehrt erwarteten auch die Vertriebenen die Anpassung der Einheimischen und konnten sich damit zumindest partiell durchsetzen.[65] Dabei hing der Ausgang des Integrationsprozesses auch von den je unterschiedlichen lokalen Machtverhältnissen ab. In manchen Gemeinden Schleswig-Holsteins, wo die Kirchlichkeit traditionell gering ausgeprägt war, konnten die Vertriebenen die Einheimischen sogar überstimmen und eine Dominanz im kirchlichen Leben ausüben. In Schleswig-Holstein sah sich die Kirchenleitung dazu genötigt, auf die Veränderungsprozesse zu reagieren. Hier fand 1954 eine Liturgiereform statt, die Differenzen beseitigte und heimatkirchliche Elemente in die Agende übernahm. Dem Abendmahl wurde dabei, der Forderung der vertriebenen Lutheraner entsprechend, eine größere Stellung im Gottesdienst eingeräumt, wobei dieser Kompromiss wiederum Fremdheitsgefühle bei den Einheimischen hervorrief und auch nicht alle Vertriebenen zufrieden stellen konnte.[66] Insgesamt entzog sich der Integrationsprozess also zumindest partiell der kirchenleitenden und kirchenadministrativen Steuerung und zog Veränderungs- und Anpassungsprozesse auf beiden Seiten nach sich.

IV. Zusammenfassende Beobachtungen

Insgesamt lassen sich unter Abstrahierung verschiedener Varianten zwei Integrationskonzepte gegenüberstellen: Während die westdeutschen Landeskirchen, die primär von einer kirchenrechtlichen Problemwahrnehmung ausgingen, auf eine konfessionelle und kulturelle Assimilation in die Landeskirchen setzten und den ostdeutschen Kirchenleitungen lediglich karitative Aufgaben zubilligten, stellte der Ostkirchenausschuss die ekklesiologisch-theologische Frage nach Wesen und Aufgabe der Kirche und betonte, dass die Ostkirchen als Bekenntnis, als Kirche unter dem Kreuz und ausgestattet mit einem lebendigen Erfahrungs-, Glaubens- und Kulturschatz weiter existierten. Das kulturelle und religiöse „Erbe“ der Vertriebenen sei demnach aus theologischen Gründen zu akzeptieren. Der Ostkirchenausschuss kompensierte seine ungünstige Machtposition durch eine theologische Überformung und Legitimation seines eigenen Standpunktes. Die Bildung einer eigenen Flüchtlingskirche wurde auch von den Vertretern der Vertriebenen im Ostkirchenausschuss nicht in Betracht gezogen, gleichwohl war das Konzept „Flüchtlingskirche“ oder „Flüchtlingsgemeinde“ ein Bezugspunkt ex negativo in den innerkirchlichen Debatten. In den Quellen begegnet diese Vorstellung regelmäßig in der Form der Abgrenzung; die Vorstellung der Separierung mit weitgehender Autonomie war also im Diskursraum virulent. Bestätigung findet dies im Sachverhalt, dass es punktuell und vorübergehend tatsächlich zur Bildung freikirchlicher Gemeinden außerhalb der Landeskirchen gekommen war. Gleichwohl handelt es sich hierbei um eine schematisierte und vereinfachte Darstellung: So gab es auch im Ostkirchenausschuss Stimmen, die sich für die Assimilation der Vertriebenen aussprachen, wie das Beispiel des bruderrätlich dominierten ostpreußischen Hilfskomitees unter der Leitung des aus Ostpreußen vertriebenen Theologieprofessors Hans Joachim Iwand zeigt.[67] Flüchtlingsgottesdienste wurden in den Thesen der ostpreußischen Pfarrertagung von 1946 zwar zugebilligt, aber nur mit dem Ziel der langfristigen Eingliederung in die Ortsgemeinde.[68] Die Frontlinie verlief also nicht nur zwischen aufnehmenden und zugewanderten Kirchen, sondern die Konfliktlage war auch von der Haltung im sog. Kirchenkampf, also der Auseinandersetzung zwischen Bekennender Kirche, Lutheranern und Deutschen Christen während des NS geprägt. Denn mit der Bewahrung der Sonderidentität und der landsmannschaftlichen Bindungen war zugleich die Frage nach der „völkischen Sonderart“ angesprochen, die Iwand gerade nicht zementiert wissen wollte.[69] Als Vermittlungsversuch kann das vom Ostkirchenausschuss in Auftrag gegebene theologische Gutachten betrachtet werden, das zwar die landeskirchliche Ordnung bekräftigte, den Vertriebenen aber eine kulturell-religiöse Selbstständigkeit zubilligte. Im Gegensatz zu diesem Kompromiss auf EKD-Ebene unter Wahrung des landeskirchlichen Primats kam es zu dynamischen, konfliktualen Aushandlungsprozessen in den jeweiligen Gemeinden, die die weltlichen Integrationskonflikte widerspiegelten. Die Kirchengemeinden, die zugleich identisch mit den Ortsgemeinden waren, erweisen sich somit als der Ort, wo der Umgang mit konfessioneller und kultureller Differenz in einem mühsamen Aushandlungsprozess erlernt wurde.

Aus dem Beispiel des Altarkerzenstreits lassen sich drei Schlussfolgerungen ziehen: Erstens kam es in der Konfrontation der unterschiedlichen Kulturen zunächst zu starken Abwehrreaktionen; zwecks Abgrenzung wurden dabei eigene konfessionelle Traditionen und Identitäten mobilisiert. Letztlich ließe sich von einer Konfessionalisierung der weltlichen Konflikte in den Gemeinden sprechen. Zweitens waren die Vertriebenen zwar in einer Minderheitensituation und hatten zweifellos die größere Anpassungsleistung zu erbringen, langfristig kam es jedoch zu einem Vermischungs- und gegenseitigen Anpassungsprozess, in dessen Folge auch Elemente der Kultur der Vertriebenen übernommen wurden und es zu beidseitigen Veränderungen kam.[70] Auch für die aufnehmenden Landeskirchen gilt, dass diese, wie der Vergleich zwischen kirchlicher Dogmatik und Praxis vor Ort zeigt, ihre kirchenregimentlichen Ansprüche nicht ohne Widerstände durchsetzen konnten. Die Konfliktdynamik korrespondiert in erstaunlichem Maße mit einem idealtypisch gedachten soziologischen Integrationsmodell: Der Volkskundler und Soziologe Ulrich Tolksdorf identifiziert in seinem Phasenmodell die Phasen 1) „Kulturschock“, 2) „Kulturkontakt“, 3) „Kulturkonflikt“, 4) „Sekundäre Minderheitenbildung“, 5) „Akkulturation“, 6) „Punktuelle Bewahrung“ bzw. die Entstehung einer „Volkskultur in der postmodernen Gesellschaft.“[71] Stephan Bitters Diagnose eines Bedeutungsverlustes konfessionell-dogmatischer Fragen fügt sich letztlich in dieses Modell ein.[72] Im Gutachten von Rudolf Smend scheint sich anlässlich der Vertriebenenintegration zudem ein neues Nachdenken über Bekenntnisfragen anzudeuten, auch wenn dem Gutachten zunächst keine Relevanz zukam. Drittens stellt sich die Frage, welche Bedeutung überhaupt theologischen und dogmatischen Inhalten zuzusprechen ist. Dabei sollte die Bedeutung theologisch-dogmatischer Lehrinhalte auf der Ebene des Zusammenlebens in der Gemeinde insgesamt nicht überbewertet werden. Vielmehr waren es vielfältige Fremdheitserfahrungen, deren einzelne säkulare und religiöse Komponenten kontingent und austauschbar waren, wie der Vergleich mit katholischen Gemeinden zeigt, wo es ein solches Bekenntnisproblem nicht gab, es aber dennoch zu vergleichbaren Konflikten in den Gemeinden kam.[73] In den Integrationskonflikten vor Ort war das Bekenntnisproblem ein zusätzlicher, letztlich kontingenter und damit austauschbarer Aspekt. Vielfach dürften auch Interessenkonflikte ausschlaggebend gewesen sein. Differenzen wurden demnach entdeckt und dazu funktionalisiert, um die eigene Dominanz zu zementieren und gesellschaftliche Positionen und Interessen in der Kirchengemeinde zu verteidigen.[74] Andererseits stellte die Wahrung der konfessionellen Identität der Landeskirche oder Gemeinde für Kirchenvorstände und Kirchenleitungen eine handlungsorientierende und handlungsrelevante Dimension dar, was sich konfliktverschärfend auswirkte, aber nicht konfliktursächlich war. In der Folge wurden dogmatisch-konfessionelle Unterschiede zwischen den Bekenntnissen, die den einzelnen Gemeindegliedern vielleicht nicht einmal bekannt waren, als Abgrenzungs- und Identitätsressource entdeckt und wirkten sich aufgrund der geringen Kompromissbereitschaft der aufnehmenden Kirchenvorstände konfliktverschärfend aus. Besonders galt dies, wenn sich kulturell-soziale Milieus mit einer hohen Kirchlichkeit verbanden.[75] Somit kam den kirchenleitenden Bewältigungsstrategien, die in hohem Grade von theologischen Problemwahrnehmungen geprägt waren, eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung zu, die sich in den Gemeinden, die hier als gesellschaftliche Integrationsinstanzen behandelt werden, konkret auswirkten.[76]

V. Ausblick

Zunächst ist es richtig, wenn die Unvergleichbarkeit von heute und damals betont wird. Sicherlich ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass gegenwärtig erhebliche Sprachbarrieren vorliegen und im wahrsten Sinne des Wortes zwei mentale, religiöse und kulturelle Welten aufeinanderprallen. Dem gegenüber sei die Integration der Vertriebenen problemlos gewesen, weil es sich um Angehörige desselben Volkes, derselben Religion und derselben Sprache gehandelt habe. Dennoch zeigen sich auf der Ebene des Diskurses durchaus strukturelle Parallelen. Denn dass der Integrationsprozess in der langfristigen Dimension glücken würde, konnten die zeitgenössischen Beobachter nicht wissen. Die Krisenrhetoriken, die Ängste vor Revolution, Klassenkampf, Bürgerkrieg oder Kommunismus, dessen die Vertriebenen verdächtigt wurden, standen dem heutigen Krisendiskurs an Schärfe in nichts nach.[77] Der Verweis auf kulturelle Unterschiede ist insofern problematisch, da kulturelle Differenzen nicht das Ergebnis einer objektiv gegebenen und objektiv fassbaren äußeren Wirklichkeit sind, sondern erst im Diskurs hergestellt und konstruiert wurden und werden. So erscheint das Fremde nicht als ontologisch Fremdes, sondern als interessengeleitete Konstruktion des Fremden sowie als Legitimationsquelle im Kampf um Ressourcen, Stellung und Einfluss. Auf der Ebene der soziokulturellen Konstruktion treten die Parallelen zwischen heute und damals wieder deutlicher hervor: Auch damals wurden die Vertriebenen als fremd empfunden und zum Teil aus der Nation rhetorisch exkludiert, obwohl sie staatsbürgerlich gleichgestellt waren. Die lokalen Kirchengemeinden spiegelten die weltlichen Auseinandersetzungen wider, die hier konfessionalisiert bzw. im Modus der Konfessionalität ausgehandelt wurden. Die Schärfe der Konflikte deutet darauf hin, dass die konfessionell-religiösen Differenzen den Zeitgenossen als ganz erheblich erschienen. In der langfristigen Perspektive waren allerdings auch die Kirchenleitungen zu einem pragmatischen Modus Vivendi und somit zu einer Anpassung bereit, was nicht zuletzt mit einem partiellen Verlust der religiös-theologischen Deutungshoheit einherging.

Mit Blick auf gegenwärtige Integrationsdebatten lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: Einerseits sollte Religion in ihrer Ambivalenz – das heißt in ihrer konfliktverschärfenden wie ihrer konfliktentschärfenden Dimension – ernst- und wahrgenommen werden. Grundsätzlich kann Religion für beide Richtungen gebraucht werden. Vor allem in frühen Phasen kommt Religion als Sinnstiftungsressource, als Vergemeinschaftungs- und Vernetzungsinstanz, aber auch als Ausgrenzungsressource zwecks eigener Identitätsbildung erhebliche Bedeutung zu. In der langfristigen Dimension scheint das religiöse Moment jedoch an Bedeutung zu verlieren, wobei hier auch der Generationenunterschied und die sich stabilisierende wirtschaftliche Dimension hineinspielten. Dass der Integrationsprozess in der langfristigen Perspektive glücken konnte, war allerdings auch darauf zurückzuführen, dass trotz aller Fremdheitserfahrungen und Hegemonieansprüche ein pragmatischer Modus vivendi gefunden werden konnte. Unabhängig von kulturellen Differenzen, die je unterschiedlich diskursiv konstruiert wurden, existiert ein Integrationswille da, wo Aussicht auf Verbesserung der Lebenschancen besteht und Partizipationsmöglichkeiten angeboten werden. Diese Auffassung bestätigt sich auch am Beispiel der Vertriebenen, die zwangsweise gekommen waren und die dennoch einen beachtlichen Aufbauwillen bewiesen.

Handelt es sich bei diesen Überlegungen um ein Plädoyer für eine pragmatische, „geräuschlose“ Integration, um eine Engführung auf die wirtschaftliche Dimension um den Preis der Identitätsaufgabe und des Verlustes der kulturellen Autonomie? Dieser Aufsatz verfolgte das Ziel, die Integrationsdebatten, -praktiken und -verläufe auf EKD-Ebene wie in den örtlichen Kirchengemeinden aufzuzeigen und diese zum gesamtgesellschaftlichen Integrationsprozess in Beziehung zu setzen. Wenn ich nun zu dem Ergebnis komme, dass der Arbeitsplatz mit hoher Wahrscheinlichkeit die wichtigste Integrationsagentur war, dann ist damit zunächst keine normative Aussage impliziert, sondern eine nüchterne Feststellung, die sich empirisch leicht stützen lässt. Bei der in der längerfristigen Dimension beobachteten Identitätsaufgabe handelt es sich nicht um ein Postulat, sondern um ein historisches Phänomen, um verschiedenartige Mechanismen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären Wirtschaft und Kultur. Bestätigung findet dies auch in der historischen Forschung:[78] Viele Vertriebene und ihre Kinder wollten ab Mitte der 1960er Jahre gar nicht mehr mit ihrem Vertriebenen-Sein identifiziert werden. Dafür sprechen jedenfalls die wachsenden Rekrutierungsprobleme und der starke Mitgliederschwund innerhalb der Vertriebenenorganisationen, über die mehrere Aktenvermerke aus dem Bundesvertriebenenministerium Auskunft geben.[79] Auch die Nachfrage nach Vertriebenenausweisen ging, sehr zum Leidwesen der Vertriebenenfunktionäre, insbesondere unter der nachfolgenden Generation massiv zurück [80] – ein klares Indiz dafür, dass sich die Mehrheit der Vertriebenen nicht mehr mit ihrem Vertriebenen-Status identifizierte und sich stattdessen in die westdeutsche Leistungs- und Wirtschaftswundergesellschaft einfügte, vielleicht sogar assimilierte.[81] Insofern scheint sich der anhand des kirchlichen Raums beobachtete pragmatische Modus Vivendi auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene eine Entsprechung zu finden.[82] Auch wenn hierfür genauere Untersuchungen notwendig sind, scheint es doch Indizien zu geben, die einen Zusammenhang zwischen Kulturverlust und wirtschaftlichem Wiederaufstieg in der modernen Gesellschaft andeuten – was allerdings nicht bedeutet, dass sich wirtschaftliche Integration und die Behauptung kultureller Autonomie per se ausschlössen. Natürlich ist wirtschaftliche Partizipation bei religiöser oder kultureller Behauptung ebenfalls möglich. Wichtig ist mir aber die Feststellung, dass sich die Kulturen der Zugezogenen wie der Aufnahmegesellschaft in einem Interaktionsverhältnis befanden und sich daher veränderten – die Vorstellung der Bewahrung der reinen Kultur der Herkunftsgebiete ist also eine Illusion, ein Konstrukt, das allerdings im Quellenmaterial von interessierter Seite immer wieder bemüht wurde. Die Beobachtung solcher Integrationsphänomene trifft selbstverständlich auch nicht auf alle Vertriebenen zu: Richtig ist auch, dass eine sehr große Minderheit nach wie vor ihre heimatliche Identität und Kultur pflegte, in den revisionistischen Landsmannschaften engagiert war und sich in der Bundesrepublik nicht willkommen und verstanden fühlte. Dass die materiellen wie psychologischen Härten, das mangelnde Verständnis der Aufnahmegesellschaft, die Assimilationserwartungen, die geringe Akzeptanz, die Missachtung der Vertriebenenkultur, das von der Aufnahmegesellschaft nicht verstandene Trauma des Heimatverlustes und der gewaltsamen Vertreibung sowie die Rassismen aus der Anfangsphase des Integrationsprozesses viele dauerhafte seelische Wunden zurückließen, dass also der makrogesellschaftlich und makroökonomisch gelungene Integrationsprozess gewaltige sozial- wie individualpsychologische Integrationskosten mit sich brachte, die von weiteren Forschungen verstärkt in den Blick genommen werden können, steht dabei außer Frage. Auch dieser Befund gilt für den gesamtgesellschaftlichen wie den innerkirchlichen Bereich gleichermaßen.[83]

Auch wenn andere Aspekte wie sozialpsychologische oder kulturelle ebenfalls eine große Rolle spielten, waren Wirtschaft, Arbeit und Wohlstand ganz offensichtlich ganz entscheidende integrative Faktoren. Dabei sind Arbeit und Wirtschaft nicht nur materieller Natur, sondern Arbeit geht mit sozialen Interaktionen zwischen Vertriebenen und Einheimischen einher, lässt trennende kulturelle Unterschiede zugunsten einer gemeinsamen Arbeiter- oder Kollegenkultur in den Hintergrund treten und ermöglicht es, Anerkennung und Selbstbewusstsein aufzubauen. Insgesamt plädiere ich gerade nicht für eine „geräuschlose Integration“, denn in diesem Beitrag habe ich ja gerade die massiven, geräuschvoll ausgetragenen Integrationskonflikte herausgearbeitet, die allerdings im Laufe der Zeit zugunsten eines Modus Vivendi zurücktraten. Konflikte, Differenzen und Differenzverarbeitungsstrategien scheinen mir ein beinahe konstitutiver Bestandteil von Integrationsprozessen sowohl im gesellschaftlichen als auch im innerkirchlichen Bereich zu sein. Die Beobachtung, dass es also zu kulturell und religiös bedingten „Reibungsverlusten“ kommt und Integration immer auch mit Konflikten verbunden ist, gehört zu den Schlussfolgerungen, die sich aus diesem Thema ziehen lassen. Jedoch ermuntert die Auseinandersetzung mit der konfliktualen Integration der Ostvertriebenen insgesamt auch zur Gelassenheit: Die grundsätzlich aufgeladenen und theologisch überhöhten Debatten und Konflikte, Differenzen und Verhärtungen, die den Zeitgenossen damals wohl unlösbar schienen, erscheinen schärfer, wenn sie sich in der unmittelbaren Gegenwart der Beobachtenden abspielen; jedoch schleifen sie sich im Laufe der Zeit zugunsten eines pragmatisch notwendigen Modus Vivendi ab und verlieren damit in der historischen Distanz ihre Schärfe. Die Betrachtung historischer Integrationsprozesse und vergangener Integrationsdebatten schärft also letztlich den Blick dafür, wie sich so manche Wahrnehmungsmuster, Fremdheitserfahrungen und Krisenängste, so manche, schon vielfach beschworene Untergänge des Abendlandes epochenübergreifend wiederholen – und sich in der historischen Distanz relativieren. Vergegenwärtigt man sich die Intensität der Konflikte und das aufgeheizte Klima infolge der historischen Integrationssituation, die den Zeitgenossen kaum lösbar schienen, so steht am Ende kein Plädoyer für eine geräuschlose Integration bzw. kulturelle Assimilation, sondern ein zwar problemorientierter, aber letztlich auch gelassener Blick auf die im Modus des Krisendiskurses geführten Integrationsdebatten der Gegenwart.

Zum Autor: Felix Teuchert, geb. 1986, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der interdisziplinären DFG-Forschergruppe „Protestantismus in ethischen Debatten der Bundesrepublik“ an der LMU München.

Anmerkungen:
[1] Der vorliegende Aufsatz entstand im Kontext meiner Dissertation, die ich im Wintersemester 2016/2017 an der LMU München eingereicht und im Februar 2017 verteidigt habe. Meine Dissertationsschrift erscheint voraussichtlich im Juni 2018 bei Vandenhoeck & Ruprecht: Felix Teuchert, Die verlorene Gemeinschaft. Der Protestantismus und die Integration der Ostvertriebenen in die westdeutsche Gesellschaft (AKZG B 172), Göttingen 2018. Das Dissertationsprojekt entstand im Rahmen der interdisziplinären, an den Universitäten München, Göttingen und Erfurt angesiedelten DFG-Forschergruppe „Der Protestantismus in den ethischen Debatten der Bundesrepublik Deutschland.“ Einzelne Teile des Aufsatzes entstammen in modifizierter Form meiner Dissertationsschrift. Einen ersten Einblick in das Projekt gibt: Felix Teuchert, Normativer Anspruch, theologische Deutung und soziologische Analyse. Die evangelische Akademie Hermannsburg-Loccum in den Debatten über die Integration der Ostvertriebenen in die westdeutsche Gesellschaft, in: Christian Albrecht / Reiner Anselm, Teilnehmende Zeitgenossenschaft. Studien zum Protestantismus in den ethischen Debatten der Bundesrepublik Deutschland 1949–1989 (RBRD 1), Tübingen 2015, 171–200.
[2] Klaus J. Bade, Sozialhistorische Migrationsforschung und ´Flüchtlingsintegration, in: Rainer Schulze, Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Bilanzierung der Forschung und Perspektiven für die künftige Forschungsarbeit, Hildesheim 1987, S. 126-162, hier: S. 134. Dies erkannte auch schon die Flüchtlingssoziologie der 40er und 50er Jahre. So wies der Flüchtlingssoziologe Eugen Lemberg daraufhin, dass die Vertriebenenproblematik die Züge eines Klassenkampfes und eines Nationalitätenkampfes trage. Vgl. Eugen Lemberg, Die Ausweisung als Schicksal und Aufgabe. Zur Soziologie und Ideologie der Ostvertriebenen, München 1949, S. 25.
[3] Michael Schwartz, Vertriebene und Umsiedlerpolitik. Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ / DDR 1945-1961, München 2004, S. 19. Zur antislawischen Tradition vgl. Uwe Puschner/Walter Schmitz/Justus H. Ulbricht (Hg.), Handbuch zur "Völkischen Bewegung" 1871-1918, München/New Providence/London/Paris 1996; Uwe Puschner, Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse – Religion, Darmstadt 2001; Stefan Breuer, Die Völkischen in Deutschland. Kaiserreich und Weimarer Republik, Darmstadt 2008.
[4] Vgl. Peter Maser, Die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen, in: Gerhard Besier / Eckehard Lessing, Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union. Band 3: Trennung von Staat und Kirche, Kirchlich-politische Krisen, Erneuerung kirchlicher Gemeinschaft, Leipzig 1999, S. 649-571.
[5] Roman Herzog, Art. Ostgebiete, deutsche, in: Evangelisches Staatslexikon 51966, Sp. 1432.
[6] Hartmut Rudolph, Der Beitrag der kirchlichen Zeitgeschichte zur Flüchtlingsforschung. Hinweise und Fragen, in: Rainer Schulze: Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Bilanzierung der Forschung und Perspektiven für die künftige Forschungsarbeit, Hildesheim 1987, S. 245-252.
[7] Vgl. Axel Schildt, Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland bis 1989, München 2007, S. 4.
[8] Zwar hatten die Bekenntnisgegensätze eine lange Tradition, jedoch waren die Landeskirchen bis zur Vertreibung ab 1944/1945 konfessionell relativ homogene Territorien. Vgl. Peter Maser, Ein schwieriger Neuanfang. Flucht und Vertreibung als Problem der evangelischen Kirchen, in: Deutsche Studien 150 (2005), S. 35-56, hier: S. 36. Mit der Vertreibung war die konfessionelle Struktur der westdeutschen Länder weitgehend erodiert. Vgl. Bernhard Parisius, Aufnahme und Sekundärwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen in den alten und neuen Bundesländern, in: Uwe Rieske, Migration und Konfession. Konfessionelle Identitäten in der Flüchtlingsbewegung nach 1945, München 2010, S. 17-55, hier: S. 17.
[9] In letzter Zeit sind einige Arbeiten entstanden, die sich mit den Fragen beschäftigten, welche Veränderungen z.B. im kirchlichen Leben, in Liturgie, Gottesdienstordnung und Kirchenliedgut durch die ostdeutschen Traditionsbestände bewirkt wurden, in welcher Weise das ostdeutsche Traditionsgut Aufnahme in die Kirchenordnung fand. Vgl. z.B. den Sammelband: Rieske, Migration; Markus Wustmann, „Vertrieben, aber nicht aus der Kirche?“ Vertreibung und kirchliche Vertriebenenintegration in SBZ und DDR am Beispiel der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens 1945 bis 1966, Leipzig 2013. Zum Themenkomplex der Aufnahme insgesamt auch die beiden wörtlich identischen Aufsätze der Reformationshistorikerin Dorothea Wendebourg, Die Evangelische Kirche in Deutschland und die vertriebenen Ostdeutschen, in: ZThK 108 (2011), H. 1, S. 16-49; Dies., Die Evangelische Kirche in Deutschland und die vertriebenen Ostdeutschen, in: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte 90 (2011), S. 43-80.
[10] Seit einigen Jahren nimmt die sozialhistorische Migrationsforschung den Zusammenhang von Religion und Integration in den Blick. Vgl. Hartmut Lehmann, Migration und Religion im Zeitalter der Globalisierung. Einführende Bemerkung, in: Ders.: Migration und Religion im Zeitalter der Globalisierung, Göttingen 2005, 7-12.
[11] Judith Könemann, / Anna-Marie Meuth / Christiane Frantz / Max Schulte, Religiöse Interessenvertretung. Kirchen in der Öffentlichkeit, Christen in der Politik, Paderborn 2015, 124. Ähnlich auch Nolte, der auf die Identität von „christlicher Gemeinschaft“ und „säkularer Gesellschaft“ und auf die privilegierte Situation der Sozialverbände im Sozialstaat aufmerksam macht und den Kirchenaufbau als „Spiegelbild des Staates“ beschreibt. Paul Nolte, Religion als zivilgesellschaftliche Ressource. Integration und Konflikt seit den 1950er Jahren, in: Edmund Arens / Martin Baumann / Antonius Liedhegener, Integration durch Religion? Geschichtliche Befunde, gesellschaftliche Analyse, rechtliche Perspektiven, Zürich 2014, 133-154, 138f. Grundsätzlich ist festzustellen, dass religiöse Akteure in der Analyse der bundesrepublikanischen Gesellschaft systematisch berücksichtigt werden müssen. Vgl. Thomas Großbölting, Der Verlorene Himmel: Glaube in Deutschland seit 1945, Göttingen 2013.
[12] Barbara Tuchman, Wann ereignet sich Geschichte?, in: Dies., Geschichte denken. Essays, Düsseldorf 1982, S. 31f.
[13] Lydia Koelle, Gutachten zum Diskussionspapier Felix Teuchert, Integration und Religion. Theologische und historische Überlegungen zur Integration der Ostvertriebenen in die evangelische Kirche, in: Theologie.geschichte Bd. 12 (2017), online; abrufbar unter: /ojs2/index.php/tg/article/view/953/1003 [Stand: 15.05.2018].
[14] Ebd.
[15] Vgl. u.a. Wendebourg, Kirche, 17f.
[16] Das Objektivitätsideal, mit dem sich die Geschichtswissenschaft konfrontiert sieht, wird aus methodologischer und geschichtstheoretischer Perspektive schon seit langer Zeit problematisiert. An seine Stelle ist stattdessen das Postulat der Intersubjektivität, der Multiperspektivität und der methodischen Kontrolle gerückt. Mittlerweile können diese Verschiebungen, die sich nicht zuletzt den Erkenntnissen aus den Paradigmen der Kulturgeschichte und Diskursanalyse verdanken, als Konsens der Geschichtswissenschaften betrachtet werden. Zur Einführung siehe Edgar Wolfrum, Quellen, Fakten, Urteile. Über die „Werkstatt“ der Historikerinnen und Historiker, in: Praxis Geschichte 20 (2007), S. 3-9.
[17] Koelle, Gutachten. Vgl. Christian-Erdmann Schott, Alternativen zum Territorialprinzip? Fragen an die Eingliederung der Vertriebenen in der evangelischen Kirche, in: Josef Pilvousek, Elisabeth Preuß (Hg.), Aufnahme – Integration – Beheimatung. Flüchtlinge, Vertriebene und  die „Ankunftsgesellschaft“, Berlin 2009, S. 105-115, hier S. 115. Sicherlich setzte sich die kirchliche Zeitgeschichte mit anderen Themen stärker auseinander als mit dem Themenkomplex Flucht und Vertreibung. Dass es keine Auseinandersetzungen nichtbetroffener Kirchenhistoriker gegeben habe, ist auch nicht zutreffend. So sei an dieser Stelle auf die umfassende, eindrucksvolle und wegweisende Arbeit von Hartmut Rudolph verwiesen, dem es m.E. hervoragend gelingt, zwischen Empathie und Nüchternheit zu vermitteln und der ein großes würdigendes Interesse an den Vertriebenen und ihrer Kultur und Theologie ausstrahlt. Vgl. Hartmut Rudolph, Evangelische Kirche und Vertriebene 1945 bis 1972. Bd. 1: Kirchen ohne Land, Göttingen 1984.
[18] Vgl. Rudolph, Kirche Bd. 1. Außerdem: Martin Greschat, „Mit den Vertriebenen kam Kirche“? Anmerkungen zu einem unerledigten Thema, in: Historisch-Politische Mitteilungen 13 (2006), S. 47-76; Wendebourg, Kirche.
[19] Die Vertreter des Ostkirchenausschusses waren in der Frage der Oder-Neiße-Grenze gespalten, was auch auf die kirchenpolitische, politische und theologische Heterogenität des Ostkirchenausschusses zurückzuführen ist. Insgesamt lässt sich die Haltung des Ostkirchenausschusses als Ambivalenz aus Affirmation und Relativierung beschreiben. Einerseits versuchten einige Vertreter des Ostkirchenausschusses, das vehement geforderte Heimatrechtspostulat der Vertriebenen infrage zu stellen, andererseits verteidigten sie das Recht auf Heimat gegen die Befürworter einer Oder-Neiße-Grenze. Zudem lässt sich ab den späten 50er Jahren eine Radikalisierung in dieser Frage beobachten. Wenn auch das Gros der Hilfskomitees die Ost- und Vertriebenendenkschrift der EKD von 1965 ablehnte, sprachen sich auch einzelne Hilfskomitees und prominente Vertriebene wie der langjährige Geschäftsführer des Ostkirchenausschusses, Friedrich Spiegel-Schmidt, für die Denkschrift aus. Vgl. insgesamt: Hartmut Rudolph, Evangelische Kirche und Vertriebene 1945-1972. Bd. 2: Kirche in der Neuen Heimat, Göttingen 1985; Teuchert, Gemeinschaft, S. 333-358.
[20] Rudolph, Kirche Bd. 1, S. 192.
[21] Ebd. S. 193.
[22] Vgl. Martin, Vertriebenen, S. 49 und S. 71.    
[23] Parisius, Aufnahme, 17-55.
[24] Schraut, Sylvia: Zuwanderung nach 1945 und ihre sozialen Folgen. Die Aufnahme der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Württemberg-Baden 1945-1949, in: Christiane Grosser / Thomas Grosser / Rita Müller / Sylvia Schraut, Flüchtlinge - das Zeitproblem. Amerikanische Besatzungspolitik, deutsch Verwaltung und die Flüchtlinge in Württemberg-Baden, Mannheim 1993, S. 167.
[25] Christian Erdmann Schott, Alternativen zum Territorialprinzip? Fragen an die Eingliederung der Vertriebenen in der evangelischen Kirche, in: Josef Pilvousek / Elisabeth Preuß, Aufnahme – Integration – Beheimatung. Flüchtlinge, Vertriebene und „Ankunftsgesellschaft“, Berlin 2009, S. 105-115, hier: S. 107.
[26] Rudolph, Kirche Bd. 1, S. 193. Zum Verfassungsprozess der EKD ebd. S. 201-209.
[27] Schott, Alternativen, S. 107.
[28] Die ehemaligen ostdeutschen Landeskirchen existierten in der Form sogenannter Hilfskomitees weiter, für jede ostdeutsche Landeskirche wurde ein Hilfskomitee gebildet, in welchem in der Regel die ehemaligen Kirchenleitungen vertreten waren. Diese Hilfskomitees waren dem deutschen Evangelischen Hilfswerk zugeordnet und für die karitative und seelsorgerliche Betreuung der Vertriebenen zuständig. Auf EKD-Ebene waren die Hilfskomitees im Ostkirchenausschuss zusammengefasst.
[29] Rudolph, Kirche, Bd. 1, S. 199.
[30] Vgl. Schreiben von Girgensohn an die Kirchenkanzlei vom 30.9.1946 (EZA 17/296); Schreiben von Gülzow an die Kirchenkanzlei vom 30.9.1946 (ADW Berlin ZB 886); Vermerk über die Tagung des Ostkirchenausschusses am 18.1.1947 in Bielefeld, 22.1.1947 (EZA Berlin 17/559). Der Ostkirchenausschuss selbst bevorzugte die Bezeichnung „verdrängte Ostkirchen“. Vgl. Friedrich Spiegel-Schmidt: „Gedanken über die kirchliche Flüchtlingsarbeit in Vergangenheit und Zukunft“, 10.2.1950 (EZA Berlin 607/121).
[31] Schreiben von Gerhard Gülzow an Ulrich Scheuner, 15.11.1947 (ADW Berlin, ZB 1023); Ulrich Scheuner, Gutachten „Rechtsstellung der Ostkirchen“, 30.3.1948 (ADW Berlin, ZB 1023).
[32] So zumindest die Wahrnehmung Friedrich Spiegel-Schmidts in seinem auf der Flüchtlingstagung der EKD am 19.-21.9.1951 in Königswinter gehaltenen Referat „Landeskirchen und Flüchtlingsgemeinden“. Siehe: Niederschrift der von der Kanzlei der EKD vom 19.-21.9. nach Königswinter einberufenen Konferenz über die Fragen der kirchlichen Flüchtlingsarbeit (ADW Berlin, CAW 682). Spiegel-Schmidt spricht hier unter Berufung auf das erwähnte Gutachten von Scheuner von einer „Theorie der doppelten Kirchenmitgliedschaft der Vertriebenen.“ Vgl. ebd.
[33] Davon zeugen Schreiben der hannoverschen, der bayerischen und der Berliner Kirchenleitung vom Januar 1947. Siehe: Rudolph, Kirche, Bd. 1, S. 202.
[34] Hierzu siehe: Philipp Stoltz / Felix Teuchert, Integration durch Architektur? Überlegungen und Beobachtungen zum Zusammenhang von Vertriebenenintegration und Kirchbau in der Nachkriegszeit, in: Mitteilungen zur kirchlichen Zeitgeschichte 9 (2015), 41–66.
[35] Ebd. S. 204. Zu einer Neubelebung der Diskussion um Ausrichtung und Stellung des Ostkirchenausschusses kam es in den Jahren 1949/1950, auch unter dem Eindruck der Entstehung säkularer Flüchtlingsorganisationen. Siehe hierzu: Rudolph, Kirche, S. 390ff. Laut Seim wurden die Zuständigkeiten des Ostkirchenausschusses nie geklärt. Siehe: Jürgen Seim, Hans Joachim Iwand und die vertriebenen Ostpreußen, in: Kirchliche Zeitgeschichte 25 (2012), S. 24-34, S. 25.
[36] Herbert Girgensohn, Memorandum zur Frage der Eingliederung der Ostkirchen (ADW Berlin ZB 886). Außerdem veröffentlich in: Carl Brummack, Die Unverlierbarkeit evangelischen Kirchentums aus dem Osten. Ertrag und Aufgaben des Dienstes an den vertriebenen evangelischen Ostkirchen, Ulm 1964, S. 42-57.
[37] Herbert Girgensohn, Memorandum zur Frage der Eingliederung der Ostkirchen (ADW Berlin ZB 886).
[38] Ebd. Die Formulierung „Lebensgemeinschaft“ nach: Herbert Girgensohn, Flüchtlinge und Kirche, Stuttgart 1948, S. 31.
[39] Protokoll der Tagung des Ostkirchenausschusses am 15.1.1947 in Bethel (ADW ZB 886).
[40] Protokoll der Tagung von Vertretern der bedrängten Ostkirchen am 1.-2.5.1947 in Marburg (EZA Berlin 17/57). Ein namentlich nicht genannter Redner plädierte für ein „gliedhaftes Einfügen“ anstelle eines „Einfügen[s] des Einzelmenschen.“ Vgl. Herbert Girgensohn, „Diaspora als Lebensform der Kirche.“ Referat auf der Marburger Ostkirchentagung am 1.-2.5.1947 (ADW Berlin ZB 886). Ähnlich auch: Vermerk über die Tagung des Ostkirchenausschusses am 18.1.1947 in Bielefeld, 22.1.1947 (EZA Berlin 17/559).
[41] Girgensohn, Flüchtlinge, S. 13f.
[42] So jedenfalls: Rudolph, Kirche Bd. 1, S. 209. Auch Peter Maser stellt fest, dass die Neuordnung der EKD ohne Bezugnahme auf die Vertreibung und damit die Zerstörung ganzer Landeskirchen - ein in der Kirchengeschichte singulärer Vorgang - erfolgt sei. Siehe: Peter Maser, Die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen, in: Gerhard Besier / Ekkehard Lessing, Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union Bd. 3, Leipzig 1999, 649-671, S. 658. Diesen Erneuerungsimpuls mag man mit Vorstellungen parallelisieren, die auf eine Erneuerung des deutschen Volkes zielten, so zum Beispiel Lembergs Vorstellungen einer neuen Volkwerdung, siehe z.B. Eugen Lemberg, Die Entstehung eines neuen Volkes aus Binnendeutschen und Ostvertriebenen. Untersuchung zum Strukturwandel von Land und Leuten unter dem Einfluss des Vertriebenen-Zustromes, Marburg 1950.
[43] Dieses Urteil findet sich nicht nur bei den Akteuren aus dem Umfeld des Ostkirchenausschusses, sondern wird auch in der kirchengeschichtlichen Literatur geteilt, siehe z.B. Rudolph, Kirche Bd. 1, S. 207. Auch: Greschat, Vertriebenen, S. 51.
[44] Girgensohn, Flüchtlinge, 14.
[45] Peter Brunner / Emil Weber / Ernst Wolf, Theologisches Gutachten zur Frage der kirchlichen Eingliederung der Ostvertriebenen und Flüchtlinge, in: Dagmar Pöpping (Bearb.): Die Protokolle des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland. Band 5: 1951, Göttingen 2005, S. 118-122.
[46] Ebd. S. 119.
[47] Ebd.
[48] Ebd. S. 120.
[49] Ebd. S. 121f.
[50] Rudolph, Kirche Bd. 1, S. 228f.
[51] Hierauf weist hin: Lehmann, Migration.
[52] Gerade in den späten 1950er Jahren wurde zudem eine Erbediskussion im Protestantismus geführt, hierzu: Rudolph, Kirche Bd. 2, S. 306-308; Claudia Lepp, Der Protestantismus in den Debatten um gesellschaftliche Integration und nationale Identität, in: Albrecht / Anselm, Zeitgenossenschaft, S. 65–80. Hierzu auch: Stoltz / Teuchert, Integration.
[53] Thomas Grosser, Von der freiwilligen Solidar- zur verordneten Konfliktgemeinschaft. Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft im Spiegel neuerer zeitgeschichtlicher Untersuchungen, in: Dierk Hoffmann / Marita Krauss / Michael Schwartz, Vertriebene in Deutschland. Interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven, München 2000, S. 65-86, hier: S. 75.
[54] Hierzu ausführlich: Stephan Bitter, Altarkerzen oder Wort Gottes? Eine theologische Ratlosigkeit bei der Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen in der Nachkriegszeit, Bonn 2013. Einen strukturell vergleichbaren Fall, wo es ebenfalls zu einer lutherischen Gemeindebildung kam und der schließlich vor dem Schiedsgericht der EKD entschieden werden musste, nennt: Hans Otte, Sind wir nicht alle evangelisch? Konfession und Gemeindebildung in Nordwestdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Rieske, Migration, 202-244.
[55] Wilhelm Hüffmeier, Wir sind richtig evangelisch - Migration und Konfession nach 1945 in der Perspektive der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, in: Rieske, Migration, S. 90-108; Otte, Konfession, in: Ebd. S. 202-244; Marion Wetzel, Integration der Flüchtlinge in die schleswig-holsteinischen Kirchengemeinden, in: Ebd. S. 109-125.
[56] Bitter, Altarkerzen, S. 37.
[57] Ebd. S. 42
[58] Zitiert nach: Rudolph, Kirche Bd. 1, 502.
[59] Bitter, Altarkerzen, S. 43f.
[60] Ebd. S. 41.
[61] Ebd. S. 53-55.
[62] Ebd. S. 45-48.
[63] So vermutet: Bitter, Altarkerzen, 51f. Ein Zusammenhang zwischen Vertreibung, konfessioneller Durchmischung und Pluralisierung des religiösen Lebens ab der zweiten Hälfte der 50er scheint grundsätzlich plausibel, allerdings besteht hier noch Forschungsbedarf. Zur religiösen Pluralisierung seit den späten 50ern insgesamt siehe: Großbölting, Himmel. Einen Zusammenhang von Vertreibung und Pluralisierung vorsichtig andeutend: Greschat, Vertriebenen, 75f.
[64] Hier ist auch auf den Anstieg der gemischtkonfessionellen Eheschließungen zu verweisen, die sich ebenfalls auf die Frömmigkeitspraxis und das kirchliche Leben auswirkten und die kirchenleitende Autorität untergruben. Aus diesem Grund beäugten Kirchenleitungen „Mischehen“ ausgesprochen skeptisch. Vgl. Kristian Buchna, Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in den 1950er Jahren, Baden-Baden 2014, S. 358.
[65] Wetzel, Integration, S. 122. In einigen Fällen konnten die Vertriebenen aufgrund der Mehrheitsverhältnisse eine Dominanz gewinnen, wie Otte am Beispiel des Emslandes zeigt. Vgl. Otte, Konfession, S. 216.
[66] Wetzel, Integration, S. 118-120.
[67] So forderte das ostpreußische Hilfskomitee die Eingliederung der Flüchtlinge und lehnte die Bildung von Flüchtlingsgemeinden ab. Selbst die Bildung von provisorischen Flüchtlingsgemeinden mit dem langfristigen Ziel der Eingliederung lehnte das Hilfskomitee ab. Siehe: Erhaltung oder Eingliederung der Flüchtlingsgemeinde? Thesen der ostpreußischen Pfarrertagung in Hannover, Okt. 1946 (ADW Berlin, ZB 1023). Auch: Jürgen Seim, Iwand. Eine Biografie, Gütersloh 1999, S. 296.
[68] Erhaltung oder Eingliederung der Flüchtlingsgemeinde? Thesen der ostpreußischen Pfarrertagung in Hannover, Okt. 1946 (ADW Berlin, ZB 1023).
[69] Wortbeitrag. Prof. Iwand. Niederschrift über die von der Kirchenkanzlei der EKD nach Ratzeburg einberufene Tagung für kirchliche Fragen der ehemaligen D.P.s und der Heimatvertriebenen, 29-30.8.1951 (EZA Berlin 17/565). Vgl. auch: Hans Joachim Iwand, Kirche und Gesellschaft, in: Ders.: Nachgelassene Werke. Neue Folge, Bd. 1. Bearbeitet, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Ekkehard Börsch. Gütersloh 1998. Iwand war grundsätzlich gegenüber den Kategorien Volk und Volkstum skeptisch eingestellt und lenkte dabei den Blick auf die Gesellschaft. Die Kirche müsse zwar offen sein für die Gesellschaft, dürfe sich aber gerade nicht mit einer bestehenden Gesellschaftsordnung identifizieren. Vgl. ebd. 15f-21 und 231f. Der Begriff Volk und Volkstum spielte insgesamt eine geringe Rolle in seinem Werk und wurde allenfalls abgrenzend gebraucht. Vgl. ebd. Bereits 1935 hatte Iwand in seinen Bloestauer Vorlesungen gegen die völkische Theologie einen „biblischen Realismus“ profiliert, der vom Wort Gottes ausginge. Nach dem Krieg verstand er Christus als „bleibendes Gegenüber“ zur Gesellschaft, „zum Schutz gegenüber säkularisierten Ordnungsvorstellungen“ wie dem „völkischen Organismusdenken.“ Vgl. Christian Johannes Neddens, Politische Theologie und Theologie des Kreuzes. Werner Elert und Hans Joachim Iwand, Göttingen 2010, 612. Zitat ebd. 801. Zudem kritisierte er die aus seiner Sicht drohende Restauration und ordnungstheologische Legitimation der „Einheit von Kirche und Volk, Glaube und Heimat, Religion und Tradition.“ Vgl. ebd. 764.
[70] Auf die Wechselseitigkeit des Integrationsprozesses macht die sozialhistorische Migrationsforschung aufmerksam. Vgl. Jochen Oltmer, Migration im 19. und 20. Jahrhundert, München 2010, S. 6.
[71] Hier nach: Heike Müns, Die Heimatvertriebenen in der wissenschaftlichen Literatur der Kommission für deutsche und osteuropäische Volkskunde, in: Manfred Wille, 50 Jahre Flucht und Vertreibung, Magdeburg 1997, S. 224-235, hier: S. 233. Vgl. auch: Marion Frantzioch, Die Vertriebenen als Fremde. Eine soziologische Betrachtung der ersten Nachkriegsjahre, in: Jahrbuch für Ostdeutsche Volkskunde 327 (1989), S. 171-184, hier: S. 171.
[72] So stellt Bitter fest, dass die theologischen Fragen des Bekenntnisses in den Hintergrund geschoben wurden. Vgl. Bitter, Altarkerzen, S. 51.
[73] Greschat, Vertriebenen, S. 49 und 71.
[74] Wetzel, Integration, S. 121.
[75] Vgl. Greschat, Vertriebenen, S. 71. Otte zufolge kann äußeren Merkmalen die größere Bedeutung zugesprochen werden. Vgl Otte, Konfession, S. 241.
[76] An dieser Stelle wäre es wünschenswert, nach der Funktion und Wirkung theologischer Argumente in den emotional geführten, gesellschaftlichen Debatten um Heimat, ein Recht auf Heimat oder die Schuldfrage, die sich im Kontext des Vertreibungsgeschehens stellt, zu fragen. Hierauf kann nicht weiter eingegangen werden. Ausführlicher vgl. Teuchert, Heimat; Rudolph, Kirche Bd. 2.
[77] Die Angst vor einer Revolution, einer kommunistischen Infiltration oder einen Klassenkampf war in den späten 40er und frühen 50er Jahre allgegenwärtig. Ausdruck dafür sind beispielsweise die Arbeiten der Flüchtlingssoziologen Eugen Lemberg und Max Hildebert Boehm. Vgl. Max Hildebert Boehm, Das Doppelgesicht der deutschen Flüchtlingsfrage, in: Merkur 5 (1951), H. 2, 169-181; Ders., Einschmelzung oder Eingliederung?, in: Litauen und seine Deutschen. Beiträge zur litauischen Geschichte sowie über die deutsche Volksgruppe in Vergangenheit und Gegenwart, Würzburg 1955, S 101-115; Ders.: Kirche und Flüchtlingsassimilation, in: Siegfried Wendt, Die Eingliederung der Vertriebenen als seelische, soziale und wirtschaftliche Eingliederung, Berlin 1951; Lemberg, Ausweisung. Vgl. auch: Michael Schwartz, Vertriebene im doppelten Deutschland. Integrations- und Erinnerungspolitik in der DDR und in der Bundesrepublik, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), H. 1, S 101-151; Andreas Kossert, Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945, München 2008.
[78] Schwartz, Vertriebene im doppelten Deutschland, 134.
[79] Matthias Stickler, Ostdeutsch heißt gesamtdeutsch. Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzung der deutschen Vertriebenenverbände 1949–1972, Düsseldorf 2004, S. 138–140.
[80] Ebd.
[81] Schwartz, Vertriebene im doppelten Deutschland, 134.
[82] Vgl. hierzu auch Teuchert, Gemeinschaft.
[83] Ebd.

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