In der Einladung zu dieser Veranstaltung hieß es, es sollte
über „den Umgang mit der schweren Vergangenheit und ihren
politischen und gesellschaftlichen Folgen für die Gegenwart in
Europa und Afrika“ diskutiert werden. Als Situationsbeschreibung wurde
formuliert: „In europäischen Gesellschaften nehmen Populismus und
Rechtsextremismus zu, im Afrika der Großen Seen ist ein
wachsender Rückzug des demokratischen Prozesses zu beobachten.“
Daran schlossen sich die Fragen an: „Wo liegen Ursachen und
Gründe? Wie weit spielt der Umgang mit der Nachkriegsgeschichte in
Europa eine Rolle? Wie weit sind soziale Verwerfungen Triebfedern im
Hintergrund?“[1] Was
bedeutet diese Situationsbeschreibung?
Inwieweit nehmen Populismus und Rechtsextremismus in den
europäischen Gesellschaften zu? In welchem Ausmaß kommt es
im Afrika der Großen Seen zu einem Rückgang des
Demokratisierungsprozesses?
Die Ideale von Freiheit und Gleichheit und dazu von allgemeinem Wohlstand wurden seit Beginn der 1960er Jahre von den westlichen Staaten unter Führung der USA als Ziele einer weltweiten Entwicklungspolitik propagiert. Auf denkwürdige Art und Weise hat dies John F. Kennedy in seiner Antrittsrede als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika am 20. Januar 1961 getan. Im Namen des amerikanischen Volkes versprach er, um die Grundlagen für eine bessere und gerechtere Welt zu ringen. Dieses Versprechen aber wurde auf dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts gegeben. Es sollte in erster Linie dazu dienen, in den Staaten der sog. Dritten Welt Verbündete gegen den Kommunismus zu finden. In der Praxis bedeutete dies, dass das Bündnis mit dem Westen gewichtet wurde als Demokratie und Menschenrechte. Schließlich lief es darauf hinaus, dass die meisten westlichen Verbündeten in der sog. Dritten Welt bis zum Ende des Ost-West-Konflikts (1989/90) autoritäre Regime waren.
Das Versprechen von Freiheit, Gleichheit und allgemeinem Wohlstand hatte in den westlichen Industrienationen aber nicht nur eine außenpolitische, sondern auch eine innenpolitische Funktion. Die Systemkonkurrenz zwischen Kommunismus und Kapitalismus war immer auch eine Konkurrenz um die bessere Sozialpolitik. So kam es in den westeuropäischen Demokratien zu einem breiten Ausbau der Sozialstaatlichkeit, der sich nur vor dem Hintergrund der Systemkonkurrenz mit den Staaten des real existierenden Sozialismus erklären lässt. Der Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung 1989/90 führte schließlich sowohl zum Abbau der sozialen Sicherungssysteme, die zu Zeiten des real existierenden Sozialismus im Osten entstanden waren, als auch zum Abbau der Sozialstaatlichkeit im Westen, die wegen der fehlenden Systemkonkurrenz scheinbar nicht mehr gebraucht wurde.
Andererseits führte der Sieg des Westens über den Osten, interpretiert als Sieg der Demokratie über die Diktatur, mit Blick auf die mit dem Westen verbündeten autokratischen Regime der sog. Dritten Welt zu der Forderung, nunmehr auch hier die Demokratie einzuführen. Der Appell, Oppositionsparteien zuzulassen und freie Wahlen abzuhalten, wurde dabei mit der unverhohlenen Drohung verknüpft, ansonsten die Unterstützung und wirtschaftliche Zusammenarbeit zu beenden.
Dieser Druck durch die internationale Gemeinschaft führte 1993 dazu, dass in Burundi erstmals freie Wahlen stattfanden. Im selben Jahr wurde für Ruanda eine Übergangsregierung unter Beteiligung der Opposition vereinbart, die das autokratische System ablösen sollte.
Der erste frei gewählte Präsident Burundis wurde am 21.
Oktober 1993, vier Monate nach seiner Wahl, ermordet. Es folgte ein
lang anhaltender Bürgerkrieg. Der ruandische Präsident
Juvénal Habyarimana wurde am 6. April 1994 ermordet. Es folgte
der Völkermord in Ruanda. Damit war das Projekt einer
Ablösung des autokratischen Regimes in Ruanda gescheitert. Mit dem
militärischen Sieg der Opposition in Ruanda wurde wiederum ein
autokratisches Regime installiert, das bis heute die Macht in Ruanda in
Händen hält.
Die Vereinten Nationen hatten nach dem Ende des Ost-West-Konflikts 1989/90 rasch das sog. Konzept der Transitional Justice, eine Kombination von Prozessen, Methoden und Formen der Organisation von gesellschaftlicher und politischer Aufarbeitung von Regimeverbrechen nach einem politischen Umbruch, als Leitlinie ihrer Globalpolitik übernommen. Dabei kommt der Aufarbeitung der Vergangenheit neben der juristischen Ahndung der Verbrechen eine zentrale Bedeutung für eine erfolgreiche Stabilisierung und Demokratisierung von Gesellschaften zu, die eine Gewaltherrschaft erlebt haben. „Grundlegender Tenor dabei ist, dass eine Gesellschaft nur in der Lage ist, eine liberale und demokratische Ordnung einzurichten, wenn sie sich auf bestimmte Art und Weise mit der gewaltsamen Vergangenheit auseinandergesetzt hat.“[6] Denn die Vergangenheitsaufarbeitung wird in unmittelbaren Zusammenhang mit der „Verbreitung liberaler Werte wie Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie der Schaffung von Frieden und Stabilität“ gebracht.[7]
Das ist auch der Grund, weshalb die Bestrebungen zu einer Vergangenheitsbewältigung den Interessen von Populisten und Autokraten diametral entgegenlaufen, und weshalb diese systematisch gegen eine Aufarbeitung belasteter Vergangenheiten hetzen, sie verhindern oder gar unter Strafe stellen. Populisten und Autokraten wie Putin, Trump, Erdogan, Orbán, die Regierung Kurz in Österreich, der Front National in Frankreich oder die AfD in Deutschland fürchten die liberalen, demokratischen und rechtsstaatlichen Implikationen der Vergangenheitsaufarbeitung.
Dasselbe ist der Fall bei den gegenwärtigen Präsidenten in Burundi und Ruanda. Nachdem der Regierungschef in Burundi entgegen der Verfassung 2015 ein drittes Mal für das Präsidentenamt kandidiert hatte und wiedergewählt worden war, schaffte er nicht nur die bis dahin in Burundi errungenen Freiheitsrechte (z.B. Presse- und Meinungsfreiheit) ab, sondern auch den Prozess der burundischen Versöhnungspolitik und der Aufarbeitung der regierungsseitig geschürten Gewalttaten von Tutsis gegen Hutus und umgekehrt.
In Ruanda hat die Tutsi-Opposition unter Paul Kagame 1994 den Völkermord beendet und zur gesellschaftlichen Aussöhnung eine Politik der Vergangenheitsbewältigung gestartet, die bis heute in Ruanda von zentraler Bedeutung ist. Dabei werden aber systematisch die Untaten, die Tutsis gegenüber Hutus verübt haben, ausgeblendet, und der Schutz, den Hutus Tutsis während des Genozids gewährt haben, bleibt unerwähnt. Auch werden die Verbrechen verschwiegen, die Kagames Armee während des Völkermords und in den nachfolgenden Bürgerkriegen in Ruanda und im Ostkongo begangen hat. Regierungsamtliche Vergangenheitsbewältigung ist Vergangenheitspolitik im Dienste der Stabilisierung eines autoritären Regimes.
Fassen wir noch einmal kurz zusammen: