An diesem Bild ändert auch die vorliegende neue Studie des bereits mit mehreren Monographien über NS-Größen in Erscheinung getretenen Journalisten und Historikers Volker Koop grundsätzlich nichts. Es handelt sich auch nicht um eine Biographie im eigentlichen Sinne, sondern um eine ganz auf den vermeintlichen Widerspruch zwischen ideologischer Bedeutung und politischer Bedeutungslosigkeit fokussierte Darstellung, die jeweils auf bestimmte Aspekte (Antisemitismus, Kunstraub, Kirchenkampf etc.) abstellt. Im Unterschied zu älteren Arbeiten – zu erwähnen ist hier vor allem die 2005 erschienene Biographie Ernst Pipers[1] – konnte Koop auf das lange als verschollen geltende und seit 2015 auch in edierter Form vorliegende Tagebuch des Ideologen zurückgreifen, das der amerikanische Ankläger Robert Kempner nach dem Ende des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses in die USA mitgenommen hatte.[2] Dem Autor gelingt es zwar, die erhebliche Diskrepanz zwischen Rosenbergs Selbsteinschätzung und seiner machtpolitischen Schwäche, die seine Gegner durchaus besser einschätzen, aufzuzeigen. Leider aber vermag die in weiten Teilen seltsam fragmentarische Darstellung nicht, diesem Spannungsverhältnis gerecht zu werden oder es sinnvoll zu deuten. So steht die immer wieder herausgestellte Schwäche Rosenbergs in deutlichem Widerspruch zur Behauptung, er sei der „Wegbereiter“ oder gar „Spiritus rector“ (91) der nationalsozialistischen „Endlösung der Judenfrage“ gewesen. Seltsam muten in diesem Zusammenhang ferner die vielfach zum Ausdruck gebrachten Superlative an – so vor allem die These, Rosenberg habe den „kompromisslosesten Antisemitismus“ (91) aller NS-Größen vertreten, der selbst von Hitler nicht übertroffen worden sei (121). Ob nun aber Hitler, Himmler, Streicher oder Goebbels in dieser Hinsicht der erste Platz gebührt, ist nicht nur eine kaum zu beantwortende und historisch irrelevante, sondern eine nahezu geschmacklose Frage.
Auch Koops Skizze der rosenbergschen Weltanschauung, wie er sie in seinem Mythus niederlegte, überzeugt nur sehr bedingt. Rosenbergs weltanschauliche Texte weisen eine erhebliche Redundanz auf, die durch die teilweise sehr ausführlichen und unzureichend kommentierten Zitate nicht gebrochen wird. Zum einen hätte man sich hier eine straffere und stärker analytisch angelegte Zusammenfassung gewünscht, zum anderen vermisst man eine historisch-biographische Einbettung. Rosenbergs bereits in frühen Jahren zum Ausdruck gebrachter Judenhass etwa erscheint bei Koop als Resultat einer Jugendlektüre – Houston Stewart Chamberlains Mythos des 19. Jahrhunderts – ohne den sozialen und politischen Kontext oder das ideologische Klima im seinerzeit zu Russland gehörenden Riga, wo der spätere „Chefideologie“ aufwuchs, überhaupt in Rechnung zu stellen. Abgesehen von der bloßen Erwähnung Chamberlains wird von einer weiteren ideen- bzw. ideologiegeschichtlichen Kontextualisierung zudem gänzlich abgesehen. Diese hätte Koop mitunter aber vor zweifelhaften Einschätzungen bewahrt: Kaum glaubhaft erscheint etwa die These, SS-Chef Himmler habe seine Germanen- und Blutsideologie Rosenberg entnommen, um sein mörderisches Handeln „vor sich und anderen zu rechtfertigen“ (99). Dafür brauchte es gewiss nicht der Schriften Rosenbergs, denn vor dem Hintergrund des breiteren antisemitischen und völkischen Diskurses im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts können solche mörderischen Denkfiguren kaum auf einzelne Autoren zurückgeführt werden.
So ergibt sich insgesamt ein recht unbefriedigender Eindruck: Für eine erste Orientierung mag das Buch durchaus taugen. Wer sich jedoch eingehender mit der Figur Rosenberg, seiner Rolle im nationalsozialistischen Herrschaftssystem oder der Genese seiner Ideologie beschäftigen möchte, dem seien ältere Studien angeraten.
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