Doing identity, doing biography, doing conversion
Cordula Wöhler/Peregrina/Schmid in den Analysekategorien »Geschlecht«, »Konfession«, »Heimat«
Segne du, Maria, segne mich, dein Kind,
daß ich hier den Frieden, dort den Himmel find´!
Segne all mein Denken, segne all mein Tun,
laß in deinem Segen Tag und Nacht mich ruh´n!
Segne du, Maria, alle, die mir lieb,
deinen Muttersegen ihnen täglich gib!
Deine Mutterhände breit´ auf alle aus,
segne alle Herzen, segne jedes Haus!
Segne du, Maria, jeden, der da ringt,
der in Angst und Schmerzen dir ein Ave bringt.
Reich ihm deine Hände, daß er nicht erliegt,
daß er mutig streite, daß er endlich siegt.
Segne du, Maria, unsre letzte Stund´!
Süße Trostesworte flüstre dann dein Mund!
Deine Hand, die linde, drück´ das Aug´ uns zu,
bleib im Tod und Leben unser Segen du![1]
Am 06.02.2016 jährte sich der Todestag von Cordula Wöhler
zum hundertsten Mal. Zwischen 1870 und 1916 war sie eine der
bekanntesten Schriftstellerinnen von Andachtsliteratur im katholischen
Raum gewesen. Nach dem I. Weltkrieg versank sie in Vergessenheit.
Symptomatisch dafür mag sein, dass eines ihrer frühen
Gedichte, das sie anlässlich ihrer Konversion und dem damit
einhergehenden zwangsweisen Abschied von ihrem evangelisch-lutherischen
Elternhaus 1870 (ihr Vater war Pastor im konfessionell geschlossenen
Mecklenburg-Schwerin gewesen) geschrieben hatte,[2] im
süddeutschen Raum einen recht großen Bekanntheits- und
Beliebtheitsgrad erreicht hat. Dennoch kennt die Verfasserin heute kaum
jemand mehr. Das ist vermutlich auch der Fall bei zahlreichen, für
das heutige ästhetische wie religiöse Empfinden, kitschigen
Andachtsbildchen, für deren Texte Cordula Wöhler oder unter
ihrem Pseudonym Cordula Peregrina, verantwortlich zeichnete. Auch der
hundertste Todestag gab keinen Anlass zu größeren
Gedenkfeierlichkeiten in Schwaz, Tirol, wo sie lebte, wirkte und
schließlich schwer krank starb.
Methodisch birgt die Biographie Cordula Wöhlers einige
Herausforderungen, die zeigen, dass Biographie und Identität
mannigfaltige Facetten besitzen. Das macht sie zumindest für
Methodenfragen interessant, um die es in diesem Aufsatz gehen soll: Wie
kann man sich methodisch (Auto-)Biographien von Konvertitinnen
annähern? Dieser Aufsatz will bisherige Forschungsdiskussionen
bündeln und mögliche methodologische Schneisen ziehen. Ein
besonderer Schwerpunkt liegt hierbei auf dem deutschen Sprachraum im
langen 19. Jahrhundert.
Denn während es für die Frühe Neuzeit eine ganze Reihe
von Untersuchungen über Konversionen gibt, gerade im Bereich der
Genderforschung, ist das 19. Jahrhundert diesbezüglich noch nicht
sonderlich untersucht. Maria Wojtczak[3]
legte 2009 erstmals aus
literaturwissenschaftlicher Perspektive einen Überblick über
konvertierte Schriftstellerinnen vor, wobei sie sich nur auf den
Glaubenswechsel von evangelisch zu katholisch beschränkte und,
anders als im Titel angekündigt, den Zeitraum noch weit ins 20.
Jahrhundert hinein schob. Angelika Schaser lieferte Mitte 2012 mit
Verweis auf einen weiteren Aufsatz ein erstes Teilergebnis zur
Einordnung von Konversionserzählungen des 17. bis 19.
Jahrhunderts, auch hier mit Fokus von evangelisch zu katholisch.[4]
Biographie und »weibliches« Schreiben
Die Erforschung schreibender Frauen ist eng verknüpft mit
women´s history, bzw. Frauengeschichte. Dies hat eine ganze Reihe
von Gründen: Zum einen blieb diesen Frauen bis ins 18. und noch
ins 19. Jahrhundert hinein der literarische Markt verschlossen, sie
mussten auf Nischen ausweichen. Autorinnen galten als unnatürlich,
wenn, sollten sie sich an ihr eigenes Geschlecht wenden,
moralisch-erzieherisch wirken, zur Versittlichung beitragen, sich
nützlich machen. Ihre Produkte galten als minderwertig, keine
»hohe Literatur«. Die Kritik an der mangelnden Beachtung
dieser Autorinnen in der Literaturwissenschaft ging dementsprechend
dahin, die Trennung zwischen »Literatur« und
»Belletristik« als womöglichen männlichen gender
bias zu brandmarken.[5]
Anna Babka hat hierzu drei zentrale
Kritikpunkte ausgemacht:
„daß Frauen »außerhalb des Gesetzes«
platziert werden, also sowohl außerhalb des Gesetzes von Genre
als auch außerhalb der Vorstellung eines identischen
Subjekts/Selbst; daß die weibliche Autobiographie
unterdrückt und nicht in den Kanon aufgenommen wird, weil sie die
»wahren«, also männlichen Autobiographien
kontaminiert; daß die männliche Autobiographie als universal
und die weibliche als ein Produkt einer weiblichen Erfahrung gelesen
wird.“[6]
Weil »weibliches« Schreiben als auf Grund
ökonomischer Zwänge minderwertiges, mit mangelnder
Objektivität behaftetes, die Schriftstellerinnen als
marginalisierte, gebrochene Subjekte ausgemacht wurden, galten
„autobiographisch markierte Texte […] innerhalb der feministischen
Theorie als nahezu paradigmatisch für die Subjektivierung der
schreibenden Frau“ (ebd.). Anfängliches Ziel war daher, diese
Schriftstellerinnen wieder dem Vergessen zu entreißen und ihnen
so endlich die vermeintliche Würdigung zukommen zu lassen.[7]
Dieses Vorgehen jedoch weist einen grundsätzlichen Denkfehler auf:
„welche Kriterien erlauben uns zu sagen, daß ein Text
feministisch oder feminin sei?“ (Babka 2002, S. 16) Almut Finck hat
dazu mehrere Vorbehalte formuliert, die sich alle auf die
grundsätzliche Beobachtung reduzieren lassen, dass ein solches
Vorgehen die Dichotomien, die kritisiert werden, wieder reproduziere,
wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen: männlich-weibliche
Heterosexualität, privat – öffentlich, gespalten –
ganzheitlich, zielgerichtet – sozial, etc.. „Was der Frau einst zum
Nachteil gereichte, […] das wird jetzt als schätzenswerte
Eigenschaft betrachtet.“ (Finck 1999, S. 123) Diese Abspaltung
entspricht der Strategie von Identitätspolitiken sich als
marginalisiert begreifender Bevölkerungsgruppen. Dadurch wird die
Geschlechtszuweisung und -bezeichnung »Frau« zu
Differenzsetzungen wie »Rasse« oder »Klasse«.
Um das Dilemma der Reproduktion zu überwinden – und, so will ich
ergänzen, der Versuchung widerstehen zu können,
künstlich Einheitlichkeit zu erzeugen wo keine ist[8] –,
formulierte Finck mit ihrer „Theorie positionaler Identität“
(Finck 1999, S. 19) ein Umdenken: Von der Prämisse ausgehend,
„daß beide, Subjekt als auch der kulturelle Kontext, immer schon
aufeinander verwiesen sind, daß sie erst
»nachträglich« in und mit den Verfahrensweisen
entstehen, mittels derer Subjektivität und Wirklichkeit erfahrbar
gemacht werden“ (Finck 1999, S. 17), kann die Aufmerksam weg von den
Essentialisierungen hin zu den Herstellungspraktiken beider gelenkt
werden. Es gälte,
„die Aufmerksamkeit auf die diskursiven Praktiken und die
Modelle kultureller Sanktionierung zu lenken, die die Annahme
bestimmter Subjektpositionen provozieren oder verhindern. Es
gälte, nicht nur nach der Art und Weise der sozio-kulturellen
Konstruktion von geschlechtsspezifisch markierten Bedeutungen zu
fragen, sondern auch nach den Konsequenzen der Tradierung oder
Subversion dieser Bedeutungen. In welchem und in wessen Interesse
liegen die Aufrechterhaltung binärer Oppositionen […] und deren
geschlechtsspezifische Zuschreibung? Welche Technologien der
Naturalisierung und der Essentialisierung kommen zum Einsatz, um diese
Binarismen zu etablieren, gleichzeitig aber im Verborgenen zu lassen,
daß es sich dabei um kulturelle Konstrukte im Dienste
hegemonialer Ansprüche handelt?“ (Finck 1999, S. 126)
Dadurch wird »weibliche« Biographie,
»weibliche« Erfahrung als
„»nachträgliches« Produkt sozio-kultureller
Kodifizierung“ sichtbar; „der autobiographische Akt der Erinnerung und
Bewußtmachung“ wird als „ein performativer Akt, der das zu
Vergegenwärtigende zuallererst hervorbringt, weil alle Erinnerung
»nachträglich« ihren Gegenstand erzeugt“, erkannt
(Finck 1999, S. 129). Insofern kann von einer „Geschichte des
positionalen Subjekts“ statt von „Identität“ gesprochen werden,
weil dadurch „das Prozesshafte und die Unabgeschlossenheit von
Identitätsentwürfen, ihre Inkohärenz, ihr Wandel und
damit ihre Heterogenität und Multiplizität“ (Finck 1999, S.
19) ausgedrückt wird.
Das bedeutet nicht, die feministische Kritik zu entschärfen.
Vielmehr führt das Verständnis von »Person« als
multikategorial, die Erkenntnis, dass „conceptions of the self […] in
different cultures, categories and conceptions […] underlie a variety
of styles of self-representation or self-fashioning”,[9] zu einem
offeneren Verständnis von Subjekt-Sein. „Die einzelnen
Subjektpositionen sind immer nur locker umrissen und tentativ
festgelegt, transitive Positionen […], ständig im Übergang
begriffen […]“ (Finck 1999, S. 134). Die Wahrnehmung, bzw. Bestimmung
dessen, was »Subjekt« ist, geschieht allerdings erst im
Nachhinein, so dass Fincks Theorie erst durch das Prinzip der
Nachträglichkeit vervollständigt wird (vgl. Finck 1999, S.
133-135).
Die Geschichte des positionalen Subjekts ereignet sich somit in der
gegenseitigen Verhandlung von Selbst-Konstruktion und Kontext, unter
der Finck „ständig verschiebende textuelle Felder“ (Finck 1999, S.
137) versteht, bzw. ist „keine Form von Referenzialität
vorstellbar […], in die nicht schon von Anfang an die sozio-kulturellen
Verhaltensmuster eingeschrieben sind, die in einer bestimmten
Gesellschaft zu einem bestimmten historischen Augenblick miteinander
konkurrieren.“ (Finck 1999, S. 135) Oder, anders gesagt: „Our
performance of self-narration […] takes place in an environment of
social convention and constraint.“[10]
Hier kann an das Konzept des habitus von Pierre Bourdieu und Judith
Butlers performance-Verständnis[11]
angedockt werden, denn diese
beschriebenen Aushandlungsprozesse sind im wahrsten Sinne des Wortes
Verkörperungen des Selbst. „Der Körper, den das Subjekt
sinnlich wahrnimmt, ist immer schon mit Zeichen befrachtet.“ (Finck
1999, S. 21) Er lebt somit in einem signifikanten
Verweisungszusammenhang. Erleben ist nur als Erfahrung sprachlich in
das Bewusstsein hervorholbar, reflektier- und deutbar, sozial
kommunikabel. Als eigenes gedeutetes Erleben wird sie zur narrativen
Selbstidentifikation, die darauf angelegt ist, Subjektivität „vor
den Augen eines Anderen und für die Augen eines Anderen zu
entfalten.“[12] Als
solche ist sie den vorgegebenen Diskursen als
Regelwerke unterworfen, entlang deren Vorgaben und Grenzen sich jedoch
Individuation ereignet, gestaltet wird, die Grenzen austestend,
verändernd. Dies geschieht „durch Repetition und Iteration von
Wahrnehmungen und Handlungen […]. Man weiß aus Wiederholung und
wiederholt um zu wissen“ (Kauppert 20102, S. 210), aber auch durch
eigensinnige Variation der Zitation. Subjektivität erweist sich
somit als performativ, prozessual, nie rigide festschreibbar, aber
immer eingebettet in historische Bezüge – doing identity.[13]
Insofern ist das Erzählen einer Lebensgeschichte immer ein
sozialer Prozess der Selbstrepräsentation und des Ringens um
Anerkennung.
„Eine solche Geschichte würde von den Orten erzählen,
die das Subjekt im Laufe seines Lebens besetzt hält und wieder
verläßt, und auch von denen, die es nicht einnimmt. Sie
würde berichten von Orten des Sprechens, von den diskursiven
Formationen, komplexen Regelsystemen, Codes und Markierungen, an deren
Konsolidierung oder Destabilisierung das Subjekt, wenn es sich mit und
in seiner Geschichte performativ einschreibt, ebenso beteiligt ist wie
an der eigenen. Die Geschichte des Subjekts wäre die der
Positionen, die sich ergeben, indem das Subjekt an dem Netz, in das es
eingelassen ist, unentwegt weiterwebt.“ (Finck 1999, S. 19)[14]
Der deutsche Begriff »Geschlechterforschung« hat
gegenüber gender studies den Vorteil, dass er „die gegenseitige
Verwiesenheit von sex und gender in der Konstruktion von Geschlecht und
dem Verständnis dessen als Geschlechtlichkeit“ verstärkt in
den Blick nimmt.[15] Die
Kategorisierung signalisiert, dass von einem
instabilen Geschlechterverständnis ausgegangen wird, um dessen
Stabilität gerungen, das immer wieder durch Aushandlungsprozesse
hergestellt werden muss. »Geschlecht« ist somit Teil des
Differenzierungsprozesses von doing identity, dessen Benennung als
doing gender einen Identitätsmarker darstellt.
»Geschlecht« ist demnach eine Differenzsetzung neben
anderen, wie »Rasse/Ethnizität«, »Klasse«,
»Alter«, aber auch religiöse oder nationale
Loyalitäten. Differenzsetzungen als Bezeichnungen und Betonungen,
Auslassungen und Verschweigen sind sowohl Mittel der
Identitätsbildung als auch Mittel des Aushandelns sozialer
Positionierungen innerhalb diskursiver Vorgaben, Rahmenbedingungen,
Handlungsräume, die wiederum Produkt dieser Aushandlungsprozesse
sind. Im Einzelnen kreuzen sich dadurch struktureller Rahmen und
agency. In dieser Überkreuzung,[16]
Überlagerung,
Interdependenz[17] bilden
sich Unterscheidungen heraus,
Ungleichheitslagen, In- und Exklusionen, Individuationen, die ohne die
Beziehung »dazwischen« aber nicht möglich wären.
Subjektwerdung als handelnde (Akteur) und als selbst-reflexive (Selbst)
geschieht somit „Jenseits des autonomen Subjekts“[18], im Zwischenraum,
in der Relation und in den Momentaufnahmen von Festlegungen. Sie ist
nicht nur hybrid[19],
sondern spannungsvoll trans-different[20],
mehrfach-schillernd.
Lebensgeschichte – (Auto-)Biographie –
Egodokumente – Selbstzeugnisse
Lebensgeschichte beinhaltet daher Identitätsbildung und
Selbstrepräsentation als Anerkennungsstrategien. Als eine solche
ist sie gedeutete Geschichte, in der Vergangenes selektiv in die
Gegenwart geholt und interpretiert wird für zukünftige
Orientierung. Sie ist „Erzählen als Sinnbildung“[21], eine
sinn(en)hafte Fiktion, eine Selbstästhetisierung, so dass ihr
etwas vom Charakter eines Kunstwerkes anhaftet. Deshalb ist es
interessant zu fragen, „in welcher Weise Konstruktionen von Person als
und in Erzählungen erfolgen“ (ebd.): Welchen sprachlichen
Konventionen und Topoi folgt der Text? Wie werden sie verwendet? Wie
ist der plot aufgebaut? Welche Authentifizierungsstrategien werden
verfolgt, um »Echtheit« herzustellen? Auch hier gilt:
Lebensgeschichte wird gemacht – doing biography (vgl.
Hijiya-Kirschnereit 2012, S. 174-177)
Biographie als Lebensgeschichte und in ihr die
Konversionserzählung als eine Form von biographischem
Erzählen, formt Erinnerungen und ist damit eine
gedächtnisbildende Leistung. Als solche wird sie zum Gegenstand
historischer Forschung, zur Quelle, die es zu analysieren gilt.[22] Als
Leitfrage dient das „Konzept der »Volkskultur«“.
Interessant sind „vor allem [..] jene[.] Typen von Quellen […], die
einen möglichst direkten Zugriff auf individuelle und kollektive
Deutungen, Wertungen oder soziales Wissen ermöglich[.]en.“[23] Auf
diese Weise gehen erziehungswissenschaftliche,
entwicklungspsychologische, volkskundliche, ethnologische und Methoden
der qualitativen Sozialforschung in die Geschichtswissenschaften ein
(Fuchs-Heinritz 20094, S. 114f.).
Nicht zuletzt betrifft das auch die Gattungsfrage, denn hier hat sich
das Interesse und die Klassifikation der Forschung in den letzten
Jahren eher weg von der (Auto-) Biographieforschung hin zu
Ego-Dokumenten und Selbstzeugnissen verlagert. Philippe Lejeune hatte
Autobiographie einst definiert als „A retrospective prose narrative
produced by a real person concerning his own existence, focusing on his
individual life, in particular on the development of his personality.”
Wichtig dabei war ihm der „»autobiographical pact«: a piece
of writing can be considered autobiographical if readers recognize it
as such, having been given sufficient reason to do so.”[24] Um auch
Biographien mit einzubeziehen schlugen Sidonie Smith und Julia Watson
den Begriff life narrative vor (Baggerman 2011, S. 458). Sparn spricht
für die Konzeption von Lebensgeschichte im Dreierverhältnis
Biographie, Autobiographie und Hagiographie gar von der Kunst der
Komposition und Dichtung von Lebensläufen.[25]
Baggermann macht als Durchbruch für die Autobiographie die Zeit um
1800 fest, wobei es bereits antike Vorbilder (Augustinus: confessiones)
gegeben habe, bis zu Rousseaus Confessions 1782 als Wasserscheide.
Ähnliches findet sich bei Winfried Schulze, der explizit
religiöse Literatur wie Ordensgeschichte, Sündenbekenntnisse,
Inquisitionsvorgaben und Konversionserzählungen als für die
Autobiographieentwicklung seit dem Mittelalter über die Frühe
Neuzeit hindurch wichtig benennt. Zudem seien zu ihrem Siegeszug die
„leichtere[.] Verfügbarkeit von Papier“, zunehmende
Verschriftlichung in Handel und Verwaltung, eine „intensivierte
Bildung, fortschreitende berufliche Differenzierung“, „neue soziale
Mobilität“, Individualisierung „als notwendiges Gegenstück
zum System des absolutistischen Staates“, „die beginnende
wissenschaftliche Erforschung der menschlichen Seele und der Affekte“
und ein wachsender literarischer Markt zentral gewesen (Schulze 1996,
S. 18-20).[26] In Bezug
auf das 19. Jahrhundert machte nicht nur
Shalini Randeira „auf die enge Verbindung aufmerksam, die zwischen dem
Konzept des modernen Individuums und dem Nationalstaat existiert: Das
Individuum wird immer als Staatsbürger gedacht und ist in den
nationalstaatlichen Strukturen und Vorstellungswelten verankert.“[27]
In die Kategorie autobiographisches Schreiben subsumiert Baggermann
dann aber auch Tagebücher als Mittel der Introspektion, als
„autobiographies in the making“ (Baggerman 2011, S. 483). Dass es um
den Beginn des 19. Jahrhunderts zu einer Fülle
(auto-)biographischen Schreibens kam, macht Baggerman an Kosellecks
Sattelzeit um ca. 1750-1850 fest und gibt dazu mannigfaltige
Gründe: die industrielle Revolution mit ihren durchgreifenden
Folgen für die Alltagswelt und die Weltwahrnehmung des Einzelnen,
Revolutionen, Säkularisierung, Wertewandel, eine Zeit voller
Spannungen, in der Vergangenheit und Zukunft auseinanderdriften und es
so zu einem linearen statt zyklischen Zeitgefühl und historischen
Bewusstsein gekommen sei (vgl. u.a. Burke 2011, S. 13), aber auch die
Messbarkeit und Disziplinierung der Zeit. Das Schreiben habe dazu
gedient, die als relevante Zeit erlebte Gegenwart festzuhalten mit
ihren Umbrüchen und gleichzeitig das, was im Begriff war zu
verschwinden, in Erinnerung zu halten. Gleichzeitig sei dadurch das
historische Bewusstsein der Schreibenden gestärkt worden. Auch sei
nun »Zeit« zu einer wertenden Kategorie im Sinne von
»altmodisch« und »der Zeit voraus« geworden.
Diese Art literarischer Produktion, so Baggerman in der
Präsentation ihrer Forschungsergebnisse für die Niederlande,
habe in der Mitte des 19. Jahrhundert einige charakteristische Merkmale
aufgewiesen, die sie als periodisierendes Moment für die Moderne
im Unterschied zur Frühen Neuzeit bewertete: Auf Grund des
Bewusstseins eines permanenten Wandels seien oftmals
Kindheitserinnerungen, Bilder und Szenen aus dem scheinbar zeitlosen
Landleben beschrieben worden: eine scheinbare verlorene, heile Welt,
begleitet mit einem melancholischen Unterton in Bezug auf die
verunsichernde Gegenwart, aber auch die Kindheit als Prägung
für das zukünftige Leben, das es – entsprechend des
Fortschrittsparadigmas – zu gestalten gilt (vgl. Baggerman 2011, S.
494, 522, 528f., 530, 532f., 535).
Doch Gabriele Jancke und Claudia Ulbrich gemahnen zur Vorsicht:
„Durch solche Entwicklungsgeschichtlichen Ansätze [wie die
Sattelzeit – Anmerk. der Verfasserin] werden Traditionen konstruiert,
die auf einer schmalen Quellenbasis und einseitigen Wahrnehmungen
beruhen […]. Äußerst problematisch wird dies vor allem dann,
wenn auf dieser Grundlage Verallgemeinerungen vorgenommen werden.
Christliche, nichtadelige, gebildete, weiße, europäische und
vielfach schriftstellerisch tätige Männer und ihre Texte
werden so zu Trendsettern: Ihre Tätigkeiten, ihre Themen und ihre
Weltsicht werden als charakteristisch für eine ganze Epoche
dargestellt. Die damit verbundenen Machtverhältnisse […] bleib[en]
ausgeblendet, obwohl gerade hier geschlechter- und schichtspezifische
Inklusions- oder Exklusionsmechanismen zur Geltung kommen.“ (Jancke und
Ulbrich 2005, S. 15.)
Ob allerdings diese Quellenbasis tatsächlich so schmal ist, dem
wage ich zu widersprechen: Zwar gehört zur Möglichkeit,
schriftstellerisch tätig werden zu können ein gewisses
Maß an Bildung und damit lange Zeit eine privilegierte Stellung.
Mit der Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht jedoch weitete sich
die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können aus. Gerade das
Aufkommen diverser Formen von Massenliteratur im 19. Jahrhundert fiel
hier mit Nationalstaatsbildung und Demokratisierungsbestrebungen
zusammen. Diese Breitenwirkung verhalf wenigen zur Position
einflussreichem Trendsettings, so dass die auf den ersten Blick geringe
Quellenbasis nicht im Widerspruch zur Beobachtung von großen
Strukturveränderungen steht.
Hier kann gerade der Topos des Landlebens unter Verwendung von Peter
Fritzsche als wichtiges Scharnier in zweifacher Hinsicht gesehen
werden: erstens in der Verknüpfung von »Geschichte«
und »privat« im Selbst-Verständnis des modernen
Subjektes, zweitens in der Deutungsarbeit und dadurch gleichzeitig dem
Kampf um das, was »Nation« ausmacht:
„Once the rural, the old-fashioned and the homespun came to be
recognized as representing national identity, rather than serving as
outpost of economic underdevelopment, the national form was open to a
far-reaching elaboration. […] And just as the nation represented itself
in the household, the private space of the home was cultivated in a way
to depict national and historical specificities”.[28]
Heimatromane, Konversionserzählungen, Gedichtbände etc.
werden somit machtvolle Mittel, imagines communities mit dem Element
der Nostalgie zu konstruieren, die dann um die hegemoniale
Deutungsmacht der »Nation« ins Feld geführt werden
können.[29] Indem
fiktiv eine „spiritual domain“[30]
errichtet
wird, die zu einem scheinbar unschuldigen und zugleich kraftvollen
Anfang wie zu einem unantastbaren Kokon zurückführt, wird
versucht, das, was man selbst für die »nationale
Identität« hält, vor den scheinbaren Bedrohungen zu
schützen. »Nation« wird zu einem narrativen Konstrukt,
das der Lüge, Verschleierung, Homogenisierung, Glättung, des
Vergessens und einseitigen Betonens bedarf.[31] Hier trifft sich die
private Lebensgeschichte mit der Erzählung der Nation. Denn die
(Auto-)Biographie des Bürgers und der Bürgerin, ob nun
Groß- oder Kleinbürgerlichkeit, werden Teil der „marker of
cultural and national difference.“ (Fritzsche 2007, S. 91) Die
Massenproduktion von Literatur spielt dadurch eine zentrale Rolle als
propagandistisches Mittel.
Zentral scheint mir das Konzept der republican motherhood zu sein und
Freverts Unterscheidung von Bürger und Bürgerin.[32] Im Zuge
der Nationalstaatsbildung, so diese Forschungen, wurden traditionelle
Rollenzuweisungen wie Erziehung, Schaffung eines idealen Zuhauses als
Repräsentationsort des öffentlichen Haushaltes neu
vitalisiert und funktional angepasst: »Der Frau« kommt die
Rolle der Grundlagenlegung von Zivilisierung[33] im Haus zu.
»Weibliche« Literaturproduktion hat diesem Anspruch zu
folgen. Insofern wird es im Kontext des Kulturkampfes wichtig, dass
weibliche Identifikationsfiguren geschaffen werden, die ihr Person-Sein
öffentlich propagieren, bzw. propagieren lassen. Konvertitinnen
wie die mecklenburgische Adelige Ida Hahn Hahn und ihre Landsfrau, die
Pastorentochter Cordula Wöhler z.B. bekommen dadurch (kirchen-)
politische Brisanz.
Insofern muss die Quellenbasis von der (Auto-)Biographie hin zum
Tagebuch und weiter geöffnet werden. Dies zeigt die umfangreiche
»egodocument«-Forschung der Niederlande, von Baggerman,
Dekker u.a.[34] Diesen
Schritt nachvollziehend und (Auto-)Biographie
darunter subsumierend, stütze ich mich auf Ego-Dokumente in
Anlehnung an Jacob Presser und Rudolf Dekker als all „jene Texte […],
in denen »ein ego[Andrea N1] sich absichtlich oder unabsichtlich
enthüllt oder verbirgt«.“[35]
Das von Schulze umrissene
Quellenmaterial führt mitten in die Alltagsgeschichte, ihre
verwaltungstechnischen Vollzüge und Deutungen gleichermaßen.
Dem gegenüber grenze ich noch einmal die Gruppe der
Selbstzeugnisse ab als jene Texte, die den freiwilligen, bewussten Teil
der Ego-Dokumente enthalten. Somit sind Selbstzeugnisse eine Teilmenge
von Ego-Dokumenten. Zu ihnen gehören (Auto-)Biographien und
Memoiren ebenso wie Tagebücher, Reiseberichte, Briefe,
Bekenntnisse, Konversionserzählungen.[36] Auch Selbstzeugnisse
müssen als doing biography begriffen werden. Dadurch wird die
kritische Historisierung des doing biography unerlässlich.
Folgender Fragenkatalog kann deshalb hilfreich sein:
„Welche möglichen Aspekte einer Person thematisieren die
Verfasserinnen und Verfasser in ihren Texten? Welche Rolle spielen der
Körper, Gegenstände, Beziehungen, Bindungen und Orte?
Konstruieren Menschen sich idealtypisch (und erzählen uns damit
etwas über die Werte ihrer Zeit), oder imaginieren sie ihr Leben
als Gegenbilder der bestehenden Ordnung? Schaffen sie sich im Schreiben
eine Welt, die fern ihrer eigenen Realität ist? Welche
Geschlechterordnungen werden sichtbar, welche Gruppenkulturen, welche
Inklusions- und Exklusionsmechanismen? Wo genau verläuft die
Trennlinie zwischen den Geschlechtern? Wie situativ und kontextgebunden
sind die in Selbstzeugnissen artikulierten Personenkonzepte? Oder
läßt sich von einem epochentypischen oder einem
einheitlichen, schichten- und geschlechterübergreifenden Modell
von Person sprechen? Welche Möglichkeiten bieten sich, diese
Fragen mit Selbstzeugnissen zu untersuchen (bzw. welche anderen Quellen
müßten herangezogen werden)? […] Wie können Einzeltexte
so gelesen werden, daß Strukturen und Muster sichtbar werden?
Welche Einsichten über Möglichkeiten in einer Gesellschaft
lassen sich an einzelnen und besonderen Fällen gewinnen?“ (Jahncke
und Ulbrich 2005, S. 25f.)
Insbesondere was die autobiographische Gattung der Konversionserzählungen betrifft, ist nach Verifizierungs- und Authentifizierungsstrategien zu fragen, nach Sub- und Beitexten, nach Topoi, Sprachgewohnheiten, Schreibkonventionen, die es den Lesenden ermöglichen sollen, das Dargestellte als »wahr«, »verlässlich« anzunehmen und dadurch für sich etwaige Identifikationsmöglichkeiten abzuschöpfen.
Analysekategorien
Um dieser Komplexität habhaft werden zu können, bietet es sich meiner Ansicht nach bei der Konvertitin und Schriftstellerin Cordula Wöhler an, eine Analyse anhand von drei Analysekategorien zu organisieren: »Geschlecht«, »Konfession«, sowie »Heimat«. Alle drei Kategorien können als performative Identitätsmarker begriffen werden, so dass sich anhand des Zusammenspiels von Biographie und Netzwerkanalyse ein umfassendes, wenn auch keinesfalls vollständiges, Bild rekonstruieren lässt. Vielmehr werden gedeutete Lebenskreise sichtbar, die deswegen zentrale Facetten auf deren Biographie offenlegen, weil diese von ihr selbst in ihren Selbstzeugnissen (Tagebücher, Briefe, Selbstdeutungen in ihren Publikationen als Herstellung von Authentizität, die nicht zuletzt der besseren Vermarktung diente) thematisiert wurden. Auf zwei dieser Analysekategorien will ich im Folgenden näher eingehen: Konfession und Heimat.
Konfession
In der Analysekategorie »Konfession« kommen (kirchen)historische und religionssoziologische Ansätze zusammen. Sie dient dazu, erstens dem Konversionsgeschehen habhaft werden zu können und zweitens die These vom zweiten konfessionellen Zeitalter[37] aus frömmigkeitsgeschichtlicher Sicht erneut zu diskutieren. Hier komme ich der Forderung Lucian Hölschers an die Kirchengeschichte entgegen, „von der religiösen Praxis und den religiösen Vorstellungen der Gläubigen, nicht von den kirchlichen Organisationen und ihren politischen Aktionen“[38] auszugehen. Auch ist hierbei dessen weite Definition von »Frömmigkeit« hilfreich: „ein Ensemble von religiösen Vorstellungen und Handlungsformen, die ein Individuum, eine Gruppe oder eine Institution dauerhaft pflegt.“ (ebd.) Es ist sinnvoll, von einer vorherigen Bestimmung, was »fromm«, »religiös« oder »Religion«, und hier, was »evangelisch« oder »katholisch« sei, abzustehen und stattdessen zu beobachten, was in den Quellen als solches bezeichnet wird, wie »Konfession« und »konfessionelle Identität(en)« aufgebaut wird/werden (vgl. Hölscher 2005, S. 11-15). Nicht was der Inhalt dieser konfessionellen Identität vorgeblich sei, wird demnach bestimmt, sondern es werden vielmehr die Differenzsetzungen in den Konversionsgeschichten aufgespürt. Hölscher empfiehlt, hier die Kreise konzentrisch von der „seelischen Innenausstattung“ aus nach außen zu ziehen (vgl. Hölscher 2005, S. 11f.).
Zur Analyse des Religionswechsel sind darüber hinaus
Ansätze der Konversionsforschung aus der Religionssoziologie
unabkömmlich. »Religiöse Konversion« wird
gemeinhin als Wechsel von einer Religion oder Konfession/Denomination,
bzw. religiöser Tradition in die andere definiert. Wohlrab-Sahr,
Krech und Knoblauch entfalten die ganze Palette der Herleitungen und
Bedeutungen des Begriffs:
„im Hebräischen »shub« und dem griechischen […]
»epistrephein«, »stephein« und
»metanoia«, die alle einen dramatischen Wandel, eine Wende
von einer Auffassung zu einer anderen oder eine Rückkehr zu einer
früheren Auffassung bezeichnen. In religionssoziologischer
Perspektive sollten […] verschiedene Aspekte von Konversion
unterschieden werden. Sie kann sich einmal darauf beziehen, daß
eine Person von einer religiösen Organisation oder Gruppierung in
eine andere wechselt. Sie kann überdies die damit verbundene
Neuorientierung bezeichnen, also die Übernahme des Sinnsystems der
betreffenden Organisation oder Gruppierung. Konversion bezieht sich
aber auch auf Veränderung der Handlungs- und Kommunikationsmuster,
die mit dem Wechsel verbunden sind. Und schließlich kann sich
Konversion auf eine besondere Erfahrung beziehen.“[39]
In der quantitativen religionssoziologischen Forschung versucht man,
diesem Phänomen durch den Wechsel an Mitgliedschaften, also durch
messbare Werte habhaft zu werden, wohl wissend, dass diese
statistischen Erhebungen ihre Grenzen haben, nur eingeschränkt
aussagekräftig sind, den eigentlichen Prozess der Konversion nicht
wiedergeben können. Die Ethnologie hingegen arbeitet mit der
Analyse von Wechselprozessen der Präferenz und damit mit
»commitment« was im Deutschen die Bedeutungen
»Verpflichtung«, »Bekenntnis zu«
»Festlegung«, »Hingabe« enthält. Blickt
man auf die konvertierende Person, so lässt sich Konversion als
persönliche Entdeckungsreise, Erneuerung, Transformation, die als
»Fortschritt« gedeutet wird, betrachten.[40] Blasi spricht
von „redirection of foundational trust“ (ebd.), wobei er verschiedene
Modelle diskutiert, die nicht zuletzt auf Grund unterschiedlicher
Forschungsperspektiven variieren (Lofland und Stark; Bankston, Forsyth
und Floyd; Greil und Rudy; Rambo; Staples und Mauss; Gooren). Sein
Interesse gilt dabei den sozialen Prozessen auf Grund von dealigment
und realignment in Gruppenloyalitäten (vgl. ders. 2009, S. 11-15)
Das englische »conversion« wiederum beinhaltet die zwei
Bedeutungen »Konversion« und »Bekehrung«. Im
Begriff »Bekehrung« schwingt die Vorstellung von
Rückkehr auf den richtigen Weg mit. Das franckisch-pietistische
Bekehrungsmodell, das sich in strenger momenthafter oder variierter
prozessualer Fassung im erwecklich-pietistischen Umfeld findet, teilt
die Bekehrung in folgende Momente ein: Gnade, Sündenerkenntnis,
Buße/Bußkampf, Sündenbekenntnis, Wiedergeburt.[41] Das
aktuelle RGG verweist beim Stichwort »Konversion« auf die
Artikel „Bekehrung/Konversion“ und „Proselyten/Proselytismus“ (RGG4,
Bd. 4 (2008), 1653). Bereits diese Verweise geben einen schalen
Beigeschmack auf den Vorwurf, erweckliches Missionsbemühen sei
„sheep stealing“.[42] Das
Unterkapitel „VII. Missionswissenschaftlich“
ist ebenso kritisch, wenn auch weniger aus ökumenischen
Rücksichten heraus, vielmehr aus Gründen interreligiösen
Toleranzbemühens.[43]
Dennoch bietet der Artikel zur Bekehrung
insgesamt einen ausgewogenen und umfassenden Überblick.[44] Er
beginnt mit „I. Religionswissenschaftlich“ den definitorischen Teil
auffallend allgemein:
„B. bezeichnet den rel. gedeuteten Prozess ganzheitlicher
Umorientierung, in welcher ein einzelner Mensch oder eine Gruppe das
vergangene Leben reinterpretiert, die Abwendung von diesem vollzieht
und das künftige in einem veränderten gesellschaftlichen
Beziehungsnetz neu historisch gestaltet.“[45]
Auf römisch-katholischer Seite wurde vor dem II. Vatikanischen
Konzil die Konversion zur katholischen Kirche als Rückkehr in die
wahre Kirche betitelt, da die protestantischen Kirchen nicht als
Kirchen im Vollsinn anerkannt wurden oder gar als häretisch galten
(Wojtczak 2009, S. 22f.). Das aktuelle LThK jedoch definiert
»Konversion« „im allg. die persönl. Bereitschaft,
einer bestimmten Religionsgemeinschaft beizutreten.“ Dem folgt die
kirchenrechtliche Seite der Konversion und als zweiter Punkt der
praktisch-theologische Aspekt.[46]
Länger hingegen ist der Artikel über »Bekehrung«,
der wie das RGG mit einem definitorischen Teil beginnt, der mit
„Religionsgeschichtlich“ überschrieben ist. Er betont die
„Pluralität der Religionen“ als Voraussetzung für Bekehrung
und liefert daraufhin eine traditionell religionsphänomenologische
Definition: „Allgemein kann v. B. gesprochen werden, wo der Mensch v.
Heiligen ergriffen wird u. sich seiner Religion vergewissert […]. Dies
[…] umfasst B.-Vorgänge innerhalb einer Religion wie auch den
Religionswechsel.“ Es folgen Merkmale wie Wiedergeburt,
Religionswechsel, Entscheidung, „die willentl. Übernahme einer
neuen Grundbestimmung des Lebens“.[47]
Dennoch ist mir hier eine nochmalige Unterscheidung zwischen
»Bekehrung« und »Konversion« wichtig.
Während erstere durchaus auch Binnenkonversion, also die Neu- oder
Wiederentdeckung des Glaubensangebotes, in das man hineingeboren worden
war, wodurch es zu einer revitalisierten Religiosität kommt,
enthalten kann, ist dieses Phänomen m.E. nicht im eigentlichen
Sinne eine Konversion. Konversion soll hier nur im ganz engen Sinne als
Glaubenswechsel von einer Religionsgemeinschaft in eine andere
verwendet werden.
Allen Definitionen gemein ist allerdings, dass religiöse
Konversion drei Momente beinhaltet: Das Freiheitsmoment individueller
Entscheidung und das Bedürfnis nach Ganzheitlichkeit, die auf die
Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe, einem Kollektiv,
ausgerichtet sind. Es ist daher kein Zufall, dass die
Konversionsforschung mit der beginnenden Religionssoziologie Ende des
19., Anfang des 20. Jahrhunderts zusammenfällt. Für die
Kontinentaleuropäische Forschung mögen hier Max Weber, Emile
Durkheim und Georg Simmel stehen.
Entsprechend setzt die angloamerikanische wissenschaftliche
Erforschung von Konversion mit dem religionspsychologischen Buch von
William James „The Varieties of Religious Experience: A Study in Human
Nature“ von 1902 ein – also in dem Land, das sich als Vorbild des
religiösen Pluralismus und als Motor des Fortschritts
versteht.[48] Eine gute
Übersicht über die
religionssoziologische Konversionsforschung bietet Roberto
Cipriani.[49] Hierbei und
bei Steve Bruce wird deutlich, dass diese
Forschung auf den Theorien der Chicagoer Schule, insbesondere auf dem
von Husserls Phänomenologie inspiriertem Alltags-, bzw.
Lebensweltkonzept von Schütz, Luckmann und Berger aufbauen.[50]
Bruce klassifiziert in einem anderen Überblick drei
Erklärungsansätze, die sich mit der Zeit herausgebildet
haben: Zunächst das Modell der Gehirnwäsche,[51] dann in
Anlehnung an Lofland und Stark[52]
ein passives Modell: Demnach
würden soziale Strukturen in Menschen Bedürfnisse wecken oder
zu einer Konversion Prädispositionen anlegen. Dazu kämen dann
Rekrutierungsagenten von Bewegungen, die andere Menschen so
manipulieren, dass diese beitreten (vgl. Bruce 2006, S. 4f.). Den
dritten, aktiven, Ansatz umschreibt Bruce als den „autonomous seeker“
(Bruce 2006, S.5). Für die letzte Richtung stünden
insbesondere Bromley und Shupe, die die Rationalität des
Konvertiten betonten: „Conversion is […] something the knowing choosing
individual accomplishes“ (Bruce 2006, S. 5) Solche akteurszentrierten
Ansätze gehen davon aus, „that the fundamental unit of social life
at any level of abstraction must remain the concrete human interactant,
and that the atomic unit of social organization is the social act.”[53]
Hier hinein passt das Marktmodell des rational choice-Ansatzes:[54] Er
stellt fest, dass sich Menschen nach einer Kennenlern- und
Experimentierphase, die Vor- und Nachteile abwägend, für oder
gegen das neue religiöse Angebot entscheiden (vgl. Bruce 2006., S.
5f.). Was jedoch die Gründe dafür sind, weist wiederum auf
das Resümee von Steve Bruce: „Striking the correct balance between
structure and agency remains a fundamental challenge for sociology“
(Bruce 2006, S. 11). Insbesondere der Ansatz von Rambo betont das
Prozesshafte am Geschehen der Konversion.[55] Neuere Ansätze
entwickeln daher multikausale Erklärungsmuster. Henri Gooren[56]
z.B. verbindet ein Verlaufsmodell religiösen Engagements –
„pre-affiliation, affiliation, conversion, confession, and
disaffiliation“ (Gooren 2006, S. 38) – mit einem Mix aus vier Faktoren:
Persönlichkeit, situative Rahmung, rechtliche und soziale Faktoren
(Gooren 2006, S. 38f.). Snow und Machalek wiesen bereits 1984 kritisch
darauf hin, dass es dringender umfassender Fragestellungen bedürfe
und lenkten ihr Augenmerk auf die Analyse von Konversionssprache.[57]
Davon inspiriert entwickelten Staples und Mauss deren nach wie vor eher
passiv-strukturalistisch orientierten Ansatz („happens to“) weiter zu
einem akteurszentrierten Fokus, der sich auf das Selbstbekenntnis der
KonvertitInnen konzentrierte.[58]
Als eine Brücke zwischen Religionspsychologie und -soziologie
sowie Literaturwissenschaft kann der Aufsatz von Hetty Zock angesehen
werden: „Paradigms in Psychological Conversion Research. Between Social
Science and Literary Analysis“.[59]
Nach einem Überblick über
die religionspychologische Forschung seit William James (Zock 2006, S.
46-54) benennt sie das „biographical-narrative paradigm“ als „an
eloboration of the active interindividual paradigm“ (Zock 2006, S. 55)
Wird Konversion als Konversionserzählung betrachtet, ergebe sich
daraus die Frage nach der Relation zwischen „stories and »real
live«“ (ebd.)[60]
Ab hier kann der linguistic turn ansetzen und
Konversion als Konversionserzählung begriffen werden.
Interessanter Weise setzen Konversionszeugnisse dabei nicht erst in der
Neuzeit und verstärkt im 19. Jahrhundert an, entsprechend dem
Paradigma fortschreitender Individualisierung und Pluralisierung,
sondern gehen als sozusagen das »Urschema« von Konversion
bis zu Augustins Confessiones zurück. Dabei fällt auf, dass
»konvertieren« und »bekennen«
ineinandergreifen. Gleichzeitig ist Konversion auf Totalität
angelegt. Ein früheres religiöses Angebot wird abgelehnt,
wenn auch in der Regel nicht vollkommen verworfen, und ein neues als
angeblich besseres dagegengesetzt. Inwiefern dabei
»Wahrheiten« gegeneinander ausgespielt werden, die neue
Überzeugung als scheinbar höherwertig bewertet wird,
abgrenzend wirkt und sich der/die KonvertitIn in seinem/ihrem
Rechtfertigungsbedürfnis und Bekenntnisauftrag als neue/r
KonvertierungsagentIn erweist, kommt auf den Ideologisierungsgrad des
neuen Weltbildes im Aneignungsprozess an. Nicht immer muss ein Wechsel
von einer religiösen Gruppe in die andere mit einer totalen
Konversion gleichgesetzt werden. Wichtig ist allein, dass die portable
Kosmologie[61]
alltagstauglich trägt. Hier kann wohl – wie die
Gallup-Studien in den USA seit den 1950er Jahren zeigen konnten – immer
mehr von religiöser Präferenz gesprochen werden entsprechend
der fortschreitenden Dynamisierung der Gesellschaft.[62]
Von daher müssen die religiösen trajectories in
Lebensläufen genau analysiert werden: Welche Motivationen spielten
beim Wechsel eine Rolle, wie wurden sie gewichtet? In welchem
Verhältnis stehen soziale Gründe und Ideologisierungen?
Lassen sich fließende Übergänge, alignments, de- und
realignments beobachten, womöglich mehrfacher Gruppenwechsel im
Laufe des Lebens, Hybridisierungen in den Überzeugungen,
Mehrfachzugehörigkeiten, „fluide Religion“[63] bei einem geringen
Ideologisierungsgrad in der Motivation, handelt es sich wohl eher um
Präferenz. Erweist sich der Religions-, bzw. Konfessionswechsel
als reflexiv, hart durchgekämpfter, an dessen Ende dann ein
öffentlicher Akt des Bruches mit der früheren religiösen
Lebenswelt und des Bekenntnisses zur neuen steht, das als total
empfunden wird und dann auch propagandistisch verkündet wird,
handelt es sich eher um Konversion. In diesem Sinne wäre dann
Konversion eindeutig ideologischer orientiert als Präferenz.
Freilich zeigt diese definitorische Gegenüberstellung zugleich,
dass es hier Mischformen geben kann, die im Einzelfall nachgezeichnet
werden müssen. So bleibt die Frage offen, ob nicht beim Wechsel
von einer Religion zur anderen man weiterhin an der verlassenen
Konfessionskultur teilhat, es zu einer konfessionellen
Transkulturalität, bzw. Transdifferenz kommt.[64]
Gibt es womöglich – dies gleichermaßen eine
religionssoziologische wie geschichtswissenschaftliche Frage –
Wellenbewegungen, in denen es gesellschaftlich eher zu Präferenzen
oder zu Konversionen kommt? In welchem Verhältnis sind beide
zueinander zu sehen? Inwiefern lassen diese Entwicklungen Aussagen zu
zu möglichen historischen Zäsuren, zu Periodisierungsfragen?
Hier müssen Makro-, Meso- und Mikro-Perspektive, quantitative und
qualitative Forschung, strukturelle und akteurszentrierte Ansätze
ineinandergreifen, um möglichst umfassende Bilder zu liefern. Die
Methodenabgrenzung sollte somit durchbrochen werden zu einer
Methodenpluralität, die begründet am Einzelfall angewendet
wird.
Auf der Mikro-Ebene gehört zum Begriff der trajectories in diesem
Zusammenhang im Sinne von Bourdieu auch der Begriff des habitus. Denn
der Wechsel ist nicht ausschließlich eine intellektuelle
Leistung. Dies hat allein schon die Abgrenzung zum Begriff der
Präferenz gezeigt. Vielmehr umfasst er den Bereich des
körperlichen Erlebens in zweifacher Weise: zum einen im
psychologischen Sinne den Bereich des Unter- und Vorbewussten[65], zum
anderen im Sinne des tagtäglichen Vollzugs des religiös
ausgerichteten Alltagslebens.[66]
Das Ritual dient hier dem
Konvertiten/der Konvertitin und dem soziales Umfeld gleichermaßen
als sinn(en)hafte transitorische Zeichenhandlung als Grenzziehung und
Bestätigung: Es bekräftigt die Abtrennung von der bisherigen
Welt und die Zugehörigkeit zur neuen Welt – deren jeweiligen
Weltbild und Gruppe.[67]
Durch das Ritual erfährt sich der/die
KonvertitIn hineinversetzt in eine neue, selbstgewählte,
religiöse Lebenswelt, deren Lebensvollzüge er/sie von nun an
tagtäglich ausgesetzt ist und die mitzuleben er/sie immer wieder
aufs Neue sich entscheidend bestätigt. Da er/sie für die
verlassene Gemeinschaft als Apostat angesehen werden kann und für
die angenommene Gemeinschaft als nicht wirklich dazugehörig, sieht
der/die KonvertitIn /ihre neue Position beständig auf dem
Prüfstand. Die neue Lebenswelt muss daher verlässliche
Ankerpunkte und symbolische Differenz-Marker aufweisen, mittels derer
die/der KonvertitIn seine/ihre fragile Stabilität herstellen und
schließlich festigen kann – für die eigene
Identitätsbildung und die tagtägliche Lebensführung, sie
kann nicht in bloßer Opposition[68]
verharren. Finden sich keine
relevanten Möglichkeiten zur Vereindeutigung, kann das zu
Enttäuschung, zur Krise bis zu einer etwaigen erneuten
Distanzierung, damit einem dealignement, führen. Mit der
Konversion ist somit die Lebensgeschichte nicht zu Ende, so dass
durchaus eine Analogie mit dem Phänomen der Pilgerschaft ins Auge
stechen mag.[69] So
benutzte z.B. Cordula Wöhler als Pseudonym
häufig den Namen „Cordula Peregrina“. Dies erklärt die betont
konservative Außenansicht, die KonvertitInnen häufig
vermitteln.
In der deutschen Forschung scheint sich die Beschäftigung mit
Konversionserzählungen im Kontext der qualitativ orientierten
Lebenslauf- und Biographieforschung durchgesetzt zu haben.[70]
Hierfür stehen exemplarisch Wohlrab-Sahr, Krech und Knoblauch. In
einem Überblicksartikel teilen sie die Forschung in vier
Vorgehensweisen ein: Verlaufsforschung, Ursachenforschung, Forschungen
zu den sozialen Kontextbedingungen, Konversion und linguistic turn.
Einen breiten Raum nimmt bei ihnen die Diskussion um die Erforschung
von Konversionserzählungen ein: Analyseprobleme, deren Struktur,
der Stellenwert der Erzählung für die Konzeptualisierung von
Konversion und das Verhältnis von Struktur und Prozess. Auf
sprachlicher Ebene müssen für sie
„zwei Bedingungen erfüllt sein: Zum einen muß die
Thematisierung den Wandel als einen radikalen, einschneidenden,
bedeutungsvollen und für das weitere Leben folgenreichen Bruch mit
der Vergangenheit schildern. Zum anderen muß der Wandel sowohl
auf individueller (Biographie, Selbstkonzept) als auch auf
intersubjektiver Ebene (Diskursuniversum, Symbolsystem) thematisiert
werden. Die Verbindung von beiden Ebenen des Wechsels wird dadurch
ermöglicht, daß die zur Hilfe genommenen Sprachmuster
letztverbindlich sind und höchste (Be-)Deutungsrelevanz besitzen,
d.h. sie müssen via Symbole die anderen Sinnbereiche (Schütz)
mit Bedeutung versehen und auf diese Weise zu einem einheitlichen
System integrieren. Unter dieser Perspektive erfüllt die
Formensprache der religiösen Konversion die doppelte Funktion
sozialer Integration und personaler Individuation: Soziale Integration
erfolgt über die Adaption eines in der Bezugsgruppe intersubjektiv
gültigen Deutungsmusters, während personale Individuation
über die Konstitution einer neuen Identität des »wahren
Selbst« ermöglicht wird, was wiederum in Einklang mit der
Gruppenidentität steht.“ (Wohlrab-Sahr, Krech, Knoblauch 1998, S.
27)[71]
Konversion als kommunikative Handlung – doing conversion – gedacht
weist somit drei Merkmale auf: „Thematisierung eines emotional
geprägten Krisenerlebnisses“, „Bericht über den Vollzug des
Wechsels des Symbolsystems“ und die „Anwendung des neuen Symbolsystems
auf die eigene Biographie sowie sämtliche
(re)interpretationsbedürftige Sachverhalte“ (ebd.). Die AutorInnen
stellen folgerichtig die Gattungsfrage und die Frage nach dem
Zusammenhang von Symbolsystem und Sozialstruktur, was wiederum zu den
an der Konversion „beteiligten sozialstrukturellen und kontextuellen
Faktoren“ (vgl. Wohlrab-Sahr, Krech, Knoblauch 1998, S. 28-30. Zitat S.
29) zurückführt. Hinter der Konzentration auf den Text steckt
die epistemologische Erkenntnis, dass Erleben als Erfahrung nur durch
Sprache kommunikabel wird. Damit ist religiöse Erfahrung von
Anfang an mit „sozialem Sinn“[72]
vorgeformt, das gilt sowohl für
die persönliche Aneignung im Identitätsbildungsprozess als
auch in der Kommunikation und damit Anschlussfähigkeit im sozialen
Feld.
Für die historische Arbeit ist sicherlich dieser Ansatz für
die Quellenanalyse anschlussfähiger als die auf Gruppenprozesse
fokussierte Religionssoziologie. Folgende Merkmale können nach
Wolfgang Schwentker als für Konversionserzählungen
insbesondere im 19. Jahrhundert typische ausgemacht werden: Sie haben
in der Regel einen „antagonistischen Erzählmodus“ und sind
dialogisch angelegt. Die RezipientInnen werden emotional in das
Geschehen hineingenommen, es soll eine Identifikation mit dem/der
AutorIn erfolgen. Deshalb sind starke Dichotomien üblich. Schaser
spricht von Tragödie und Katharsis, veränderten
geographischen Räumen, dem Versuch, Brücken zwischen dem
alten und dem neuen Leben zu bauen, wobei selbstverständlich das
neue höher bewertet wurde (vgl. Schaser 2012, S. 386-391.)
„Abgrenzung und Gemeinschaftsbildung verlangen nach einer
doppelten inhaltlichen Ausrichtung: Die Erzählungen sind
einerseits als Rechtfertigungsschriften gegenüber der […]
Gemeinschaft, die man verlassen hat, angelegt; andererseits dienen sie
der Rechtfertigung der Konversion gegenüber der neuen
Gemeinschaft“.[73]
Textkritisch werden die Quellen hinsichtlich der Strukturierung der
Konversionserzählung zu untersuchen sein: der Anordnung, der
Auswahl des Dargestellten und deren Akzentuierungen, Anfang und Ende.
Kauppert nennt sie „Darstellungen von Wendepunkten im Lebenslauf“,
„dramatische Erzählungen“, so dass zwei Zeitmodi zentral sind: vor
und nach der Konversion (Kauppert 2010, S. 120). In der Regel enthalten
sie einen zeitlichen Dreischritt: die Zeit vor der Konversion, die sehr
ausführlich geschildert wird, die Konversion selbst, die meist
bedeutend kürzer ausfällt, und die Zeit danach, die im Grunde
nicht geschildert wird.
Die im 19. Jahrhundert konvertierten AutorInnen setzen sich mit den
Auswirkungen der Französischen Revolution und der Napoleonischen
Kriege auseinander, wie mit den Revolutionen von 1830 und 1848. Auch
diskutieren sie die Zentralisierungsbestrebungen des Vatikans mit
seinem Höhepunkt 1870/71.[74]
Vor allem sind es Adelige und
Bürgerliche, die schreiben, insbesondere aus der Beamtenschaft und
dem Wissenschaftsbereich. „Sie verfügen über einen bestimmten
Bildungsgrad und reflektieren ihre Rolle als Mitglieder einer
konfessionell gespaltenen Gesellschaft. […] Die Adressaten […] sind
sowohl Protestanten, denen der Übertritt in eine andere
Religionsgemeinschaft erklärt oder nahegelegt wird, und
Katholiken, denen gegenüber die Ernsthaftigkeit dieses Schrittes
dokumentiert wird. Als potentielle Leser haben die AutorInnen
zunächst an Familienmitglieder, Freunde und Angehörige der
eigenen Berufsgruppe gedacht“ (Schwentker 2012, S. 425f., s. auch S.
424), wobei diese von institutioneller Seite her womöglich
strategisch in den öffentlichen Raum erweitert werden kann. Dies
habe, so Schaser, auf katholischer Seite zu einem regelrechten
Konvertitenkanon geführt, der dann wieder ein
Identifikationsmoment für potentielle neue KonvertitInnen
darstellte (vgl. Schaser 2012, S. 392-397).
»Heimat«
Das Vorher-Nachher-Schema mit seinem bewertenden Fortschrittsmoment
führt zur nöchsten Analysekategorie: der Konstruktion von
»Heimat«. Hierfür können die Theorien zur
Konstruktion von »Nation« wie sie insbesondere von
Hobsbawn, Anderson und Chatterjee konzipiert worden sind, hinzugezogen
werden und mit den beiden Identitätsmarkern
»Geschlecht« und »Religionszugehörigkeit«,
also »Konfession« gebündelt werden. Demnach ist
»Heimat« ein idealisierter Raum, der – wie
»Nation« Tradition identifiziert, erfindet, Gemeinschaft
imaginiert und eine spiritual domain bereithält.
»Heimat« ist somit ein imaginierter Ort der
Selbst-Identifikation, ein Ankerpunkt, das Gefühl von
Zugehörigkeit und der Solidarisierung. Im Unterschied zu
»Geschlecht« und »Konfession« ist
»Heimat« der gestaltete Raum, in dem das Subjekt sich
bewegt. Im Unterschied zu »Nation« zielt
»Heimat« nicht primär auf die Identifikation mit einem
politischen Raum, sondern auf alltagswirkliche Kreise der
Zugehörigkeit, ist daher nicht notwendiger Weise deckungsgleich
mit »Nation«, kann mit dieser sogar konträr gehen. Die
alltagswirklichen Kreise der Zugehörigkeit können »das
Heim« – »Heim und Herd« – umfassen, emotional positiv
konnotierte alltägliche Erfahrungsräume wie z.B. das Dorf
oder den Stadtteil, in dem man sich bewegt, »Wald und
Flur«, aber auch religiöse Räume wie Bekenntnis,
Kirche(nraum), Riten, die Gemeinschaft der Mitgläubigen. Die
Identifikation mit dem Raum muss jedoch immer wieder neu hergestellt,
gestaltet werden, die Mitte gesucht, die Grenzen gesteckt werden. Der
Identifikationsraum »Heimat« ist somit ebenfalls ein
gemachter im Prozess – doing Heimat, auch wenn er Tag für Tag
tatsächlich immer wieder neu und variabel durchschritten wird.
In Kombination mit »Konfession« kann von einem Wechsel der
religiösen »Heimat«, bzw. »Beheimatung«
gesprochen werden. Dieser Wechsel wird in der (auto)biographischen
Erzählung der Konversionserzählung begründet und mittels
des alltäglichen Frömmigkeitsvollzugs immer wieder neu
hergestellt – als Selbstvergewisserung und Repräsentation. Bei
Cordula Wöhler bspw. ging mit dem religiösen Heimatwechsel
auch ein geographischer Wechsel einher – von Mecklenburg nach Tirol.
In Kombination mit »Geschlecht« ist zu fragen, inwiefern
naturhafte, soziale und materielle Marker des Raumes nicht nur als
»Heimat« stiftend, sondern auch als
geschlechtsidentifikatorisch bewertet werden. Mögliche Raum
schaffende Punkte können für KonvertitInnen z.B. das
Priesterbild, die Frage der Marienverehrung, die Komposition des
Kirchenraums (Altar und Altarraum, Ewiges Licht, Tabernakel,
Heiligenfiguren, etc.) oder die geschlechtsspezifischen Rollen- und
Berufsangebote für Männer und Frauen in der katholischen
Kirche sein.
Im Zuge der Neukonfessionalisierung im 19. Jahrhundert bestach der
Katholizismus mit seinen kontroverstheologischen Argumenten eines
einheitsstiftenden Kirchenraums, eines angeblich sicheren Bodens der
Tradition, und – hier griff im Zuge der Formierung des deutschen
Nationalstaats und den damit verbundenen Kulturkämpfen
»Heimat« über in »Nation« – die
romantische Sehnsucht nach dem vorgeblich einst heilen Heiligen
Römischen Reich des Mittelalters. »Heimat« und
»Geschlecht« funktionierten somit gleichermaßen
privat und öffentlich.
Cordula Wöhler/Peregrina/Schmid in kurzen Schlaglichtern – Fazit
Der Performanzansatz des doing ermöglicht es, im Zusammenspiel
von Analysekategorien, verschiedenste Ansätze der
Biographieforschung, von Identitätsdiskursen, der Genderforschung
(hier insbesondere den Intersektionalitätsansatz) und der
Religionssoziologie zu verquicken und für die historische Analyse
von Konversionen fruchtbar zu machen. Indem Konversionen als gestaltete
Identitätsprozesse in gestalteten Identitätsräumen
begriffen werden, können Mikrohistorie und strukturgeschichtliche
Zugänge miteinander in differenzierte Beziehungen gesetzt werden.
Für das (lange) 19. Jahrhundert im deutschen Sprachraum ist zu
bemerken, dass religiöse Identitätsdiskurse mittels der
Kategorie »Geschlecht« die Kategorien »privat«
und »öffentlich«, »Heimat« und
»Nation« miteinander verquickten. Konversionen von Frauen
können daher nicht als unpolitisch (ab)qualifiziert werden. Ganz
im Gegenteil spielten sie eine wichtige Rolle in der umkämpften
Gestaltung ihrer Gesellschaft. Cordula Wöhlers biographische
Selbststilisierungen in ihren Publikationen hatten bspw. eine
Doppelfunktion von Werbung als Herstellung von Authentizität und
von konservativer Positionierung:
„Es ist wohl nur zu natürlich, dass eine Seele, die nicht
in der katholischen Kirche geboren, sondern erst in späteren
Jahren, nach langen, heißen Kämpfen und schweren Opfern,
Heimat und Kindsrecht in ihr gewonnen, den ganzen großen
Gnadenreichthum, den sie birgt, wohl noch tiefer bewundern, dankbarer
schätzen und freudiger preisen lernt, als selbst ein geborener
Katholik, denn der frühere Mangel macht selbstverständlich
die Seele um so dankbarer für den nunmehrigen Überfluss. […]
Eine zur heiligen Kirche heimgekehrte Seele muss alle Tage aufs neue
jubeln“. „[…] So sind denn auch – einige Jahre nach der Aufnahme in die
heilige Kirche – der glücklichen, danküberströmenden
Seele die hier vorliegenden schlichten Lieder entquollen […].“[75]
Diese Funktion als Propagandafigur der Tiroler Konservativen wurde
durchaus von der liberalen Opposition wahrgenommen und angegriffen:
Eine »ambrosische Hymne aus der Ewigkeit.
Peregrina Cordula!
Bisch auch noch da?
Ist verstummt denn deine Harfe
Unter deiner müß´gen Hand,
Seit die Zeit, die neue, scharfe,
So herum weht in dem Land?
In die Kirchen und Kapellen
Weht sie gräßlich schon hinein,
Wirft den Blitz, den sündig-grellen,
Frech in Wachslichtstumpenschein.
Sänger, die die Harfe haben,
Brauchen wir, wie sonst noch nie:
Meßner; Ministrantenbuben
Lechzen nach der Poesie!
Cordula!
Bisch da?
[…]
Peregrina Cordula!
Bisch endlich da?
Ach! jetzt noch der grimme »Scherer«,
Der die frommen Harfen stört!
Rander! macht´s decht Einen Plärer,
Dass man endlich eppes hört!
Sauft´s brav Wein, daß ihr begeistert
Seid zum Dichten! Sauft´s Kaffee!
Sauft´s daß Poesie euch meistert,
Lyrischen Kamillenthee!
Nur, nit still sein! Auf! zu Werken
Wider das moderne Pack!
Nacher mag euch wieder stärken
Weihrauch, Käs und Schnupftabak!
Cordula!
Bisch da?“[76]
Zugegeben, Cordula Wöhler war konservativ. Bis zu ihrem Tod
blieb sie kaisertreu und in der römisch-katholischen Kirche
verwurzelt. Als die alte Ordnung im Ersten Weltkrieg unterging, galt
ihre Sorge dem Seelenheil der Soldaten und ihrer Angehörigen.
Offen kritische Töne lagen ihr fern. Ihre Loyalität galt den
beiden Kaiserhäusern:
O, mein Klärchen, wie wehmütig wird dies
Weihnachtsfest werden in Gedanken an all´ unsre braven Soldaten
im Felde, die hungern u. frieren u. kämpfen u. tausend Leiden
erdulden müssen! Da kann sich ja kein Mensch freuen [sic!]! Ob es
wahr ist daß, wie in den Zeitungen steht, – die Deutschen in
Flandern u. Frankreich so namenlos viel von den listigen u. grausamen
Gurkas[77] zu leiden
haben u. gradezu abgeschlachtet werden in den
Schützengräben? Neulich stand es in den Zeitungen, man kann
die Schauerberichte kaum lesen! Welchen Fluch wird es England u.
Frankreich bringen, diese wilden Horden herbei gerufen zu haben, um
Deutschland zu vernichten! Wie viele Schwazer sind schon gefallen! Tag
für Tag muß ich Totenverse dichten, natürlich alles
umsonst, für die gefallenen Krieger von nah und fern. Wie gern tue
ich den trauernden Angehörigen diesen Liebesdienst.[78]
Selbst wenn sie anderer Meinung war, ordnete sie sich, zumindest
vordergründig, ihrem Mann unter. Dabei war sie diejenige, die das
Geld verdiente und für ihre Familie sorgte.
Ich meinerseits hätte – mit Ausnahmen natürlich der 2
hl. Messen – am liebsten alles Geld für arme Kranke
zurückgelegt u. so verwendet, aber Josef stimmte so sehr
für den Vincentiusverein, daß ich ihm folgen mußte.[79]
Viel habe ich mich in Gedanken mit Ihnen beschäftigt, brachte es
aber leider zu keinem Brief, denn durch Josefs gänzliche
Arbeitsunfähigkeit hat sich meine Arbeit noch um vieles vermehrt,
u. gehöre ich mir auch keine Minute mehr selber an! Es ist ein so
angestrengtes u. nach allen Seiten in Anspruch genommenes Leben,
daß ich mitunter ganz erschöpft bin.[80]
So offenbaren sich in ihrer Biographie überraschende
Kontinuitäten und Inkonsistenzen, die allzu eindeutige
Charakterisierungen und Zuordnungen brüchig werden lassen. An
dieser Stelle können nur einige Schlaglichter aufgeworfen werden:
Die Pfarrerstochter aus Mecklenburg blieb nach ihrer Konversion nicht
etwa ledig, verdiente ihren Lebensunterhalt nicht als Gouvernante und
trat auch nicht einem Orden bei. In Hinblick auf ihre
Tagebuch-Schwärmereien in den vollständig erhaltenen
Jahrgängen 1861 und 1862[81]
für Helene von Bülow und
die Diakonissen-Anstalt in Ludwigslust wäre Letzteres die logische
Konsequenz gewesen. Doch auch ihre Ehe mit Josef Anton Schmid aus
Bregenz, die Cordula Wöhler am 17.08.1876 in Rietzlern bei Bregenz
eingegangen war,[82] war
alles andere als gewöhnlich: Die beiden
führten nachweislich eine Josefsehe: „Brachte einen Brief von Alb.
Stolz, worin dieser C.S. schreibt ‚ich vermuthe eine Josephs-Ehe‘ – u.
es ganz natürlich findet u. nichts dagegen hat.“[83] Zudem war
Cordula Wöhler noch am 02.08.1876 dem unregulierten dritten Orden
des Hl. Franziskus beigetreten.[84]
Das Ehepaar adoptierte zwei
Mädchen: 1883 eine Marie und 1887 eine Anna.[85] In dieser
Konstellation führte die Familie, ähnlich wie ein
evangelisches Pfarrhaus, eine vorbildhaft katholische Ehe, die der
religiösen Schriftstellerin weitere Glaubwürdigkeit verlieh
und für die dieses Leben der Idealzustand darstellte:
Einen braven Mann, – liebe, hoffnungsvolle Kinder – ein so
still, einsam u. schön gelegenes Heim – ein Leben in
größter Stille u. Abgeschiedenheit von der Welt, – in
kirchlicher Beziehung Alles was sich nur wünschen läßt,
u. einen Beichtvater so klar, ernst u. gotterleuchtet, wie vielleicht
unter Hunderten kaum einer zu finden, – was könnte ich noch mehr
verlangen, oder wie konnte ich´s je besser haben?[86]
Vergleicht man zudem bspw. die Tagebuchaufzeichnungen Cordula
Wöhlers aus ihrer Jugendzeit in Lichtenhagen mit ihren Briefen an
Clara Zumnorde, fallen weitere Parallelen ins Auge: Cordula Wöhler
war es gewohnt, von Früh bis Spät hart zu arbeiten: Neben dem
Haushalt hatte sie ihre zwei jüngeren Schwestern Marie und Clara
zu versorgen, beim Unterricht in der Dorfschule auszuhelfen und immer
wieder Besuch – ob angekündigt oder nicht – im gastfreien und
geselligen Pfarrhaus zu bewirten. Sehr früh war ihr viel
Verantwortung aufgetragen worden, die ihr sehr viel Kraft abverlangte,
begleitet von diversen Krankheitsbildern. Der Verantwortungsdruck
setzte sich in ihrer Zeit in Österreich fort, ebenso wie ihre
Migräneanfälle und Bauchschmerzen. Am Ende ihres Lebens
kommen Herzprobleme und ein schlimmes Beinleiden mit ständig
offenen und blutenden Wunden dazu. Sie stirbt letztlich an
Erschöpfung verursacht durch ständige heftige Schmerzen und
körperliche Entkräftung. Ihre Herausforderungen und Leiden
verarbeitet sie mit der Tradition christlicher Leidensmystik angefangen
mit der Lektüre von Thomas von Kempen in Mecklenburg über
katholisch-sakramentale Kreuzesmystik[87]
bis hin zur alltäglichen
Übung der Aufopferung.
Während Julius Karl Mayer den Konflikt zwischen Cordula
Wöhler und ihrer Familie, nicht zuletzt mit Hilfe der nicht mehr
vorhandenen Tagebücher, zuspitzend darstellte,[88] zeichnen
Cordula Wöhlers private Briefe an ihre Freundin Clara Zumnorde ein
differenzierteres Bild: Zwar bestätigt sie den für beide
Seiten äußerst schmerzlichen Bruch, den ihre Konversion
verursachte und der sogar ihre Verbannung und Enterbung zur Folge
hatte. Allerdings erklären sich diese harten Konsequenzen aus der
Nähe des Vaters zur Mecklenburg-Schwerinischen Kirchenleitung:
Vor dem Hintergrund des I. Vatikanischen Konzils mit dem gerade
erst verkündeten Unfehlbarkeitsdogma, sowie vor dem Hintergrund
des Badischen Kulturkampfes, in dem Alban Stolz sich hinter Lothar von
Kübel gestellt hatte, bedeutete Cordula Wöhlers Nähe zu
Freiburg ein Politikum. Sie war für das Pfarrhaus nicht mehr
tragbar.“[89]
Abgefedert wurde die erzwungene Trennung dadurch, dass Cordula
Wöhler bei ihrem Weggang anscheinend eine Grundausstattung an
Aussteuer mitbekam.[90]
Auch suchten, trotz aller konfessioneller
Grenzziehungen, nach einer Weile beide Seiten wieder den gegenseitigen
Kontakt. Es folgten Besuche der Wöhlers in Bregenz und Schwaz
sowie gemeinsame Treffen im bayrisch-österreichischem Raum.
Für die Schriftstellerin stellte ein Priester eine Person mit
besonderer religiöser Aura in einem besonderen Stand der
Heiligkeit dar.[91] Damit
besaß dieser jedoch auch eine
entsprechende Verantwortung. Dementsprechend rief bei ihr klerikaler
Machtmissbrauch Empörung hervor, insbesondere wenn es die eigene
Familie und ihre Lebensplanung direkt betraf: So gab sie einem Pater in
Schwaz die Schuld am frühen Tod ihrer älteren Ziehtochter
Marie, an der Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes und an ihrer
nicht geringer werdenden Belastung:
Beruf hatte sie keinen für den Ordensstand eine unsinnige
Schwärmerei für einen Beichtvater, bei dem sie viel gelten
wollte u. der ihr recht zuredete, in den Orden zu treten, hat sie
eigentlich zu dem Schritt gebracht, trotz all´ meines Mahnens u.
Warnens. Aber als sie nach 2 Jahren Bedenkzeit, die ich mir
ausbedungen, dennoch des Beichtvaters wegen bei ihrem Entschluß
blieb u. mich > uns < obendrein noch auf alle mögliche
Weise* hinterging, blieb mir nichts anderes übrig, als sie ihrem
Willen folgen zu lassen, wenn auch mit wundem Herzen. […] Dieser Pater
wird vor Gott einst eine große Verantwortung haben, – ich
möchte sie nicht teilen! Ob die Marie mit den fallenden
Blättern im Herbst in´s Grab sinken wird! Ich glaube es
eigentlich nicht, da sie sonst eine sehr zähe Natur hat; aber
daß sie den vielen Nachtwachen, die einer barmherzigen Schwester
obliegen, nicht gewachsen sein würde, habe ich ihr oft gesagt, –
sie hatte immer ein großes Schlafbedürfnis u. konnte nie aus
dem Bett finden, kurz, sie war in keiner Weise für diesen Berufe
geeignet. Nun Gott hat alles so zugelassen, aber es waren schwere,
bittre Zeiten, die mich um viele Jahre älter und hinfälliger
gemacht haben. Mein Fuß ist jetzt auch wieder um vieles
schlechter geworden, – die Wunden so groß u. so tief, daß
ich mich kaum noch mit größter Willens Kraft in die Kirche
schleppe, – die Schmerzen Tag u. Nacht sind ganz furchtbar, – oft
pressen sie mir Tränen aus u. seufze ich im Stillen: O lieber Gott
wie lange noch! – Daß ich gern stürbe, kannst Du Dir denken,
– aber vielleicht muß ich Josefs wegen noch leben u. leiden. –
Anna ist doch viel zu wenig practisch u. arbeitskräftig, um meine
Stelle ersetzen zu können, – sie brauchte selber noch immer
Jemand, der auf sie schaute u. sie an alles mahnte u. erinnerte, was
sie tun sollte.[92]
Die öffentliche Cordula Wöhler thematisiert die
versöhnlichen Entwicklungen nach ihrer Glaubensentscheidung nicht,
ebenso wenig wie ihre Kleruskritik, ihre Schuldgefühle,
Selbstzweifel und Leiden. Ihr Erfolg und vielleicht auch ihr eigener
Anker ist die Herstellung heiler Beheimatungen in einer Zeit, die sich
in mannigfaltigen Umbrüchen befindet: das ländliche und
häusliche Idyll,[93]
die katholische Welt jener »Maria“, die
sie auf dem Hintergrund von 1870 für sich entdeckt hatte,[94]
sowie insbesondere des „Allerheiligsten Altarsakraments“[95]. Hier
verspricht eine gründliche Analyse der literarischen Erzeugnisse
Cordula Peregrinas in der Zusammenschau und Kontrastierung mit ihren
Selbstzeugnissen weiterführende Erkenntnisse, die allerdings an
dieser Stelle aus Platzgründen unterbleiben müssen.
Wie diese wenigen Schlaglichter vor Augen führen gilt es,
öffentliche und private Selbstzeugnisse miteinander abzugleichen
und zu kontextualisieren. Bei bekannten Persönlichkeiten
verführt womöglich der große Quellenkorpus zu allzu
gewiss erscheinenden sekundären Narrativen. So weist vielleicht
die bissig-ironische Frage des Scherers „Cordula! Bisch da?“[96] den
besseren Weg: Auch wenn, wie bei Cordula Wöhler, verheiratete
Schmid, Pilgerin im fin de siècle, die Quellenlage löchrig,
die Biographie scheinbar banal und gleichzeitig umkämpft ist, so
liegt womöglich gerade in dieser Gewöhnlichkeit und
spannungsvollen Unzugänglichkeit die größere Chance,
über die De- und Rekonstruktion von Differenzsetzungen und
Selbst-Konstrukten – doing – an das Gefüge, die Struktur von
Gesellschaften in ihren Zeiten im transparenten Dialog mit den eigenen
Konstruktionen zu gelangen.
Zur Autorin:
Dr. Esther Hornung war Wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für
Reformationsgeschichte und Neuere Kirchengeschichte an der
Evangelisch-theologischen Fakultät der
Ruhr-Universität-Bochum.
[1] Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch mit dem Eigenteil des Bistums Würzburg. Würzburg 1975, Nr. 896. Die anheimelnde Melodie, die sicherlich zur Beliebtheit beigetragen hat, stammt von Karl Kindsmüller (1876-1955), Regensburg, vermutlich um oder nach 1916. Kindsmüller, Karl. BMLO 5/1 (09.08.2013). Http://bmlo.de/k0386, eingesehen am 05.05.2015; Nasritdinova, Heike: Kindsmüller, Karl. Http://www.oberpfaelzerkulturbund.de/cms/pages/kultur-der-oberpfalz/dbeintrag_details.php?id=120, eingesehen am 05.05.2015.
[2] Das Original ist nicht mehr vorhanden, da die Tagebücher von 1870 nicht mehr auffindbar sind. Dass es tatsächlich 1870 geschrieben wurde, dazu gibt es einige Hinweise in verschiedenen Quellen Cordula Wöhlers.
[3] Wojtczak, Maria: Aus zwei Glaubenswelten. Bekenntnisse konvertierter Autorinnen (1850-1918) (Posener Beiträge zur Germanistik, Bd. 10). Frankfurt a.M. u.a. 2009.
[4] Schaser, Angelika: Schreiben um dazuzugehören. Konversionserzählungen im 19. Jahrhundert. In: Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven, hg. v. Claudia Ulbrich, Hans Medick und Angelika Schaser (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 20). Weimar, Wien 2012, S. 381-398, der Verweis in Fußnote 1, S. 381: Carl, Gesine und Schaser, Angelika: Konversionsberichte des 17. bis 19. Jahrhunderts als Selbstzeugnisse gelesen: Ergebnisse und Forschungsperspektiven. In: Das Religiöse der Gesellschaft – Das Gesellschaftliche der Religion, hg. v. Marc Föcking und Bruno Reudenbach. Münster u.a. war für 2012 angekündigt, ist aber noch nicht erschienen. Deshalb verweise ich auf http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/konversionen/ergebnisse/beitraege/Konversionsberichte_als_Selbstzeugnisse_gelesen.pdf, eingesehen am 24.04.2015.
[5] Vgl. hierzu die umfassende Dissertation von Finck, Almut: Autobiographisches Schreiben nach dem Ende der Autobiographie (Münchener Universitätsschriften. Geschlechterdifferenz & Literatur. Publikationen des Münchner Graduiertenkollegs, Bd. 9). Berlin 1999, hier S. 116-118.
[6] Babka, Anna: Unterbrochen. Gender und die Tropen der Autobiographie. Wien 2002, S. 16.
[7] S. u.a.: Watson Bownley, Martine und Kimmich, Allison B. (Hg.): Women and Autobiography (Worlds of Women, Nr. 5). Wilmington DE 1999.
[8] Jensen Wallach, Jennifer: Building a Bridge of Words: The Literary Autobiography as Historical Source Material. In: Biography 29/3 (Sommer 2006), S. 446-461.
[9] Burke, Peter: Representations of the Self from Petrarch to Descartes. In: Rewriting the Self. Histories from the Renaissance to the Present, hg. v. Roy Porter. London, New York 1997, S. 17-28, hier S. 28, zitiert in: Brändle, Fabian u.a.: Texte zwischen Erfahrung und Diskurs. Probleme der Selbstzeugnisforschung. In: Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500-1850), hg. v. Kaspar von Greyerz, Hans Medick und Patrice Veit (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 9). Köln, Weimar, Wien 2001, S. 3-31, hier S. 5, Fußnote 8.
[10] Eakin, Paul John: The Economy of Narrative Identity. In: Controlling Time and Shaping the Self, hg. v. Arianne Baggerman, Rudolf Dekker und Michael Mascuch (Egodocuments and History Series, Bd. 3). Leiden, Boston 2011, S. 231-243, hier S. 236; ders.: The Economy of Narrative Identity. In: History of Political Economy 39 (2007), S. 117-133.
[11] S. insbesondere: Bourdieu, Pierre: Soziologische Fragen. Frankfurt a.M. 1993 [Questions de sociologie. Paris 1980]; ders.: Der Tote packt den Lebenden (Schriften zu Politik und Kultur, Bd. 2). Hamburg 1997; ders. und Wacquant, Loïc J.D.: Reflexive Anthropologie. Frankfurt a.M. 2006; Butler, Judith: Undoing Gender. New York, London 2004.
[12] Kauppert, Michael: Erfahrung und Erzählung. Zur Topologie des Wissens (Wissen, Kommunikation und Gesellschaft. Schriften zur Wissenssoziologie). Wiesbaden 20102, S. 161.
[13] Vgl.: Allolio-Näcke, Lars und Kallscheuer, Britta: Doing Identity. Von Transdifferenz und dem alltäglichen Skeptizismus. Http://www.academia.edu/3803747/Geschichte_Redaktion_und_Identit%C3%A4t_-Allolio-N%C3%A4cke_L._und_Kalscheuer_B._Doing_Identity_Von_Transdifferenz_und_dem, einsgesehen am 05.05.2015; Näcke, Lars und Park, Eri: Subjektivität und Subjektivierung – Zwischen Einschreibung und Selbstführung. In: Psychologie und Gesellschaftskritik 18/2 (1994), S. 9-35.
[14] Peter Burschel schlägt in diesem Zusammenhang vor, „Fragen nach dem Selbst, Fragen nach der Person in stärkeren Maße als bisher auch als Raum-Fragen zu verstehen zu lernen.“: Burschel, Peter: „j´avais le plaisir de me voir comparée à tous les astres“. Gelebte Räume in den Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover. In: Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven, hg. v. Claudia Ulbrich, Hans Medick und Angelika Schaser (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 20). Köln, Weimar, Wien 2012, S. 335-348, hier S. 337.
[15] Hornung, Esther und Günther-Saeed, Marita: Einleitung. In: Zwischenbestimmungen. Identität und Geschlecht jenseits der Fixierbarkeit?, hg. v. Esther Hornung und Marita Günther-Saeed. Würzburg 2012, S. 17-32, hier S. 22.
[16] In Bezug auf die Diskussion um den aus den USA stammenden Ansatz der Intersektionalität, wie ihn Cornelia Klinger und Gudrun-Axeli Knapp in Deutschland angestoßen haben: z.B. Lutz, Helma; Herrera Vivar, Maria Teresa und Supik, Linda (Hg.): Fokus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes (Geschlecht und Gesellschaft, Bd. 47). Wiesbaden 2010; vgl. Klinger, Cornelia; Knapp, Gudrun-Axeli und Sauer, Birgit (Hg.): Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität (Politik und Geschlechterverhältnisse, Bd. 36). Frankfurt, New York 2007. Allerdings macht m.E. die Kritik von Thomas Schwinn und dessen Verweis auf Max Weber in seinem Aufsatz im gleichen Buch Sinn: Er bemerkt, „dass sich Ressourcen konvertieren lassen“ und teilt diese in drei Basistypen auf: „kulturelle Deutungs- bzw. Distinktionskompetenz, politische Macht und ökonomische Chancen […]. Sie entfalten ihre Wirkung quer durch die […] differenzierten Institutionen.“: Schwinn, Thomas: Komplexe Ungleichheitsverhältnisse: Klasse, Ethnie und Geschlecht. In: Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität, hg. v. Cornelia Klinger, Gudrun-Axeli Knapp und Birgit Sauer (Politik und Geschlechterverhältnisse, Bd. 36). Frankfurt, New York 2007, S. 271-286, hier S. 283. Durch Konvertierung könnten negative Ungleichheitslagen auf der einen Seite durch positive auf der anderen Seite kompensiert werden. Dadurch besitzt das Subjekt die Gestaltungsmacht der eigenen Differenzsetzung quer zu den strukturellen Vorgaben. Die Grenzen der Handlungsrahmen werden elastischer, austestbarer, brüchiger.
[17] S. hier z.B.: Hornscheidt, Antje: Sprachliche Kategorisierung als Grundlage und Problem des Redens über Interdependenzen. Aspekte sprachlicher Normalisierung und Privilegierung. In: Gender als interdependente Kategorie, hg. v. Katharina Walgenbach u.a. Opladen 2002, S. 65-105.
[18] S. hierzu die gleichnamige Dissertation von Meißner, Hanna: Jenseits des autonomen Subjekts. Zur gesellschaftlichen Konstitution von Handlungsfähigkeit im Anschluss an Butler, Foucault und Marx. Bielefeld 2010.
[19] Vgl. Bhabha, Homi K.: The Location of Culture. London 1994.
[20] Vgl. z.B.: Welsch, Wolfgang: Transculturality – the Puzzling Form of Cultures Today. In: Spaces of Culture. City, Nation, World, hg. v. Mike Featherstone und Scott Lash. London 1999, S. 39-63; Mae, Michiko: Auf dem Weg zu einer transkulturellen Genderforschung. In: Transkulturelle Genderforschung. Ein Studienbuch zum Verhältnis von Kultur und Geschlecht, hg. v. Michiko Mae und Britta Saal (Geschlecht und Gesellschaft, Bd. 9). Wiesbaden 2007, S. 37-52; Breinig, Helmbrecht und Lösch, Klaus: Forschungsfelder der Transdifferenz: Identität, Leiblichkeit und Repräsentation. In: Identität und Unterschied. Zur Theorie von Kultur, Differenz und Transdifferenz, hg. v. Cristian Alvarado Leyton und Philipp Erchinger. Bielefeld 2010, S. 37-58; Feldmann, Doris: Differenzen ohne Ende? Möglichkeiten und Grenzen der Differenzkategorie aus kultur- und literaturwissenschaftlicher Sicht. In: Identität und Unterschied. Zur Theorie von Kultur, Differenz und Transdifferenz, hg. v. Cristian Alvarado Leyton und Philipp Erchinger. Bielefeld 2010, S. 59-70; Saal, Britta: Kultur in Bewegung. Zur Begrifflichkeit von Transkulturalität. In: Transkulturelle Genderforschung. Ein Studienbuch zum Verhältnis von Kultur und Geschlecht, hg. v. Michiko Mae und Britta Saal (Geschlecht und Gesellschaft, Bd. 9). Wiesbaden 2007, S. 21-36; Sparn, Walter: Das Eigene und das Andere der Transdifferenz. Rückblick und Ausblick. In: Identität und Unterschied. Zur Theorie von Kultur, Differenz und Transdifferenz, hg. v. Cristian Alvarado Leyton und Philipp Erchinger. Bielefeld 2010, S. 317-325.
[21] Hijiya-Kirschnereit, Irmela: Textstrukturen – Schreibkulturen. Ein Kommentar. In: Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven, hg. v. Claudia Ulbrich, Hans Medick und Angelika Schaser (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 20). Weimar, Wien 2012, S. 174-178, hier S. 174.
[22] NachWerner Fuchs-Heinritz bildet biographische Forschung „in der Geschichte der Sozialwissenschaften keine Hauptströmung, eher ein verzweigtes Nebensystem.“: Fuchs-Heinritz, Werner: Biographische Forschung. Eine Einführung in Praxis und Methoden (Hagener Studientexte zur Soziologie). Wiesbaden 20094, S. 85, vgl. aber auch S. 10f., 86-107, 116-120. Die Entdeckung von Lebensgeschichten als Quelle fällt mit den sozialpolitischen Protestbewegungen und ihrer Identitätspolitiken während der kritischen Moderne in etwa den 1960er bis 1980er Jahren zusammen. In den USA entstand eine feministische Kritik an der bisherigen Auffassung von Biographie als zum einen zu unzuverlässig, um als Quelle dienen zu können und – im Bereich der Literaturwissenschaft – zum anderen an der alleinigen Wertschätzung »literarischer« Biographien von Schriftstellern im Unterschied zur »Belletristik« unbekannter Schriftstellerinnen oder unter Pseudonym schreibender Frauen. Dies führte einerseits in der Literaturwissenschaft zur (Wieder-)Entdeckung von women writers und der Erstellung von women´s biographies, was wiederum die feministische Geschichtsschreibung in den USA anstieß. Vgl.: Banner, Lois W.: AHR Roundtable Biography as History. In: American Historical Review (Juni 2009), S. 579-586, hier S. 579. Auf der anderen Seite wurden nicht nur von der Frauenbewegung, sondern von Geschichtswerkstätten und anderen Initiativen Bestrebungen laut, Alltagsgeschichte, »Geschichte von Unten« zu schreiben. Daraus wurde schließlich die Methode der Oral History entwickelt. Vgl.: Fuchs-Heinritz, Werner 20094, S. 115f.
[23] Schulze, Winfried: Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung „EGO-DOKUMENTE“. In: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, hg. v. Winfried Schulze (Selbstzeugnisse der Neuzeit. Quellen und Darstellungen zur Sozial- und Erfahrungsgeschichte, Bd. 2). Berlin 1996, S. 11-30, hier S. 13.
[24] Lejeune, Philippe: The Autobiographical Pact. In: Philippe Lejeune: On Autobiography. Minnesota 1989 [Le Pacte Autobiographique. Paris 1975], S. 3-30, hier S. 4, zitiert nach Baggerman, Arianne: Lost Time. Temporal Discipline and Historical Awareness in Nineteenth-Century Dutch Egodocuments. In: Controlling Time and Shaping the Self (Egodocuments and History Series, Bd. 3), hg. v. Arianne Baggerman, Rudolf Dekker und Michael Mascuch. Leiden, Boston 2011, S. 455-541, hier S. 457.
[25] Sparn, Walter: Dichtung und Wahrheit. Einführende Bemerkungen zum Thema: Religion und Biographik. In: Wer schreibt meine Lebensgeschichte? Biographie, Autobiographie, Hagiographie und ihre Entstehungszusammenhänge, hg. v. dems. Gütersloh 1990, S. 11-29, s. insbesondere S. 12, 16, 19.
[26] Vgl. auch Burke, Peter: Historicizing the Self, 1770-1830. In: Controlling Time and Shaping the Self, hg. v. Arianne Baggerman, Rudolf Dekker und Michael Mascuch (Egodocuments and History Series, Bd. 3). Leiden, Boston 2011, S. 13-32, hier S. 19, 21, 27.
[27] Randeira, Shalini: Geteilte Geschichte und verwobene Moderne. In: Zukunftsentwürfe. Ideen für eine Kultur der Veränderung, hg. v. Jörn Rüsen, Hanna Leitgeb und Norbert Jegelka. Frankfurt a.M., New York 2000, S. 87-96, hier S. 91, aufgegriffen und zitiert von Jancke, Gabriele und Ulbrich, Claudia: Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung. In: Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, hg. v. Gabriele Jancke und Claudia Ulbrich (Querelles. Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung, Bd. 10). Göttingen 2005, S. 7-27, hier S. 8.
[28] Fritzsche, Peter: Drastic History and the Production of Autobiography. In: Controlling Time and Shaping the Self (Egodocuments and History Series, Bd. 3) hg. v. Arianne Baggerman, Rudolf Dekker und Michael Mascuch. Leiden, Boston 2011, S. 231-243, hier S. 236; vgl. ders.: The Economy of Narrative Identiy. In: History of Political Economy 39 (2007), S. 77-94, hier S. 79, vgl. auch S. 77.
[29] Vgl.: Anderson, Benedict: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London 19912; vgl. zur Anwendung des Konzeptes der Hegemonie v. Gramsci auf den Nationalismus: Gellner, Ernest: Nations and Nationalism. Ithaca NY 1983; zu Gramsci: vgl. z.B.: Borek, Johanna; Krondorfer, Birge und Mende, Julius (Hg.): Kulturen des Widerstands. Texte zu Antonio Gramsci (Beiträge zu Kulturwissenschaft und Kulturpolitik, Bd. 3). Wien 1993.
[30] Chatterjee, Partha: The Nation and its Fragments. Colonial and Postcolonial Histories (Princeton Studies in Culture/Power/History). Princeton NJ 1993, S. 6.
[31] Vgl.: Hobsbawn, Eric J.: Nations and nationalism since 1780. Programme, myth, reality. Cambridge u.a. 1990; Renan, Ernest: Qu´est-ce qu´une nation? Conférence faite en Sorbonne le 11 mars 1882. Http://ourworld.compuserve.com/homepages/bib_lisieux/nation01.htm, eingesehen am 03.08.2006; Luhmann, Niklas: Weltzeit und Systemgeschichte. Über Beziehungen zwischen Zeithorizonten und sozialen Strukturen gesellschaftlicher Systeme. In: ders.: Soziologische Aufklärung, Bd. 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft. Wiesbaden 20055 [1975], S. 128-166.
[32] Vgl.: Kerber, Linda K. The Republican Mother. Women and the Enlightenment – An American Perspective. In: AQ 28/2 (Summer 1976), S. 187–205; Frevert, Ute: Frauen-Geschichte. Zwischen bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit. Frankfurt a.M. 1986; dies.: Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert. Göttingen 1988; dies.: »Mann und Weib, und Weib und Mann«. Geschlechter-Differenzen in der Moderne. München 1995.
[33] Zum Konzept der Zivilisierung s.: Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde. Basel 1939.
[34] Vgl. hierzu auch: Baggerman, Arianne; Dekker, Rudolf und Mascuch, Michael: Introduction. In: Controlling Time and Shaping the Self, hg. v. Arianne Baggerman, Rudolf Dekker und Michael Mascuch (Egodocuments and History Series, Bd. 3). Leiden, Boston 2011, S. 231-243, hier S. 236; vgl. Dies.: The Economy of Narrative Identity. In: History of Political Economy 39 (2007), S. 1-10.
[35] Definition von Presser, Jacob: Uit het werk van dr. Presser. Amsterdam 1969, S. 286, zitiert nach Schulze, Winfried 1996, S. 15, Fußnote 17.
[36] Vgl.: Ulbricht, Claudia; Medick Hans und Schaser, Angelika: Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven. In: Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven, hg. v. Claudia Ulbrich, Hans Medick und Angelika Schaser (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 20). Weimar, Wien 2012, S. 1-19; vgl. Krusenstjern, Benigna: Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert. In: HA 2 (1994), S. 462-471.
[37] Blaschke, Olaf: Das 19. Jahrhundert. Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter? In: Geschichte und Gesellschaft 26/1 (2000), S. 38-75.
[38] Hölscher, Lucian: Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland. München 2005, S. 11.
[39] Wohlrab-Sahr, Monika; Krech, Volkhard und Knoblauch, Hubert: Religiöse Bekehrung in soziologischer Perspektive. Themen, Schwerpunkte und Fragestellungen der gegenwärtigen religionssoziologischen Konversionsforschung. In: Religiöse Konversion. Systematische und fallorientierte Studien in soziologischer Perspektive, hg. v. Monika Wohlrab-Sahr, Volkhard Krech und Hubert Knoblauch (Passagen und Transzendenzen. Studien zur materiellen Religions- und Kultursoziologie, Bd. 1). Konstanz 1998, S. 7-43, hier S. 8.
[40] Vgl. hierzu: Blasi, Anthony J.: The Meaning of Conversion: Redirection of Foundational Trust. In: Conversion in the Age of Pluralism, hg. v. Giuseppe Giordan (Religion and the Social Order, Bd. 17). Leiden, Boston 2009, S. 11-31, hier S. 11; Joseph B. Tamney hat u.a. zusammen mit Stephen D. Johnson quantitativ im Bereich der Fundamentalismus-Forschung gearbeitet: und v.a. bei der Weiterführung der Middletown-Studien mitgearbeitet. Zu letzteren s. z.B.: für den Zeitraum 1978-2000: http://www.thearda.com/Archive/Files/Descriptions/MAS04.asp, eingesehen am 15.09.2012.
[41] Vgl.: Kirn, Hans-Martin: The Penitential Struggle (»Busskampf«) of August Hermann Francke (1663-1727). A Model of Pietistic Conversion? In: Paradigms, Poetics and the Politics of Conversion, hg. v. Jan. N. Bremmer, Wout J. van Bekkum und Arie L. Molendijk (Groningen Studies in Cultural Change, Bd. XIX). Leuven, Paris, Dudley MA 2006, S. 123-132.
[42] Grundmann, Christoffer, H.: Art. „Proselyten/Proselytismus, III. Missionswissenschaftlich“. In: RGG4, Bd. 6 (2008), 1719; der Artikel umfasst zudem die Unterkapitel „I. Antikes Judentum“ von Wandrey, Irina, 1717f., „II. Mittelalterliches und neuzeitliches Judentum“ von Carlebach, Elisheva, 1718f., und „IV. Ökumenische Bedeutung“ von Voss, Gerhard, 1719f.
[43] Wingate, Andrew: Art. „Bekehrung/Konversion, VII. Missionswissenschaftlich“. In: RGG4, Bd. 1 (2008), 1237-1239.
[44] Nach einem kurzen Blick in die Religionspsychologie und dem biographisch-narrativen Ansatz folgen ausführliche historische Kapitel von der griechisch-römischen Antike über die Bibel die Kirchengeschichte hindurch. Dem schließen sich ein systematischer und ein praktisch-theologischer Artikel an. Am Ende folgen ein Blick in das Judentum und in den Islam: Art. „Bekehrung/Konversion“. In: RGG4, Bd. 1 (2008), 1228-1241.
[45] Bischofberger, Otto: Art. „Bekehrung/Konversion, I. Religionswissenschaftlich“. In: RGG4, Bd. 1 (2008), 1228f.
[46] Riedel-Spangenberger, Ilona: Art. „Konversion, Konvertiten (Kt.). In: LThK3, Bd. 6 (2009), 338-340, hier 338.
[47] Rzepkowski, Horst: Art. „Bekehrung”, I. Religionsgeschichtlich. In: LThK3, Bd. 2 (2009), 166; des Weiteren umfasst der Artikel die Unterkapitel „II. Psychologisch“ von Wahl, Heribert, 166f., „III. Biblisch“ von Löning, Karl, 167f., „IV. Historisch-theologisch”, „V. Systematisch-theologisch” und „VI. Praktisch-theologisch” von Werbick, Jürgen, 168-170, sowie „VII. Missionswissenschaftlich” von Findeis, Hans-Jürgen, 170f.
[48] James, William: The Varieties of Religious Experience: A Study in Human Nature. New York, London 1902.
[49] Cipriani, Roberto: Preface: The Sociology of Conversion. In: Conversion in the Age of Pluralism, hg. v. Giuseppe Giordan (Religion and the Social Order, Bd. 17). Leiden, Boston 2009, S. vii-xiii.
[50] Die Literatur hierzu ist mittlerweile Legion. V.a.: Schütz, Alfred und Luckmann, Thomas: Strukturen der Lebenswelt. Konstanz 2003 [Darmstadt, Neuwied 1975]; Berger, Peter L.: The Sacred Canopy. Elemens of a Sociological Theory of Religion. New York u.a. 1967; Luckmann, Thomas: Die unsichtbare Religion. Frankfurt a.M. 19963 [1991].
[51] Vgl.: Bruce, Steve: Sociology of Conversion. The Last Twenty-Five Years. In: Paradigms, Poetics and the Politics of Conversion, hg. v. Jan. N. Bremmer, Wout J. van Bekkum und Arie L. Molendijk (Groningen Studies in Cultural Change, Bd. XIX). Leuven, Paris, Dudley MA 2006, S. 1-11, hier S. 1-3.
[52] Vgl.: Lofland, John und Stark, Rodney: Becoming a World-Saver. A Theory of Conversion to a Deviant Perspective. In: American Sociological Review 30/6 (Dez. 1965), S. 862-875. Gegenwind bekamen sie z.B. von Snow, David A. und Phillips, Cynthia L.: The Lofland-Stark Conversion Model: A Critical Reassessment. In: Social Problems 27/4 (April 1980), S. 430-447.
[53] Straus, Roger A.: Religious Conversion as a Personal And Collective Accomplishment. In: Sociological Analysis 40/2 (1979), S. 158-165, hier S. 160, http://socrel.oxfordjournals.org, Ruhr Universität Bochum, abgerufen am 16.02.2011.
[54] Vlg. Stark, Finke, Shupe und Bromley und die sich daran entzündenden Diskussionen. Folgende Beiträge mögen paradigmatisch dafür stehen: Hak, Durk: Conversion as a Rational Choice. An Evaluation of the Stark-Finke Model of Conversion and (Re-)Affiliation. In: Paradigms, Poetics and the Politics of Conversion, hg. v. Jan. N. Bremmer, Wout J. van Bekkum und Arie L. Molendijk (Groningen Studies in Cultural Change, Bd. XIX). Leuven, Paris, Dudley MA 2006, S. 13-24. Vermutlich haben als Reaktion darauf Stark und Finke ihr Modell in einem Einführungswerk zu einer Systematik von Annahmen und Definitionen, weiter entwickelt, die auch die neueren Zugänge integriert. Diese ist in zehn Kapitel unterteilt, von denen Kapitel 5 Konversion systematisiert. Stark, Rodney und Finke, Roger: Acts of Faith. Explaining the Human Side of Religion. Berkeley, Los Angeles, London 2000, hier insbesondere S. 114-138, 280f.
[55] S.: Rambo, Lewis R.: Understanding Religious Conversion. New Haven, London 1993.
[56] Vgl.: Gooren, Henri: Towards a New Model of Religious Conversion Careers. The Impact of Social and Institutional Factors. In: Paradigms, Poetics and the Politics of Conversion, hg. v. Jan. N. Bremmer, Wout J. van Bekkum und Arie L. Molendijk (Groningen Studies in Cultural Change, Bd. XIX). Leuven, Paris, Dudley MA 2006, S. 25-39.
[57] Snow, David A. und Machalek, Richard: The Sociology of Conversion. In: Annu. Rev. Sociol. 10 (1984), S. 167-190, http:// www.annualreviews.org, eingesehen am 15.02.1011.
[58] Staples, Clifford L. und Mauss, Armand L.: Conversion or Commitment? A Reassessment of the Snow and Machalek Approach to the Study of Conversion. In: Journal for the Scientific Study of Religion 26/2 (1987), S. 133-147, hier S. 145.
[59] Vgl.: Zock, Hetty: Paradigms in Psychological Conversion Research. Between Social Science and Literary Analysis. In: Paradigms, Poetics and the Politics of Conversion, hg. v. Jan. N. Bremmer, Wout J. van Bekkum und Arie L. Molendijk (Groningen Studies in Cultural Change, Bd. XIX). Leuven, Paris, Dudley MA 2006, S. 40-58.
[6] Luhmann, Niklas: Die Religion der Gesellschaft. Frankfurt a.M. 2002.
[61] Begriff in übersetzter Form übernommen aus Michel, Patrick: Elements for a Semiotics of „Conversion“. In: Conversion in the Age of Pluralism, hg. v. Giuseppe Giordan (Religion and the Social Order, Bd. 17). Leiden, Boston 2009, S. 73-89, hier S. 81, ursprünglich „cosmologies portable“ von: Augé, Marc: Pour une anthropologie des mondes contemporains. Paris 1997, S. 147.
[62] Zur religionssoziologischen Diskussion bezüglich Modernisierung, Pluralisierung und Säkularisierung lassen sich m.E. drei Positionen ausmachen: 1.die fortschreitende Säkularisierung als zwingendes Entwicklungsmoment, selbst wenn »verspätete Entwicklungen« zu beobachten seien. Diese ist in den letzten Jahren auf große Kritik gestoßen; 2. Moderne nicht einseitig folgerichtig zu betrachten, sondern von multiplen Modernen zu sprechen, so dass Religion nicht zwingend säkularisiert wird; 3. damit zusammenhängend die These, dass hinsichtlich religiöser Prozesse Europa auf einem Sonderweg sei durch seine Säkularisierungstendenzen, nicht »der Rest der Welt«, es vielmehr zu einer „Wiederkehr der Religion“ (s. hierzu z.B. das gleichnamige Buch von Gottfried Küenzlen, München 1997.) käme.
[63] Lüddeckens, Dorothea und Walthert, Rafael: Fluide Religion: Eine Einleitung. In: Fluide Religion. Neue religiöse Bewegungen im Wandel. Theoretische und empirische Systematisierungen, hg. v. Dorothea Lüddeckens und Rafael Walthert. Bielefeld 2010. Der Begriff „soll auf einen hohen Grad von Beweglichkeit verweisen und auf die Diffusion von Religion in einem weiteren sozialen Kontext, der einen Wandel der sozialen Formen von Religion mit sich bringt“ (S. 11).
[64] Vgl.: Medick, Hans: Einführung: Kulturelle Mehrfachzugehörigkeiten. In: Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven, hg. v. Claudia Ulbrich, Hans Medick und Angelika Schaser (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 20). Weimar, Wien 2012, S. 17-19.
[65] So dass sowohl Wilhelm Dilthey als auch Friedrich Meinecke Recht zu geben ist, dass es immer einen Rest an personaler Unbestimmtheit gibt, der sich der Analyse entzieht – sowohl der Selbstreflexion als auch der Fremdanalyse.
[66] Vgl.: Belzen, Jacob A.: Religion as Embodiment. Cultural-Psychological Concepts and Methods in the Study of Conversion among “Bevindeleijken”. In: Journal for the Scientific Study of Religion (1999), S. 236-253.
[67] Vgl.: Flanagan, Kieran: Conversion: Heroes and their Sociological Redemption. In: Conversion in the Age of Pluralism, hg. v. Giuseppe Giordan (Religion and the Social Order, Bd. 17). Leiden, Boston 2009, S. 33-71, hier insbesondere S. 40-42.
[68] Zur Überlegung Konversion als Opposition s.: Giordan, Giuseppe: Conversion as Opposition. In: Conversion in the Age of Pluralism, hg. v. Giuseppe Giordan (Religion and the Social Order, Bd. 17). Leiden, Boston 2009, S. 243-262.
[69] S. z.B.: Swatos, William H., Jr.: Pilgrimage and Conversion. In: Conversion in the Age of Pluralism, hg. v. Giuseppe Giordan (Religion and the Social Order, Bd. 17). Leiden, Boston 2009, S. 115-130.
[70] Die Lebenslaufforschung und die Biographieforschung setzen hier grundsätzlich verschieden an: Das Forschungsinteresse der Lebenslaufforschung ist primär auf die strukturellen Auswirkungen vorgegebener institutioneller (Beruf, verwaltetes Leben) und kultureller Vorgaben (wie erwartete Lebensmuster, Lebensphasen, Übergangsriten), auf die Lebensführung des Einzelnen in der Industriegesellschaft gerichtet. Die Biographieforschung geht umgekehrt vor: Sie betrachtet die Lebensführung des/der Einzelnen in seiner/ihrer biographischen Konstruktion und nimmt von dort her den strukturellen Kontext wahr. Zur Lebenslaufforschung s. z.B.: Grundmann, Matthias: Familienstruktur und Lebensverlauf. Historische und gesellschaftliche Bedingungen individueller Entwicklung (Lebensläufe und gesellschaftlicher Wandel). Frankfurt, New York 1992; Raithelhuber, Eberhard: Übergänge und Agency. Eine sozialtheoretische Reflexion des Lebenslaufkonzepts. Opladen, Berlin, Farmington Hills MI 2011; Kluge, Susann und Kelle, Udo (Hg.): Methodeninnovation in der Lebenslaufforschung. Integration qualitativer und quantitativer Verfahren in der Lebenslauf- und Biographieforschung (Statuspassagen und Lebenslauf, Bd. 4). Weinheim, München 2001; Dausien, Bettina: Biographie und Geschlecht. Zur biographischen Konstruktion sozialer Wirklichkeit in Frauenlebensgeschichten (IBL Forschung). Bremen 1996. Eine Brücke zwischen beiden Vorgehensweisen versuchen Peter A. Berger und Peter Sopp in ihrem Aufsatzband Sozialstruktur und Lebenslauf (Sozialstrukturanalyse, Bd. 5). Opladen 1995 zu schlagen. Hier wie in dem Buch von Reinhold Sackmann: Lebenslaufanalyse und Biographieforschung. Eine Einführung (Studienskripten zur Soziologie). Wiesbaden 2007 ist zu sehen, dass sich beide Ansätze nicht gegenseitig ausschließen. Für die Belange der Quellenanalyse von Konversionserzählungen halte ich allerdings die Biographieforschung für hilfreicher. S.: Alheit, Peter und Hoerning, Erika M. (Hg.): Biographisches Wissen. Beiträge zu einer Theorie lebensgeschichtlicher Erfahrung. Frankfurt, New York 1989, besonders die Einleitung, sowie Hoerning, Erika M.: Erfahrungen als biographische Ressourcen, S. 148-163, Straub, Jürgen und Sichler, Ralph: Metaphorische Sprechweisen als Modi der interpretativen Repräsentation biographischer Erfahrungen, S. 221-237, Alheit, Peter: Erzählform und »soziales Gedächtnis«: Beispiel beginnender Traditionsbildung im autobiographischen Erinnerungsprozess, S. 123-147, Kuczynski, Jürgen: Lügen, Verfälschungen, Auslassungen, Ehrlichkeit und Wahrheit: Fünf verschiedene und für den Historiker gleich wertvolle Elemente in Autobiographien, S. 24-37; Hoerning, Erika M. (Hg.): Biographische Sozialisation (Der Mensch als soziales und personales Wesen, Bd. 17). Stuttgart 2000, v.a. Dies.: Biographische Sozialisation. Theoretische und forschungspraktische Verankerung. Eine Einleitung zu den Beiträgen, S. 1-20, Bourdieu, Pierre: Die biographische Illusion, S. 51-60 [BIOS 3/1 (1990), S. 75-81.], Leitner, Hartmann: Wie man ein neuer Mensch wird, oder: Die Logik der Bekehrung, S. 61-86, Straub, Jürgen: Implikationen und Voraussetzungen lebensgeschichtlichen Denkens in der Sicht einer narrativen Psychologie, S. 137-163, Alheit, Peter und Dausien, Bettina: Die biographische Konstruktion der Wirklichkeit. Überlegungen zur Biographie des Sozialen, S. 257-283; Griese, Birgit (Hg.): Subjekt – Identität – Person? Reflexionen zur Biographieforschung. Wiesbaden 2010; dies. und Griesehop, Hedwig Rosa: Biographische Fallarbeit. Theorie, Methode und Praxisrelevanz. Wiesbaden 2007; Herzberg, Heidrun und Kammler, Eva: Biographie und Gesellschaft. Überlegungen zu einer Theorie des modernen Selbst (Biographie und Lebensweltforschung des Interuniversitären Netzwerkes Biographie- und Lebensweltforschung (INBL), Bd. 10). Frankfurt, New York 2011. Einen frühen Überblick über die Biographieforschung und ihre Geschichte mit feministischem Impetus für die Theologie bietet Monika Maaßen: Biographie und Erfahrung von Frauen. Ein feministisch-theologischer Beitrag zur Relevanz der Biographieforschung für die Wiedergewinnung der Kategorie der Erfahrung (Frauenforschung, Bd. 2). Fulda 1993. Dass die Konversionsforschung auf der Biographieforschung aufsitzt, zeigt deren Hinwendung zu narrativen Analysen: z.B.: Nohl, Arnd-Michael: Interview und dokumentarische Methode. Anleitungen für die Forschungspraxis (Qualitative Sozialforschung, Bd. 16). Wiesbaden 20082; Kauppert, Michael: Erfahrung und Erzählung. Zur Topologie des Wissens (Wissen, Kommunikation und Gesellschaft. Schriften zur Wissenssoziologie). Wiesbaden 20102.
[71] Vgl. v.a. auch die Kapitelüberschriften.
[72] Krech, Volkhard und Schlegel, Matthias: Auf der Suche nach dem »wahren Selbst«. Über den Zusammenhang von Konversion und der Konstitution religiöser Identität. In: Religiöse Konversion. Systematische und fallorientierte Studien in soziologischer Perspektive, hg. v. Monika Wohlrab-Sahr, Volkhard Krech und Hubert Knoblauch (Passagen und Transzendenzen. Studien zur materiellen Religions- und Kultursoziologie, Bd. 1). Konstanz 1998, S. 169-192, hier S. 169.
[73] Schwentker, Wolfgang: Schreiben und Erinnern. Ein vergleichender Kommentar. In: Selbstzeugnis und Person. Transkulturelle Perspektiven, hg. v. Claudia Ulbrich, Hans Medick und Angelika Schaser (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 20). Weimar, Wien 2012, S. 419-425, hier S. 422.
[7] S. den Artikel von Schaser 2012! Hier hat Schaser auch auf Ida Hahn-Hahn aufmerksam gemacht, die explizit in ihren Romanen das politische Geschehen verarbeitet und bewertet.
[75] Cordula Peregrina (C. Wöhler): Singt dem Herrn! – oder – Das Kirchenjahr in Liedern. Mit fürstbischöflicher Approbation. Salzburg 1898, S. VIIf.
[76] Der Scherer. Erstes illustrirtes Tiroler Witzblatt für Politik, Kunst und Leben 1/8 (Mittwoch, den 16. des Erntemonats 1899), S. 7.
[77] Nepalesische Soldaten im Dienst der British Army und der indischen Streitkräfte im Ersten Weltkrieg. Vgl. u.a. Who are the Gurkhas? Http://www.bbc.com/news/uk-107820 99, eingesehen am 28.04.2016.
[78] Brief Cordula Wöhlers an Clara Zumnorde nach Warendorf, Schwaz 14.12.1914. In: „Und nun, meine herzliebste Clara, behüt´ Dich Got für heut“. Cordula Wöhler privat. Edition ausgewählter Briefe, hg. v. Esther Hornung. Hamburg 2016, S. 341.
[79] Brief Cordula Wöhlers an Clara Zumnorde nach Warendorf, Schwaz 18.02.1887. In: ebd., S. 78.
[80] Brief Cordula Wöhlers an Clara Zumnorde nach Warendorf, Schwaz 25.06.1895. In: ebd., S. 106.
[81] OFM-Archiv, Hall 94/1 Z 001a-b.
[82] Vgl. Vorarlberger Landesarchiv Bregenz, Bestand: Rietzlern, VE: Trauungsbuch, L.num. 484/2, Datierung: 1784-1935, 1934_0051. Http://www.vla.findbuch.net/php/view.php?ar_id=3711&link=564c412d5269657ax6#, eingesehen am 16.05.2012.
[83] I. Tagebuch-Heft. (Vom 7. März 1876 – bis 20. Januar 1877.), 03.10.1876. Nachlass von P. Arsenius Niedrist, OFM-Archiv, Hall. Ab der Heirat scheint P. Arsenius Niedrist vom persönlichen „Cordula“ zum unpersönlichen „C.S.“ gewechselt zu haben. Vgl. auch Cordula Wöhlers Überlegungen in ihrem Tagebuch vom März 1876. Im Tagebuch vom April 1876, 25.04., schreibt sie von „Geschwisterehe“ und überlegt bereits, Kinder zu adoptieren. Gemäß des Eintrages vom 26.04.1876 hatte Cordula Wöhler von ihren Eltern die Zusage für eine Aussteuer, Brautkleid, längeren Besuch im Sommer und deren Teilnahme an der Hochzeit bekommen. P. Arsenius Niedrist (1828-1886) war bis 1886 Cordula Wöhlers engster Beichtvater in Schwaz gewesen. Alban Stolz (1808-1883), in Freiburg i.Br. Professor für Pastoraltheologie, hatte Cordula Wöhler einst in ihrem Konversionsprozess begleitet.
[84] S. hierzu die Mitgliedsurkunde: Aufnahmediplom Cordula Wöhlers in den Dritten Orden des Heiligen Franziskus. München 02.08.1876. OFM-Archiv, Hall, 94/1 Z 011. Demnach hatte sie am 02.08.1876 in Schwaz unter dem Ordensnamen „Maria Josepha“ ihre Profess abgelegt, kurz vor ihrer Hochzeit am 17.08.1876. Die Urkunde war vom Provinzial der bayrischen Kapuziner-Provinz, P. Constantin, in München ausgestellt worden.
[85] Marie (1878-1910) verstarb früh an Tuberkulose als Vinzentinerin in Innsbruck. Anna (1880-1973) heiratete nach dem Tod ihrer Adoptiveltern, hinterließ jedoch keine noch lebenden Nachkommen. Vgl.: Hornung (Hg.) 2016, S. 30-32.
[86] Brief Cordula Wöhlers an Clara Zumnorde nach Warendorf, Schwaz 10.08.1888. In: Hornung (Hg.) 2016, S. 82.
[87] Vgl. hier auch ihr Buch Der Weg nach Golgotha. Betrachtungen, Gebete, Lieder. Mit einer Vorrede von Franz Hattler S.J. München, Regensburg 1878.
[88] Julius Karl Mayer: Alban Stolz und Kordula Wöhler (Alban Stolz. Fügung und Führung. Konvertitenbilder, hg. v. Julius Mayer, 3. Teil). Freiburg i.Br. u.a. 1913.
[89] Hornung (Hg.) 2016, S. 25.
[90] Johann Wilhelm Wöhler Brief an Cordula Wöhler, 17.06.1870. OFM-Archiv, Hall 94/1 Z 016.
[91] Vgl. Brief Cordula Wöhlers an Clara Zumnorde nach Warendorf, Schwaz 10.08.1888. In: Hornung (Hg.), S. 83.
[92] Brief Cordula Wöhlers an Clara Zumnorde nach Warendorf, Schwaz 08.07.1909. In: ebd., S. 201f.
[93] So finden sich u.a. folgende Buchtitel (chronologisch): Die Geschichte der heiligen Nothburga von Rottenburg: Poetisch erzählt. Innsbruck 1870; Neues Gebhardsbuch. Katholisches Haus- und Gebetbuch. Bregenz 1878; Auf dem Sillberg. Tiroler Dorfgeschichte. Mit einer Vorrede von P. Franz Hattler, Priester der Gesellschaft Jesu. Innsbruck 1879; Katholisches Haus- und Herzens-Leben beleuchtet vom Schimmer des ewigen Lichts. Eine Sammlung geistlicher Lieder. München 1888; Aus Lebens Liebe, Lust und Leid, ein Pilgersang zur Abendzeit. Innsbruck 1898; Christkindleins Weihnachtsgruß an frohfromme Kinderherzen. Regensburg u.a. 1900; Des Weißen Sonntags Himmelsglück. Festgabe zur ersten heiligen Kommunion. Kevelaer 1908.
[94] Vgl. neben dem bekannten „Segne Du, Maria“ auch: Marienrosen. Entsprossen zu Füßen unserer lieben Frau. Münster 1897.
[95] So begründete Was das ewige Licht erzählt. Gedichte über das Allerheiligste Altarsakrament. Innsbruck 1874 ihre Beliebtheit im katholischen Milieu. Das Buch wurde in über zwanzig Auflagen durch Felix Rauch verlegt. Vgl. auch: Krippe und Altar oder Weihnachten in der Eucharistie. Betrachtungen von C. Wöhler. Mit einer Vorrede von Franz Hattler S.J. München, Regensburg 1880.
[96] Der Scherer 1899, S. 7.
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