Antonia Leugers
20 Jahre Schwerter Arbeitskreis
Katholizismusforschung. Eine Tagungsglosse
Die 20. Tagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung
(SAK), zu der die Tagungsleitung Gisela Fleckenstein, Joachim Schmiedl
und Johannes Horstmann geladen hatten, fand vom 10.-12. November 2006
in der Katholischen Akademie Schwerte statt.[1] Aus den elf
Vorträgen sollte in diesem Jahr der Abendvortrag am 11. November
herausragen, der den Titel trug: "20 Jahre SAK aus der Sicht der
Protestantismusforschung". Der Marburger Festredner Jochen-Christoph
Kaiser war sich der Bedeutungsschwere des Auftrags durchaus bewusst.
Dem bekannten Pastorenspruch "Minna, ein frisches Hemd und die Predigt
vom Vorjahr!" folgend hatte Kaiser nicht nur eben jene dem Anlass
gebührende Gewandung an- und seine nicht mehr taufrischen
übrigen Ausführungen dargelegt, sondern er hatte sich sogar
dazu hinreißen lassen, über Gründungspersonen und
Intentionen des Arbeitskreises heftig nachzudenken. Das Ergebnis seiner
Nachforschungen lässt nur einen Schluss zu: Offenbar müssen
alle Akten aus der Frühzeit der Vernichtung zum Opfer gefallen und
die gesamte Gründergeneration inzwischen gestorben sein. So war
Kaiser ganz und gar auf sein handwerkliches Können als Historiker
und Spezialist für Kirchliche Zeitgeschichte zurückgeworfen.
Sein Ergebnis ist beachtlich, ja man muss es angesichts des selbst
gewählten Schwierigkeitsgrades als geradezu tiefgründig
bezeichnen: Zunächst holte Kaiser zeitlich und räumlich
über Schwerte reichend aus, um insbesondere den Bielefelder
Historikern seine tiefe fachliche Abneigung zu bekunden,
wohingegen er dem Münsteraner Kirchenhistoriker und
Frühmittelalterspezialisten Arnold Angenendt im eigentlichen Sinne
den Lorbeerkranz für die Gründung des zeitgeschichtlichen
Arbeitskreises aufs Haupt legte. In der Mediävistik aber treibt
hier und da das so genannte "saeculum obscurum" noch sein Unwesen.
Für die Zeitgeschichte reicht offenkundig schon ein "annus
obscurus", um Tagungsleitung und Festredner in diesem Jahr in
Verwirrung zu stürzen. Daher soll hier in gebotener Kürze
eine erhellende Widerlegung erfolgen, damit spätere Fest-Redende
zumindest hinsichtlich der Datierung und der überlieferten
Gründungsdokumente völlige Klarheit erlangen.
Richtig ist: Es handelte sich tatsächlich um die 20. Tagung des
Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung. Daraus den rechnerisch
kühnen Schluss zu ziehen, der Arbeitskreis könne bereits auf
20 Jahre seines Bestehens blicken und sich deshalb einen Festredner
einladen, zeugt von problematischer Anwendung der Grundrechenarten. Die
1. Tagung fand nämlich am 29./30. September 1987 statt, d.h. erst
im Herbst 2007 runden sich 20 Jahre SAK. Möchte man dennoch auf 20
Jahre SAK-Geschichte kommen, so muss man ein "annus obscurus" zu den 19
schon verflossenen zählen. Dann aber landet man, Ironie des
Schicksals des diesjährigen Festredners Kaiser, ausgerechnet in
Bielefeld, wo die Idee zu einem interdisziplinären Arbeitskreis
für Katholizismusforschung geboren wurde. Im Wintersemester
1986/87 begaben sich nämlich drei Studierende [2] aus
Münster zur Bielefelder Universität, um am Seminar [3] des
Historikers Josef Mooser und anschließend am freitäglichen
historischen Colloquium teilzunehmen, das in der intellektuellen
Streitkultur von Hans-Ulrich Wehler, Reinhart Kosellek und Jürgen
Kocka verlief. Die Eindrücke von Bielefeld wurden nach
Münster getragen, so dass hier lediglich als von einem zweiten
Gründungsort die Rede sein kann. Allerdings, weitere Ironie des
Schicksals des diesjährigen Festredners Kaiser, zählt nicht
Angenendt, sondern der Historiker Wilfried Loth neben Josef Mooser zum
zweiten, an Katholizismusforschung interessierten "Gründungsvater"
des Schwerter Arbeitskreises. Die Idee zu diesem Arbeitskreis hatte der
umtriebige damalige wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für
Mittlere und Neuere Kirchengeschichte in Münster, August Hermann
Leugers, zusammen mit Mooser und Loth entwickelt. Am 21. Juni 1987
luden sie in einem Rundschreiben [4]
Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler der historischen und theologischen Disziplinen, "die an
der Erforschung des Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert
interessiert sind", zur 1. Tagung nach Schwerte ein. Sie solle
"die Möglichkeit bieten, bestehende Forschungsvorhaben zu
koordinieren und die zahlreichen Forschungsdefizite auf dem Gebiet der
Katholizismusforschung gemeinsam zu eruieren und abzutragen". "Dabei
soll hinsichtlich des Erkenntnisinteresses der 'Katholizismus' immer
auch paradigmatischen Charakter für die Frage nach der Bedeutung
religiöser Ideen und Praktiken in politisch-sozialen Prozessen
haben." Die "gravierenden Desiderate bei der Erforschung des
jüngeren Katholizismus" lege das Untersuchungsobjekt
"Katholizismus" nahe. Es scheine "nützlich, wenn sich
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in ihren Arbeiten
mit dem Katholizismus in kritischer Absicht auseinandergesetzt haben,
über ihre Schwierigkeiten mit dem Thema austauschen können,
um gemeinsam nach Lösungswegen für zentrale Probleme der
Katholizismusforschung zu suchen." Der Arbeitskreis konnte schon nach
drei Jahren auf einen Interessentenkreis von beinahe 60 Personen
blicken, Zeichen für das starke Bedürfnis an
interdisziplinärem Austausch. Der Schwerter Arbeitskreis
Katholizismusforschung war auf dem besten Weg, die erste Adresse
für junge Forscherinnen und Forscher zu werden.
Die "Kommission für Zeitgeschichte" in Bonn, die bis dahin als
außeruniversitäres Gremium männlicher katholischer
Wissenschaftler die Katholizismusforschung im deutschen Raum dominiert
hatte, war sichtlich irritiert über das Auftauchen eines freien
Forums, das im Gegensatz zur Kommission als non profit Unternehmen
über keinerlei Forschungsgelder verfügte. Die Teilnehmenden
zahlten die Tagungskosten selbst. Der damalige
Geschäftsführer der Kommission für Zeitgeschichte,
Ulrich von Hehl, unternahm daher Mitte 1990 einen eigenen Versuch, die
jüngeren Forschenden an die Kommission zu binden, anders gesagt:
dem freien Schwerter Arbeitskreis eine kommissionseigene Institution
entgegen zu setzen. Das Schreiben [5]
vom 24. Juli 1990, mit dem von
Hehl für den 25./26. September 1990 in die Bonner Kommission
für Zeitgeschichte einlud, eröffnete er mit der Bemerkung, es
zeige sich, dass "sich die Katholizismus-Forschung nicht selten in
einer gewissen 'Vereinzelung'" abspiele. "Daher wird gerade von
Doktoranden (und Habilitanden) der Wunsch nach verbessertem
Informationsfluß, aber auch nach persönlichem Kennenlernen
einschlägig arbeitender Kolleginnen und Kollegen
geäußert." Er wolle "eine entsprechende Initiative
ergreifen", um "jüngere Historikerinnen und Historiker", die "ein
Thema aus der Geschichte des deutschen Katholizismus im 19. und 20.
Jahrhundert bearbeiten", einzuladen. "Mir scheint es nun
zweckmäßig, wenn jede(r) Referent(in) ihren/seinen
Ausführungen ein Thesenpapier zugrundelegt, das hier in der
Forschungsstelle vervielfältigt und an die Teilnehmer versandt
werden kann. Für die anschließenden Diskussionen
wünsche ich mir eine kameradschaftliche und vertrauensvolle
Atmosphäre; Meinungen sollten in völliger Offenheit, also
auch ungeschützt ausgetauscht werden können, und niemand
sollte befürchten müssen, von anderen Teilnehmern
übervorteilt zu werden. Ich meine, die Bereitschaft hierzu
wäre eine unverzichtbare Voraussetzung für das Gelingen des
Vorhabens, von dem ich mir im übrigen wechselseitige Anregungen
für die weitere Arbeit verspreche." Wenn die Angeschriebenen "mit
den erwähnten Spielregeln einverstanden" seien, so lade er sie zu
diesem Treffen ein.
Die Initiative von Hehls blieb offenkundig eine schnell versiegende
Aktion, stand ihr doch die sich in Schwerte etablierende, freie und
bunt zusammen gesetzte Teilnehmerschaft gegenüber, die sich an
lebhaften kontroversen Diskussionen und noch lebhafteren
Abendunterhaltungen begeisterten. Sie bereicherten die
Katholizismusforschung nicht unwesentlich, was sich in zahlreichen
Publikationen der Folgejahre niedergeschlagen hat.
[6]
Der Arbeitskreis wird womöglich der einzige AK sein, der das
20jährige Jubiläum seines Bestehens in zwei aufeinander
folgenden Jahren feiern kann: einmal aus Sicht der
Protestantismusforschung inklusive eines "annus obscurus" im Jahre 2006
und ein weiteres Mal aus Sicht der kritischen Katholizismusforschung im
Jahre 2007 unter der neu gewählten Tagungsleitung, Nicole
Priesching und Andreas Henkelmann. Ad multos annos!
[1]
Tagungsprogrammankündigung:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=5948
[2] August Hermann Leugers,
Julia Paulus, Antonia Leugers.
[3] Weitere Teilnehmer des
Seminars u.a.: Relinde Meiwes, Thomas Mergel.
[4] August H. Leugers,
Prof. Dr. Wilfried Loth, Prof. Dr. Josef
Mooser: Einladungsschreiben vom 21.6.1987.
[5] Privat-Dozent Dr.
Ulrich von Hehl: Einladungsschreiben vom
24.7.1990.
[6] Vgl. die Webseite des
SAK:
http://www.katholizismusforschung.de/index.html,
vgl. insbesondere die
Bibliographie des SAK:
http://www.katholizismusforschung.de/bibl_86-89.html
und folgende Jahre.